Startseite: Bräuche im Salzburger LandFolge 1: Im Winter und zur WeihnachtszeitFolge 3: In Familie und GesellschaftBegleitheft (in Arbeit)ZitierempfehlungVolltextsucheHilfe

Kapitel 9. Musik, Wort, Tanz, Institutionen - Langtexte

Inhaltsverzeichnis

9.1. Das Lied im Brauch – Zwischen Tradition und Strukturwandel (Günther Noll) - Langtext
9.2. Von der Bruderschaft bis zum Musikverband. Zur Entwicklung des organisierten Laienmusizierens (Günther Noll) - Langtext
9.3. Musikalische Volkskultur – Traditions- und Vermittlungsformen (Günther Noll) - Langtext
9.4. TraditionenBrüche. Vom verschämten zum unverschämten Umgang mit Volksmusik (Edgar J. Forster, Elisabeth Kouhdasti-Wappelshammer) - Langtext
9.5. Die „Salzburger Volksmusiklandschaft”. Frühe Landesbeschreibungen und Reiseberichte (Thomas Hochradner) - Langtext
9.6. Der Fopper. Ein Beispiel thematischer Wanderschaft (Thomas Hochradner) - Langtext
9.7. Alm- und Wildschützenlieder in Salzburg (Thomas Hochradner) - Langtext
9.8. Lieder der Jugendbewegung – Zeugnisse kollektiver Mentalität (Wolfgang Lindner) - Langtext
9.9. Die musikalische Spielwiese (Hermann Härtel) - Langtext
9.10. Musikerlebnis durch Impulse. Die Salzburger Brauchtumswochen – Ausgangspunkt für neue Entfaltung der Volksmusik (Harald Dengg) - Langtext
9.11. Blasmusik in Salzburg (Manfred König) - Langtext
9.12. Das Weisenblasen und die Weisenbläser. Eine Sammlung von Fakten und Meinungen zur heutigen alpenländischen Praxis (Willi Sauberer) - Langtext
9.13. Spiel- und Tanzverbote im Erzbistum Salzburg (Gerda Dohle, Andrea Weiß) - Langtext
9.14. Ranggeln im Salzburger Land (Günther Heim) - Langtext
9.15. Der nationalsozialistische 1. Mai – Umdeutungen und Interpretationen (Christoph Kühberger) - Langtext
9.16. NS-Festkultur. Der Versuch der Etablierung eines politischen Brauchtums (Christoph Kühberger) - Langtext
9.17. Fest- und Weihespiele der Zwischenkriegszeit (Karl Müller) - Langtext
9.18. „Das Salzburger Große Welttheater“ - Hugo von Hofmannsthals Programmstück der Salzburger Festspiele und die „Konservative Revolution“ (Karl Müller) - Langtext
9.19. Sommer der Kunst (Mario Jandrokovic) - Langtext
9.20. Museum öffne dich – Möglichkeiten, die lokalen und regionalen Schatzkästchen ins rechte Licht zu rücken (Dagmar Bittricher) - Langtext
9.21. Das Salzburger Freilichtmuseum. Eine Brücke vom Gestern zum Heute (Michael Becker) - Langtext
9.22. Kunst und Kultur in die Region gebracht (Heinz Kaiser) - Langtext
9.23. Kulturarbeit auf dem Land (Elisabeth Schneider) - Langtext

9.1. Das Lied im Brauch – Zwischen Tradition und Strukturwandel (Günther Noll) - Langtext

Das Lied ist seit jeher mit zahlreichen Brauchformen untrennbar verbunden, was in den Funktionen und Wirkungen des Singens – neben der Sprache das wichtigste zentrale Kommunikationsmedium des Menschen – gründet. Singen ist das ureigenste Instrument des Menschen, das ihn von Anfang seiner Entwicklung an begleitet hat. Es vollzieht sich in leibseelischer Ganzheit. Die Erlebnisweisen des Singen sind total und führen in Extremformen bis zu Ekstase und Trance. Die Wirkung des Singens ist neurophysiologisch begründet, was insbesondere mit den Funktionen des limbischen Systems, einem Randgebiet zwischen Großhirn und Gehirnstamm, zusammenhängt: es beeinflusst die hormonale Steuerung und das vegetative Nervensystem; starke emotionale Reize gehen von ihm aus. Legt man zudem die These des Neurologen I. Stransky (1904) zugrunde, wonach sich Sprache an die Noopsyche – die verstandesmäßige, intellektuelle Seite der menschlichen Psyche – und die Musik/das Singen an die Thymopsyche – die „gemüthafte” Seite des Seelenlebens – wendet,[2109] wobei vermutlich von einem hochkomplizierten Prozess gegenseitiger Wechselwirkungen auszugehen ist, so sind beim Singen durch Text und Melodie beide Bereiche involviert, was die besondere Intensität des Singens begründen würde.

Das Lied ist daher ein zentraler Vermittler der dem jeweiligen Brauch zugrunde liegenden religiösen oder weltlichen Vorstellungs- und Ideenwelt, der sozialen Anliegen, der emotionalen Ausdrucksbedürfnisse und unter anderem der Inhalte spezifischer regionaler oder überregionaler Traditionen. Seismographisch lassen sich an ihm Tradition und Innovation, Bewahrung und Verlust, Reaktivierung, Anpassung oder Neuentwicklung, auch Kommerzialisierung und Folklorisierung ablesen. Die vorliegenden Darlegungen dienen daher dem Bemühen, anhand ausgewählter Phänomene und Beispiele auf die Vielfalt seiner Erscheinungsformen aufmerksam zu machen, die sich zwischen Bewahrung und Wandel in den Traditionen bewegen, wobei es sich angesichts der thematischen Weite und Materialfülle nur um eine sehr eng begrenzte Auswahl typischer Erscheinungsformen handeln kann.

Wenngleich Brauchformen zu ihren zentralen Aufgabengebieten gehören, stehen die Forschung betreibenden Institutionen bzw. Personen hier vor einer Reihe von Problemen. Es ist selbstverständlich, dass es von den jeweiligen personellen und finanziellen Ressourcen abhängt, in welchem Umfang Forschungsvorhaben – als aufwändige Feldforschung – durchgeführt werden können, zumal es sich trotz der weiten Dimensionen auch nur um einen Teilbereich im Gesamtspektrum der Forschungsfelder handelt.

In vielen Fällen ist es nur dem aufopfernden Einsatz einzelner Persönlichkeiten oder Forscherteams zu verdanken, dass im Bereich der musikalischen Brauchforschung inzwischen eine stattliche Zahl von Arbeiten vorliegt. Allein die von Thomas Hochradner geführte Bibliographie zur Volksmusik im Brauchtum in Salzburg umfasst gegenwärtig über 150 Titel.[2110] Richard Wolfram z.B. hat seine Feldforschungen zum Brauchtum im Lande Salzburg im Rahmen seiner Arbeiten zum Volkskundeatlas weitgehend privat und selbst finanziert durchgeführt.[2111] Andere umfangreiche Projekte – z.B. vorgestellt in den jährlichen Forschungsseminaren für Volksmusik des Instituts für Volksmusikforschung an der Hochschule (heute Universität) für Musik und darstellende Kunst Wien,[2112] in dem Forschungsbericht „Volksmusik im Flachgau”, herausgegeben von Gerlinde Haid[2113] oder in den Forschungsarbeiten des Instituts für Musikalische Volkskunde (heute Abteilung für Musikalische Volkskunde des Instituts für Musikwissenschaft, fächerübergreifende Forschung und Lehre) der Universität Mozarteum Salzburg in Innsbruck[2114] – geben Zeugnis von der hohen Einsatzbereitschaft und dem persönlichen Engagement der einzelnen Forscherpersönlichkeiten bzw. -teams. Um nur eine Vorstellung von den quantitativen Dimensionen innerhalb eines einzigen Feldforschungsprojekts (hier zur Rolle der Musik im Fastnachtsbrauch im Großraum Tirol, derzeit von Innsbruck aus durchgeführt) zu vermitteln, seien die Bereiche im Einzelnen aufgeführt: Mullerlaufen in Thaur, Arzl, Rum und Absam; Telfer Schleicherlaufen; Imster Schemenlaufen und „Buebefasnacht”; Rietzer Fasnacht und Wampelerreiten; Nassereitzer Schellerlaufen; Wenner Fasnacht; Fasnacht Tarrenz sowie Blochziehen in Fiss.[2115] Auch wenn sich Projekte dieser Art „nur” auf einzelne Regionen, Orte oder Brauchformen beziehen, sind sie von großer Bedeutung, allein schon deswegen, weil sie einen zeitlichen Ist-Zustand dokumentieren, der möglicherweise in absehbarer Zeit schon historisches Dokument sein kann.

Damit ist ein weiteres Forschungsproblem angesprochen. Die sich in letzter Zeit ständig beschleunigenden gesellschaftlichen Veränderungen infolge technologischer, sozialer, kultureller etc. Entwicklungen führen auch in den Bereichen der Musikalischen Volkskultur, damit im Brauch, zu erheblichen strukturellen Veränderungen, insbesondere durch die Verwerfungen, welche die Katastrophen der beiden Weltkriege im 20. Jahrhundert verursacht haben, die sich insbesondere im Brauchlied als zentralem Informationsträger, z.B. in den Veränderungen der Repertoires, widerspiegeln. Viele Bräuche sind abgesunken. Ein Teil von ihnen wurde nach 1945 wieder reaktiviert, aber häufig mit anderen Zielsetzungen, sozialen Anliegen und Formen. Andere Bräuche wurden neu eingeführt. Wechsel erfolgen teilweise in relativ kurzen Zeiträumen; für den Brauch, mit dem sich in der landläufigen Vorstellung „althergebrachte Tradition” und „Kontinuität” verbinden, ein zumindest auffälliges Phänomen. Daher ist es nicht erstaunlich, dass aktuelle Feldforschung bereits historische Forschung sein kann, wenn ältere Gewährsleute z.B. über Lieder und Bräuche berichten, die – inzwischen abgesunken – ein halbes Jahrhundert zurückliegen, wie dies Harald Dengg z.B. im Hinblick auf die Verkümmerung der tradierten Geselligkeit in den letzten 40 bis 50 Jahren anspricht,[2116] was für das Singen und seine Repertoires von erheblichen Auswirkungen ist.

Angesichts dieser Veränderungen stünde die Forschung vor der Aufgabe, die jeweiligen Untersuchungsergebnisse durch neue, relativ kontinuierliche Feldforschung überprüfen zu lassen. Dazu wäre sie, allein von ihren Ressourcen her, nur mit Einzelprojekten, wie der erwähnten, in der Lage. Man ziehe z.B. nur die Arbeiten von Leander Petzoldt heran, der in einem aufwändigen Forschungsprojekt – von 1966 an bis 1983 – einen umfangreichen „Führer in Volksfesten, Märkten und Messen in Deutschland”[2117] erarbeitet hat, die Übersicht, die Ingeborg Weber-Kellermann in ihrer Schrift „Feste, Bräuche und Märkte”[2118] 1981 in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland erstellt hat oder den „Kalender der Feste und Bräuche” in der Schrift „Alte Bräuche frohe Feste zwischen Flensburg und Oberstdorf, Aachen und Bayreuth” von Marianne Waas-Frey, Udo Moll, Burkhard Brehm, Hildegard Frieß-Reimann, Roland Paul, Friedrich Fabri[2119] 1984, in denen viele Bräuche aufgeführt werden, bei denen auch – zumindest in einer großen Zahl von Fällen – Lied und Singen eine bestimmte Rolle spielen, um die quantitativen Dimensionen möglicher Forschungsfelder deutlich zu machen. Es bleiben daher weiße Flächen, was auch für das Lied im Brauch gilt. Leistbar hingegen sind eingegrenzte Fragestellungen, um dies noch einmal hervorzuheben. Auch wenn sie nur punktuelle Aussagen zulassen, sind sie als Mosaiksteine eines größeren Ganzen unverzichtbar.

Ein anderes fachinternes Problem sei noch angesprochen: Wie eng bzw. wieweit ist der Brauch-Begriff zu definieren? Reichen die tradierten Kategorien aus? Wieweit ist der Begriff der „Authentizität” als Brauch-Kriterium noch generell gültig oder wäre er neu zu definieren, da sich in der aktuellen Brauchpraxis auch vielfach schon die Elemente mischen und z.B. im Liedrepertoire Einflüsse der kommerziellen, so genannten „Volkstümlichen Musik” erkennbar werden? Ist der Überlieferungsbegriff nicht mehr ausschließlich historisch zu definieren? Legte man z.B. die von Wilhelm Schepping aus den herkömmlichen Brauch-Definitionen herausgefilterten und systematisierten Kategorien – zumindest in Teilen – zugrunde (verkürzt: Gruppenbezogenheit, Handlungscharakter, Normierung, Varianz, Tradition, Wiederkehr, Unkommerzialität und Identifikationspotential)[2120] oder die von Andreas C. Bimmer verwendeten Kategorien (soziales Handeln einer ausübenden Gruppe; bestimmte Regelmäßigkeit und Wiederkehr; ein durch Anfang und Ende gekennzeichneter Handlungsablauf; eine formale und zeichenhafte Sprache, die der Trägergruppe bekannt ist),[2121] so wäre die Frage sicher eindeutig entschieden, ob die in letzter Zeit in den Fußball- und Eishockey- Stadien herausgebildeten Ritualgesänge zum Brauch zählen, demzufolge „Brauch- Gesänge” wären, wenngleich dies sehr wahrscheinlich kontrovers beurteilt werden würde.

