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2.4. Alles hat seine Zeit (Johannes Neuhardt)

2.4.1. Kurztext

2.4.1.1. Alles hat seine Stunde

Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit:

eine Zeit zum Gebären / und eine Zeit zum Sterben, / 
eine Zeit zum Pflanzen / und eine Zeit zum Abernten der Pflanzen,
eine Zeit zum Töten / und eine Zeit zum Heilen, / 
eine Zeit zum Niederreißen / und eine Zeit zum Bauen,
eine Zeit zum Weinen / und eine Zeit zum Lachen, /
eine Zeit für die Klage / und eine Zeit für den Tanz;
eine Zeit zum Steinewerfen / und eine Zeit zum Steinesammeln, / 
eine Zeit zum Umarmen / und eine Zeit, die Umarmung zu lösen,
eine Zeit zum Suchen / und eine Zeit zum Verlieren, / 
eine Zeit zum Behalten / und eine Zeit zum Wegwerfen,
eine Zeit zum Zerreißen / und eine Zeit zum Zusammennähen, / 
eine Zeit zum Schweigen / und eine Zeit zum Reden,
eine Zeit zum Lieben / und eine Zeit zum Hassen, / 
eine Zeit für den Krieg / und eine Zeit für den Frieden.

Aus dem Buch Kohelet im Alten Testament (Koh 3,1–8)

2.4.1.2. Von der Zeit und den Zeiten

Es gibt nicht nur eine Zeit, es gibt deren viele. Es gibt die Zeit, die läuft und die ich nicht stoppen kann, denn unentwegt tickt die Uhr. Ich kann diese Zeit nur nach vorwärts leben und nach rückwärts verstehen. Wenn der Mensch auch Grund, Geld und Wissen horten und speichern kann, so entzieht sich die Zeit seiner Beherrschung. Niemand kann aussteigen aus oder Urlaub nehmen von der Zeit.

Neben bedeutsamen Zeitpunkten, die auf dem Zeitstrang liegen, gibt es auch die „Ge-zeiten“: den Jahreskreis, Ebbe und Flut, den Sonnenlauf. Manche Kulturen stellen sich die Zeit nicht als Linie vor, sondern als Rad, das sich unentwegt dreht und welches das Unterste wieder nach oben bringt. Das immer Gleiche kehrt wieder.

Die lineare, die „fallende“ Zeit arbeitet gegen mich, bringt mich jeden Tag dem Grab einen Schritt näher. Neben der „fallenden“ Zeit gibt es die Zeit des Heiles. Beide Zeiten überlappen sich, wenn sich ein Mensch zur Nachfolge Jesu entschließt und in der Taufe ein neuer Mensch wird. Denn dann kann er sagen: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“ (NT, Gal 2,20)

Die Zeit wird zur ständigen Bereitschaft: „Jenen Tag und jene Stunde kennt niemand, auch nicht die Engel im Himmel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater.“ (NT, Mt 24,36). Die Zeit wird zur Brücke zwischen der Schöpfung der Welt und ihrer Vollendung am Ende der Zeiten.

2.4.1.3. Der Zusammenhang von Fest und Zeit

Tage, Wochen verfliegen! Es ist höchste Zeit! Die Zeit drängt! Ich habe keine Zeit! Das Befreien von der Zeit – das geschieht im Fest. Wir freuen uns, wenn wir mit den Bräuchen des Jahreskreises Zeitpunkte feiern können, denn Feste sind glanzvolle Höhepunkte inmitten des Alltages.

Ob auf einem Fest Stimmung aufkommt, Langeweile herrscht oder das Fest als Pflichtübung wahrgenommen wird, das hängt nicht von der guten Vorbereitung ab, sondern ist das Geheimnis des Festes. Wir haben es nicht in der Hand, das Fest wird oder es wird nicht. Wir können durch unsere Bräuche nur bis zur Schwelle gelangen, aber darüber steigen – da muss uns jemand anderer die Hilfe anbieten. Wir sollen im Fest erleben, dass in einer Zeit, in der man alles für Geld haben kann, das Entscheidende nicht käuflich ist, nämlich das Leben. Ich kann es mir nur schenken lassen.

