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7.14. Ramadan in Salzburg (Josef P. Mautner) - Langtext

„Der folgende Tag war der erste Tag des Ramadan. In diesem gesegneten Monat bleibt die Stadt die ganze Nacht auf den Beinen. Es entsteht ein ganz neuer Lebensstil. Der Tag wird zur Nacht. Wenn die Kanone abgefeuert wird (tatsächlich werden zwölf Kanonen auf einen Schlag abgefeuert), um das Ende von ‚sahur' oder den Beginn des Fastens anzuzeigen, geht die Stadt kurz vor Morgenanbruch schlafen. Die Straßen sind verlassen; Büros und Geschäfte sind geschlossen und öffnen nur kurz zwischen zehn und eins. Die Stadt zeigt erst kurz vor Sonnenuntergang wieder Lebenszeichen. Wenn die Kanonen wieder abgefeuert worden sind, diesmal zur Verkündigung der ‚iftar', die das Ende des Fastens bezeichnet, pulsiert die Stadt vor Erregung. Der Verkehr verstopft die Autostraßen, und in alle Straßen und Gassen drängen sich die Menschen, um für den nächsten Tag einzukaufen. Büros und Läden öffnen abends wieder um zehn und bleiben bis zwei Uhr offen. So mancher macht bis zum Morgengrauen ein flottes Geschäft.”

Der Journalist und Schriftsteller Ziauddin Sardar beschreibt in einem autobiografischen Text den islamischen Fastenmonat Ramadan, wie er in der heiligsten Stadt der islamischen Welt, in Mekka, begangen wird. Der Kontrast zum äußeren Erscheinungsbild des Ramadan in Salzburg lässt sich größer nicht vorstellen. Das islamische Fasten, jedes Jahr in den vom islamischen Mondkalender festgesetzten Wochen begangen, hinterlässt im Stadtbild von Salzburg keine sichtbaren Spuren. Es wird von den hier lebenden Muslimen im privaten Umfeld der eigenen Familie und des Freundeskreises sowie in der Moschee begangen. Auf das öffentliche Leben hat der Ramadan keinen Einfluss, und das macht die Inkulturation islamischen Lebens für die in Salzburg lebenden Muslime nicht unbedingt leichter. Denn wie sich an der Schilderung des Ramadan in Mekka deutlich ablesen lässt, prägt der Ramadan in den islamischen Ländern – auch im „laizistischen” Staat Türkei – das öffentliche Leben. Und das öffentliche Leben ist auch Teil der religiösen Kultur des Fastens in diesem Monat.

Mit der Aufgabe, den islamischen Fastenmonat in Salzburg zu beschreiben, stoße ich auf zwei Schwierigkeiten: Zum einen der erwähnte unfreiwillig „private” Charakter des Fastens, der es in einer großteils säkularen Kultur zu einem scheinbar exotischen Thema werden lässt. Allerdings zeigt gerade dieser Aspekt des Ramadan wesentliche Probleme der Inkulturation für Muslime auf, die auch immer wieder zu gesellschaftspolitischen und religionspolitischen Konflikten führen. Der Islam, eine wesentlich öffentliche und politisch dimensionierte Religion, ist in Europa mit der gesellschaftlichen Norm, Religion sei Privatsache, konfrontiert. Zum andern stehe ich vor dem Problem, als Mensch, der von Geburt an Christ und Salzburger ist, eine religiöse Praxis zu beschreiben, die im Zentrum einer andern religiösen Kultur steht und die von Menschen gepflegt wird, die in ihrer überwiegenden Mehrheit selbst oder durch die Eltern ihre Wurzeln in einem islamischen Land (etwa der Türkei) haben.