Im Folgenden wird der Versuch unternommen, anhand ausgewählter Fallbeispiele Inhalte, Formen, Strukturen etc. des Liedes im Brauch – einschließlich deren Wandel –, im Kontext des jeweiligen Brauchgeschehens näher zu beschreiben. Dies geschieht in freier Folge und nicht etwa hierarchisch geordnet.

Bei den Frühlingsbräuchen gehört das Lichtmessfest nicht zu den auffälligen. Friederike Prodinger berichtete z.B. 1978 von älteren Gewährsleuten, die sich noch an die vielen Wachslichter und Gebete für Lebende und Tote erinnern konnten. Heute beschränkt sich der Brauch auf die Kerzenweihe in der Kirche, mit der einst feierliche Kerzenprozessionen verbunden waren.[2122] Das Lichtmessfest geht auf eine Lichterprozession zurück, die schon im Jahre 700 n.Chr. in Rom stattfand. Es dient der Erinnerung an den im Lukas-Evangelium (2, 22ff.) erzählten Besuch Marias mit dem Jesuskind im Tempel Jerusalem und die über das Kind gesprochenen Worte Simeons: „Ein Licht, zu erleuchten die Heiden”. Mit dem Lichtmessfest, dem 40. Tag nach Weihnachten, endet die Weihnachtszeit, die Krippen werden abgebaut. Gleichzeitig beginnt ein neuer Abschnitt des Kirchenjahres. Bei den Evangelischen findet in manchen Gegenden (z.B.: Oberösterreich, Freizeitheim Kampesberg) häufig zu Lichtmess die so genannte „Lichtmessfreizeit” statt. Diese dauert von drei Tagen bis zu einer Woche und besteht aus Vorträgen zu bestimmten aktuellen christlichen Themen und Gebetskreisen. Es wird in der Gemeinschaft gegessen, diskutiert, gebetet und vor allem auch gesungen.[2123]

Lichtmess war zugleich ein Tag mit weltlicher Bedeutung. Es war der so genannte „Dienstbotentermin”, d.h. zu dieser Zeit wurden z.B. im Salzburgischen die Arbeitsstellen auf dem Lande ausgewechselt[2124] bzw. das Gesinde wurde ausbezahlt und auch mit einem Kleidungsstück vom Bauern beschenkt,[2125] daher die Bezeichnung „Gesindeziehtag” und „Zinstag”. Diese weltliche Bedeutung war offensichtlich der Anlass, dass sich in Spergau – einem kleinen Ort bei Leuna in Mitteldeutschland – bis heute der Lichtmessbrauch erhalten hat, der Quelle nach „seit Hunderten von Jahren”, was jedoch nicht überprüft werden konnte. In dem an diesem Tage veranstalteten Lichtmessspiel, symbolisch die „Vertreibung des Winters”, treten daher unter anderem verschiedene Gestalten auf, die „den Zins eintreiben” („Registrator”, „Eierfrau”, „Wurststangenträger”, „Milchträger”). Der Tag beginnt gegen 3.00 früh mit einem Lärmbauch. „Zigeuner” und „Pferde” (Menschen mit Pferdemasken) springen dann durch ein Feuer. Nach einem Tanz vollziehen die Lichtmessfiguren ihren „Heischegang” durch sämtliche Häuser. Auf den Straßen treiben die „Schwarzmacher” (durch das Schwärzen der Gesichter von Frauen und Mädchen, die ihnen in den Weg geraten) und die „Pritscher” ihr Unwesen. Mit einem ausgiebigen „Lichtmesstanz” endet das Fest. Auch aus der Stadt Münstereifel in der Eifel ist der Brauch des „Pritschen” („Britzen”)- Schwingens, d.h. auf andere einzuschlagen, überliefert, der heute allerdings nicht mehr stattfindet. Das bis in die Gegenwart hinein noch bekannte Britzenlied „Wir schieben das Rad auf Blasius – Wir machen den Anfang von Fasenach” verweist auf den jetzt nicht mehr ausgeübten Brauch der Wollweber, an dem auf Lichtmess folgenden Tag des heiligen Blasius, 3. Februar, auf den Radberg zu ziehen, um von dort ein brennendes Rad herunterzurollen.[2126]

Das zentrale Lied des Lichtmessfestes in Spergau ist ein Beispiel für die völlige Loslösung des Brauchs vom eigentlichen religiösen Anliegen. Es handelt sich hierbei um eine Kontrafaktur des als Kinderlied immer noch sehr verbreiteten und früher als erotisches Lied von Erwachsenen gesungenen Liedes „Ein Vogel wollte Hochzeit machen”. Wir haben es in diesem Falle mit einem im Bereich des geselligen Brauchliedes häufig angewandten Verfahren zu tun: Einer bekannten populären Melodie wird ein Text unterlegt, der sich auf das Brauchereignis und seinen Ort direkt bezieht. Das Lied kann daher schnell nach- bzw. mitgesungen werden, da nur noch der Text gelernt werden muss.

Heut feiern wir das Lichtmeßfest:

„1. Heut' feiern wir das Lichtmeßfest
  in uns'rem kleinen Nest.
  R: Vidi-ral-la-la, vidi-ral-la-la, vidi-ral-la-la-la-la.

2. So kommt doch mal in unser Nest,
  und seht Euch an das Lichtmeßfest.
  R: Vidiral...

3. Es kommen Leut aus Fern und Nah,
  weil man so was noch niemals sah.
  R: Vidiral...

4. Und ist das Lichtmeßfest dann aus,
  dann gehn'n die Leut vergnügt nach Haus.
  R: Vidiral...

5. Im nächsten Jahr im Februar,
  da sind wir alle wieder da.
  R: Vidiral...”[2127]

Der Heischebrauch, in früheren Jahrhunderten auch Teil des Rechtsbrauchs, nahm einst im Jahresbrauch zu den verschiedensten Anlässen einen großen Raum ein. Inzwischen hat er sich auf wenige Formen reduziert, im Rheinland z.B. auf den St. Martins-Brauch. Clara Weber war 1933 noch in der Lage – auf die Rheinlande bezogen , eine nach Inhalten differenzierte Systematik der verschiedensten Formen des Heischebrauchs vorzulegen, z.B. vom „Rummelpott” (einem Geräuschinstrument)-Typ bis zum „Kartoffelsuppe”-Typ, vom „Braten”-Typ bis zum „Komme-nit-t' Hüs” (Kommen-nicht-nach Hause)-Typ.[2128] Wenngleich jede geographische Region eigene Text- und Melodietypen herausgebildet hatte, gab es gewisse „Grundtypen”, die über größere, auch geographisch weiter voneinander entfernte Regionen verbreitet waren. Dazu gehört z.B. das Heischelied „Ich bin ein kleiner König”, ursprünglich zum Dreikönigsbrauch gehörig.

Musikalische Basis ist die auch in zahlreichen anderen überlieferten Kinderliedern verwendete tritonische bzw. pentatonische Melodieformel, häufig auch als „Leierformel” bezeichnet. Der Text lautet:

Ich bin ein kleiner König:

„Ich bin ein kleiner König,
  gib mir nicht zu wenig.
  Laß mich nicht so lange stehn,
  denn ich muß noch weitergehn.

Eins, zwei, drei, eine Mettwurst und ein Ei;
  Eins, zwei, drei, vier, eine Mettwurst und ein Bier.”[2129]

Auffällig ist die Übereinstimmung des Textes, auch wenn er im Dialekt des jeweiligen Verbreitungsgebietes verfasst ist. In Moers, einer Stadt am Niederrhein, heißt er „Ick ben der kleene König. Gebt mer net to wenig. Losst mech nit su lange stohn. Eck mot noch'n Hüsken widdergohn”.[2130] In meiner Geburtstag Staßfurt, einer Kleinstadt in der Magdeburger Börde nördlich des Harzes, lautete er: „Ich bin en kleener Könich. Jäbt mich nich zu wenich. Will'n Häuschen weiterjehn. Lasst mich nich zu lange stehn.” Wir haben diesen Kindervers in den 30er und 40er Jahren nur im engsten Nachbarkreis und bei Geschäftsleuten, die wir persönlich kannten, gesungen, also eher unauffällig. Es war übrigens der einzige öffentliche Jahresbrauch in dieser überwiegend von Industrie- und Landarbeitern geprägten Stadt. Selbst die Fronleichnamsprozession fand nur rund um die Pfarrkirche hinter hohen Mauern statt, die neben Häuserzeilen das Kirchenareal abschirmte. Zu bedenken ist allerdings, dass es sich um die NS-Zeit, später DDR-Zeit, und um eine katholische Diaspora in einem evangelisch geprägten Land handelte.

1939 berichtete Reinhard Peesch über die weite Verbreitung dieses Heischeliedes in Brandenburg – von Mecklenburg, Pommern bis in die Lausitz -, wobei sich allerdings Erweiterungen zeigen, deren Inhalte verblüffende Parallelen zu rheinischen Heische- bzw. Fastnachtsliedern ergeben. In einigen Kreisen Ost- und Mittel-Pommerns z.B. ist seinerzeit ein Heischelied belegt, das heute noch im Rheinland als tradiertes Kirmeslied weit verbreitet ist:

„Wenn Fastnacht ist, wenn Fastnacht ist,
  Dann schlacht unser Vater nen Bock.
  Dann tanzt unse Mutter, dann tanzt unse Mutter,
  Dann wackelt ihr der Rock.”[2131]

Andere Analogien zeigen sich z.B. in den Hinweisen auf die früher erheischten Gaben, die sich heute auf ein paar Süßigkeiten und in Ausnahmefällen auf kleine Geldbeträge reduziert haben. Es heißt in Pommern /Mecklenburg:

„Da oben in den Firsten,
  Da hängen die Bratwürste,
  Die großen geben Sie mir,
  Die kleinen behaltet ihr.”[2132]

Aus dem Spreewald ist hierzu folgende Fassung überliefert, ein typisches Beispiel für einen Wandervers im Heischebrauch:

„Zemper, Zemper, Gasse,
  Bier in die Flasche,
  Eier in den Kober,
  Geld in die Tasche,
  Gebt mir'n Stückchen Speck,
  Ich springe über eure Hausenschwelle weg.
  Gebt mir nicht zu wenig,
  Ich bin der kleine König.
  Gebt mir nicht zu viel,
  Daß ich nicht verlier.
  Oben in der Firste
  Hängen die langen Würste.
  Die langen reiß' ich ab,
  Die kurzen laß ich hängen.
  Laßt mich nicht so lange stehn,
  Ich muß ein Häuschen weitergehn.”[2133]

Das Wort „Zemper” (auch „Zamper”, „zampen = betteln gehen) in der Incipitzeile dieses Heischeliedes lässt einen eindeutigen Zusammenhang zwischen „Heischebrauch und Fastenterminen, Fastangeboten und christlich-kirchlichen Bestimmungen” erkennen, wie ihn Marianne Rumpf schlüssig nachweist, hier als Quatembervers, in dem der Fastentermin Quatember angegeben wird,[2134] d.h. auf eine sehr alte Wurzel.

