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3.17. „A Christmas Carol“ im Film (Stefan Stingl)

3.17.1. Kurztext

3.17.1.1. Ein neues Genre

Charles Dickens schuf mit „A Christmas Carol“, auf deutsch „Ein Weihnachtsmärchen“ bzw. „Eine Weihnachtsgeschichte“, ein neues Genre. Darin wurden Weihnachtsfest, Karitativität, Läuterung und soziale Bindungen zu einem neuen Weihnachtsbild verschränkt. Dickens’ Geschichte spiegelt auch den Zeitgeist und die sozialen Zustände des frühen viktorianischen England wider. Industrialisierung und Kolonialherrschaft, Arbeiter- wie Frauenfrage beherrschten diese Zeit. Die Kluft zwischen dem Pathos der viktorianischen Gesellschaft und dem Elend der einfachen Bevölkerung war groß.

Die Entstehung der Geschichte (1843) fällt in die ersten Regierungsjahre von Königin Viktoria (1837–1901). In diesen Jahren soll Prinzgemahl Albert (von Sachsen-Coburg und Gotha; er stirbt 1861) den Weihnachtsbaum in Großbritannien eingeführt haben. Sie steht also am Anfang der Übertragung des neuen bürgerlichen Weihnachtsfestes nach England. Auch dort erzeugten Fabrikarbeiter den Christbaumschmuck für die Begüterten.

3.17.1.2. Charles Dickens’ „Weihnachtsgeschichte“

Charles Dickens’ „Weihnachtsgeschichte“ (1843) ist nicht nur ein zeitloses Werk der Weltliteratur. Sie spiegelt die (Doppel-)Moral und die identifikatorische Wirklichkeit der viktorianischen Gesellschaft mit ihrem morbiden Pathos im krassen Gegensatz zu den sozialen Problemen und der alltäglichen Realität der unteren Klassen.

Alles dreht sich um Ebenezer Scrooge, einen einsamen Menschenfeind, hartherzig, geldgierig und asozial, der dem negativen Klischee des „Unternehmers“ seiner Zeit entspricht. Zu Weihnachten erhält er Besuch von seinem verstorbenen Partner Jacob Marley, der für seine Sünden büßen muss. Da er Scrooge dasselbe Schicksal ersparen will, bereitet er ihn auf den Besuch von drei Geistern vor. Die Geister der vergangenen, der gegenwärtigen sowie der zukünftigen Weihnacht sollen Ebenezer läutern. Er erkennt seine Fehler, wird sogar der Freund seines bis dahin gequälten Angestellten Bob Cratchit und dessen Familie – und schafft sich damit Ersatz für fehlendes Familienglück.

Damit hat Dickens die „Heile Welt“-Geschichte seiner Zeit geschaffen, und die bürgerlichen Sehnsüchte und Ideale mit dem Weihnachtsfest als sozialer Zeit verbunden. Der Weihnachtsabend als säkulares Fest erhält dadurch eine neue pseudoreligiöse Bedeutung.

3.17.1.3. Die filmische Rezeption der „Weihnachtsgeschichte“

Der Ursprung der filmischen Rezeption der „Weihnachtsgeschichte“ (1843) von Charles Dickens liegt in der Printform. Sowohl die Druckwerke als auch die filmischen Umsetzungen haben sich, ebenso wie das Weihnachtsfest an sich, dem Wandel der Zeit angepasst. Im Laufe der Filmgeschichte hat sich eine Vielzahl an Verfilmungen des Klassikers von Dickens angenommen, wie „The Internet Movie Database“ zeigt. Die erste Verfilmung stammt von 1901 (Scrooge, or Marley’s Ghost. Regie: Walter R. Booth. UK, 1901).

Nicht alle filmischen Umsetzungen waren Neuerungen, ein großer Teil ist reine Wiedergabe der Originalgeschichte. Eine Analyse wäre daher in erster Linie vom filmwissenschaftlichen Standpunkt her interessant und könnte Entwicklungen der Darstellungsmanier, des Filmens, der Ausstattungen und Sichtweisen wie der Spezialeffekte umfassen.