Mein Bezug zum Thema entwickelte sich aus vielfältigen Kontakten und Gesprächen mit MigrantInnen aus islamischen Ländern, aber auch mit ÖsterreicherInnen, die intensive Kontakte und Beziehungen zu Menschen in der Türkei oder in anderen islamisch geprägten Ländern haben. Ein wichtiger Hintergrund ist auch die Arbeit für Gleichberechtigte und Integration von AusländerInnen im Rahmen der Salzburger „Plattform für Menschenrechte”. Aus diesen Gründen kann der folgende Text keineswegs als vollständige oder objektive Darstellung des Ramadan in Salzburg verstanden werden, sondern als Anfang eines Dialogs mit den in Salzburg lebenden Muslimen. Deshalb orientiert sich die Darstellung des „Ramadan in Salzburg”, die den dritten Teil des Textes bildet, ausschließlich an einem Gespräch, das ich im Sommer 2002 mit Frau Türkan Cagirankaya, einer Mitarbeiterin der interkulturellen Beratungsstelle für Mädchen, Frauen und Familien des Vereins VIELE, geführt habe. Die Annäherung an das Thema erfolgt in drei Schritten; erster Schritt: „Ramadan – der Fastenmonat des Islam”, zweiter Schritt: „Ramadan und europäische Kultur”, und schließlich als dritter Schritt: „Ramadan in Salzburg”.

7.14.1. Ramadan - der Fastenmonat des Islam

„Ssaum”, das Fasten ist in der Vorstellung des Islam Gottesdienst. Wer fastet, dient Allah, dem einzigen Gott. Denn durch das Einhalten des Fastens im Ramadan nähert man sich den Sphären des „ihsan”, des rechten Tuns. Gleichzeitig wird im Fasten die fundamentale Gleichheit der Muslime im öffentlichen wie im privaten Leben bekräftigt. „Während des ganzen Ramadan speist und trinkt ein Muslim nicht von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Dabei stellt er sich mit jenem gleich, welcher weniger als er selber hat.” So formuliert es der Text zu „Fasten und Ramadan” in der Site Al-Islaam. Diese Verwirklichung von Gleichheit unter den Gläubigen wird noch verstärkt durch „Zakatu-l-fitr”, die Almosengabe während des Fastens. Das Fasten ist eine Pflicht, die durch den Koran, durch Sunnah und „idschma”, den Konsens der Gelehrten, bezeugt ist. Es gehört neben „schahada”, dem Glaubensbekenntnis, „ssalat”, dem Gebet, „zakat”, dem Almosen und „hadsch”, der Pilgerfahrt zu den fünf Säulen des Islam. In der Sure Al Bakara 183 und 185 steht dazu: „O ihr, die ihr glaubt! Das Fasten ist euch vorgeschrieben, so wie es denen vorgeschrieben war, die vor euch waren. Vielleicht werdet ihr Allah fürchten.” (2:183) „Der Monat Ramadan ist es, in dem der Koran als Rechtleitung für die Menschen herabgesandt worden ist und als klarer Beweis der Rechtleitung und der Unterscheidung. Wer von euch in dem Monat zugegen ist, der soll in ihm fasten.” (2:185)

Die Offenbarungen Gottes an Mohammed, die später im Koran zusammengefasst wurden, begannen gemäß der Überlieferung im Jahr 610 n.Chr. während des Monats Ramadan. Er ist der neunte Monat im islamischen Mondkalender. Das muslimische Jahr teilt sich in zwölf Mondmonate von 29 oder 30 Tagen. Das Mondjahr ist um zehn bis elf Tage kürzer als der in unserer Kultur gängige Sonnenkalender. Deshalb sind nach ca. 33 Sonnenjahren schon 34 Mondjahre vergangen, und die kalenderbedingten Riten und Festtage im Islam verschieben sich gemäß diesem Mondjahr während der gängigen Jahreszeiten zehn oder elf Tage nach vorne. Die Umrechnung von den christlichen Daten in ein muslimisches Datum ist relativ komplex und bedeutet auch den Umstieg in ein anderes Zeitrechnungssystem. Im christlichen Jahr 2002 hat der Fastenmonat am 6. November begonnen und das Fest des Fastenbrechens, mit dem der Ramadan endet, wurde am 5. Dezember begangen.

Das Wort Ramadan kommt aus dem Arabischen und leitet sich von der Wurzel „ramida” oder „arramad” her, die „brennende Hitze und Trockenheit” bedeutet. Gedeutet wird diese Wortwurzel in mehrere Richtungen: Sie deute auf das Hitzegefühl im Magen hin, das vom Durst erzeugt wird. Manche erklären das Wort auch damit, dass der Ramadan die Sünden ausbrenne wie die Hitze den Boden. Oder: Im Ramadan seien Herz und Seele für die Anbetung Gottes empfänglicher wie Sand und Steine für die Hitze der Sonne.