Auf eine ebenfalls sehr alte Brauch-Überlieferung, die sich bis heute erhalten hat, weist neben der tritonischen bzw. pentatonischen Melodieformel die Kernweise von zwei alten badischen Fastnachtsrufen hin.[2135] Nachstehend eine Parodie auf den Nachtwächter, der den Beginn der Fastnacht verkündet:

”Jetzt kommt die liebe Fastenzeit,
  die uns Narren all erfreut;
  und wer noch nit erstande isch,
  der weiß au nit, dass Fasnet isch.
  Der Narr, der jetzt in Freuden lebt,
  hat Weib und Kind' vom Bett erhebt.
  Hört, ihr Mädchen, lasst euch sagen:
  müsst nur mit keinem Gescheiten wagen;
  denn was der Gscheite hat getrieben,
  das wird schon längst in der Wiege liegen.
  Das, was aber der Narr getan,
  das stehet jeder Zeit wohl an.
  Ihr Mütter, wenn der Narrenzeit tritt an,
  hängt euern Töchtern Schlösser an!
  Und wenn der Narr den Schlüssel hat,
  so denket, was ich euch gesagt:
  Ihr Mädchen, nehmet euch wohl in acht,
  dass man euch nicht zum Tambour macht!
  (gerufen:) Trallaho!!”[2136]

Die in diesen melodisierten Rufen enthaltene Kernmelodie, die – mit Hilfe des Begriffsinstrumentariums der Funktionstheorie erklärt – vom Grundton bis zum Quintton der Tonika geführt wird, dort zum Quintton der Dominante „abkippt” und dann wieder zum Grundton der Tonika zurückgeführt wird, bildet eine Ablaufform, die variiert ständig wiederkehrt und dadurch die sprachähnliche Verlaufsstruktur einer Aufzählung erhält, wie sie für Rufformen typisch ist.[2137] Schon Walter Wiora hat nachgewiesen, dass dieser Archetypus europaweit verbreitet und z.B. bereits im 13. Jahrhundert in Frankreich belegt ist. Lieselotte Wiedling führt den gleichen Nachweis anhand einer Reihe von tradierten Liedern, deren Thema die „Verkündigung” ist, um die These vom Archetypus der Melodie zu untermauern und den Verkündigungscharakter der alten überlieferten badischen Fastnachtsrufe schlüssig zu beweisen.[2138]

Neben diesem althergebrachten Typus mit seinen hintergründigen oder auch anzüglichen Texten hat sich in jüngerer Zeit, auch in anderen Bräuchen, ein Brauchlied herausgebildet, das in gleicher Weise die Fastnachtszeit ankündigt, aber eher „bloß” hinweisend oder beschreibend. Aus Elzach im Schwarzwald stammt folgendes Brauchlied aus der alemannischen Fasnacht, das in einem Flugblatt des dortigen Latschari-Vereins 1959 – leider ohne Melodie – veröffentlicht wurde:

„In Elzach um die Fasnachtszeit,
  Da ist es wunderschön,
  Da kann man schon seit alter Zeit
  Die wilden Schuttig sehn. [auch Schuddig: von Schaute, Schote, Schudi = Narr abgeleitet]
  Mit viel Gebrumm und Trallaho
  Verbringen sie die Zeit,
  Bis Dienstag früh, so gegen neun
  Beginnt die Latschigkeit.
  Drum ziehen wir, wie's immer war,
  Durch's Städtchen kreuz und quer,
  Und holen uns nach altem Brauch
  Den neuen Vorstand her.
  Und hängt er dann am Narrenseil,
  Dann singen wir ihm zum Gruß,
  Das neueste Latscharilied
  Vom Anfang bis zum Schluss.”[2139]

Eine andere Faschingstradition hat sich mindestens seit etwa 1890 in einigen Regionen Bayerns und Österreichs (insbesondere Kärntens und Oberösterreichs) bis in unsere Zeit erhalten: die „Faschingshochzeit”, auch „Bauernhochzeit”, „Bettlerhochzeit” oder „Narrenhochzeit”, eine Parodie auf überlieferte reale Hochzeitsrituale. Die Darbietung von Zeremonien und Brauchhandlungen einer Hochzeitsfeier werden spielerisch persiflierend in eine Faschingsgaudi umgewandelt.[2140] Faschingshochzeiten finden unregelmäßig statt, d.h. nicht jedes Jahr, sondern unter Umständen in größeren Intervallen. Die Formen sind sehr unterschiedlich und regional bzw. von der veranstaltenden Organisation abhängig, ob eine „Trauung” z.B. von einem Männerverein auf einem Misthaufen durchgeführt oder von einem katholischen Frauenbund im Saale „zelebriert” wird. Wie bei der realen Hochzeit spielt natürlich auch bei diesem Faschingsbrauch die Musik eine große Rolle. Sie wird vielfältig eingesetzt, z.B. beim Einladen, Jungherrenabschied, Hennatanz, Zug zur Traustätte, Hungertanz sowie bei der abendlichen Tanzmusik.

Zwei Vokalgattungen werden bei diesem Brauch besonders gepflegt: das Singen von Gstanzln und von populären geselligen Liedern. Beim Gstanzl-Singen zeigt sich auch in besonderer Weise ein Beispiel für das Zusammenwirken von Tradition und Innovation in der Brauchpflege, d.h. innerhalb der althergebrachten Form des Sich-Ansingens vermischen sich tradierte Verse mit aus dem Stegreif erfundenen Versen, die, auf die Personen im Zusammenhang aktueller Begebenheiten bezogen, mit freundlich gemeintem Humor und Spott antworten. In Katzbach z.B. hält man sich strenger an traditionelle Vorbilder. Der Hochzeitslader sang 1989 am Haus der Braut:

”...
  Ja d' Braut wenn ma oschaut,
  de dat am löibsten glei woan,
  ja weil's nacha muaß fuat von 
  da Muadda dahoam ...”

Und am Haus des Bräutigams, der sich zunächst auch als Braut verkleidet hatte:

„Ja jetzt komma zwoa Bräut da, ja
  da duat se allerhand riarhn, aba
  da moan i, do muaß ma oane
  zerst amoi a wenget kastriern."[2141]

1990 sangen bei einer Faschingshochzeit des katholischen Frauenbundes in Arbing z.B. zwei als Männer verkleidete Frauen zu der Melodie „Jessas, Leit, heit gibt's a Musi” Gstanzl vor, u.a. auf den Hochzeitslader gemünzt:

„Da Progroda von da Oaned
  is a riahrige Person.
  Regimentisch, wie er werkelt,
  geht's eahm nur um Provision.
  Leit eilona, Geld einsammeln,
  eahm kannst eigentlich ois frogn,
  doch dohoam, do hot der Arme
  leida nix zum Sogn."[2142]

Im Bereich des geselligen Singens werden bei der Faschingshochzeit auch häufig Kontrafakturen eingesetzt, wie oben bereits angesprochen, ein Prinzip, das man auch außerhalb von Brauch-Anlässen beinahe durchgängig bei privaten Festveranstaltungen – wie Geburtstagen, Jubiläen etc. – beobachten kann, weil der musikalisch gestaltete, humorige, liebevolle, hintergründige direkte Personenbezug für die versammelte Gesellschaft von besonderem Reiz ist. So wurden z.B. zu einer Faschingshochzeit in Schnaitsee 1990 neue Texte zu Titeln – wie „Am Brunnen vor dem Tore”, „Wir wollen niemals auseinander gehn”, „Lustig ist das Zigeunerleben” und „Auf der Schwäbsche Eisebahne” – geschrieben, die vom Gesangverein/Kirchenchor vorgetragen wurden, etwa zu:

„Lustig ist das Eheleben, faria, faria, ho.
  Do gibts reichen Kindersegen, faria, faria, ho
  Recht viele Kinder g'hörn iatzat her,
  drum gibt's sofort koa Pille mehr.
  Hubertanus, Sebastiana, faria, faria ho.”[2143]

Mit Gstanzln und geselligen Liedern erschöpft sich aber nicht das Singen bei diesem Brauch. Auch im Zusammenhang mit den Instrumenten spielt es eine große Rolle. So wurden z.B. bei einer Blaskapelle neben der üblichen Besetzung auch selbst gefertigte Faschingsinstrumente eingesetzt, wobei man in die Blasinstrumente Pfeifen mit einer Membran steckte, so dass man auch in das Instrument hineinsingen konnte. Das Prinzip ist als „Auf-dem-Kamm-Blasen” in gleicher Weise bei anderen Formen der Geselligkeit beliebt. Bei anderen Faschingsinstrumenten muss ebenfalls gesungen werden, z.B. bei Luftpumpen-„Flöten”, Gießkannen-„Saxophonen”, Gartenschlauch-„Hörnern”. Da es üblich ist – wie auch beim Tanzen – von der Kapelle intonierte populäre Lieder mitzusingen, singen nicht nur diese „Instrumentalisten”, sondern es singt auch das gesamte Auditorium mit. Das Repertoire enthält in der Regel bekannte Märsche, Schlager, Hits, Polka- und Walzerlieder (z.B.: „Eine weiße Hochzeitskutsche”, „Trink ma no a Tröpferl”, „Freut euch des Lebens”, „Jetzt trink ma no an Flascherl Wein”).[2144]

Das gesellige Singen im Brauch mit seinen vielfältigen Anlässen, Repertoires, Quellen etc. bildet ein eigenes Forschungsfeld für sich. Auch wenn gesellige Lieder bei vielen Anlässen außerhalb von Bräuchen gesungen werden, gewinnen sie doch die Funktion von Brauchliedern, da gesellige Formen vielfach integrative Bestandteile des Brauchgeschehens darstellen.[2145] Ein Beispiel dazu ist die „reale” Hochzeit, sofern sie nach tradiertem Brauch gefeiert wird. Gerlinde Haids komplette Tonband- Dokumentation einer Hochzeit in Henndorf im Land Salzburg am 2. Oktober 1976 bietet hierzu aufschlussreiche Informationen.[2146] Dem Ablauf-Protokoll sind z.B. zahlreiche Hinweise auf Gsätzl zu entnehmen, d.h. Abfolgen von kurzen Walzern nach populären Liedern im Wechsel mit Schrittfolgen der Tanzpaare auf dem Tanzboden. Interessant für unsere Fragestellung ist das Repertoire der Gsätzl, weil davon ausgegangen werden kann, dass sie, zumindest teilweise, mitgesungen werden, da es sich um allgemein bekannte Lieder aus den Bereichen Unterhaltungslied, Heimatlied und Schlager handelt. Gerlinde Haid ermittelte folgende Lieder: „Im tiefen Wald, wo die Rehlein grasen”, „Drunt im Burgenland”, „Lustig ist das Zigeunerleben”, „Mariechen saß weinend im Garten”, „Schneewalzer”, „I hab kann Vater mehr”, „Fliege mit mir in die Heimat”, „Kennst du die Perle”, „Von der hohen Alm” und „Es wollt ein Mann in seine Heimat reisen”.[2147] Einen weiteren Singanlass bietet der Brauch des Brautstehlens. Das Protokoll weist hier wiederum ein Repertoire von geselligen Unterhaltungsliedern auf, die zum größten Teil auch in ganz Deutschland verbreitet sind, mit Titel wie: „Da Weg zu mein Diandal is stoanoi ...”, „Nach Hause, nach Hause ...”, „In München steht ein Hofbräuhaus”, „Ein Prosit, ein Prosit”, „Wo is denn heit da Heiseimann”, aber auch „Schwarzbraun ist die Haselnuß”. Am Ende der Hochzeit steht der Schlusswalzer: „Wir kommen alle, alle, alle in den Himmel”.[2148]

Wie in der Faschingshochzeit gehört auch das Singen von Gstanzln zum „realen” Hochzeitsbrauch. Klaus Fillafer berichtet z.B. über den Brauch des „Kranzlabtanzens” bei einer Bauernhochzeit im Lavanttal 1991, bei dem die Gstanzl im Mittelpunkt stehen. Das Kranzel, der Brautkranz, wird um Mitternacht der Braut abgenommen und dem Bräutigam an den Hut gesteckt, symbolisch die Übergabe in die Obhut des Mannes. Die Frauen der Hochzeitsgesellschaft versammeln sich im Kreis und formieren sich paarweise, getrennt nach den Gruppen der Verheirateten und Ledigen, die gegeneinander singen, wie es der Gstanzl-Praxis entspricht. Jeweils das Paar, das ein Gstanzl singen möchte, tritt zur Musik, bezahlt seinen Tanz, singt einen Vierzeiler und tanzt einen Rundtanz. Je nach Gstanzl-Repertoire kann das „Kranzlabtanzen” 20 –30 Minuten dauern. Es beginnt mit einem vorbereiteten Gstanzl und endet damit. Die Altfrau singt z.B.:

„Der Tåg tuat schean aufar,
  schean aufarglånzn,
  hiaz wer' ma da Braut
  ihr Kranzl obatånzn.”

Die jungfräuliche Braut erhält einen vollen Kranz; hat sie bereits ein „lediges Kind”, erhält sie einen halben und die Ledigen singen z.B.:

„Mei Dirndl, mei Dirndl,
  jetzt håst åber glogn,
  de Kranzl ist schon viel früher
  ins Håberstroh gflogn.”[2149]

Die Sammlung von über 180 Gstanzln zum Hochzeitsbrauch einer Gewährsfrau aus St. Gertraud dokumentiert die Fülle von freundlichen Wünschen, Ermahnungen, Hinweisen, Sentenzen, „Bedauerns”-Bekundungen, Anspielungen, erotischen Anzüglichkeiten etc., wie sie für Gstanzln charakteristisch sind.[2150]

Im Hochzeitsbrauch ist das Lied aber nicht nur in seinen geselligen Teilen zu finden, sondern tritt auch in besinnlicher, ernster Form auf. Helga Thiel berichtet z.B. über den Brauch der Verabschiedung der Braut am Vorabend der Hochzeit mit dem Lied „Die Sonne neiget sich”, das im Lungau weite Verbreitung gefunden hat. Symbolisch dient das Lied der Bewusstwerdung einer Zäsur, des Beginns eines neuen Lebensabschnittes mit neuen Aufgaben, neuen Verpflichtungen, neuer Verantwortung. Teilweise wird es aber auch an der Hochzeitstafel als geselliges Lied gesungen. Das geistliche Hochzeitslied hingegen, z.B. „Ihr steht jetzt vor Gott”, wird ausschließlich während der Trauung in der Kirche gesungen:

Ihr steht jetzt vor Gott:

„1. Ihr steht jetzt vor Gott am Traualtar
  und holt den Segen dort als Hochzeitspaar.
  |: Viel Glück, Zufriedenheit
  und Eintracht jederzeit
  mög euch beschieden sein
  im trauten Heim. :|

2. Nun gehet Hand in Hand durchs Leben hin
  bewahret euch frischen Mut und fohen Sinn.
  |: Wenn Gott ein Lied euch schickt,
  so murrt und klaget nicht.
  Ihr steht in seiner Hut,
  Er meint es gut. :|

3. Und Du, o Bräutigam, halt fest Dein Glück,
  was Gott Dir anvertraut und das Geschick,
  |: und Du, o junge Braut,
  sei duldsam jederzeit,
  wenn Dich auch Kummer drückt
  und Herzeleid. :|”[2151]

Singen zu Ehren des Hochzeitspaares während der Trauung ist außerhalb der überlieferten Formen ein nach wie vor geübter Brauch. Hierbei handelt es sich aber nicht um spezielle Hochzeitslieder, sondern um Liedgut, das sich nach den individuellen Wünschen des Paares richtet. So wurden z.B. in den 1990er Jahren während einer Trauung in Duisburg Negro Spirituals gesungen, d.h. ein Liedgut, das in einer völlig anderen Musikkultur wurzelt. Brauchformen sind daher keineswegs grundsätzlich an überlieferte Lieder gebunden, sondern können in gleicher Funktion auch anderes, neues Liedgut aufweisen.