3.17.1.4. Charles Dickens’ „Weihnachtsgeschichte“ als Zeichentrick und Cartoon

„A Christmas Carol“ von Charles Dickens wurde häufig animiert. Die mehr oder weniger anspruchsvollen Zeichentrick-Versionen richten sich an ein jüngeres bzw. breiteres Publikum. Die erste Zeichentrick-Rezeption stammt aus dem Jahr 1962. In ihr schlüpft der halb blinde und überaus tollpatschige Mr. Magoo in die Rolle des Geizhalses Ebenezer Scrooge (Mr. Magoo’s Christmas Carol, (TV). Regie: Abe Levitow. USA, 1962).

In vielen Zeichentrick-Versionen wird die Bedeutung von Charles Dickens’ „Weihnachtsgeschichte“ als zentralem Requisit des englischen und amerikanischen Weihnachtsfestes ersichtlich. So werden auch die Protagonisten erfolgreicher Figuren der Zeichentrickgeschichte in die Rolle des Ebenezer gesteckt, das heißt, „A Christmas Carol“ wird in vorhandene Serien integriert. Den deutschsprachigen Lesern ist meist nicht bewusst, dass Dagobert Duck dem Scrooge nachempfunden ist und im amerikanischen Original Scrooge McDuck heißt. Das bedeutet aber, dass Scrooge bereits vor seinem Einzug in die Walt Disney-Cartoons zum Synonym des hartherzigen Geizhalses geworden war.

Zeichentrickfassungen bieten filmisch andere Möglichkeiten als der Realfilm, aber auch eine stärkere Freiheit der Interpretation. „Die Feuersteins“ (A Flintstones Christmas Carol, (TV). Regie: Joanna Romersa. USA, 1994) ebenso wie die „Jetsons“ (A Jetson Christmas Carol (TV). o. A. USA, 1985), „Bugs Bunny“ (Bugs Bunny’s Christmas Carol (TV). Regie: Friz Freleng. USA, 1979) und „Micky Maus“ (Mickey’s Christmas Carol. Regie: Burny Mattinson, USA 1983) erhielten ihre jeweilige Version der Dickens-Geschichte auf den Leib geschrieben und gezeichnet.

3.17.1.5. Realverfilmungen von Charles Dickens’ „Weihnachtsgeschichte“

Die Analyse von zeit- und typengeschichtlich interessanten Filmen zeigt auf, dass sowohl Erzählkern als auch Rahmenhandlung einer Geschichte für die unterschiedlichsten Zwecke eingesetzt werden können. Neben typen-, zeit- wie gruppenspezifischen Verarbeitungen ist der Transport aktueller Problematik in einen bekannten Rahmen möglich.

„Scrooged“ (dt. Die Geister, die ich rief …, Regie: Richard Donner, USA 1988): In dieser besonders schrillen Version mutiert Ebenezer Scrooge zum Boss eines US-Fernsehsenders, der auf der Jagd nach Einschaltquoten über Leichen geht. Der Film ist unter anderem eine Kritik am medialen Trend, mit immer mehr Sensationen Aufsehen zu erregen.

„Carol for Another Christmas“ (TV, Regie: Joseph L. Mankiewicz. USA, 1964): Dieser Film aus der Zeit der Kuba-Raketenkrise und des Kalten Krieges wird zum Transporteur von Bildern und Ängsten rund um den atomaren Weltuntergang. Zu diesem Zeitpunkt hat die amerikanische Regierung diese Ängste mit Lehrfilmen verharmlost.

„A Diva’s Christmas Carol“ (TV, Regie: Richard Schenkman. USA, 2000): Als weibliche Version wird Ebony Scrooge, eine erfolgreiche und kaltherzige Ikone der Popszene, zum „Spirit of Christmas“ geläutert.

„Blackadder’s Christmas Carol“ (TV, Regie: Richard Boden. UK, 1988): Diese schwarze Komödie britischen Humors verkehrt die Geschichte: Der gute Sohn einer schlechten Familie wird zum Schlechtsein geläutert und – als Ironisierung des Familienfestes – in seine Familie wieder aufgenommen.