Das Fasten im Ramadan hat eine äußere und eine innere Dimension. Die äußere Dimension bedeutet, dass eine Muslima bzw. ein Muslim vom Beginn der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang sich von allem fern hält, was das Fasten aufhebt. Sie bzw. er nimmt keine Nahrung und keine Getränke zu sich, raucht nicht und enthält sich des Geschlechtsverkehrs. Die innere Dimension des Fastens besagt, dass die „niyya”, die Absicht oder Gesinnung, für das Fasten unerlässlich ist. In einer „hadith”, einer Erzählung, die in fünf von sechs bekannten Sammlungen überliefert ist, heißt es: „Wer die Absicht nicht ergreift, um vor der Morgendämmerung zu fasten, der hat kein Fasten.” Mit der „niyya” wird eine umfassende ethische Dimension des Fastens formuliert; es soll zu einem Alltagsverhalten führen, das den ethischen Grundsätzen des Gottesdienstes entspricht: „Während des Fastens sollen deine Ohren, deine Augen, deine Zunge von der Lüge und Verbotenem ablassen. Lass ab den Nachbarn zu stören.” so Mohammed in einem „hadith”, der von Jabir bin Abdullah al Ansari überliefert wurde.

Die wichtigsten „adab”, Verhaltensformen und Bräuche, während des Ramadan sind:

  1. „Sahur”, das Essen vor der Morgendämmerung, das in der Zeit zwischen Mitternacht und der Morgendämmerung zu sich genommen wird.

  2. „Iftar”, das Essen zum täglichen Fastenbrechen nach Sonnenuntergang, das gewöhnlich mit einer Dattel oder einem Schluck Wasser begonnenund mit einem Gebet („du'a”) eingeleitet wird. Erst danach isst man die eigentlichen Speisen.

  3. Lektüre des gesamten Koran während des Fastenmonats.

  4. Gegenseitige Einladungen und Besuche während des Fastenmonats; oft wird auch das tägliche Fastenbrechen gemeinsam in den jeweiligen Moschee-Gemeinden durchgeführt.

  5. „Zakatu-l-fitr”, die Almosengabe: Die Zakatu-l-fitr ist eine Abgabe an Bedürftige zum Fest des Fastenbrechens, welche auch vor dem Fest im Verlauf des Fastenmonats Ramadan abgegeben werden kann. Der Gesandte Allahs, Allahs Segen und Friede auf ihm, machte Zakatu-l-fitr zur Pflicht, und zwar als eine Maßeinheit Datteln oder eine Maßeinheit Gerste, welche ausgegeben werden soll für jeden Menschen, sei dieser ein Sklave oder ein Freier, männlich oder weiblich, minderjährig oder volljährig, von den Muslimen.” – so eine von Ibn Umar überlieferte Erzählung („hadith”). Der Umfang dieser Gabe wird unterschiedlich errechnet. Im Ramadan 1413 (Februar / März 1993) wurde er von den islamischen Gemeinden der BRD mit 10,- DM festgesetzt. In Salzburg setzte der Hodscha der Islamischen Gemeinde für das Jahr 2001 7 € pro Person fest.

  6. „Tarawih” sind spezielle Gebete, die in den Moscheen oder zu Hause einige Zeit nach Sonnenuntergang verrichtet werden.

  7. In der „Nacht der Bestimmung” („lailat-ul qadr”) gedenken die Muslime jener Nacht, in der dem Propheten von Gott die ersten Abschnitte des Koran geoffenbart wurden. Sie wird in der Nacht des 27. Tages im Ramadan gefeiert.

Das Ende des Ramadan wird mit dem Fest des Fastenbrechens begangen, „id-ul fitr” auf arabisch und „Ramazan Bayrami” auf türkisch genannt. Nachdem die „tarawih„- Gebete am zweiten Abend vor dem Fest ihren Abschluss fanden, beginnt das Fest mit einem besonderen Festgebet am ersten Tag des auf den Ramadan folgenden Monats. Nach dem Gebet beglückwünschen sich die Muslime gegenseitig. Sie wünschen einander, dass Allah ihr Fasten und jeden Gottesdienst annehmen möge. Das Fest des Fastenbrechens dauert drei Tage. Während der Festtage werden Verwandte und Bekannte besucht, wobei es üblich ist, dass die Jüngeren die Älteren mit ihren Besuchen ehren.