Wenn wir in dieser hektisch gewordenen Zeit, wo wir im Internet in Bruchteilen von Sekunden Nachrichten über die ganze Welt senden können, Oasen der Stille und Freiräume für unser Leben brauchen, dann werden wir solchen Fixpunkten des Feierns wieder mehr Beachtung schenken müssen. Wir brauchen nicht eine Beschleunigung, sondern eine „Entschleunigung“ unserer Zeit, damit wir durchatmen und über den Sinn unseres Lebens nachdenken können. Zeit-empfindlich müssen wir also werden, wenn wieder alles „seine Zeit“ bekommen soll.

2.4.2. Langtext

In den folgenden Zeilen wollen wir uns über die Zeit unterhalten. Jeder Brauch, jede Hoch-Zeit bedarf der festen Punkte und des Rückblicks auf die Entstehung dieser Sitten und Bräuche, denn viele Menschen wissen nicht mehr, warum eigentlich an bestimmten Punkten im Jahreslauf innezuhalten ist. „Von der Botschaft, die durch die Lande ging, summt noch das Volk“, hat der deutsche Dichter Wilhelm Gössmann (geb. 1926) unlängst zu seinem 75. Geburtstag gesagt. Das Volk summt zwar noch, aber der Mund, von dem die Botschaft ausging, scheint in eine fremde Welt hineinzusprechen. So wollen wir über die Zeit nachdenken und über den Sinn dessen, dass wir eingespannt sind in den Ablauf bestimmter Zeitläufe.

„Was also ist die Zeit? Wenn mich niemand darüber fragt, so weiß ich es; wenn ich es aber jemandem auf seine Frage erklären möchte, so weiß ich es nicht. Das jedoch kann ich zuversichtlich sagen: Ich weiß, dass es keine vergangene Zeit gäbe, wenn nichts vorüberginge, keine zukünftige, wenn nichts da wäre. Wie sind nun jene beide Zeiten, Vergangenheit und Zukunft, da jedoch die Vergangenheit nicht mehr ist und die Zukunft noch nicht ist?“ (Aurelius Augustinus, Kirchenlehrer; geb. 354, gest. 430)

Geht es uns nicht oft so, wie es dem heiligen Augustinus ergangen ist? Gibt es das überhaupt – die Zeit? Wenn ich glücklich bin, so möchte ich, dass die Zeit stehen bleibt, denn „alle Lust will Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit“, sagt Friedrich Nietzsche. Aber eine in Schmerzen durchwachte Nacht will gar kein Ende nehmen. Wie also erlebe ich die Zeit? Es gibt nicht nur eine, es gibt viele Zeiten, in denen ich gleichzeitig lebe. Warum spielt die Zeit heute eine so große Rolle? Ständig kommt etwas auf den Markt, das uns helfen soll, Dinge schneller erledigen zu können, um dadurch Zeit zu gewinnen. Trotzdem werden die Menschen, die keine Zeit haben, immer mehr!

Da stimmt doch etwas nicht: Was ist mit unserer Zeit passiert? Es gibt Menschen, die ständig hinter der Zeit herlaufen, denn sie haben das Gefühl, dass sie etwas im Leben versäumen. Sie möchten alles, möglichst rasch und zugleich erleben – eine Spirale ohne Ende. Von früh bis spät sind wir eingespannt in einen minutengenauen Terminplan unseres Tagesablaufes. Was hab’ ich eigentlich, wenn ich heute sage: „Ich habe Zeit für Dich.“ Was habe ich dann? „Ich nehme mir jetzt Zeit.“ Was nehme ich mir dann, und woher nehme ich die Zeit? Bisweilen ist es „höchste Zeit“, aber was ist es dann?