3.17.2. Langtext

3.17.2.1. Einleitung

Charles Dickens schuf mit „A Christmas Carol“[347] eine Weihnachtsgeschichte, die ihresgleichen sucht. Sie eröffnete ein neues Genre[348] und typisierte Vorstellungen, die eng mit dem Weihnachtsfest verschränkt wurden: Karitativität, Läuterung, soziale Bindungen. Diese Inhalte können auch als zeitlose moralische Forderungen angesehen werden. Dickens’ Geschichte spiegelt den Zeitgeist des frühen viktorianischen England wider. Dickens gibt damit eine realistische Schilderung der damaligen Gesellschaft und ihrer Probleme. Und gleichzeitig begründete er den Typus der läuternden Weihnachtsgeschichte, der aufzeigt, wie vergänglich alles Weltliche ist, und dass es besser ist, ein gutes und somit erfülltes Leben zu führen, als dem schnöden Mammon zu dienen und für die Missetaten an den Mitmenschen in der Hölle schmoren zu müssen.

Die hier vorliegende Kurzfassung der Seminararbeit legt das Hauptaugenmerk auf die filmischen Rezeptionen der Weihnachtsgeschichte, die sich, ebenso wie das Weihnachtsfest an sich, dem Wandel der Zeit anpassten. Jede der hier genannten und zum Teil sehr verschiedenen Verfilmungen basiert im Kern auf der Printfassung, welche im Laufe der Jahre nie ihre Gültigkeit verloren hat. Ebenso wie das Weihnachtsfest inhaltlich wie formal Veränderungen vor der Folie der Zeit durchlaufen hat, entspringen auch die filmischen Darstellungen den jeweiligen zeitlichen Gegebenheiten.

Die Verfilmungen bleiben zwar meist bei der Originalgeschichte, haben aber oft (z. B. durch das Setting) mehr Aussagekraft und Inhalt, als sie auf den ersten Blick vermitteln wollen. Alleine die Vielzahl der Verfilmungen macht die Beschäftigung mit der Materie abwechslungsreich und interessant, da diese die unterschiedlichsten Betrachtungsweisen zulassen. Daher könnten die verschiedenen filmischen Repräsentationen der Weihnachtsgeschichte als Grundlage für eine filmhistorische Betrachtung dienen, in welcher die technische Entwicklung der bewegten Bilder unter die Lupe genommen wird. Genauso interessant wäre die inhaltliche Analyse, die sich auf die Veränderungen des Plots konzentriert. Auch eine Untersuchung der Kulissen in ihrem filmhistorischen Umfeld wäre erkenntnisreich.

3.17.2.2. Kurzer historischer Überblick über Dickens’ frühviktorianisches England

Charles Dickens’ Weihnachtsgeschichte ist nicht nur ein zeitloses Werk der Literaturgeschichte. Sie spiegelt einerseits die Moral und den Zeitgeist des Pietismus und ist andererseits Spiegel der sozialen Umstände im damaligen britischen Empire. Die Entstehungszeit des Stoffes wird mit Oktober bis November 1843 angegeben. Er entstand somit im selben Jahrhundert wie Bram Stokers „Dracula“, ein Werk, welches im Gegensatz zu „A Christmas Carol“ die Gesellschaft nur indirekt beschreibt. Hauptsächlich durch seine Symbolik kritisiert es die teils sehr stark von Doppelmoral gekennzeichnete Oberschicht. Zwischen den beiden Werken liegt jedoch mehr als ein halbes Jahrhundert, was den Vergleich hinsichtlich der gesellschaftlichen Beschreibungen als gewagt erscheinen lässt, da „Dracula“ erst gegen Ende der Regentschaft Victorias veröffentlicht wurde. Dickens geht kritischer auf die Diskrepanzen zwischen den Klassen ein und zeigt die sozialen Unterschiede auf.

Die „viktorianischen Jahre“[349] – benannt nach der Regentschaft von Queen Victoria (1837–1901) – waren eine Zeit der Expansion: Technisierung und Kolonialherrschaft ermöglichten den Ausbau von staatlicher Repräsentation, Gesundheitswesen, Macht und Kultur. Eine gewisse Technikverliebtheit machte sich breit. Nachdem in Irland eine Hungersnot um sich gegriffen hatte, weigerte sich Queen Victoria, nach dem Tod ihres Gatten Prinz Albert (1861) eine andere Farbe als Schwarz anzuziehen. Sie setzte damit einen Trend zwischen Morbidität und Pathos, der bald zur allgemeinen Mode avancierte und die viktorianische Mentalität prägte.

