Herr Pfarrer, Sie stehen nun seit 30 Jahren der von Ihnen aufgebauten Pfarre St. Vinzenz Pallotti in Salzburg-Lehen vor und sind im Jahre 2002 für Ihre Arbeit mit dem Goldenen Ehrenzeichen des Landes ausgezeichnet worden. Sie haben Ihr Amt stets als eine spirituelle und soziale Aufgabe verstanden und Brücken geschlagen zwischen Alten und Jungen, Ansässigen und Zuwanderern, Christen und Nichtchristen. Logo und Motto ihrer Pfarre lauten: „Zelt Gottes unter den Menschen“. Welche Notwendigkeiten erfordert katholisches Gemeindeleben in einer Stadtpfarre heute?
Als ich vor 30 Jahren diese Gemeinde übernommen habe und zum ersten Mal vor dieser Kirche gestanden bin – dem sogenannten „Zelt Gottes unter den Menschen“ –, war ich von diesem Bau fasziniert und ich sah von Anfang an meine Arbeit darin, den Menschen in diesem Zelt Gottes Heimat zu geben. Die Pfarre war damals strukturiert wie jede andere Pfarre auch; es gab die Gottesdienste für Samstag und Sonntag sowie zwei an den Wochentagen. Ansonsten war das Gemeindeleben fast ausschließlich nur auf den Gottesdienst konzentriert. Mein Anliegen als Pallottiner war es, die Laien mit in die katholische Kirche – wie es Idee des heiligen Vinzenz Pallotti gewesen ist – zu integrieren und aufzunehmen.
Eine große Hilfe waren mir dabei meine Mitbrüder, die Anfang 1974 eine sogenannte Dialogmission hier in Lehen, in Mülln und im Landeskrankenhaus gehalten haben. Es ging darum, das Wort Gottes sowohl in der Kirche als auch im außerkirchlichen Raum zu verkünden. Das war auch der Anfang und Aufbau vieler Gruppen, Kreise und Runden – hier konkret in unserer Gemeinde. So ist es eben das Anliegen des Gründers unserer Gemeinschaft, des Heiligen Vinzenz Pallotti, dem ich mich bis auf den heutigen Tag verpflichtet fühle.
Ich selbst bin ein Mensch, der gerne auf Menschen zugeht und nicht darauf schaut, welchen Standes sie sind und welche Konfession sie haben. Für mich zählt zunächst einmal die Begegnung mit dem Menschen – sei er jung, sei er alt, sei er krank oder gesund. Und das hat sich durchgezogen in meiner 30-jährigen Tätigkeit als Pfarrer hier von Lehen. Das scheint auch der Grund gewesen zu sein, warum ich Ende vorigen Jahres mit dem Verdienstzeichen des Landes Salzburg ausgezeichnet worden bin, weil ich einfach versucht habe, dieses Miteinander in den Vordergrund zu stellen und hier ganz konkret aufzubauen.
Aber auch die Menschen sind auf mich zugegangen. Da möchte ich auch den Kameradschaftsbund in Lehen erwähnen, der mich gefragt hat, ob ich nicht bereit bin, Mitglied zu werden. Und ich bin damals bei der ersten Generalversammlung 1972, die im Salzburger Hof stattgefunden hat, Mitglied dieses Kameradschaftsbundes geworden. Ich feiere auch jedes Jahr mit dem Kameradschaftsbund einen eigenen Gottesdienst für die Vermissten, für die Gefallenen. Und dann vor allem an Weihnachten, nach unserer Kindermette, trifft sich der Kameradschaftsbund zum Gedenken an die Verstorbenen beim Ehrenmal für die Gefallenen und für die Vermissten.
Zu den Traditionen Ihrer Pfarre gehören viele öffentliche Angebote an Festen und Feiern: vom Faschingsball bis zum Kreuzweg am Karfreitag in der Ignaz-Harrer-Straße, von der Fronleichnamsprozession mit dem anschließenden Gemeindefest bis zur Messe in den Katakomben. Weiters zählen dazu: Kinderfeste, Elisabeth- und Muttertagsfeiern ebenso wie die Rorate mit gemeinsamem Frühstück. Wie lassen sich katholische Rituale und daraus entwickelte Volksbräuche mit den Feiergewohnheiten einer vielschichtigen modernen Gesellschaft verbinden?