Ein anderer alter Fastnachtsbrauch erfreut sich in der niederrheinischen Stadt Jülich (westlich von Köln) einer inzwischen über 300 Jahre währenden, bis heute ungebrochenen Tradition: der Brauch des „Strühmann-Preckens”. Am Faschingsdienstag wird eine mannshohe, in Gesellschaftstracht gekleidete Strohpuppe durch die Stadt getragen, an bestimmten Stellen von etwa 7 Männern mit Hilfe eines großen Tuches in die Luft geschnellt und anschließend von einer Brücke in die Rur geworfen, von einer großen Menschenmenge begleitet. Die Figur, mit der ursprünglich symbolisch der aus der Stadt hinauszutragende Tod dargestellt werden sollte, heißt in Jülich mindest seit 1700 in lateinischer Ironisierung „Lazarus Strohmanus”, identisch mit dem Namen der in diesem Jahr gegründeten Gesellschaft, die seitdem diesen Brauch pflegt, wenngleich er wesentlich älter ist. Begleitet wird der Brauch von einem Lied, das die Jülicher als ihr „Nationallied” scherzhaft bezeichnen, obgleich es auch in anderen Orten am Niederrhein, im Hunsrück, Westerwald und in der Saarpfalz belegt ist, was auf einen größeren Verbreitungsraum hinweist.[2152]

Dietz-Rüdiger Moser, der diesen Brauch gründlich aufgearbeitet hat, berichtet über den Ablauf: „Nach dem Absingen dieses Liedes folgt der Ruf: ‚Was hat Lazarus mit zur Welt gebracht?', dem ein Sprechchor mit wechselnden Vierzeilern antwortet, in denen nach karnevalistischer Gepflogenheit Geschehnisse, Personen, Unarten u.ä. aus dem Jahreslauf der Stadt persifliert werden”.[2153] Bevor man die Strohpuppe in das Wasser wirft, wird die 2. Strophe gesungen.

Dass für Bezeichnungen auch bei anderen Anlässen im Brauch verwendeter Strohfiguren Eigennamen verwendet werden, wird auf eine Tradition zurückgeführt, die im westlichen Rheinland sowie in der Nordeifel heimisch ist. Häufig wird hierbei der Kirmesmann „Zachäus” genannt, ein Name, der auch für den Fastnachtsstrohmann in anderen rheinischen Kreisen verwendet wurde. Die gleichnishafte Darstellung des biblischen Geschehens der Geschichte von Zachäus (Lukas 19,1–10) war als Mahnung zu verstehen, beim weltlichen Treiben am Kirchweihtag nicht den eigentlichen kirchlichen Anlass zu vergessen. Zu den späteren Bezeichnungen für den Brauch des Strohmanns gehörte „Lazarus”.[2154] Die Strohpuppe wird zwar verbrannt, aber sie steht im nächsten Jahr wieder auf.

Dietz-Rüdiger Moser führt dieses Brauchlied, auch im Vergleich mit anderen Textfragmenten, „ohne jeden Zweifel auf das erzählende Volkslied von der Auferweckung des Lazarus zurück”, was „damit als letztes lebendiges Zeugnis für die mittelalterliche Passionsspielpraxis zu werten” ist.[2155] Überlieferungen des Volksliedes von der Erweckung des Lazarus, die sich in deutschen Siedlungsgebieten in Südost- und Osteuropa bis in das 20. Jahrhundert hinein erhalten haben, lassen erkennen, dass es einst über ganz Europa verbreitet gewesen sein muss und in den Passionsspielen des Mittelalters Verwendung gefunden hat. Als diese Aufführungen später abgeschafft wurden, verselbständigten sich die Lieder und nahmen eine eigene Entwicklung, hier als Spottlied im Brauch. Dass schon sehr früh eine Parodierung einsetzte, bezeugt der bruchstückhafte Abschluss einer „Kinderpredigt” in „Des Knaben Wunderhorn” (1808), auf die Dietz-Rüdiger Moser aufmerksam machte. Es handelt sich hierbei um eine in das Lied- und Spielgut der Kinder abgesunkene Schwundform aus dem Umkreis des Lazarus-Spottliedes:

„Und die drey Schwestern Lazari,
  Katharina, Sibilla, Schweigstilla,
  Weinten bitterlich,
  Und der Hahn krähete Buttermilch!”[2156]

Das „Precken” oder „Prellen” der Strohpuppe ist ein weit verbreiteter und lang tradierter Fastnachtsbrauch, ein vielfach geübtes Mittel der Volksjustiz. Es handelt sich um eine Form des Rügebrauchs. Vor den Häusern jener Personen, die im jeweils zurückliegenden Jahr Fehler oder Unrechtmäßigkeiten begangen hatten, wurden die Urheber als „Sünder” und später an dessen Stelle eine Strohpuppe[2157] „zur Strafe” mehrfach in die Luft geworfen. Zahlreiche, auch bildliche Zeugnisse bezeugen die Überlieferung dieses Brauchs z.B. schon aus der Zeit Kaiser Hadrians (117 –138 n.Chr.). Im 17. Jahrhundert setzten Verbote des Personen-Prellens ein, da es zu Abstürzen mit Todesfolge gekommen war. Man verwendete stattdessen Strohpuppen.

Die Melodie der beiden ersten Refrainzeilen weist auf eine Struktur hin, die für ein bestimmtes Karnevalslied als geradezu archetypisch angesehen werden muss, da sie in vielen Liedern dieses Genres – auch klischeehaft – auftritt: Nach einem Auftakt schreitet die Melodie vom „oberen” Grundton diatonisch abwärts bis zur Septime der Dominante. Die Melodie wird anschließend wieder diatonisch aufwärts zur Tonika zurückgeführt. Der Vorgang wiederholt sich, jedoch endet der „Aufwärtsgang” mit einer Modulation in die Dominanttonart, ein beliebtes harmonisches Reizmittel, das eine neue Klangfarbe einbringt. Dieser Melodietypus besitzt durch sein häufiges Auftreten einen sehr hohen Bekanntheitsgrad, da man „schon weiß, wie es weitergeht”, so dass sofort mitgesungen werden kann. Dass zu Beginn der beiden Strophen der Anfang des Weihnachtsliedes „O Tannenbaum” parodiert wird, ist ein weiteres Charakteristikum für einen bestimmen Typ von Brauchliedern im Karneval.

Da das Brauchlied im Kölner Karneval seit jeher eine herausragende Rolle gespielt hat und spielt, seien hierzu einige Beispiele herausgegriffen, da sich an ihnen die verschiedenen Funktionen und Inhalte gut verdeutlichen lassen. Das Bild über den Kölner Karneval in der Öffentlichkeit ist insbesondere durch die – teilweise ganztägigen – Fernsehübertragungen geprägt. Der Eindruck der spektakulären Festumzüge – professionell straff durchorganisierte „Massen-Events” – oder der in der Regel nach festen Ritualen ablaufenden Sitzungen zahlreicher Karnevalsgesellschaften kann leicht jene sozialen Funktionen überdecken, die trotz Kommerzialisierung und Professionalisierung weiterhin wirksam sind. Viel zu wenig wird bedacht, dass in den Vereinen selbst und in ihren Veranstaltungen – was auch für die Festumzüge gilt – angesichts allgemeiner gesellschaftlicher Probleme – wie die Zunahme von sozialer Vereinsamung, Berufsstress, aggressivem Verhalten, Egozentrismus – zahlreiche Entlastungsfunktionen wahrgenommen werden, nicht im Sinne von eskapistischer Weltflucht, sondern eines psychischen Ausgleichs. Müßig der Hinweis, dass dem Geselligkeit in der Geborgenheit der sozialen Gruppe und hierbei das Singen in besonders wirksamer Weise dienlich sind.

Abseits vom „veranstalteten” professionellen Karneval gibt es in den einzelnen Stadtregionen Kölns, z.B. in den eingemeindeten Dörfern am Stadtrand, eine sehr lange Tradition, wo sich kleinere Gruppierungen, z.B. eine katholische Frauengemeinschaft, zusammenfinden und „Sitzungen” in althergebrachter Form durchführen. Die selbst verfassten „Büttenreden” entsprechen alter Tradition: Sie beziehen sich humorvoll auf aktuelle Ereignisse in der Gemeinde und machen von ihrem Rügerecht intensiven Gebrauch. Das Liedgut streut breit und umfasst nicht nur das „eigentliche” Karnevalslied. Es wird auch nicht als Stilbruch empfunden, wenn bei diesen Karnevalsveranstaltungen auch geistliche Lieder zur Fastenzeit gesungen werden. Man trennt dies natürlich im Zeitablauf.

In Köln hat sich im Verlaufe der Zeit eine Singpraxis herausgebildet, bei der sich das Brauchlied zu einem Integrationsträger besonderer Art entwickelte. Aus sehr alten Volksliedtraditionen, Dialektliedüberlieferungen, älteren Karnevalsschlagern, jährlich neu produzierten Karnevalsliedern und -schlagern, volkstümlichen Unterhaltungsliedern, Heimatliedern u.a. hat sich ein Typus (eigentlich ein Repertoire) herausgebildet, der als internalisiertes Brauchlied, als „Kölner Lied”, das ganze Jahr über bei privaten Festen, Straßenveranstaltungen oder auch anderen Brauchanlässen, wie Kirmes oder Schützenfest, fest eingebunden ist, obwohl er von seiner Herkunft, Stilistik und Vermittlung her (oral, aural, medial, durch Printmedien, zurechtgesungen) außerordentlich heterogen strukturiert ist. Es handelt sich um ein geselliges Brauchlied, das mehr als ein „bloßes” Karnevalslied darstellt, aber dies natürlich auch ist. Die übergreifende soziale Klammer besteht in seiner Funktion als geselliges Brauchlied für sämtliche Bevölkerungsgruppen und Altersschichten. Das Phänomen besteht darin, dass Melodien und Texte auswendig beherrscht und von Senioren sowie von Kindern und Jugendlichen in gleicher Weise gesungen werden, deren Repertoires im Allgemeinen weit auseinander klaffen. Dass dieses Liedgut, nahezu ausschließlich im Dialekt gesungen, zugleich als intensiver Ausdruck eines Zugehörigkeitsgefühls zur Heimatstadt Köln zu werten ist, unterstreicht einmal mehr die Funktion eines Brauchliedes als Sozialisations- und Integrationsfaktor.

Die Vielfalt des Kölnischen Brauchliedes hat mehrfach zu Systematisierungsversuchen geführt. Neben der Einteilung nach musikalischen Gattungen und Formen ist mehrfach eine Kategorisierung nach Inhalten vorgenommen worden. Während Norbert Linke z.B. nach den Themenkreisen „Rheinlieder”, „Vom Trinken und Essen”, „Familienprobleme”, „Humor”, „Moderne Welt”, „Sport” und „Sozialkritik” systematisiert,[2158] differenziert Thomas Weibel in Anlehnung daran nach den Themen: „Wein, Liebe, Stimmung”; „Zeitgeist, Zeitkritik”; „Humor, Nonsens, Zweideutigkeiten”; „Karneval”; „Zwischenmenschliche Beziehungen, Familie”; „Rheinlied, Köln” sowie „Lebensweisheiten”.[2159] Diese Instrumentarien sind nur als Hilfsmittel zu verstehen, denn die einzelnen Kategorien weisen auch untereinander mehr oder weniger große Schnittmengen auf.

Es fällt auf, dass das Thema „Karneval” nur in einem Teil des im Karneval gesungenen Liedgutes direkt angesprochen wird. Dennoch werden viele Lieder, die dies nicht thematisieren, als „Karnevalslieder” deklariert, weil es Brauch ist, sie zu diesem Anlass zu singen. Dass sie darüber hinaus die Funktionen eines Brauch-Jahresliedes wahrnehmen, wie dargelegt, ist als Sonderfall Kölns zu werten.