Erste feministische Auftritte und die Organisation von Arbeitern in Gewerkschaften gingen damit Hand in Hand und suchten das „industrielle Problem“ und die „Frauenfrage“ zu mildern. Die Religion erfuhr eine Absage, die Gesellschaft wurde zunehmend säkularisiert. Obwohl Queen Victoria ihrem Gatten neun Kinder gebar, sagte man, sie habe Kinder gehasst. Dennoch wurde sie zum Vorbild der Mütterlichkeit stilisiert, ebenso wie sie Gallionsfigur von Fortschritt, Wohlstand und bürgerlichem Zeitalter war. Die Industrialisierung wurde zum schnell wachsenden Wirtschaftszweig des Jahrhunderts. Das Elend der Arbeiterviertel und Kinderarbeit gehörten zur Tagesordnung. Die Kluft zwischen Ober- und Unterschicht vergrößerte sich stetig.

Im frühen 19. Jahrhundert wurde der Weihnachtsbaum auch in England eingeführt. Spätestens nachdem Prinzgemahl Albert (von Sachsen-Coburg und Gotha) einen großen Baum in Schloss Windsor dekoriert hatte, um sich an die Weihnachtsfeiern in seiner deutschen Heimat zu erinnern, setzte sich diese „Tradition“ als weihnachtlicher Fixpunkt durch. Das bürgerliche Bild des Weihnachtsfestes als Fest des Friedens und der Familie unter dem Weihnachtsbaum wurde damit ins englische Kolonialreich übertragen. Und bis heute gehört es zur populären Selbstdarstellung der königlichen Familie, sich beim gemeinsamen Schmücken des Christbaumes vom Fernsehen filmen zu lassen. Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts war der erste in Massenfertigung erzeugte Christbaumschmuck erhältlich – hergestellt von jenen Menschen in den Elendsvierteln, denen zu helfen Ebenezer Scrooge in der „Weihnachtsgeschichte“ nicht bereit ist. Weihnachten wurde auch im Empire zum Familienfest, zu dem die Kinder der Oberschicht, die oft in entfernten Internatsschulen untergebracht waren, nach Hause kamen.

3.17.2.3. „A Christmas Carol“ – eine Zusammenfassung des Inhalts

Charles Dickens’ „Carol“, zu deutsch „Ein Weihnachtsmärchen“ bzw. „Eine Weihnachtsgeschichte“, ist Weltliteratur. Das Schicksal von Klassikern, die häufig als Ausschnitt in Anthologien stehen und im Schulunterricht „abgehandelt“ werden, ist, dass sie zu den bekannten, aber nicht unbedingt gelesenen Büchern zählen. Zur Einführung oder Auffrischung folgt nachstehend eine Darstellung des Inhalts.

In der Originalform von Dickens dreht sich alles um Ebenezer Scrooge, einen einsamen Menschenfeind der schlimmsten Sorte. Er kümmert sich ausschließlich um Erhalt und Vermehrung seines Reichtums. Die Interessen seiner Mitmenschen lassen ihn völlig kalt. Scrooge entspricht dem Klischee von „Oberschicht“ und „Unternehmer“ jener Zeit, ist asozial, hartherzig und der schlimmste Ausbeuter seiner Angestellten. Zu Weihnachten erhält er Besuch von seinem vor sieben Jahren verstorbenen Partner Jacob Marley, einst ein ebenso unangenehmer Zeitgenosse wie er selbst heute. Dieser ist allerdings mittlerweile geläutert, da er im Nachleben für seine Sünden büßen muss. Da er Scrooge dasselbe Schicksal ersparen will, bereitet er diesen darauf vor, dass er in Kürze von drei Geistern – der vergangenen, der gegenwärtigen sowie der zukünftigen Weihnacht – Besuch erhalten wird. Nach Ebenezers anfänglicher völliger Ablehnung der Geister sind diese schließlich erfolgreich und er erkennt sein fehlerhaftes Verhalten. Der Geläuterte schafft sich Ersatz für fehlendes Familienglück, indem er schlussendlich zum Freund des von ihm gequälten Angestellten Bob Cratchit und dessen Familie wird.