Gerade diese genannten Angebote scheinen mir ja sehr, sehr wichtig zu sein, dass man alle Bereiche mit in das seelsorgliche Bestreben einer Gemeinde hineinnimmt. Angefangen vom Faschingsball, bei dem es jedes Jahr sehr lustig bei uns zugeht, bis auch hinein in Aktionen, von denen wir glauben, dass sie auch heute noch eine Gültigkeit haben. Hier möchte ich ganz bewusst den Kreuzweg am Karfreitag in der Ignaz-Harrer-Straße und vor dem Interspar ansprechen, wo ungefähr 40, 50 oder auch 60 Leute hinausziehen um 15.00 Uhr, um die Leute, die dort vorbeigehen, vorbeifahren oder zum Einkaufen gehen, in ihrer Hektik darauf aufmerksam zu machen, dass am Karfreitag um 15.00 Uhr Jesus für uns am Kreuz gestorben ist und uns dadurch erlöst und das Heil gebracht hat. Viele bleiben stehen, bekreuzigen sich, mit manchen kommt man auch ins persönliche Gespräch. Und was mich vor allem immer wieder freut, ist die Tatsache, dass Menschen, die vielleicht lange der Kirche fern gestanden haben oder sogar von der Kirche ausgetreten waren, sich plötzlich wieder darüber Gedanken machen und sich durch dieses Zeugnis daran erinnern, dass sie selbst einmal zur Gemeinschaft der Glaubenden gehört haben. Durch diese Aktion haben auch schon einige wieder den Weg zurück in die Kirche gefunden.
All die anderen Feste, die wie hier in der Gemeinde feiern, dienen dazu, den Leuten, die in den verschiedenen Gruppen, Kreisen und Runden da sind, einfach zu zeigen und zu sagen: „Wir gehören zusammen, wir gehören in der Fröhlichkeit zusammen, wir gehören im Gebet zusammen, ja, wir gehören auch in der Trauer zusammen“. Vor allem auch das sogenannte Rorate mit dem gemeinsamen Frühstück, das bei uns einmal in der Woche vor dem Weihnachtsfest stattfindet, ist ein alter Brauch, der früher vor allem am Land erhalten geblieben ist und in der Stadt wieder aufgegriffen wurde. Es wurde von uns ganz bewusst in diese frühe Morgenstunde – um 5.15 Uhr – hineingestellt. Viele Leute freuen sich über den Weg zur Kirche, die nur matt erleuchtet ist, über einen vielleicht verschneiten Weg, der noch nicht begangen ist. Dann über das gemeinsame Meditieren und Singen, vor allem über das gemeinsame Frühstück – und vom Frühstück gehen sie dann zur Arbeit. Es werden jedes Jahr mehr, die zu diesem Gottesdienst kommen. Dieses Jahr waren es beim ersten Mal 150, beim Frühstück waren es fast 100 Leute. Und somit wird langsam auch ein Fest vorbereitet, was mir persönlich ganz, ganz wichtig ist.
Sie haben eine Stadtpfarre neu begründet, in der viele Zuwanderer leben und viele Familien nur eine kurze Station ihres Lebens verbringen. In ihrer Pfarre haben sich daher auch neue Sitten, Bräuche, Rituale im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils entwickelt. Was raten Sie Menschen in einer mobilen Gesellschaft, die nach dem Sinn ihres Lebens und dafür geeigneten täglichen Sitten und Formen suchen?
Ja, in diesen 30 Jahren, wo ich jetzt konkret in dieser Gemeinde bin, waren wir vor allem am Anfang eine sehr, sehr junge vitale Gemeinde. Wir haben damals 200 Erstkommunionkinder gehabt und ungefähr 150 Firmlinge. In Lehen war damals der Bevölkerungsanteil von österreichischen Bürgern überwiegend. In der Zwischenzeit hat sich aber das Bild gewaltig geändert. Unsere Pfarre ist älter geworden, viele der Jüngeren waren nur eine gewisse Zeit hier ansässig – in den Wohnblocks, in den Häusern. Die Mieten waren ihnen zu teuer, sie konnten sie nicht zahlen und mussten so eben nach neuen Wohnmöglichkeiten Ausschau halten. Diese Leute haben sehr bedauert, dass sie wieder wegziehen mussten, denn sie hatten eine gewisse Beheimatung gefunden in der Kirche durch diese verschiedenen Aktionen, die wir nun von der Gemeinde aus für die Leute gemacht haben, vor allem auch vom Kindergarten her. Und was heute noch bezeichnend ist, dass viele dieser Leute zu diesen Festen, die wir feiern, immer noch nach Lehen in unsere Pfarre kommen.
Und was das Zweite Vatikanische Konzil angeht; hier sind die Ideen des Heiligen Vinzenz Pallotti verwirklicht, der 1835 eine Gemeinschaft gegründet hat, die das Ziel hatte, dass jeder Getaufte für diese Kirche, zu der er gehört, mitverantwortlich ist, wie wenn er selbst diese Kirche gegründet hätte und dass ein jeder an dem Ort, an dem er ist, arbeitet und lebt, letzten Endes Künder und Zeuge für das Reich Gottes ist. Und das ist letzten Endes auch die Chance, die ich sehe, in unserer heutigen mobilen Gesellschaft, wo es sehr viele spirituelle Aufbrüche und Erneuerungen gibt, dass für alle irgendeine Gruppierung abseits da ist, wo ein jeder sich einbringen, sich beheimatet fühlen kann. Wichtig scheint mir aber natürlich auch zu sein, bei allen diesen Dingen die Freiheit zu wahren, die der Einzelne in der Auswahl seines religiösen Lebens und seiner Frömmigkeit und seiner Verwirklichung an den Tag legt.