7.14.2. Ramadan und europäische Kultur

Moscheen und islamische Gemeinschaften in Berlin, London oder Paris zeigen, dass der Islam als religiöse und kulturelle Kraft in Europa präsent ist. In Frankreich umfassen die Muslime einen Bevölkerungsanteil von ca. 5 Prozent und sind nach den Katholiken noch vor Protestanten und Juden – die größte Religionsgemeinschaft. Auch in Wien und allen größeren Städten Österreichs finden sich Moscheen und islamische Gemeinschaften. www.islam.at führt für Wien 50 Adressen von islamischen Gemeinschaften auf. Für Salzburg ist die Islamische Gemeinschaft in der Pflanzmannstrasse 2 eingetragen. In Deutschland gibt es eine Reihe von bundesweiten Zusammenschlüssen, die die einzelnen Gemeinden vereinen und Sprecherfunktionen ausüben wollen, so etwa der Verband islamischer Kulturzentren, die deutsche Sektion des islamischen Weltkongresses, die Islamische Gemeinschaft Deutschland e.V. oder der Zentralrat der Muslime in Deutschland. In allen westeuropäischen Ländern ergeben sich bei der Inkulturation in eine weitgehend säkularisierte Gesellschaft Reibungspunkte zwischen islamischer Identität und der Diasporasituation.

Für Muslime ist es – auch in Österreich – besonders schwierig, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, weil der Islam nicht nur eine Religion im Sinne eines säkularen Verständnisses darstellt, die auf den privaten Rahmen beschränkt bleibt. Vielmehr prägt der Islam den Alltag wie das öffentliche Leben der Gläubigen in allen individuellen und kollektiven Äußerungen. Die zahlreichen Konflikte um das Tragen des Kopftuchs in öffentlichen Funktionen und öffentlichen Räumen, die die Öffentlichkeit in verschiedenen europäischen Ländern beschäftigt haben, machen diese Reibungsfläche zwischen Muslimen und säkularer Gesellschaft besonders deutlich. Im Arbeitsleben verursachen deshalb die Gebetszeiten und der Ramadan den gläubigen Muslimen nicht selten Probleme. Das religiöse Leben der Gemeinden wird durch Behinderungen beim Erwerb von Immobilien für Gebetsräume und durch Nachbarschaftskonflikte erschwert. Da es in vielen Regionen zu wenige Gebetsräume gibt, müssen viele mit Autos von weit her zu den Moscheen fahren, was zu Lärmbelästigung und Parkplatzproblemen führen kann. Fällt der Ramadan in den Sommer, dauern die „tarawih”-Gebete bis ca. 22 oder 23 Uhr, und die Anrainer können sich gestört fühlen. Besonders sensibel werden diese Reibungsflächen durch Ängste und Vorurteile der österreichisch-christlichen Bevölkerung gegenüber den Gemeinden, deren Mitglieder zum überwiegenden Teil aus MigrantInnen bestehen. Häufig werden solche Konflikte auch durch eine Kommunalpolitik verstärkt, die keine interkulturelle bzw. interreligiöse Kompetenz entwickelt. Seit Mai 2000 gibt es eine „Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen”, die der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich nahe steht. Sie versteht sich als Plattform für mehr gegenseitiges Verständnis und stellt AnsprechpartnerInnen zur Verfügung, die in Konfliktfällen als Mediatoren beansprucht werden können. Viele islamische Gemeinschaften laden die Nicht-Muslime ihrer Umgebung ein, an den Riten und Veranstaltungen im Ramadan teilzunehmen. Sie können bei den abendlichen Gebeten anwesend sein und am Fest des Fastenbrechens zum Ende des Monats teilnehmen. Die Katholische Hochschulgemeinde war durch Jahre hindurch Treffpunkt einer islamischen Gemeinschaft in Salzburg, die über keine eigenen Räumlichkeiten verfügte. Der Autor hat selber mehrere Male dort das Fest des Fastenbrechens mitgefeiert.