Damit hat Dickens die Läuterungs- und „Heile Welt“-Geschichte geschaffen. Der Inhalt ist auf die neuen bürgerlichen Ideale von sozialem und moralischem Verhalten gegenüber niedrigeren Gesellschaftsschichten (die als solche systemimmanent als wirtschaftlich und sozial notwendig angesehen wurden) und das „wahre“ Glück in der Kleinfamilie zugeschnitten. Die neue Bedeutung des Weihnachtsfestes als sozialer Zeit kommt darin zum Tragen. Gleichzeitig erhält der Weihnachtsabend als säkulares Fest eine neue pseudoreligiöse Bedeutung.

3.17.2.4. Die verschiedenen filmischen Repräsentationen

Im Laufe der Filmgeschichte hat sich eine Vielzahl an Verfilmungen des Klassikers von Charles Dickens angenommen. Nachstehend werden einige der zeit- und typengeschichtlich interessanteren Filme als Fallbeispiele vorgestellt. Auf eine chronologische Reihenfolge wurde zugunsten der inhaltlichen Vergleiche verzichtet. Die Beispiele sollen zeigen, dass der Kern einer Geschichte für die unterschiedlichsten Zwecke eingesetzt werden kann. Interessant wäre eine Untersuchung der jeweils zeittypischen Vorstellungen des viktorianischen England.

3.17.2.4.1. Ausblick auf die Fülle der hier nicht besprochenen Filme

Nicht alle filmischen Umsetzungen der Materie waren innovativ, ein großer Teil ist reine Wiedergabe der Originalgeschichte. So ist eine Analyse in erster Linie vom filmwissenschaftlichen Standpunkt her interessant, da viele Adaptionen das viktorianische England und die Gepflogenheiten der Menschen durch die Brille des Filmumfeldes so getreu wie möglich wiederzugeben versuchen. „Ein Baum ist ein Baum und ein Berg ist ein Berg“, hat F. W. Murnau festgestellt, als er aus Bram Stokers Nachlass die Rechte für die Verfilmung des Romans „Dracula“ nicht erhielt. Er ließ sich dadurch nicht abhalten, eine Dracula-Version zu filmen, taufte seine Charaktere um und ersetzte das viktorianische England durch das Deutschland der Biedermeierzeit.

Das oben angesprochene Zitat und der implizierte Vergleich mit „A Christmas Carol“ mögen zwar ein wenig weit hergeholt klingen, sollen jedoch unterstreichen, dass filmische Umsetzungen ein- und desselben Stoffes oft in eine gewisse Eintönigkeit abrutschen: Murnau hebt mit seiner Aussage hervor, dass, wenn man ein Setting gesehen hat, man auch bereits viele ähnlich geartete kennt. Ebenso verhält es sich mit den „klassischen“ Verfilmungen der Weihnachtsgeschichte. Es bleibt eine Stadt in England, Mitte des 19. Jahrhunderts, und auch die Kostüme verändern sich von Film zu Film nur unwesentlich, da viele der Regisseure einfach eine „originalgetreue Wirklichkeit“ wiedergeben wollen.

Was bleibt nun in solchen Wiederaufnahmen zu untersuchen? Einerseits mag durchaus der schauspielerische Einsatz der verschiedenen Darsteller bewertet werden, andererseits lässt sich jeder der Filme in Bezug auf die filmische Entwicklung hin betrachten, da z. B. eine „steinalte“ Schwarz-Weiß-Fassung aus dem Jahre 1901 (Scrooge, or Marley’s Ghost. R: Walter R. Booth. UK, 1901) selbstverständlich nicht über die technischen Möglichkeiten einer Verfilmung rund um die Jahrtausendwende verfügen kann. Was blieb dem Regisseur damals anderes übrig, als dem Film und den Schauspielern gekonnt durch Einsatz von Licht und Schatten ein interessantes Erscheinungsbild zu verleihen? Im Laufe der Jahre verbesserten sich Technik (Kameraführung, Schnitt, Special Effects) und schauspielerischer Ansatz, was eine intensivere Darstellung der Figuren (z. B. die des Geistes von Scrooges ehemaligem Geschäftspartner Marley) ermöglicht. Was im Vergleich zu heutigen Filmen oft als pathetisch und kindisch angesehen wird, ließ dem damaligen nicht mediengewandten Publikum angenehme Schauer über den Rücken laufen.