Ein Weiser hat einmal gesagt: „Die Zeit ist das, was Du hast, wenn du die Uhr wegwirfst.“ Die verborgene Zeit! – Wie lange braucht der Säugling, bis er Tag und Nacht unterscheiden kann; das Kleinkind lebt dahin, ohne die Zeit der Erwachsenen wahrzunehmen. Neben dieser verborgenen Zeit steht die denkend erhellte Zeit. Wir leben nach vorwärts gerichtet und sorgen uns um das Morgen. Der Tag beginnt und wie er endet, das wissen wir nicht. Wir sind auf das Kommende gerichtet. Dieses „Es“, das Kommende, wird zur Gegenwart, zur Vergangenheit. Das ist die einzig gewisse Zukunft für alles: dass es gewesen sein wird. Dies, und dies allein, ist das wirklich unfehlbar Kommende.

Wenn wir uns also ein wenig hineintasten in dieses Geheimnis der Zeit, so müssen wir unterscheiden: Es gibt nicht nur eine Zeit, es gibt deren viele. Es gibt die Zeit, die läuft und die ich nicht stoppen kann, denn unentwegt tickt die Uhr. Der Mensch kann vieles horten und speichern: Er kann Grund und Boden zusammenkaufen, er kann Geld ansparen und auf die Bank legen, er kann in seinem Gedächtnis Wissen speichern, nur eines kann er nicht speichern: die Zeit. Jeder Mensch hat gleich viel Zeit, 24 Stunden am Tag und keine Sekunde mehr. Das ist die eine Seite der Zeit, die „fallende“, die gegen mich arbeitet, die mich jeden Tag einen Schritt dem Grabe näherbringt. Ich kann nicht aussteigen aus der Zeit, sie lässt mich nicht aus. Ich kann nicht sagen: Ich will jetzt zwei Tage Urlaub haben von der Zeit.

Diese lineare Zeit kann ich nicht zurückbiegen und nicht umkehren; ich kann sie nur nach vorwärts leben und nach rückwärts verstehen. Wir alle kommen aus der Zeit, die Vergangenheit heißt, und gehen in eine Zeit, die wir noch nicht kennen und die wir Zukunft nennen. Wenn ich am Morgen eines Tages stehe, so weiß ich nicht, wie dessen Abend aussehen wird. Es ist eines der größten Geschenke, das uns Menschen mit dem Eintritt in diese Welt gegeben wurde, dass wir nicht in die Zukunft sehen können. Andere Kulturen stellen sich die Zeit nicht als Linie vor, sondern als Rad. Ein Rad, das sich unentwegt dreht und welches das Unterste wieder nach oben bringt. Das immer Gleiche kehrt wieder. Diese Vorstellung der Zeit herrscht in fernöstlichen Ländern und ist die Voraussetzung für die von vielen Menschen angenommene Weltanschauung der Reinkarnation.

Neben der Zeit, die als Linie verläuft, gibt es noch ein Zweites. Das ist der Zeitpunkt. Wir haben im Deutschen kein eigenes Wort dafür. In anderen Sprachen kann ich Zeit und Zeitpunkt deutlich unterscheiden. So ist im Griechischen mit dem Wort „Chronos“ die Linie der Zeit gemeint (der Zeitmesser Chronometer kommt daher). Der Zeitpunkt jedoch heißt „Kairos“. Dieser günstige Zeitpunkt, der niemals mehr wiederkommt, den ich jetzt nützen muss, weil ich sonst eine große Chance meines Lebens versäume. Um diesen Zeitpunkt also dreht es sich. Denn in der Gestaltung unseres Lebens beziehen wir uns immerfort auf solche Zeitpunkte. Ich nehme einen festen Punkt im Jahreskreis und dieser Zeitpunkt, das Fest, das wir mitsammen feiern, gibt einen Halt in diesem Ablauf der Zeit. Wir freuen uns, wenn wir mit den Bräuchen des Jahreskreises Zeitpunkte feiern können, denn sie heben das Einerlei der „fallenden“ Zeit heraus und werden dadurch zu glanzvollen Höhepunkten eines grauen Alltages.