Es gab wohl kein lokales Ereignis oder kein öffentliches Thema – z.B. Abriss der Stadtmauer, fortschreitende Industrialisierung, Trümmerfeld Köln nach den Bombenangriffen während des Zweiten Weltkrieges -, das nicht im Kölnischen Volks- und Karnevalslied kritisch, humorvoll, spöttisch, nachdenklich, ermutigend usw. seinen Niederschlag gefunden hätte. Um den jährlich anfallenden hohen Neubedarf an Karnevalsliedern zu decken, half man sich damit, auf bereits vorhandene Melodien neue Texte zu schreiben. Diese Kontrafakturen bezogen sich zum einen auf allgemein bekannte populäre Melodien aus den verschiedensten Musik-Genres, zum anderen aber auf „Grundmelodien”, die im Karneval selbst entstanden sind oder dort Verbreitung gefunden haben. Auffällige Namen, wie „Fordere-Niemand-Melodie”, „Adelheidsche- Schnoor-Melodie”, „Unger-uns-Melodie”, weisen zwar auf ihre Entstehung hin, aber oftmals sind die Autoren unbekannt. Die bisher älteste überlieferte Sammlung von Kölner Karnevalsliedern, mit dem merkwürdigen Titel „Bellen-Töne”, enthält eine „vollständige Sammlung aller Lieder aus den Jahren 1823 bis 1834” mit 236 Texten und 23 abgedruckten Melodien. In jedem Jahr gaben die einzelnen Festkomitees ein eigenes Liederheft mit neuen Texten heraus, die jeweils mit dem Vermerk versehen waren: „Auf die Melodie ... zu singen”. Rund einhundert „Grundmelodien” sind aus dem 19. Jahrhundert überliefert. Auf den Margarethen-Marsch von Alfred Beines z.B. sind allein etwa 100 Texte überliefert.[2160] Dazu gehören u.a. die witzigen Parodien zu historischen Stoffen, etwa „De kölsche Lohengrin” von Jakob Dreesen (1899) oder „Jung Siegfried” von Wilhelm Klemmer (1902).[2161]

Eine andere sehr beliebte „Grundmelodie” ist die bereits genannte „Adelheidche- Schnoor-Melodie”, deren Verfasser unbekannt ist, wobei als typisches Beispiel für diese Kontrafaktur das nach wie vor gern und viel gesungene „Lied von der Geiß” herausgegriffen werden soll. Der Text wurde 1894 von Wilhelm Räderscheidt unterlegt. Die „Moral” dieser humorigen Geschichte ist eindeutig. Zugleich demonstriert der Text die Originalität des Kölner Dialekts und seine Lust am Sprachspiel, was die bis heute ungebrochene Popularität des Liedes sicher mitbegründet. Der Melodieaufbau ist „logisch” gestaltet: Die Verse weisen die Struktur eines Erzählliedes auf, der Refrain ist tänzerisch konzipiert. Bei den Versen führt die – bereits beschriebene – Modulation in die Tonart der Dominante und die Rückkehr mit Hilfe des Dominantseptakkordes zu einem Spannungsaufbau, der sich mit dem tänzerischen Motiv des Refrains und seinen Wiederholungen wieder auflöst. Das Lied hat inhaltlich überhaupt keinen direkten Bezug zum Thema „Karneval” und ist dennoch als Brauchlied im Karneval einzuordnen.[2162]

Zu den Liedern, die den Karneval direkt thematisieren, gehört das weit über Köln hinaus verbreitete Lied „Am Aschermittwoch ist alles vorbei”, das Jupp Schmitz, ein bekannter Kölner Komponist, 1959 auf einen Text von Hans Jonen schrieb und bis heute als Schlager immer noch gern gesungen wird.[2163] Andere bekannte Lieder dieses Typs sind: „Dat Hätz vun d'r Welt”, „Am Dom zu Kölle”, „Die Hüs'cher bunt om Aldermaat”, „Dat Wasser vun Kölle”, „Heimweh nach Köln”, „Kölsche Jung”, „Dat Glockespill vum Rothuusturm” u.a.

Bei einigen Karnevalsliedern, die ebenfalls in ein weit verbreitetes Schlagerrepertoire eingegangen sind, wird zumeist nur noch die erste Strophe gesungen. Auf diese Weise gehen aktuelle Zeitbezüge verloren, wie sie z.B. in weiteren Strophen zum Ausdruck gebracht wurden. So heißt es z.B. in dem ebenfalls als Schlager sehr bekannt gewordenen und 1959 entstandenen Lied „Wer soll das bezahlen” (Text: Walter Stein; Melodie: Jupp Schmitz) in der dritten Strophe:

„Vieles bei uns, das war gründlich zerstört,
  wir hatten nicht mal 'nen Staat.
  Jetzt hab'n wir zwei, die auch ganz separat
  ihre Regierungen tragen.
  Kosten die beiden uns auch schon genug,
  wir brauchen mehr als nur zwei.
  Wir hab'n im Hintergrund Frankfurt dabei,
  und nur die Ängstlichen fragen:
  |: ‚Wer soll das bezahlen ...' :|”[2164]

Aktuelle Zeitbezüge im Kölner Lied werden musikalisch und textlich auf sehr verschiedene Weise zum Ausdruck gebracht. Der ebenfalls zum Schlager avancierte „Trizonesien-Song” von Karl Berbuer (1949) beispielsweise ist voller witziger und ironischer Anspielungen auf die damalige politische Situation des in drei Besatzungszonen aufgeteilten und von den Alliierten regierten westlichen Deutschland vor der Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik. Da es seinerzeit noch keine deutsche Nationalhymne gab, wurde dieses Lied sogar anlässlich eines Radrennens bei einem deutschen Sieg als „deutsche Hymne” gespielt.[2165]

Völlig anders hingegen spiegelt das 1943, also während des Zweiten Weltkrieges und unter dem Eindruck der verheerenden Bombenangriffe der Alliierten auf Köln – z.B. nach dem „1000-Bomber-Angriff” auf Köln am 30./31. Mai 1942 -, von Willy Klett geschaffene Lied mit aktuellem Zeitbezug „Min einzig Kölle” Trauer, zugleich aber auch unbedingte Zuversicht. Dieses Lied war natürlich nicht für den Karneval gedacht, der während des Krieges auch verboten war.[2166]

Durchgängig zeigt sich in Karnevalsliedern mit Zeitbezug eine optimistische Grundtendenz zur Lösung der anstehenden Probleme, womit wir erneut auf die psychologischen Entlastungsfunktionen des Karneval verwiesen werden. Während der großen Wirtschaftskrise 1924 schrieb Karl Berbuer z.B. folgenden Text:

„Se kriggen uns nit, se kriggen uns nit,
  Se kriggen uns nit kapott!
  Es och et letzte Hemb vum Liev,
  dä letzte Grosche fott.”[2167]

Seit den 1960er Jahren hat sich in Köln ein neues Liedrepertoire herausgebildet, das als willkommene Ergänzung zum tradierten Repertoire schnell aufgenommen wurde. Dies ist vor allem auf neu gegründete Musik-Ensembles zurückzuführen, die nicht nur dieses neue Liedgut zu großen Teilen selbst geschaffen, sondern auch durch interessante, stilistisch vielseitige und zeitgemäße Interpretationsformen neue musikalische Stilformen und Liedtypen herausgebildet haben. Selbstverständlich wurde dieses Repertoire sofort in den Karneval übernommen, obwohl es ihn oftmals gar nicht thematisiert. Einige der Lieder haben jedoch einen sehr engen Heimatbezug zu Köln, so dass sie als zu diesem Brauch gehörig angesehen werden. Schließlich wird der Karneval in der Millionenstadt Köln in erster Linie als „Heimat”-Brauch verstanden. Als führende Musikgruppen in Köln sind die „Bläck Fööss” und „De Höhner” zu nennen.

Ein typisches Beispiel für diese neue Kategorie ist das Lied „Mer losse d'r Dom en Kölle” (1973) von Hans Knipp und Hartmut Prieß („Bläck Fööss”). Musikalisch verwendet es einerseits tradierte Elemente, z.B. die Modulation in die Dominanttonart bei der Wiederholung in der Versmelodie, gewinnt aber insgesamt ein neues Profil, das sich vom tradierten abhebt.[2168] Einen vollends neuen Stil zeigt z.B. „Et Spanienleed” von Hartmut Prieß („Bläck Fööss”). Ungewohnt sind 6/8-Takt – d.h. kein ¾-„Schunkel”- Takt – und Taktwechsel, das „Quasi-Rezitieren” auf dem Quintton mit Harmoniewechsel sowie das Arrangement, das spanisches Flair verbreitet. Der Text nimmt humorvoll die Reisewelle der deutschen Urlauber nach Spanien aufs Korn. Auch dieses Lied nimmt thematisch keinen Bezug auf den Karneval, gehört aber „unverzichtbar” zu seinem Repertoire.[2169]

Dass das Karnevalslied auch als Mittel der politischen Opposition benutzt wurde, zeigt das 1936 geschaffene und später als Schlager über den Rundfunk in ganz Deutschland verbreitete Lied von Karl Berbuer: „Heidewitzka, Herr Kapitän”. Die klangliche Ähnlichkeit der Refrainzeile mit dem Zwangsgruß der NS-Zeit – „Heil Hitler” – wurde sofort erkannt. Man dehnte daher beim Singen die Eingangssilbe „Hei”, verschluckte das „de” und sang die Endsilben „witzka” betont schneidig, so dass jeder die Verballhornung des Hitler-Grußes wahrnahm und weidlich auskostete. Karl Berbuer hatte dies zwar nicht beabsichtigt, aber nicht ungern zur Kenntnis genommen, wie er Reinold Louis berichtete.[2170]

Wenngleich aus Raumgründen aus der Überfülle des im Kölner Karneval gesungenen Brauchliedes nur einige wenige Beispiele dargestellt werden konnten, mögen sie doch Zeugnis geben für seine inhaltlich-thematische und stilistische Vielfalt, in der sich Tradition und Innovation in glücklicher Weise miteinander verbinden.

Die Überlieferung des Liedgutes der Passions- und Osterzeit ist fest in den gottesdienstlichen Brauch der Feiertage eingebunden, z.B. „Hör, Schöpfer mild, den Bittgesang” (zur Palmverbrennung am Aschermittwoch), „Beim letzten Abendmahle” (bei der Ölweihe und Fußwaschung am Gründonnerstag), „O du hoch heilig Kreuz” (bei der Karfreitagsprozession) oder „Das Grab ist leer” (zum Osterfest).[2171] Im außerkirchlichen österlichen Brauch haben sich im Salzburger Land, insbesondere in den abgeschiedenen Gebirgstälern, eine Reihe von überlieferten Bräuchen erhalten. Darunter befindet sich als besondere Brauchform das „Ölberg- oder Leiden-Christi- Singen” in Großarl in den Nächten zum Karfreitag und Karsamstag.

Jeweils 15–20 Sänger treffen sich gegen 20 Uhr abends vor dem Pfarrhaus, in der ersten Nacht die Bauern der rundum verstreuten Höfe, in der zweiten Nacht die „Dorfer”. Pünktlich 8 (20) Uhr setzt der Vorsänger ein: „Merkt auf ihr Herrn und lasst euch sag'n. Hat acht Uhr g'schlag'n!”, dem der Chor mehrstimmig mit der ersten Strophe des textlich und musikalisch unverändert tradierten Liedes antwortet. Die Sänger wandern weiter und singen diese erste Strophe an verschiedenen Stationen. Symbolisch wird der Leidensweg Christ nachvollzogen. Jeweils zur nächsten vollen Stunde wird in derselben Weise, von Station zu Station wandernd, eine weitere Strophe gesungen. Dies geschieht um 4 Uhr morgens das letzte Mal. Die Sänger harren diese acht Stunden im Freien – trotz Regen, Kälte oder Schneetreiben – aus und werden von einer Familie betreut und bewirtet. Eine große Zuhörerschar folgt den Passionssängern, nur gegen Morgen singen sie allein.

Der Text dieses Brauchliedes ist von tiefer Frömmigkeit geprägt, die Melodie wird in volkstümlicher Zweistimmigkeit gesungen, d.h. die 2. Stimme folgt in der Untersext, Unterquint und Unterterz, wie sie alpenländischer Tradition entspricht.

Ölberg- oder Leiden-Christi-Singen in Großarl:

In der Nacht zum Karfreitag singen die Bauern:

„Merkt auf ihr Herren und laßt euch sag'n.
  Hat 8 Uhr g'schlag'n.

Um 8 Uhr betrachtet zum Ende der Fasten,
  betrachtet, was Jesus für uns ausgestanden,
  am Ölberg er sitzet,
  Blut und Wasser schwitzet.
  Nur dieses betracht,
  diese Nacht.
  Hat 8 Uhr g'schlag'n.

9 Uhr:
  Um neun Uhr alleine die Keuschheit behüte,
  Nicht gleich wie Venus die Laster aufbiete.
  Dann Jesus wird g'fangen
  Mit Spießen und Stangen
  Die Ursach allein, wir sein.
  Hat 9 Uhr g'schlag'n!

10 Uhr:
  Schon zehn Uhr, schon zehn Uhr der Wachter tut sprechen,
  Betrachtet, Pilatus tut den Stab schon brechen,
  Und Jesus verdammen,
  Der von Höchsten Stammen,
  Zum schmerzlichsten Tod, ach Spott.
  Hat 10 Uhr g'schlag'n!

11 Uhr:
  Um elf Uhr betrachtet, wie Jesus dermaßen,
  Von Juden gegeißelt auf offener Straßen,
  Mit Ketten und Geißel,
  Das unschuldig Weisel.
  Drum meid' die Sünd', mein Kind!
  Hat 11 Uhr g'schlag'n!