In muslimischen Ländern wird das gesamte Leben durch den Rhythmus des Fastens von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang und des Fastenbrechens von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang geprägt. Tagsüber wird weniger gearbeitet, niemand isst oder trinkt. Der Ritus des Fastenbrechens fällt nicht in die Arbeitszeit und kann gemeinsam begangen werden. In Österreich ermöglichen es die Arbeitszeiten häufig nicht, das Fastenbrechen in der Familie oder in der Moschee zu begehen. Die drei Festtage am Ende des Ramadan – wie auch das Opferfest – sind in islamischen Ländern arbeitsfrei, in Österreich nicht. Das heißt: Die traditionellen Besuche und Feiern während der drei Tage beschränken sich auf die Abendzeiten oder Wochenenden. Die Festlegung der Daten für die Feste wird von manchen Rechtsschulen nicht nur von der astronomischen Berechnung, sondern auch von der aktuellen Sichtung des Neumondes abhängig gemacht. Dies führt dazu, dass die genaue Datierung beim Fest des Fastenbrechens manchmal unterschiedlich erfolgt oder erst am Vorabend des Festes möglich ist. In einer Diasporasituation gibt es keine Kanonenschüsse. Kein Muezzin verkündet über Lautsprecher den Beginn der Fastenzeit. Im Internet werden eigene Ramadan-Sites angeboten, damit ohne eigene Berechnungen die Termine weltweit eingehalten werden und die Zeitverschiebung mit berücksichtigt wird. Hier bietet die technische Globalisierung ein Hilfsmittel, um eine ursprünglich regional und kulturell gebundene rituelle Regel weltweit koordiniert ausüben zu können. So kann man unter www.islam.de Festtage, Gebets- und Fastenzeiten, Beginn und Ende des Ramadan von 1997 bis 2004 abrufen. Auf der Website www.islam.com findet sich auch ein automatischer Rechner, der christliche Daten in ein muslimisches Datum umrechnet.

Doch diese Formen technologisch unterstützter Akkulturation werden nicht genügen. Wie jede Religion wird auch der Islam in Europa neue Modelle der Inkulturation entwickeln müssen. Für Ziauddin Sardar besteht diese Inkulturation in der Erkenntnis, dass der Islam sich in einem Prozess ständiger Transformation befindet und schon immer befunden hat. Es reicht nicht, einige neuzeitliche Variable in die großen Konstanten einer Religion einzufügen. „Vielmehr geht es darum, ein heutiges Verständnis der Konstanten zu entwickeln.” – so Sardar. Auch für ihren Fastenmonat werden die Muslime, die in Europa inmitten einer säkularen, multireligiösen und multiethnischen Kultur leben, zu einer grundlegend neuen Dimension des Verstehens finden.

7.14.3. Ramadan in Salzburg

Dieser Abschnitt gibt – wie bereits erwähnt – ein Gespräch wieder, das der Autor im Sommer 2002 mit Frau Türkan Cagirankaya geführt hat:

Der Ramadan wird in Salzburg wie überall in der Welt, wo Muslime leben, gefeiert. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang wird nicht gegessen und getrunken. Wichtig ist auch die innere Einstellung: Man darf nicht Schlechtes denken, keine Schimpfwörter aussprechen. Wohlhabende sollen den Ärmeren helfen. Im Alltag leben wir völlig normal weiter, aber wir bemühen uns in besonderem Maß um Menschlichkeit. Das Abendessen ist während des Ramadan ganz wichtig: Während des Ramadan werden zum Abendessen viele Leute eingeladen: Verwandte und Bekannte. In der Moschee bereitet ein Koch freiwillig für andere Menschen ein Abendessen. Wir bereiten für das Abendessen verschiedene Gerichte vor: eine Vorspeise, die Hauptspeise, die Nachspeise. Zuerst ruft man den Namen Gottes an: „Bismillahirrahmanirrahim” – „Im Namen Gottes fange ich an”. Noch bevor wir mit dem Essen beginnen, also noch vor der Vorspeise, essen wir Oliven, Datteln, legen Salz auf die Zunge oder trinken Wasser. Nach dem Essen mit den drei Gängen, die vorher vorbereitet wurden, gehen wir mit dem Hodscha in die Moschee. Die Männer gehen miteinander, ebenso die Frauen. Dort wird nochmals gebetet. Wir danken Gott. Während des Jahres betet man fünfmal am Tag. Während des Ramadan beten wir als sechstes das Nachtgebet des Fastenmonats das „tarawi”, das nur in der Moschee gebetet wird, nicht zuhause. In der Nacht stehen wir auf, bereiten wieder ein Essen zu, das „sahur”, die Frühmahlzeit vor dem Fasten während des Tages. Das Gebet zum „sahur”: „Mein Gott, ich liebe Dich, und ich faste für Dich.” Man bekräftigt die eigene Absicht, wieder zu fasten („niyya etmek”). Danach darf man nicht mehr essen und trinken bis zum Sonnenuntergang.