2.4.2.1. Zeit und Zeitpunkt – seit wann gibt es das?

Die Menschen haben lange gebraucht, bis sie die Zeit in eine gewisse Einteilung gebracht haben, ihr eine Struktur gegeben haben. Im alten Ägypten hat man die Zeit nicht durchgezählt und begann mit jedem neuen Pharao (dem König) wieder mit dem Jahr eins zu zählen. Die Römer haben von der Gründung der Stadt Rom an ihre Zeit berechnet. Bei den Griechen war es üblich, nach den Olympischen Spielen die Zeit einzuteilen. Wir Christen rechnen von der Geburt Jesu an (nicht von seinem Tod!) die Zeit.

Neben diesen Zeitpunkten, auf die wir uns beziehen und unsere Berechnung durchführen, gibt es auch die „Ge-zeiten“. Es sind die Gezeiten des Jahreskreises, die Gezeiten des Sonnenlaufes, des länger und kürzer werdenden Tages. Es sind die Gezeiten von Ebbe und Flut im Meer. Jahrtausendelang haben die Menschen die Gestirne des Himmels beobachtet und daraus einen bestimmten Rhythmus abgeleitet, der auch heute noch viele unserer Zeitgenossen fasziniert. Als wir vom zweiten in das dritte Jahrtausend gegangen sind, haben viele Menschen begonnen darüber nachzudenken, wie denn das Tausend Jahre früher war. Nur wenige werden im Jahre 999 überhaupt gewusst haben, dass ein neues Jahrtausend beginnt. Kaum jemand besaß eine Uhr, und die Berechnung der Zeit war eine Spezialwissenschaft weniger Gelehrter.

„Des Menschen Engel ist die Zeit“, hat Friedrich Schiller gesagt, denn die Zeit hat mich nicht nur fest im Griff, weil ich meine Arbeit pünktlich erledigen muss, zum rechten Zeitpunkt an der rechten Stelle sein soll, sondern die Zeit heilt auch Wunden. Deshalb ist das Wort Schillers von einem tiefen Sinn. So sagt das Buch Kohelet im Alten Testament (Koh 3,1–8):

Alles hat seine Stunde

Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit:

eine Zeit zum Gebären / und eine Zeit zum Sterben, / 
eine Zeit zum Pflanzen / und eine Zeit zum Abernten der Pflanzen, 
eine Zeit zum Töten / und eine Zeit zum Heilen, / 
eine Zeit zum Niederreißen / und eine Zeit zum Bauen, 
eine Zeit zum Weinen / und eine Zeit zum Lachen, /
eine Zeit für die Klage / und eine Zeit für den Tanz;
eine Zeit zum Steinewerfen / und eine Zeit zum Steinesammeln, / 
eine Zeit zum Umarmen / und eine Zeit, die Umarmung zu lösen,
eine Zeit zum Suchen / und eine Zeit zum Verlieren, / 
eine Zeit zum Behalten / und eine Zeit zum Wegwerfen,
eine Zeit zum Zerreißen / und eine Zeit zum Zusammennähen, / 
eine Zeit zum Schweigen / und eine Zeit zum Reden,
eine Zeit zum Lieben / und eine Zeit zum Hassen, / 
eine Zeit für den Krieg / und eine Zeit für den Frieden.

Nach der Auffassung in diesem sicher von einem sehr kritischen Verfasser stammenden Buch des Alten Testamentes ist die Zeit gleichsam der Pulsschlag der Schöpfung. Sie setzt voraus, dass Gott einen ewigen Plan mit dieser Welt hat und dass die Erfahrung, welche die Menschen damit machen, subjektiv bleiben muss. Der Plan der Geschichte, den Gott entworfen hat, verwirklicht sich in jeder Zeit. So wird die Geschichte immer zur Heilsgeschichte. Wir Christen haben von dieser Auffassung gelernt, dass die Geschichte in Perioden abläuft. Bin ich also der Zeit heillos ausgeliefert? Ich kann nicht aussteigen, ich kann mich nicht wehren gegen sie, ich kann mit ihr etwas Neues beginnen. Die Zeit wird strukturiert, denn sie läuft auf ein Ziel zu, nicht in das Leere. Und dieses Ziel heißt die Ankunft des Messias (im neutestamentlichen Verständnis: die Wiederkunft des Herrn). Die Zeit vor dieser Wende ist die Bewährungszeit, in der sich das Einzelschicksal in der Zeit nach der großen Wende entscheidet. Der genaue Zeitpunkt dieser großen Wende freilich bleibt ein Geheimnis.