12 Uhr:
  Christen betrachtet, Gott wird gar gekrönet
  Mit Dornen, gleich einem Narren verhöhnet,
  Ach nehmt es zu Herzen,
  Was Gott für Schmerzen Wegen uns'rer Sünd' empfindt!
  Hat 12 Uhr g'schlag'n!

1 Uhr:
  Das Urteil ist gesprochen, es hilft gar kein Klagen,
  Mein Jesus muss das schwere Kreuz hinauftragen,
  Wo er drauf muss sterben.
  Kein Gnad' kann erwerben.
  Ach nehmet es zu Herz, was Schmerz.
  Hat 1 Uhr g'schlag'n!

2 Uhr:
  Am Stamme des Kreuzes tut Jesus schon hangen,
  Der niemals kein Übel, keine Sünd' hat begangen.
  Nur unsre Sünden
  Tun ihn ans Kreuz binden.
  Betracht Christi Pein allein.
  Hat 2 Uhr g'schlag'n!

3 Uhr:
  Seht, Jesus tut jetzt schon das Zeitliche enden,
  Sein' Seel auch dem himmlischen Vater zusenden.
  Hat die Teufelsketten
  Schon wirklich zertreten.
  Ist alles vollbracht! Betracht!
  Hat 3 Uhr g'schlag'n!

4 Uhr:
  Christen, steht auf, denn die Zeit ist vorhanden,
  Betrachtet, was Jesus für uns ausgestanden.
  In Gott's Nam' erwachet.
  Das heilig Kreuz machet.
  Ist alles vollbracht dieser Nacht.
  Hat 4 Uhr g'schlag'n!”

In der Nacht zum Karsamstag singen die „Dorfer”:

”Merkt auf ihr Herrn un laßt euch sag'n.
  Hat acht Uhr g'schlag'n.

Seht Jesus hat wirklich sein Leben beschlossen.
  Es wird mit der Lanze sein Herz noch durchstoßen.
  Seht wie er uns liebet,
  daß er sogar gibet
  sein letzt Tröpflein Blut,
  uns zu gut.
  Hat acht Uhr g'schlag'n.

9 Uhr:
  Nun wird Jesu Leichnam vom Kreuz abgenommen,
  In Mariens Schoß gelegt, mit Blut überronnen.
  Ach sehet, was Schmerzen die Mutter im Herzen,
  Um ihr liebes Kind empfind.
  Hat 9 Uhr g'schlag'n!

10 Uhr:
  Um 10 Uhr betrachtet, was Trübsal und Schmerzen,
  Die Liebhaber Jesu gefühlet im Herzen.
  Da sie soviel Wunder an ihm gefunden.
  Auf! Mit Christi Freund, alle weint.
  Hat 10 Uhr g'schlag'n!

11 Uhr:
  Nun wird Jesu Leichnam mit bitteren Klagen,
  Von Josef und Nikodemus getragen,
  zum Grabe bereitet, von Frauen begleitet,
  In Leinwand eing'macht. Betracht!
  Hat 11 Uhr g'schlag'n!

12 Uhr:
  Nun ruhet im Grabe der Leichnam des Herrn.
  Geschah an Pilatus der Juden Begehr'n,
  Dass man dahin trachte, das Grab zu bewachen,
  Weil keiner seine Macht betracht.
  Hat 12 Uhr g'schlag'n!

1 Uhr:
  Seht Jesu Leib tut man aufs beste bewahren;
  Jedoch seine Seel' ist in die Vorhöll' gefahren.
  Wird bald in den Leib kehren, die Todesnacht zerstören,
  Der Held so jetzt schlaft, er erwacht.
  Hat 1 Uhr g'schlag'n!

2 Uhr:
  Alsdann glauben sicher, Gott wird uns bewahren,
  Und auch beschützen vor allen Gefahren.
  Von Sünden und Schanden, von Teufelsbanden.
  Die Wächter betracht, diese Nacht.
  Hat 2 Uhr g'schlag'n!

3 Uhr:
  Wir wollen aufstehen und zu dem Grabe gehen.
  Christen betrachtet, was alles ist geschehen,
  Jesu Leiden bringt uns viel Freuden.
  Denke an Christi Pein, allein.
  Hat 3 Uhr g'schlag'n!

4 Uhr:
  Wir wollen aufstehen, die Zeit ist vorhanden.
  Betrachtet, was Jesus bei uns ausgestanden.
  In Gottes Namen erwachet, das hl. Kreuz machet.
  Ist alles vollbracht, diese Nacht.
  Hat 4 Uhr g'schlag'n!”[2172]

Einige Bräuche verdanken ihre gegenwärtige Existenz der Initiative einzelner Persönlichkeiten oder Personengruppen, die einen neuen Brauch eingeführt oder einen alten reaktiviert haben. Das bekannte Salzburger Adventsingen, inzwischen ein fester Brauch im Salzburger Musikleben, wurde 1946 von Tobi Reiser d.Ä. eingeführt und nach seinem Tod 1974 von seinem Sohn Tobias weitergeführt. Hier hat sich eine völlig eigenständige Form des Schaubrauchs entwickelt, bei dem das tradierte Brauchgut und seine überlieferten Interpretationen, Liedrepertoires, Instrumentalbesetzungen, Volksspiele etc. mit neuen Liedkompositionen und insbesondere den für diesen Anlass geschriebenen Kantaten des bekannten Salzburger Komponisten Wilhelm Keller in glücklicher Symbiose zusammenfließen, so dass sich als Ganzes ein szenisches Oratorium herausgebildet hat. Den Abschluss bildet jeweils das gemeinsame Singen des Andachtsjodlers mit dem Publikum. Von 1952 bis 1972 begleitete Karl Heinrich Waggerl (1897–1973) das Adventsingen mit Lesungen aus seinen Werken.[2173]

Ein Beispiel für die Reaktivierung eines jahrhundertealten Brauchs, der inzwischen abgesunken war, bietet die „Eierheische” zum Pfingstfest in einigen Dörfern des Siebengebirges östlich von Bonn. In dem Ort Hoholz z.B. begannen die Reaktivierungsbemühungen 1947, im benachbarten Ort Stieldorf 1982. Zwei Bürger in Hoholz waren nach langen und entbehrungsreichen Kriegs- und Gefangenschaftsjahren zurückgekehrt und fühlten sich in besonderer Weise für die Jugendlichen im Dorf verantwortlich, die wie alle damals in einer materiellen, aber auch sozialen Notsituation lebten. Es gab nicht die modernen Unterhaltungsmedien, keine oder nur dürftig ausgestattete Verkehrsverbindungen. Man war nicht motorisiert und musste zu Veranstaltungen im Nachbarort z.B. zu Fuß gehen.

Die beiden Herren kannten den Brauch der „Pfingstheische” nur aus Erzählungen und einigen Dokumenten, die als Protokollblätter der früher einmal existierenden Maiclubs bzw. Junggesellenvereinen erhalten geblieben waren. Ihre Intention, den alten Brauch wieder aufleben zu lassen, war eine prinzipiell soziale. Sie erklärten mir gegenüber: „Es war für uns beide eine gewisse Verpflichtung, alte Bräuche aufleben zu lassen. Wir wollten nicht, dass mit diesem Krieg nicht nur das Volk zerstört war, sondern auch die Bräuche, von denen das Volk lebt.” In der Rückschau konnten sie nach 40 Jahren kontinuierlicher Brauchpflege feststellen: „Wir haben der Jugend etwas gegeben. Sie hatte einen Anhalt, einen Rahmen ... Es war ein echter Zusammenhalt, der sonst in diesem Maße nie stattgefunden hätte.” So traf man sich z.B. zum gemeinsamen Singen auch außerhalb des Brauchs.

Die Pfingstheische diente in der damaligen Notzeit noch der Sicherung der eigenen Bedürfnisse, d.h. die gesammelten Naturalien: Eier, Speck, Wurst etc. wurden von den Jugendlichen selbst verzehrt. In der Zwischenzeit sind die materiellen Probleme aufgehoben, aber der Brauch wird weitergeführt. Seine Ziele gelten nunmehr nicht mehr den Jugendlichen allein, sondern wollen im Dorf Problemen der Zeit, insbesondere Vereinsamung und soziale Isolierung, entgegenwirken. Der Krieg hatte viele Menschen entwurzelt. So waren auch in die Dörfer des Siebengebirges viele Flüchtlinge und Vertriebene gekommen, also Fremde, die zu integrieren waren. Inzwischen haben sich in Hoholz eine „Gemeinschaft zur Wahrung des Brauchtums” und im Nachbarort Stieldorf ein „Bürgerverein” gegründet, die sich insbesondere dem Pfingstbrauch gegenüber verpflichtet fühlen. Die Eierheische hat sich inzwischen zu einem Volksfest ausgeweitet. Die gesammelten Naturalien werden abends bei einem Groß-Essen in einer Gaststätte verzehrt, wozu das ganze Dorf eingeladen ist. Die erheblichen Überschüsse, auch Geldspenden, werden sozialen Einrichtungen zugeführt, hier dem Kindergarten und Seniorenheim vor Ort.

Es wurde mir berichtet, dass sich nicht zuletzt durch diesen Brauch eine Dorf-„Gemeinschaft” herausgebildet hat, dass die Integration der „Fremden” inzwischen längst gelungen ist. Offen blieb die Frage, wer den Brauch weiterführen solle. Zum Zeitpunkt der Untersuchung (1986) wurden Befürchtungen laut, dass möglicherweise in absehbarer Zeit der Brauch wieder aufhören könnte, weil die Jugend im Dorf wenig Interesse daran zeige, sich sozial zu engagieren. Ohne das Engagement der Initiatoren und deren Gruppen, die einen hohen ehrenamtlichen Einsatz leisten, gäbe es den Brauch in dieser Region nicht mehr, der einst in vielen Orten des Rheinlandes verbreitet war und inzwischen weitgehend erloschen ist.[2174]

Das in den Dörfern rekonstruierte Heischelied zum Sammeln der Pfingsteier – auch hier der zentrale Brauch-Kommunikator – ist auf ein Brauchlied zurückzuführen, das schon um die Mitte des 19. Jahrhundert belegt ist,[2175] aber wahrscheinlich schon eine längere Tradition besitzt. Als Beispiel sei die Fassung von Stieldorf mitgeteilt, die ich am 18. Mai 1986 aufgezeichnet habe:

Do ovven op dem Heustall:

„1. Do ovven op dem Heustall,
  Flierum das Mägdelein, [Flierum das Mägdelein = Freie um das Mägdelein]
  do liejen de Eier överall,
  Röselein, Blümlein,
  alles muß verzehret sein.

2. Jet uhs doch e paar Eier,
  Flierum das Mägdelein,
  für de Peter Meier,
  Röselein, Blümelein, ...

3. Jet uhs doch e Röckstöck, [Röckstöck = Stück Speck]
  Flierum das Mägdelein,
  mah uhs dann de Kooche flöck, [Kooche flöck = den Eierkuchen gut]
  Röselein, Blümelein, ...

4. Mir dohn uhs och bedanke,
  Flierum das Mägdelein,
  für de goode Schranke, [Schranke = Umtrunk]
  Röselein, Blümelein, ...”[2176]

Im nur wenige Kilometer entfernten Nachbarort Hoholz (Bonn) hat man hingegen den Brauch des Mailehens einschließlich Krönung der Maikönigin nach dem Zweiten Weltkrieg 1947 wieder aufgenommen. Zentrale Mitte der Krönungszeremonie bildet der Krönungstanz, zu dem ein Lied gesungen wird, dessen Herkunft im 19. Jahrhundert, wahrscheinlich früher, anzusetzen ist. Es handelt sich hierbei offenbar um gesungene Tanzanweisungen.[2177] Das Krönungsfest erfüllt eine wichtige soziale Funktion: die Befriedigung des Bedürfnisses nach Identität.