Wer genug Geld hat, wer wohlhabend oder reich ist, muss im Ramadan für die Armen so viel Geld zur Verfügung stellen, dass man drei Mahlzeiten davon kaufen kann, also: dass ein Mensch davon am Tag satt wird. Diese Spende heißt auf türkisch „fitre”. Jedes Jahr legt der Hodscha einen Betrag fest. Für dieses Jahr betrug er 7 € pro Person. Eine Familie mit drei Kindern zahlt zum Beispiel 35 €. Meist wird das Geld von Salzburger Familien an arme Menschen in der Türkei weitergegeben. Manche geben es an den Hodscha, der das Geld verteilt, manche schicken es selber in die Türkei. Diese Spende zu bezahlen, ist keine Pflicht, es geschieht freiwillig.

Der Ramadan dauert 30 Tage, der 27. Tag ist „kadir gecesi”, der Heilige Abend. Im Arabischen heißt dieses Fest „Nacht der Bestimmung” („lailat-ul qadr”). Die Menschen beten an diesem Abend besonders viel, sowohl zuhause als auch in der Moschee. „Arife”, der Tag vor dem Fest des Fastenbrechens, dient der Vorbereitung des Festes. Es wird viel gekocht, die Wohnung wird zur Gänze geputzt und die Familienmitglieder baden alle. Am Morgen des Festtages gehen die Männer in die Moschee zum Festgebet, die Frauen bereiten das Frühstück vor. Nach dem Gebet schütteln sich alle die Hände und wünschen sich Glück. Dann gehen die Männer nach Hause. Die ganze Familie kommt zusammen, sie essen das festliche Frühstück. Nach dem Frühstück küssen die Jüngeren den Älteren in der Familie die Hand: Der Sohn küsst der Mutter die Hand, die Mutter dem Großvater usw. Die Älteren geben den Jüngeren Geldgeschenke. Die Jüngeren besuchen anschließend ältere Verwandte oder Bekannte in Salzburg. Für die Kinder ist dieses Fest besonders lustig, denn sie erhalten viele Geldgeschenke von den Älteren, und bei den Besuchen erhalten sie Süßigkeiten. Die Hausbewohner bieten ihren Besuchern Baklava, Zucker und Kaffee an. Das Fest zum Abschluss des Ramadan dauert drei Tage, und wenn wir Zeit haben, besuchen wir in dieser Zeit alle Bekannten und Verwandten. Die Erwachsenen, die arbeiten, bekommen von ihren Dienstgebern nicht frei. Nur die Kinder in der Pflichtschule bekommen an diesen drei Tagen frei.