3.17.2.4.2. Animierte Versionen des Klassikers

Die sogenannten Zeichentrick-Versionen der Weihnachtsgeschichte wollen den von manchen als „altmodisch“ und „moralisierend“ eingeschätzten Kern der Geschichte an jüngere Menschen vermitteln. Die Produzenten übertragen eine klassische Erzählung in ein modernes Medium, wobei jedoch viele dieser Versionen unspektakuläre Filme fürs Weihnachtsrepertoire ohne besonderen Anspruch sind. Durch den Erfolg der Cartoons wurde die „Weihnachtsgeschichte“ für weitere Generationen und über den geografischen Entstehungsraum hinaus für eine größere Zahl von Menschen popularisiert. Die erste Zeichentrick-Repräsentation stammt aus dem Jahr 1962 (Mr. Magoo’s Christmas Carol (TV). R: Abe Levitow. USA, 1962). In ihr schlüpft der halbblinde und überaus tollpatschige Mr. Magoo in die Rolle des Geizhalses.

Realverfilmungen wie animierte „Carols“ suchen den Bezug zur Gegenwart. Die Bedeutung von Dickens’ Weihnachtsgeschichte als Standard und Requisit des englischen und amerikanischen Weihnachtsfestes wird daraus ersichtlich. So werden auch die Protagonisten immer wieder von neuen erfolgreichen Figuren der Zeichentrickgeschichte verkörpert – das heißt, „A Christmas Carol“ wird in vorhandene Serien integriert und gehört zu den „Musts“ im jahreszeitlichen Repertoire. Einer der wohl markantesten Charaktere ist der gute alte Dagobert Duck. Er verkörpert nicht nur in der Weihnachtsversion Scrooge (Scrooge McDuck and Money. R: Hamilton Luske. USA, 1967), vielmehr lautet sein Name im englischen Original Scrooge McDuck, was deutschsprachigen Lesern der Micky Maus-Hefte kaum bekannt ist. Das bedeutet aber, dass Scrooge bereits vor seinem Einzug in die Walt Disney-Cartoons zum Synonym des hartherzigen Geizhalses geworden war.

Zeichentrick-Fassungen bieten den Regisseuren im Vergleich mit Realfilmen mehr Möglichkeiten in der Umsetzung und Darstellung. Sie erlauben auch eine wesentlich stärkere Freiheit in der Interpretation der Geschichte. „Die Feuersteins“ (A Flintstones Christmas Carol (TV). R: Joanna Romersa. USA, 1994) bemühten sich um eine bessere Gesellschaft im Sinne einer moralischen Aufwertung, wie sie Ebenezer Scrooge zuteil wurde, ebenso wie die „Jetsons“ (A Jetson Christmas Carol (TV). o. A. USA, 1985), „Micky Maus“ (Mickey’s Christmas Carol. R.: Burny Mattinson, USA 1983) oder „Bugs Bunny“ (Bugs Bunny’s Christmas Carol (TV). R: Friz Freleng. USA, 1979). Alle diese Trickfilm-Charaktere erhielten ihre Version der Dickens-Geschichte auf den Leib geschrieben und gezeichnet.

3.17.2.4.3. Realverfilmungen

In dieser Kategorie finden sich hochinteressante und abwechslungsreiche Filme. Manche dieser Filme, in der Bandbreite von „anspruchsvoll“ bis „trivial“, zeichnen sich durch Witz, Neuartigkeit der Interpretation bzw. der Adaption aus und transportieren neben dem Inhalt weitere Aussagen.

3.17.2.4.3.1. Scrooged (dt. Die Geister, die ich rief …), R: Richard Donner. USA, 1988

In dieser relativ modernen und besonders schrillen Version verkörpert Bill Murray eine ähnliche Rolle wie Ebenezer Scrooge. Er ist der Boss eines US-Fernsehsenders und geht mit seiner Jagd nach Einschaltquoten buchstäblich über Leichen. Er wird ebenso geläutert wie sein Vorbild in Dickens’ Buch. Was diese Version so interessant macht, sind die Anspielungen auf die immer rauer werdenden Sitten im täglichen Wettbewerb der Film- und TV-Industrie. Eine Szene zu Beginn des Filmes macht dies besonders gut anschaulich. Murray sitzt mit seinem Vorstands-Team am runden Tisch und diskutiert die neuesten Trailer für die geplante Weihnachtsshow. Er lamentiert über die fehlende Würze und zeigt seine eigene Schnittfassung, die an Brutalität nicht zu überbieten ist. Eine Kritik am medialen Trend, der auf der Jagd nach Sensationen und besten Einschaltquoten mit immer mehr Konventionen bricht. Diese Version hat ihre Aktualität durch „Gewalt-TV“ und die harten Varianten des „Reality-TV“ beibehalten.