Wenn wir die Zeit im obigen Sinn verstehen, so folgt daraus, dass uns die Haltung der ständigen Bereitschaft auferlegt ist. „Jenen Tag und jene Stunde kennt niemand, auch nicht die Engel im Himmel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater“ (Mk 13,32). Diese Bewährung ist also der letzte Grund, dass es gilt, die heiligen Zeiten zu beachten, die mein Leben, aber auch das Leben der Gemeinschaft, nachhaltig prägen und gliedern. So gesehen wird die Zeit zur Brücke zwischen der Schöpfung der Welt und ihrer Vollendung, der Sammlung aller Völker auf dem Berge Sion (d. i. der Tempelberg in Jerusalem) am Ende der Zeiten.

2.4.2.2. Die Zeit und das Fest

Auch über den Zusammenhang von der Zeit und den Festen sollten wir ein wenig nachdenken. Das Befreien von der Zeit – das geschieht im Fest. Wenn ich am Morgen des neuen Tages die Zeitung aufschlage, so will ich mich kundig machen, was es denn in den letzten Stunden auf der Welt Neues gegeben hat, das wichtig ist und von dem ich Kenntnis haben sollte. Wenn wir aber zusammen ein Fest feiern, dann will ich nicht Information über Neues. Wenn wir in den letzten Tagen vor Weihnachten die Krippe und den Christbaum im Wohnzimmer aufstellen und uns auf den Heiligen Abend freuen, so tun wir dies nicht, um Neues zu erfahren. Was denn der Inhalt des Weihnachtsfestes ist, das wissen wir längst und trotzdem stellen wir die Krippe auf und pflegen das wunderschöne weihnachtliche Brauchtum, nicht um informiert zu werden, sondern um ihm in unserem Tun den Sitz im Leben wiederzugeben. Wir feiern ein Fest, weil es in diesen zwanghaft in den Zeitablauf hineingepressten Lebensverhältnissen die einzige Möglichkeit ist, einen Freiraum zu erleben. Das Fest und die Zeit, es ist die Kernfrage der Bräuche und der Berechtigung, Feiern zu erleben.

Jeder, der einmal ein Fest vorbereitet hat, weiß, welche Mühe es bereitet, alles genau zu planen, zu organisieren; alle Teilnehmer, die hier eine wichtige Funktion haben, recht zu informieren und zu motivieren. Und nun kommt der Tag des Festes. Alles klappt wie am Schnürchen und auch das Wetter spielt mit. Aber ob es dann ein Fest wird oder ob gar keine Stimmung aufkommen will, ob es langweilig bleibt und nur eine Pflichtübung – das hängt nicht von der guten Vorbereitung und den großen Aufwendungen ab, die man für die festliche Gestaltung eingesetzt hat, sondern das ist das Geheimnis des Festes. Wir haben es nicht in der Hand, das Fest wird oder es wird nicht. Wir können durch unsere Bräuche nur bis zur Schwelle gelangen, aber darüber steigen – da muss uns jemand anderer die Hilfe anbieten. Wir sollen im Fest erleben, dass in einer Zeit, in der man alles für Geld haben kann, das Entscheidende nicht käuflich ist, nämlich das Leben. Ich kann es mir nur schenken lassen.