Die meisten Muslime, die in Salzburg leben, halten das Fasten während des Ramadan ein. In der Türkei ist die Atmosphäre, das Gefühl während des Ramadanmonats gänzlich anders. Ich komme aus Yozgat, ich bin als Kind dort aufgewachsen. Diese kleine Stadt liegt in der Nähe von Ankara, mitten in Anatolien. Dort wird die Tradition noch sehr gepflegt. Während des Ramadan hier in Salzburg verspüre ich Heimweh. Zu dieser Zeit möchte ich lieber in der Türkei sein. Dort leben alle Menschen den Ramadan. Er prägt das Leben, sie sprechen darüber. Die Leute in Yozgat verstehen sich gut, die Verwandtschaftsbeziehungen sind eng. Die Reichen sind hilfsbereit, sie unterstützen die Ärmeren in vielfältiger Weise – mit Geld, aber auch in anderer Form. Dort wird auch die Gastfreundschaft sehr intensiv gepflegt. Man besucht sich untereinander – auch während der Woche. Die Erinnerung an meine Kindheit in der Türkei ist mit dem Ramadan verbunden. Kinder müssen nicht fasten. Aber mein Großvater sagte zu uns: „Wenn ihr am Wochenende fastet, gebe ich euch ein Geschenk!” Und wenn wir fasteten, hat er uns als Belohnung ein sehr schönes Geschenk gegeben. Für uns Kinder war diese Zeit wunderbar. Ich rufe meine Familie während dieses Monats häufig an und frage sie: „Was gibt es Neues, wie geht es Euch?” In Salzburg ist es schwieriger, das Fasten zu halten. Im Winter wird es früh dunkel, die Arbeitszeit ist noch nicht zu Ende. Also esse ich nicht bereits nach Sonnenuntergang, sondern erst ein bis zwei Stunden später. Die Tradition lebt hier nicht so, wie sie in der Türkei lebendig ist. Die Leute arbeiten, sie sind müde. In der Türkei arbeiten die meisten Frauen nicht. Aber auch wenn man in der Türkei arbeitet, macht man die Besuche. Hier sagt man: „Ich bin müde, ich gehe nicht mehr auf Besuch – höchstens am Wochenende.” Das Fasten beeinträchtigt die Beziehungen zu meinen Kolleginnen am Arbeitsplatz nicht. Im Gegenteil: Meine Kollegin sieht und weiß, dass ich faste. Sie fühlt mit und nimmt Rücksicht auf mich.

Hier endet die Erzählung von Frau Türkan Cagirankaya. Ich möchte am Schluss noch auf ein Projekt hinweisen. Die Salzburger Plattform für Menschenrechte plant ein Forum, in dessen Rahmen die Angehörigen ethnischer und religiöser Gruppen, die in Salzburg leben, einzelne Feste aus ihrem jeweiligen Festkalender offen für Andere gestalten und feiern. Dadurch soll die Möglichkeit geschaffen werden, dass ChristInnen, aber auch Angehörige anderer Religionen und Kulturen mit Muslimen das Fastenbrechen begehen. Ebenso können aber auch Muslime an christlichen oder jüdischen Festen teilnehmen. Aus dieser interkulturellen und interreligiösen Festkultur werden sich vielleicht neue Formen eines umfassenden religiösen Ethos entwickeln, das die ethischen Traditionen des Ramadan – sozialer Ausgleich und Solidarität – universalisiert und erneuert.

Verwendete Literatur

[Berque 1996] Berque, Jaques: Der Koran neu gelesen. Frankfurt am Main 1996.

[Huber-Rudolf 1995] Huber-Rudolf, Barbara: Vom Gottesstaat in die Religionsfreiheit. Beobachtungen zur Reformfähigkeit der Muslime in Europa. Bonn 1995.

[Lewis 1987] Lewis, Bernard: Die Welt der Ungläubigen. Wie der Islam Europa entdeckte. Frankfurt am Main 1987.

[Löw 1994] Löw, Reinhard (Hg.): Islam und Christentum in Europa. Hildesheim 1994.

[Machatschke 1990] Machatschke, Roland: Islam. Wien 1990.

[Meddeb 2001] Meddeb, Abdelwahab: Die Krankheit des Islam. In: Lettre International 54 (2001) , S. 11–15.

[Meddeb 2002] Meddeb, Abdelwahab: Glanz und Elend des Islam. In: Lettre International 56 (2002), S. 8–10.

[Riesbrodt 2000] Riesbrodt, Martin: Die Rückkehr der Religionen. München 2000.

[Sardar 1979] Sardar, Ziauddin: The Future of Muslim Civilization. Islamic Futures and Policy Studies. London 1979.

[Sardar 2002a] Sardar, Ziauddin: Introducing Islam. New York 2002.

[Sardar 2002b] Sardar, Ziauddin: Mekka. Meine Jahre in der heiligen Stadt der islamischen Welt. In: Lettre International 57 (2002), S. 24–31.

[Tibi 2001] Tibi, Bassam: Die neue Weltordnung. Westliche Dominanz und islamischer Fundamentalismus. München 2001.

Ausgewählte Websites

www.al-islaam.de

www.islam.at

www.islam.com

www.islam.de

www.islamic.org.uk

www.menschenrechte-salzburg.at

www.ramadhan.com

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