3.17.2.4.3.2. Carol for Another Christmas (TV). R: Joseph Mankiewicz. USA, 1964

Was „Carol für Another Christmas“ besonders hervorhebt, ist seine zeitliche wie inhaltliche Nähe zur Kuba-Raketenkrise und somit seine thematische Beziehung zum Kalten Krieg. Nie zuvor stand die Welt näher am Abgrund zum Dritten Weltkrieg und der völligen Vernichtung. Charles Dickens’ Weihnachtsgeschichte wird hier zum Transporteur von Bildern und Ängsten aus der Ära des Kalten Krieges, zu einem Zeitpunkt, als die amerikanische Regierung mit Lehrfilmen wie „Duck and Cover“ die Menschen zu überzeugen versuchte, dass die Folgen einer atomaren Explosion durch Hinhocken und Die-Hände-über-dem-Kopf-Falten überstanden werden könnten. Rod Serling schuf in dieser Fassung einen Vater, dessen Sohn in Erfüllung seines Dienstes zu Weihnachten 1944 gefallen ist – ein Verlust, über den der Vater nicht mehr hinwegkommt. Auch er erhält die Besuche von den Geistern der vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Weihnacht, wobei ihm besonders letzterer – als Trost nach dem Tod des Sohnes – ein zukünftiges Horrorszenario in einer völlig zerstörten Landschaft aufzeigt. Dieser Film wurde für das amerikanische Fernsehen im Auftrag von UN und Xerox produziert, verschwand jedoch sofort nach seiner ersten Ausstrahlung in den Archiven einer nicht näher genannten Filmschule.

3.17.2.4.3.3. A Diva’s Christmas Carol (TV). R: Richard Schenkman. USA, 2000

Vanessa L. Williams verkörpert die weibliche Version in der Figur der Ebony Scrooge, einer ebenso erfolgreichen wie kaltherzigen Popsängerin, die für die Erreichung ihrer Ziele rücksichtslos nicht nur ihre Ellbogen einsetzt. Erst als ihr die Geister der Weihnacht den „Spirit of Christmas“ einhauchen, besinnt sie sich und kehrt (vermutlich) auf den rechten Weg zurück. Der Aspekt der Gleichberechtigung zieht verspätet in die Verfilmungen der „Weihnachtsgeschichte“ ein und gibt wohl dem derzeit (nicht nur) in Amerika latenten Misstrauen der Männer gegenüber der beruflich engagierten, selbstbewussten Frau der Jahrtausendwende Ausdruck. Hatten wir es in früheren Versionen mit einem verbitterten alten Mann zu tun, werden wir nun von einer arroganten Frau – Ikone der Unterhaltungsbranche und negatives Klischeebild der Karrierefrau – durch die Geschichte geführt, die ihrem männlichen Gegenstück um nichts nachsteht.

3.17.2.4.3.4. The Muppet Christmas Carol (dt. Die Muppets Weihnachtsgeschichte), R: Brian Henson. USA, 1992

Obwohl sich diese Fassung durch die berühmten Puppen aus Hensons Puppenkiste deutlich von den anderen Realverfilmungen abhebt, soll sie dennoch an dieser Stelle Erwähnung finden. Michael Caine verkörpert Scrooge und muss sich mit allerlei „Getier“ abgeben, bevor er von den Geistern bekehrt werden kann. Diese Fassung ist vom humoristisch-karikaturistischen Kult um die „Muppet Show“, der sich über viele Jahre hinweg bis heute gehalten hat, geprägt. Die Puppen unterliegen „menschlichen“ Gesetzmäßigkeiten und geben dem zeitlosen Kern der Geschichte eine trendige, witzige Hülle. Sie bieten mit ihren zum Teil sehr befremdlichen Charakteristiken eine gelungene und nur vordergründige Abkehr von den Problemen unserer Zeit.