Der Sinn der Bräuche und Rituale besteht darin, aus dieser kalten Leistungsgesellschaft auszusteigen und in dem Freiraum des Sich-beschenken-Lassens Danke zu sagen für das Geschenk des eigenen Lebens. Es ist letztlich der tiefste Sinn, warum wir in dem Siebener-Rhythmus unserer Wocheneinteilung jeden Sonntag als Fest begehen. Der Verzicht auf Erwerbsarbeit soll zeigen, dass ich Danke sagen kann: Weil Gott mir mein ganzes Leben geschenkt hat, schenke ich ihm ein Siebtel meines Lebens (das sind alle Sonntage zusammengerechnet) zurück, um in der „Brache“ die Schönheit der Schöpfung und den Sinn des Lebens zu erahnen. Mit diesem Rhythmus der Siebentagewoche hat das Christentum das Entscheidende zur Strukturierung der Zeit beigetragen. Vom wichtigsten Ereignis des Jahres ausgehend – und das ist der Tag der Auferstehung Jesu, der Ostersonntag – wurde dieser Rhythmus im ganzen Jahr üblich. Man hat auch vorher Feste gefeiert, die in loser Abfolge auf das Jahr verstreut waren, aber der Siebener-Rhythmus ist erst durch das Christentum auf die ganze Welt übergegangen.

Wenn wir also in dieser hektisch gewordenen Zeit, wo wir im Internet in Bruchteilen von Sekunden Nachrichten über die ganze Welt senden können, Oasen der Stille und Freiräume für unser Leben brauchen, dann werden wir solchen Fixpunkten des Feierns wieder mehr Beachtung schenken müssen. Wir brauchen nicht eine Beschleunigung, sondern eine „Entschleunigung“ unserer Zeit, damit wir durchatmen und über den Sinn unseres Lebens nachdenken können. Aus der Kultur unseres Gedächtnisses sollten wir daran denken, dass diese Fixpunkte der Zeit, auf die sich unsere Bräuche beziehen, nicht Verschwendung sind. Wir können keine Kosten-Nutzen-Rechnung aufstellen, wenn wir ein Fest feiern. Wir können nicht fragen, was unter dem Strich bleibt und was wir davon haben. Wir brauchen Freiräume, Orte der Stille, wo wir zu uns selbst finden, damit wir die Wegstrecke, die noch vor uns liegt, aus dem dankbaren Bewusstsein des Lebensgeschenkes annehmen und voll Vertrauen weitergeben.

2.4.2.3. Zeit-Ansage

Eines der berühmten Stücke von Samuel Beckett trägt den Titel „Endspiel“. In ihm fragt der eine Dialogpartner voller Angst: „Was ist los? Was passiert hier eigentlich?“, und der andere antwortet ihm: „Irgendetwas geht seinen Gang.“ Gehen wir also alle im Kreis? Gibt es kein Ziel mehr, auf das wir zugehen? Hat die Zeit kein Ende, kein Finale mehr? Es ist die Zeit, die nicht beginnt und die nicht endet, die Zeit, die keine Fristen kennt und keine Ziele, keine himmlischen und keine irdischen. Es ist die Zeit, die nichts will, außer sich selbst.

Zeit-empfindlich müssen wir also werden, wenn wieder alles „seine Zeit“ bekommen soll. Das Leben, das aus dem Gedächtnis schöpft und das sich in einen großen Zusammenhang eingebunden weiß, wird anders reagieren auf einen Vorfall oder auf eine momentane unvorhergesehene Katastrophe der Weltgeschichte. Einem Leben aus dem Gedächtnis einer langen Zeitstrecke heraus steht heute die Zeitunempfindlichkeit vieler Menschen gegenüber. Es muss jetzt Spaß machen (Glück ist ein Begriff der Romantik). Ob es gut ist oder ob dieser Spaß auf Kosten Dritter geht, wird nicht gefragt. Junge Menschen gehen abends aus. „Wohin“, fragt die besorgte Mama, „geht ihr denn?“ „Wir wissen es nicht. Es wird sich schon ergeben.“ Wir gehen nicht auf ein Ziel zu. Eine Bindung auf Dauer lehnen wir ab. Wir wollen uns alle Optionen des Lebens offen halten, aber Obligationen (Verpflichtungen) übernehmen wir keine. In einem Geschäft, in dem ich kein Rückgaberecht habe, kaufe ich gar nicht ein. Letztlich will ich mein Leben zurückgeben können, denn ich bin ja nicht gefragt worden, ob ich auf die Welt kommen will. Viele Krisen, die in unserer Gesellschaft offenbar werden, haben ihren tiefsten Grund in dieser Einstellung.