Auch im Handwerk existiert noch in unserer Zeit das Brauchlied, wenn auch eher im Verborgenen. Es wird bei besonderen Anlässen wie Richtfesten, Gesellenfreisprechungen und anderen gesungen. Zu den von der Forschung bisher wenig erfassten Bereichen gehört auch das Singen im studentischen Brauch.[2178] Auffallend ist die Zurückhaltung in der Musikforschung gegenüber den Fan-Gesängen in den Sportstadien, die sich in den letzten 3–4 Jahrzehnten zu einem Phänomen des Massensingens entwickelt und innerhalb der Fan-Kultur eine von der Tradition abweichende neue Brauchform herausgebildet haben, mag sicher auch mit seiner Vielfältigkeit und Querständigkeit zum überlieferten Traditionsverständnis zusammenhängen. Wilhelm Schepping hat diesen Umstand schon 1981 beklagt. Er war im Fach auch der Erste, der sich im Rahmen seiner Singforschung damit auseinander setzte[2179] und mehrere Untersuchungen im Rahmen von Staatsarbeiten in Auftrag gab.[2180] Christoph Heuter resümiert hierzu: „Dadurch ist ein Bereich von der Forschung ausgeklammert, in dem wie in keinem zweiten Kreativität, Spontaneität, Witz und Singfreude anzutreffen sind und damit ein schier unerschöpfliches, von Samstag zu Samstag, von Verein zu Verein wechselndes Repertoire. Es finden sich Ohrwürmer und Dauerbrenner, spontane und schnell als veraltet abgelegte Situationskommentare sowie regelrechte Erkennungsmelodien für einzelne Vereine".[2181]

Legitimiert werden eine Reihe von Kriterien, wie sie für den Brauch allgemein gelten, wie soziales Handeln in einer ausübenden Gruppe, Regelmäßigkeit und Wiederkehr, Identifikationspotential, formale und zeichenhafte Sprache der Trägergruppe, wie sie oben schon erwähnt wurden, also im Ganzen eine „institutionalisierte” Form sozialen Gruppengeschehens in einem jeweiligen gesellschaftlichen, kulturellen etc. Kontext eine Äußerungsformen nicht mehr in die tradierte Brauch-Vorstellung. Die präzise Beschreibung der Fan-Gesänge von Kurt Weis macht erkennbar, dass z.B. Aggression, Provokation und Machtdemonstration neue Kriterien im Gegensatz zum überkommenen Brauchgeschehen darstellen: „Nichts begleitet eine Fangruppe am Wochenende so konstant und informiert so unverfälscht über ihre jeweilige Stimmung wie die Gesänge. Sie sollen Spaß machen, die eigene Mannschaft unterstützen, die Identifizierung mit dem eigenen Verein zeigen, den Zusammenhalt der Gruppe stärken, die eigene Macht demonstrieren und möglichst viele andere provozieren".[2182] Selbst der Rügebrauch enthält keine Gewaltbekundungen und die Zeit-, Gesellschafts- und Personenkritik im Karnevalsbrauch ist in der Regel mit Humor, aber nicht mit grob beleidigendem, ätzendem Spott gepaart.

Auf der anderen Seite offenbaren sich in den Fan-Gesängen Kriterien, wie sie auch bestimmte Kategorien tradierter Brauchlieder auszeichnen: Witz, Spottlust, Spontaneität, musikalische Äußerungsform durch die Singstimme – selbst die Sprechstimme ist durch rhythmisches Skandieren „musikalisiert”. Der Versuch, etwa ästhetische Vergleichsnormen heranzuziehen, würde restlos scheitern, da kein überlieferter Brauchliedtyp z.B. regelrechte Schlachtgesänge enthält, die in ihrer Brutalität Schrecken machen würden, nähme man sie ernst und wörtlich, z.B. „Ja, in Homburg samstags um vier, einen Homburger schlagen wir hier, ja, da spritzt das Blut, und das find ich gut, ha, in Homburg Samstag um vier” nach der Melodie des Schlagers „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins”.[2183] In der Sportwissenschaft und Volkskunde wird daher für Fan-Gesänge anstelle von „Brauch” der Begriff „Ritual” verwendet, weil neben Singen und Sprechen in enger Verbindung mit entsprechender Körpergestik eine Reihe von ritualisierten Handlungen – auch mit äußerlichen Symbolen wie Fan-Kleidung – das Fan-Verhalten charakterisieren.

Fußball, Eishockey und andere Massensportarten sind mehr als „nur” Sport. Sie stellen einen sehr hohen Wirtschaftsfaktor mit Millionen Umsätzen dar. Daran ist schließlich ein durch Fernsehübertragungen vervielfachtes Millionenpublikum beteiligt. Länderspiele gewinnen politische Dimensionen. Der „Unterhaltungs”-Begriff allein fasst ebenfalls zu kurz: Das Live-Erlebnis, insbesondere bei großen Sportveranstaltungen mit Zehntausenden von Zuschauern und Fans, übt vor allem auch wichtige psychologische Funktionen aus. Dazu gehören Abbau von Stress und Aggressionen, wie sie sich aus den Anforderungen der täglichen Berufswelt ergeben; Erleben von Lust und Spaß und insbesondere das Wechselbad von Spannung und Entspannung, wie es sich während des Spielverlaufs ergibt. Hinzu kommt der Verstärkungseffekt durch die Masse. Das Individuum gibt seine Individualität in der Masse auf, empfindet Geborgenheit ohne soziale Grenzen sowie Diskriminierung und erlebt zugleich das Potenzial von Macht, das ihm diese Masse verleiht, in der Summe ein außerordentlich intensives Erleben. Dass Singen, Rufen, Schreien, Grölen dabei eine so außerordentlich wirksame Rolle spielen, hängt mit den Funktionen des limbischen Systems zusammen. Befragungen von Fans ergaben z.B. übereinstimmend, dass es ihnen vor allem auf das Erleben der Atmosphäre, der „Stimmung” ankomme.[2184]

Das Verhalten von Fans, die in „Fan-Blöcken” an bestimmten Plätzen im Stadion stehen, ist rein funktional von Identifikation mit der eigenen Mannschaft und Provokation der gegnerischen Mannschaft bestimmt. Die rivalisierenden Fan-Gruppen liefen sich regelrechte akustische Gefechte während des Spielgeschehens, das schließlich ein Kampfgeschehen darstellt. Mannschaft und jeweilige Fan-Gemeinde bilden eine Einheit innerhalb des Geschehens. Wüste Beschimpfungen, Diffamierungen des gegnerischen Vereins, einzelner Spieler, des Schiedsrichters bei echten oder vermeintlichen Fehlentscheidungen, des Trainers bis hin zu sexistischen, rassistischen und diskriminierenden Parolen bestimmen das Geschehen genau so wie Gesänge der „Aufmunterung” der eigenen Mannschaft und Jubelgesänge über deren Torerfolge oder ihren Sieg bis hin zu Gesängen der „Tröstung” bei Spielverlust. Und immer ist es die Vervielfältigung und Verstärkung des Erlebens durch die große Masse, die körperlich ganzheitlich und total erlebt wird, auch akustisch in der Halle verstärkt, um das noch einmal hervorzuheben, wie dies auch bei anderen musikkulturellen Ereignissen – z.B. schon bei Ureinwohnerkulturen – zu beobachten ist und offenbar auf eine genetische Disposition schließen lässt.

Sportfans gehen ungeniert mit dem musikalischen Material um. Sie benutzen im Grunde das ihnen bekannte oder aktuelle Vokalrepertoire aus tradierten Volksliedern, Kinderliedern, Weihnachtsliedern, Schlagern, Titelmelodien von Fernsehserien, Märschen, Opernarien, Folk-Songs, Rock-Titel usw. als eine Art „Steinbruch”. Es handelt sich zumeist um kurze Gesänge, oftmals nur um eine einzige Zeile, die aus einem musikalischen Zusammenhang herausgenommen wurde.

Es wird laut gesungen, nicht „sauber” im Sinne exakter Tongebung, primär gebrüllt oder geschrieen bis zur Heiserkeit, da dies ungeschulte Stimmen nicht durchhalten können. Sprechchöre, Singzeilen, Lieder lösen sich ab, werden von Spiel zu Spiel immer wieder neu gestaltet, auch variiert, spontan ergänzt. Zugleich hat sich ein Stamm-Repertoire herausgebildet, dass bei bestimmten Spielsituationen eingesetzt wird. Animateure, „Häuptlinge” oder „chant-leader” geben häufig den Impuls, so dass nach ein oder zwei Takten die Gruppe koordiniert und nicht alle durcheinander singen. In letzter Zeit wird der „chant-leader” auch durch einen Trompeter abgelöst, weil der Instrumentenklang weit trägt.

Wie auch das Phänomen der Fan-Gesänge beurteilt werden mag: Wir haben es hier mit einer Massensingpraxis zu tun, mit einer neuen Kunstform, die in überkommene Muster nicht „passt”, aber vieltausendfach ausgeübt in der Musikkultur unserer Gegenwart existent ist. Brauchforschung wäre daher gut beraten, sich auch mit diesem Phänomen auseinander zu setzen. Die Handhabung der terminologischen Nomenklatur, ob „Brauch” oder „Ritual”, wird nach genaueren Untersuchungsergebnissen sicherer sein.

Ich hoffe, anhand der ausgewählten Beispiele hinreichend belegt zu haben, dass das Lied im Brauch nach wie vor als ein bedeutender Informations-, Sozialisations- und Integrationsträger zentrale Funktionen wahrnimmt. Die inhaltliche, stilistische und formale Vielfalt spiegeln die differenzierten Erscheinungsformen des Brauchs in unserer Zeit wieder. Einerseits lebt das Lied unverändert in sehr alten Brauchtraditionen, die sich bis in unsere Zeit erhalten haben oder nach historischen Quellen primär aus sozialen Begründungen und Aufgaben rekonstruiert sowie reaktiviert wurden. Andererseits haben sich neue Formen, teilweise mit neuen Inhalten und Repertoires herausgebildet.

Brauchlieder sind Ausdruck eines verstärkten Bedürfnisses nach sozialer Geborgenheit in der Gruppe, der in unserer Zeit angesichts seiner Probleme der sozialen Isolierung und Vereinsamung in der Massengesellschaft verstärkte Bedeutung zukommt. Dies gilt auch für die Integration von Migranten, die ein vielschichtiges gesellschaftliches Problem für sich darstellt. Brauchlieder sind weiterhin Ausdruck eines vermehrten Identitätsbedürfnisses, das sich auf ein bestimmtes Brauchgeschehen, auf einen bestimmten Ort, auf eine Region, auf eine Tradition, auf eine Religionsgemeinschaft etc. bezieht. Sie vermitteln Wir-Gefühl und Solidaritätsbekundung. In einzelnen Ausprägungen wirken sie über den Brauch wie eine soziale Klammer über Alters- und Sozialschichten hinaus. Brauchlieder nehmen vielfältige Entlastungsfunktionen wahr.

Sie befriedigen in hohem Maße Bedürfnisse nach Geselligkeit. Andere Lieder hingegen sind Ausdruck tiefer Frömmigkeit und ernster Erbauung. Sie verschaffen reichhaltige Möglichkeiten zum eigenen Singen und Spielen. Die stilistische und inhaltliche Vielfalt des Brauchliedes verlangen auch eine Differenzierung innerhalb ihrer Gattungen selbst. Ein Karnevalslied als Typus beispielsweise ist nicht „bloß lustig”, sondern kann auch Spiegel der Zeitgeschichte mit seinen ökonomischen und politischen Problemen, auch Mittel der politischen Opposition sein.

Das Brauchlied, wie auch die Brauchformen selbst, sind heutzutage weitgehend von der Pflege abhängig, die von Vereinen und Privatpersonen mit einem hohen ehrenamtlichen Einsatz geleistet wird. Ihnen müsste eine verstärkte Unterstützung zuteil werden, wie auch die Kommunen ihren Einsatz verstärken sollten.

Musikalische Brauchforschung hat sich, trotz geringer Ressourcen, neuen Erscheinungsformen wie das Fan-Singen etwa, gegenüber zu öffnen, wobei eine Zusammenarbeit mit der Sportwissenschaft z.B. hilfreich wäre. Überhaupt sollte dem Prinzip der Interdisziplinarität mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, nicht nur der Ressourcenkoordination, sondern vor allem der vielfältigen Verknüpfungen der Brauchformen mit ihrem gesellschaftlichen Umfeld wegen. Das Lied im Brauch ist nach wie vor Ausdruck einer bedeutsamen Teilkultur im Gesamtspektrum der Musikkultur auch in unserer Zeit und bedürfte angesichts der Vielfalt seiner sozialen Aufgaben fürderhin verstärkter Aufmerksamkeit, wozu dieser Beitrag einen Baustein zu liefern bemüht war.



[2110] Verfasser dankt Thomas Hochradner für die freundliche Überlassung der Materialien.

[2111] Vgl. [Wolfram 1952], hier S. 166–167.

[2115] Verfasser dankt Thomas Nußbaumer für die freundliche Überlassung von Informationen.

[2121] Vgl. [Bimmer 1988], S. 311.

[2123] Auskunft von Frau Mag. Ilona Holzbauer.

[2125] Vgl. [HaidG 1975], S. 146.

[2126] Vgl. [Wrede 1960], S. 289.

[2127] „Heut feiern wir das Lichtmessfest”. In: [Landesinstitut für Lehrerfortbildung/Vogt 1996], S. 63.

[2129] „Ich bin ein kleiner König”. In: [Meyers 1966].

[2131] Vgl. [Peesch 1939], S. 77. Das rheinische Kirmeslied weist folgende Fassung auf: Kirmes em Dörp: „1. Wenn't Kirmes is, wenn't Kirmes is, dann schlacht mi Vadder ne Bock, dann danzt mi Moder, dann danzt mi Moder, dann rabbelt örr dr Rock, dann danzt mi Modder, dann danzt mi Modder, dann rabbelt örr dr Rock. 2. |: Wenn't Kirmes is :| dann kockt min Modder ne Brei mit Ries, Karnel on Jietemilk, dat givt en Schluckerei. 3. |: Wenn't Kirmes is :| dann is Musik on Danz dan hängt an jeder Schüredür ne bonkte Blomekranz. 4. |: Wenn't Kirmes is :| dann freut sech ald on jong die Kuh on och de Kückelhahn, die Katt on och de Honk. 5. |: Wenn't Kirmes is :| dann schlacht min Vadder en Bock dann danz ech op min Hingerbien on krie'ne neue Rock.” „Kirmes em Dörp”. In: [Klusen/Nießen 1957], S. 10.

[2132] Vgl. [Peesch 1939], S. 75.