3.17.2.4.3.5. Blackadder’s Christmas Carol, (TV). R: Richard Boden. UK, 1988

Rowan Atkinson setzt mit seiner Art der Komödie die Tradition schwarzen britischen Humors fort, der dem Betrachter längst von der Komikertruppe Monty Python nähergebracht wurde. Hier kommt die Geschichte zu einem unerwarteten Ausgang. Der Geist der Weihnacht entschließt sich, einen Zeitgenossen zu besuchen, welcher nicht bekehrt werden muss, da er von Haus aus mehr als gutartig ist. Clou der Geschichte ist allerdings – ähnlich wie in „The Addams Family“ – dass der Gute das „schwarze Schaf“ seiner Familie ist. Als ihm der Geist seine Ahnen zeigt, zieht er völlig gegensätzliche Schlüsse und verändert sein Leben von Grund auf, wird böse und versündigt sich dadurch. Karikatur des Weihnachtsfestes als Symbol der heilen Familie und Karikatur der Familie an sich? Durch seine neu gewonnene Schlechtheit wird er in den Kreis seiner Familie aufgenommen. Diese Verfilmung ist wohl eine der am stärksten abgewandelten und kann als humoristische Einlage in die „Ablenkungsbibliothek“ (also die Sammlung der den Sinn der Originale verkehrenden Fassungen) des englischen Humors aufgenommen werden. Und wer außer den Engländern wäre besser geeignet, eine spitzzüngige humorvolle Auseinandersetzung mit der Thematik zu meistern?

3.17.2.5. Ausklang

Die angeschnittenen Filme beziehen zu den unterschiedlichsten geschichtlichen und/oder sozialen Gegebenheiten Stellung. Werden bei den „Feuersteins“ noch neue technische Errungenschaften als bereits in der Steinzeit vorhandene Gerätschaften gezeigt (welche meist mithilfe irgendwelcher Tiere betrieben wurden), so kommt es bei den Filmen der „Muppet-Show“ zu einer stark musikalisierten Version, die einerseits die Geschichte näherbringt, andererseits aber die Realität hinter dicken Kostümen versteckt. „Blackadder“ verleitet zum bösartigen Schmunzeln, so wie uns eine bildhafte Umsetzung vom Ende der Welt nachdenklich stimmen mag.

All diese Rezeptionen transportieren Gedanken ihrer Zeit, erfüllen für sich einen Zweck, und wenn es nur die Ablenkung vom Alltag ist. Allerdings sollte dabei nie vergessen werden, dass ein Film von den Einflüssen des Regisseurs und damit von einer individuellen Verarbeitung zeitspezifischer Gesellschafts- wie Kunstströmungen geprägt wird und nicht ausschließlich der fiktive Gehalt einer Geschichte im Vordergrund steht. Auch alltägliche Realität wird als Wirklichkeit des Films transportiert, kommentiert, karikiert oder kritisiert.

Die vielen Produktionen in der Folge von Dickens’ „A Christmas Carol“ zeigen einen steten Wandel des Konsumations-Verhaltens. Fernsehen – für Kinder in Erwartung des Christkindes bzw. mit der ganzen Familie als gemeinsames wohliges Nichtstun – ist längst Teil des Weihnachtsfestes geworden. Das Programm der Weihnachtsfeiertage greift Themen auf, die in der jeweiligen Gesellschaft der Zuseher als „passend“ für das Weihnachtsfest erachtet werden. Mit den Dickens-Verfilmungen wird der Kern der „Weihnachtsgeschichte“ als standardisierter Inhalt des Weihnachtsfestes in stets neuen zeit-, stil- oder zielgruppentypischen Varianten transportiert. Charles Dickens’ Textgrundlage führt zu einer gewissen Standardisierung, ist aber selbst keineswegs zum Requisit geworden. Ganz anders etwa als der Film „The Sound of Music“[350], der zum stets unveränderten und unabdinglichen Weihnachtsrepertoire (nicht nur) amerikanischer Familien und ihrer Sehnsucht nach „Familie“ und „heiler Welt“ gehört und damit zur Ikone amerikanischer Alltagskultur und Weihnachtsstimmung wurde.



[348] Vgl.: [Srowig 1999]. – [Niedhart 1987], S. 15–114.

[349] Vgl. [Schwanitz 1996], S. 326–352 und S. 358–374. – [Morgan 1997], S. 423–430 und S. 441–454.

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