Hat das nicht eigentlich schon Friedrich Nietzsche vor mehr als 115 Jahren (1883) gewusst, als er im Zarathustra seinen Wahrsager sprechen lässt: „– und ich sahe eine grosse Traurigkeit über die Menschen kommen. Die Besten wurden ihrer Werke müde. Eine Lehre ergieng, ein Glauben lief neben ihr: ,Alles ist leer, Alles ist gleich, Alles war!‘ [...]“ Ist das nicht die Großwetterlage, in der viele Menschen heute leben: Alles ist gleich, weil mir alles gleichgültig ist oder auch gleich-gültig. Alles ist leer, denn die Sinnlosigkeit des Lebens greift massiv um sich. Wozu bin ich überhaupt auf der Welt? Alles war – es kommt nichts Neues mehr, das mich reizen könnte, zu leben.

2.4.2.4. Die Zeit – wie kann ich sie messen?

Die Frage, wie wir unsere Zeit messen, erscheint uns überflüssig, da die Antwort offensichtlich ist: Ja natürlich mit der Uhr. Tag für Tag muss ich mich genau informieren, wie viel es geschlagen hat. Minutengenau ist mein Tagesablauf eingeteilt. Nichts kann so fatal sein, als Fristen zu versäumen – nicht nur beim Finanzamt. Aber es wäre ein großer Irrtum, diese Zeiteinteilung für die einzige Möglichkeit zu halten. Unsere Vorfahren haben von Heiligen- zu Heiligenfest gerechnet. Von Georgi bis Martini. Der Lichtmesstag (2. Februar) war einer der wichtigsten Bezugspunkte für viele Menschen in ihrem bäuerlichen Lebensraum, ebenso das herbstliche Kirchweihfest. Aber man kann durch das Berechnen von Daten, die nicht kalendarisch, sondern nach einem symbolischen Aussagewert wahrgenommen werden, einen ganz anderen, vielleicht auch viel tiefsichtigeren Einblick in das gewinnen, was mit einem Datum eigentlich gemeint sein kann. Am Beispiel des heiligen Rupertus soll dies dargestellt werden. Das Fest des Salzburger Landespatrons, des heiligen Rupertus, wird zweimal gefeiert: am 27. März, der Frühlingsrupertitag genannt wird, und am 24. September, wobei der „Herbstruperti“ der im Volk viel wichtigere und bedeutendere Tag ist. Beide Daten scheinen ganz willkürlich genommen zu sein, und doch haben beide einen tiefen Sinn.

Die Lebensbeschreibung des heiligen Rupertus sagt uns, dass er am Ostersonntag, den 27. März (das Jahr fehlt leider), gleich nach Darbringung der heiligen Messe im Kreise seiner Mitbrüder plötzlich verstarb. Die kalendarische Errechnungsmethode könnte uns dazu verleiten, durch den Todestag am Ostersonntag – der 27. März als erster Sonntag nach dem Frühlingsvollmond – das Todesjahr erschließen zu wollen. Und doch ist dies nicht zielführend. Denn nach der symbolischen Berechnungsmethode war jedes Jahr am 27. März Ostern, und zwar aus folgendem Grund: Die Menschen im frühen Mittelalter gingen von der Vorstellung aus, dass die Menschwerdung des Sohnes Gottes, der unser Bruder wurde, geboren aus Maria der Jungfrau, auch den vollkommensten, schönsten und perfektesten Körper haben muss. Denn nur in einem solchen kann der „Logos“ (das Wort Gottes) Fleisch werden. Dies aber schließt ein, dass er ein ganzes vollkommenes Jahr gelebt hat, denn wenn er während des Jahres gestorben wäre, wäre seine menschliche Natur gebrochen, nicht voll zur Erfüllung gelangt.