[2133] "Zemper, Zemper, Gasse”. In: [RumpfM 1974], S. 61.

[2134] [RumpfM 1974], S. 72–74.

[2135] "Wohlauf! Wohlauf!”. In: [Wiedling 1971], S. 81.

[2136] "Jetzt kommt die liebe Fastenzeit”. In: [Wiedling 1971], hier S. 82.

[2138] [Wiedling 1971], hier S. 89f.

[2139] Mitget. von : [Weber-Kellermann 1985], S. 182.

[2141] Mitget. von: [Schuhladen 1992], S. 11.

[2142] Mitget. von: [Schuhladen 1992], S. 11.

[2143] Oder zu: „Auf der Schwäbsche Eisebahne”: "... Und dann geht das Leben weiter, oamoi trüab und oamoi heiter, durch das Leben in Saus und Braus, der Familie Riesenhaus. Trulla, trulla, trullala, trulla, trulla, trullala. In des Daseins bunter Leier, bis zur Silberhochzeitsfeier...” Mitget. von: [Schuhladen 1992], S. 12f.

[2144] Mitget. von: [Schuhladen 1992], S. 13f.

[2145] Vgl. z.B. die interessanten Beispiele zum geselligen Singen bei [HaidG 1980b]; [Hummer 1980a].

[2146] Mitget. von: [Thiel 1980].

[2147] Vgl. [HaidG 1980a], hier S. 94.

[2148] Vgl. [Thiel 1980], S. 62.

[2149] Mitget. in: [Fillafer 1992], hier S. 111f.

[2150] davon sind 60 mitgeteilt von [Fillafer 1992], S. 114–116.

[2151] „Ihr steht jetzt vor Gott”. Geistliches Hochzeitslied. Mitget. von: [Thiel 1975], hier S. 131f.

[2152] Lazarus Strohmanus-Lied: „1. Als Lazarus gestorben war, da weinte die Anna, Susanna, die Philepina, die Schmitze Mina, der rüde Jakob, der löf de Berg erop, do steht e Wirtshaus wie e Schelderhaus, do kütt die Mad erus, die hätt de Besemen de Fuß: Als Lazarus gestorben war. Refrain: Zu Jülich wird, wie all bekannt, de Lazarus gepreck; Drum freut sich dorop jung on alt, der rüde Jakob, der löf de Berg erop, do steht e Wirtshaus wie e Schelderhaus, do kütt die Mad erus, die hätt de Besemen de Fuß: Als Lazarus gestorben war. Refrain: Zu Jülich wird, wie all bekannt, de Lazarus gepreck; Drum freut sich dorop jung on alt, un och su manche Jeck. Die Ahle han et vürgemaht, schon vür hondert Johr, dröm freut sich, der hätt mettgemacht en diesem neue Johr. Op jede Eck wird he gepreck, holldria, dat he flüch, et es en Spaß, holldria. Drum stimm ein jeder mit uns ein: Lazarus, er lebe hoch! 2. Als Lazarus gestorben war, da legt man ihn ins kühle Grab. Da weinte die Anna, Susanna, die Philepina, die Katharina, O du armer Lazarus. Refrain: Zu Jülich wird, wie all bekannt, de Lazarus gepreck; Drum freut sich dorop jung on alt, un och su manche Jeck. Die Ahle han et vürgemaht, schon vür hondert Johr, dröm freut sich, der hätt mettgemacht en diesem neue Johr. Op jede Eck wird he gepreck, holldria, dat he flüch, et es en Spaß, holldria. Drum stimm ein jeder mit uns ein: Lazarus, er lebe hoch! „Lazarus Stromanus-Lied”. „Nationallied der Gesellschaft „Lazarus Strohmanus”. In: [MoserDR 1975], S. 45; siehe auch: [MoserDR 1970].

[2154] Vgl. [MoserDR 1970], S. 77.

[2157] Vgl. [MoserDR 1986], S. 282ff.

[2158] [Linke 1972], hier S. 115–118.

[2159] [Weibel 1996], S. 31ff.

[2161] In: [Diederichs 1998], S. 60ff.

[2162] De Geiß wollt ’ne lange Stätz han: „1. Et log ’ner Geiß ens schwer om Hätz, dat sei bloß hatt dat Stümpfe Stätz. Dä Stätz, dä wollt nit wahße, dä Stätz, dä wollt nit wi-wa-wahße: Dä Stätz, dä Stätz, dä Stätz, dä Stätz, dä klitzekleine Stümpchesstätz. Met dem Stümpche dät se wibbele, dät se wibbele, seufs un säht: Die paar Hörcher, die paar Zibbele sin der Möh nit wäät. 2. Däm fählt geweß die Feuchtigkeit, dat hä nit länger wäden deit, söns mööt dä Stätz doch wahße, söns möt dä Stätz doch wie-wa-wahße: Dä Stätz, dä Stätz, dä klitzekleine Stümpchesstätz. Noh däm Mülldeich dät se stitzele, stipp dat Stümmelche do erenn; dät de Kält se och jet kitzele, standhaff heelt se’n drenn. 3. Su soß se dann de ganze Naach, zo gevven op dat Wahßen aach. Hä schung ehr ald jet länger, hä schung ehr ald jet li-la-länger: Dä Stätz, dä Stätz, dä klitzekleine Stümpchesstätz. Dann un wann dät sei noch schlängere met däm Zibbelche, bes se schleef un vun ehrem Stätz, dem längere, dräumte söß un deef. 4. Doch als der helle Morge kom, die Geiß met Schrecke wohr jitz nohm: Dä Stätz wor faßgefrore, dä Stätz wor faßgefrie-fra-frore: Dä Stätz, dä Stätz, dä klitzekleine Stümpchesstätz. wödig fing se an zo hibbele, reß dat Stümmelche och eruus; doch de Hörcher, die paar Zibbele, gingken dobei uus. 5. Die Geiß denk jitz noch öftersch dran, well keine lange Stätz mih han. Do, Minsch, deit deer jet fähle, do, Minsch, deit deer jet fi-fa-fähle an Geld un Got, an Kraff und Mot, ov söns en große Kleinigkeit. Dann, o Fründ, gevv dich zofridden doch, bruch dat Winnige met Aki; denn et gitt’rer er vill henidden noch, die han och nit mih.“ In: [Diederichs 1998], S. 71f.

[2163] Am Aschermittwoch ist alles vorbei: „1. Trinke die Freude, denn heut’ ist heut’, das, was erfreut, hat noch nie gereut. Fülle mit Leichtsinn dir den Pokal: Karneval, Karneval! Hast du zum Küssen Gelegenheit, Mensch, dann geh’ ’ran mit Verwegenheit. Sag’ niemals ‚Nein‘, wenn das Glück dir winkt, bald das Finale erklingt: |: Am Aschermittwoch ist alles vorbei, die Schwüre von Treue, sie brechen entzwei. Von all’ deinen Küssen darf ich nichts mehr wissen, wie schön es auch sei, dann ist alles vorbei! :| 2. Adam und Eva im Paradies fanden verbotene Früchte süß, und sie probierten auf jeden Fall: Noch einmal! Noch einmal! Weil der App’tit kam erst hinterher, war auf dem Baum bald kein Apfel mehr. Da Karneval war im Paradies, flüsterte Eva ganz süß: |: Am Aschermittwoch ist alles vorbei ... :| 3. Töchter der Eva, sie leben heut’ auch noch bei uns, wie in alter Zeit, jede tanzt gern aus der Reihe mal: Karneval! Karneval! Hält sie die Lippen das ganze Jahr Immer zum Kuß nur dem einen dar, heut’ küsst sie lachend auch dich, denn schau, sie weiß wie du ganz genau: |: Am Aschermittwoch ist alles vorbei ... :|“

[2164] "Wer soll das bezahlen”. In: [Diederichs 1998], S. 137–139.

[2165] Trizonesien-Song: „1. Mein lieber Freund, mein lieber Freund, die alten Zeiten sind vorbei, ob man da lacht, ob man da weint, die Welt geht weiter, eins, zwei, drei. Ein kleines Häuflein Diplomaten macht heut die große Politik, sie schaffen Zonen, ändern Staaten. Und was ist hier mit uns im Augenblick? |: Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien, Hei-di-tschimmela-tschimmela-tschimmela-tschimmela-bumm! Wir haben Mägdelein mit feurig wildem Wesien. Hei-di-tschimmela-tschimmela-tschimmela-tschimmela-bumm! Wir sind zwar keine Menschenfresser, doch wir küssen um so besser. Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien. Hei-di-tschimmela-tschimmela-tschimmela-tschimmela-bumm! :| 2. Columbus fand Amerika, ein neuer Erdteil ward entdeckt. Was Marco Polo alles sah, wurd’ dann von der Kultur beleckt. Sven Hedin war am Himalaya, er schritt durch heißen Wüstensand. Am Nordpol stand Amundsen’s ‚Heija‘, doch uns hat keiner je zuvor gekannt. |: Wir sind die Eingeborenen ... :| 3. Doch fremder Mann, damit du’s weißt, ein Trizonese hat Humor, er hat Kultur, er hat auch Geist, darin macht keiner ihm was vor. Selbst Goethe stammt aus Trizonesien, Beethovens Wiege ist bekannt, nein, so was gibt’s nicht in Chinesien, darum sind wir auch stolz auf unser Land: |: Wir sind die Eingeborenen ... :|“ „Trizonesien-Song“. In: [Diederichs 1998], S. 57f.; vgl. [Kürten 1991], S. 50.

[2166] „1. Ming einzig Köln, wie han se dich zerschlage, Uns leev alt Kölle, wie gings do dohin. Us deefem Hätze dun mer dich beklage, [Hätz = Herz] Mer han verlore, wo uns Hätz dran hing. Die Hüsger all, die Plätz und och die Stroße, Wo mer gespillt, als echte kölsche Krott. [Krott = kleiner Junge] Die moht mer deef em Leid verloße, Uns Heimatstadt, die mahten se kapott. ... 3. Et Schecksal uns en alle Wind dät drieve, Dat Fründschaffsband uns jäh zeresse woht. Trotz allem Leid dunn mer der treu nor blieve. Dat litt uns Kölsche einmal su em Blot. Denn en der Nöh und in der weiten Ferne, Do leuch uns ovends och der Heimatstähn, Voll Sehnsucht denke mer an dich so gerne, Do Köln am Rhing, mer han dich doch su gähn. [Rhing = Rhein] 4. Doch wenn die Friedensglocke einmol klinge, Dann gon mer all noh Kölle hin zoröck; Do wähde mer – su Gott well – widder finge Uns Fründe all, und och uns Heimatglöck. Dann wähde mer uns Kölle neu opbaue, Uns Heimatstadt, die darf nit ungergonn. Dä Kölsche Boor loht op uns voll Vertraue: [Boor = Bauer, Gestalt des Dreigestirns] Colonia – weed widder neu erstonn!“ In: [Louis 1986], S. 174.

[2167] Vgl. [Kürten 1991], S. 49.

[2168] „Mer losse d'r Dom en Kölle”. In: [Diederichs 1998], S. 14–16.

[2169] Et Spanienleed: „1. Spanien! (klatschen) Jedes Johr em Sommer jeiht dat Spillche widder loss. Mit Sack un Pack no Spanien, weil et do jo nit vill koss. Mir fleje dann m’em Nekkermann vun Wahn no Benidorm, do wede mer schön brung un sin so richtig jroß en Form. Nä, nä, Marie, es dat he schön, üvverall nur kölsche Tön! Nä, he süht et wirklich us Wie bei und zehus; He fählt nur vum Balkon Die Aussich op d’r Dom! 2. Am ehzte Ovend weed direk e Babekju jemaaht. Es wedd jegrillt, die Wöschjer han m’r selver mitjebraaht. Mir trinke ‚Cubalibre‘ un Sangria bis zum Schluß; als echte Kölsche föhlt m’r sich doch üvverall zohus. Nä, nä, Marie, ... 3. Am nächste Morje triff m’r sich öm zehn Uhr dann am Strand, en Zeitung us d’r Heimat un et Radio em Sand. Em zwölf Uhr jitt et Meddach, em Hotel es wärm jekoch’. Ähzezupp met Hämche jitt et eimol en d’r Woch. nä, Marie, ... 4. Nohmeddaachs öm zwei, do maache mir dann ehsch en Tour, met aachzich Mann em Bus un dat för paar Pesede nur. Drei Stunde doosch de Stadt, do kriehste wirklich vill ze sinn, un Eines dat es jetz schon klor, he fleje m’r widder hin. Nä, nä, Marie, …“ „Et Spanienleed“. In: [Diederichs 1998], S. 128–130.

[2170] Vgl. [Louis 1986], S. 238.

[2172] Mitget. von: [Mooslechner 1990], hier S. 72f.

[2175] Vgl. [BöhmeFM 1967], S. 354f.

[2176] „Do ovven op dem Heustall”. In: [Noll 1988a], S. 36.

[2181] [Heuter 1994], hier S. 209.

[2182] [Weis 1981], hier S. 189; mitget. von: [Heuter 1996], hier S. 155, Fußnote 57.

[2183] Aufgezeichnet von: [KönigSt 1995], S. 26.

[2184] [KönigSt 1995]. Bd. I, S. IV.

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