Nun berechnet man die Menschwerdung Christi nicht nach seiner Geburt, sondern nach der Verkündigung an die Gottesmutter (25. März). Von diesem Zeitpunkt an, da das ewige Wort aus dem Schoß des Vaters in den Schoß der Jungfrau herabstieg, berechnet man seine menschliche Natur. Wenn also Jesus, der Christus heißt, am 25. März als Mensch sein irdisches Dasein begann, so muss er es auch an diesem Tag beenden. Folglich muss der 25. März sein Todestag, der Karfreitag, sein. Nur dann ist sein Leben im Laufe des Jahres geschlossen. Wenn man nun die drei Tage der Grabesruhe dazurechnet, so fällt Ostern, der Auferstehungstag, auf den 27. März – und zwar in jedem Jahr, wobei dieser Tag kalendarisch nicht auf einen Sonntag fallen muss. Dies ist eine ganz andere Berechnungsmethode, und doch hat sie im Mittelalter zur Zeit des heiligen Rupertus eine große Rolle gespielt. Zeit ist nicht Zeit: Es kommt darauf an, wie ich sie berechne.

Und nun kommen wir zum „Herbstruperti“, dem 24. September. Auch dieser Tag, den der heilige Virgil festgesetzt hat, da er an diesem Datum die sterblichen Überreste seines Vorgängers von Worms nach Salzburg übertragen und in der Krypta des neu erbauten Domes bestatten ließ, hat seinen tiefen Sinn in der symbolischen Aussage. Wir feiern heute an diesem Tag nur Ruperti, aber die alte Kirche kannte am 24. September bereits ein Fest: den Tag der Verkündigung der Geburt Johannes des Täufers. Sein Geburtstag ist bekanntlich der 24. Juni. Wenn man von diesem neun Monate zurückrechnet, so kommt man zum 24. September! Es war kein Zufall, dass der heilige Virgil im Jahre 774 die Übertragung der Gebeine St. Ruperts – und damit sein Fest – für alle Zeiten auf diesen Tag gelegt hat. Er wollte damit zum Ausdruck bringen, dass der heilige Rupertus für unser Land dasselbe getan hat wie Johannes der Täufer: Er hat dem Herrn die Wege bereitet. An diesem Beispiel der Berechnung der beiden Ruperti-Gedenktage sehen wir, wie aussagestark ein Datum sein kann, wenn ich es auf seine eigentliche Bedeutung hin befrage.

Viele Möglichkeiten, sich dem Geheimnis der Zeit zu nähern, haben wir uns vor Augen geführt. Die Zeit, die man messen kann – so oder so: Jedes Mal aber war es die Zeit, die zur Schöpfung gehört, denn Raum und Zeit sind erst entstanden als Gott die Welt schuf. In Gott gibt es kein Wann und Wo. Der Himmel ist kein Zimmer und die Ewigkeit nicht eine in Jahrtausende aufgesplitterte Unendlichkeit. Dort tickt keine Uhr mehr. Und doch gibt es einen Ort, wo beides ineinandergreift: die „fallende“ Zeit, die zur Schöpfung gehört und die ich nicht stoppen kann, und die Zeit des Heiles, die nach aufwärts zeigt und die mir geschenkt ist, weil dieser Jesus, der Christus heißt, unser Bruder geworden ist. Er ist „Gott von Gott und Licht vom Lichte“, aber er ist genauso 100%ig Mensch, geboren aus Maria der Jungfrau.

Beide Zeiten überlappen sich, wenn sich ein Mensch zur Nachfolge dieses Jesus entschließt und in der Taufe ein neuer Mensch wird. Denn dann kann er sagen: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“ (Gal 2,20) Die alte Kunst hat diese Tatsache ins Bild gebracht, indem sie die „Mandorla“ {Bild: 02_014.tif} erfunden hat. Das ist jenes Kreissegment, das entsteht, wenn ich zwei Kreise bis zum Mittelpunkt des einen ineinanderschiebe. Ein Geheimnis soll den Menschen klargemacht werden: Ich bin noch ganz auf dieser Welt, aber ich bin bereits Teil des neuen, mir verheißenen Gottesreiches. Über dem Riesentor des Stephansdomes zu Wien ist dies in Österreich am schönsten dargestellt. Zeit des Heiles, die wir feiern dürfen, wenn wir uns aufmachen zum Fest.

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