Dieser Beitrag versteht sich als erster Ergebnisbericht über die Suche nach historischen Quellen zum Thema Heischebräuche und Almosengaben zur Weihnachtszeit.
Bereits im Frühmittelalter wurde auf einer Synode festgelegt, dass viermal im Jahr – darunter zu Weihnachten – zur Erlangung des eigenen Seelenheiles Armenmähler abgehalten werden sollten. Neben diesem christlichen Motiv und der im Neuen Testament verankerten Aufforderung, die Werke der Barmherzigkeit auszuüben, spielten Almosen beim Totengedenken eine wichtige Rolle. Wie die ältesten Statuten der Salzburger Bürgerzeche (um 1100) zeigen, wurden auch große Armenmähler zu Weihnachten gegeben, da ihnen eine sündentilgende Kraft zugesprochen wurde.
Zu Beginn der Neuzeit vollzog sich ein Einstellungswandel im Umgang mit Armut, der in der Folge in den zahlreichen Bettel- und Armenordnungen zum Ausdruck kam. Heischebräuche zu kirchlichen Feiertagen wurden seit der Gegenreformation nun auch von größeren Teilen der Bevölkerung praktiziert.
Seit dem frühen 18. Jahrhundert war es auch „Brauch“ – wie den Ratsprotokollen der Stadt Salzburg zu entnehmen ist –, dass namentlich genannte Arme ein „heiliges Almosen“ in Form einer Geldunterstützung aus Anlass des Weihnachtsfestes vom Bürgermeister erhielten.
Nicht nur die Aufklärung war um eine Abschaffung von Bräuchen bemüht, sondern vor allem die bayerische Regierung (1810–1816). Sie definierte Heischebräuche als Bettelei und verbot deshalb z. B. auch das Sternsingen der Kirchsänger und der Halleiner und Oberndorfer Schiffsleute sowie das Bitten um Neujahrsgeschenke (z. B. von Kaminkehrergesellen und Ministranten).
Bis ins 20. Jahrhundert wurden den Bewohnern von verschiedenen Armenversorgungseinrichtungen zu den „heiligen Zeiten“ besondere Speisen und Spenden gereicht. Dabei lässt sich – wohl einem allgemeinen Trend folgend – beobachten, dass das Weihnachtsfest gegenüber Ostern und Pfingsten immer mehr in den Vordergrund trat.
Dieser Artikel soll dokumentieren, welche Resultate die Suche nach historischen Quellen zum Thema Heischebräuche und Almosen zu Weihnachten in Salzburger Archiven bis jetzt ergeben hat und versteht sich als historischer Beitrag zum interdisziplinären Ansatz des Projekts „Brauchforschung im Salzburger Land“.
Von Interesse war dabei die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Almosen-Geben und Weihnachten als religiösem Fest, nach der Art und Weise, wie diese Spenden gereicht wurden, seit wann sie belegt sind, welchen Veränderungen die Spendenmotive und -praktiken unterlagen und inwieweit sie Ausdruck eines Wandels im Umgang mit Armut sind.
Nachdem in Salzburg keine geschlossenen Quellenbestände über diese Fragestellungen Auskunft geben, ergab die zeitintensive Suche nach Spuren in den Quellen zum Thema Armut viele negative Ergebnisse und nur punktuell aussagekräftige Resultate. Gesichtet wurden beispielsweise normative Quellen (Generalia, Verordnungen), Ratsprotokolle der Stadt Salzburg, Bestände diverser Gemeinden und Pfarrarchive zum Thema Armenwesen, Archivmaterial diverser Bruderhäuser, Spitäler und Armenfürsorgeeinrichtungen in Stadt und Land Salzburg usw. Selbst die umfangreichen Kreisamtsakten aus dem Jahr 1826 (Salzburger Landesarchiv),[996] die von Kaiser Franz I. geforderte Berichte aller Salzburger Pfleggerichte über Bettelpraktiken und Armenfürsorge umfassen, enthalten keine Aussagen über Heischebräuche oder speziell mit Weihnachten verbundene Almosenpraktiken.
Seit dem Frühmittelalter war der Schutz der Armen und Fremden eine Aufgabe von Kaisern und Königen sowie der Kirche, die das Praktizieren der tätigen Nächstenliebe aufgrund der im Matthäus-Evangelium (Mt 25/35–40) enthaltenen Aufforderung zur Barmherzigkeit zu ihrer wichtigsten weltlichen Aufgabe machte. Auf der Synode von Reisbach 799 wurden unter dem Salzburger Erzbischof Arn auch die ersten Regelungen für die Armen in Salzburg festgelegt. Zur Erlangung des eigenen Seelenheils sollten viermal im Jahr – an den Samstagen vor dem Palmsonntag, Pfingsten und Weihnachten sowie dem dritten Samstag im September – Armenmähler gegeben werden. Ein Viertel des Zehents wurde für die Armen bestimmt; Witwen, Waisen, kleine Kinder, Blinde und Lahme sollten unter dem Schutz des Bischofs stehen.[997]
Drei der für Armenmähler vorgesehenen Termine waren den kirchlichen Feiertagen angepasst. Das Armenmahl im September wurde zwischen Pfingsten und Weihnachten eingeschoben, vermutlich um eine einigermaßen regelmäßige Verteilung über das Jahr zu erreichen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die explizite Nennung des Motivs für diese Gaben: die Erlangung des Seelenheils, die Vergeltung für eine gute Tat im Jenseits. Es galt, die sieben Werke der Barmherzigkeit möglichst mit eigener Hand Armen, Bettlern, Krüppeln usw. zuteilwerden zu lassen.[998]
Die immer wieder betonte Christenpflicht der Almosengabe wurde in karolingischer Zeit als allgemeines Gebot eingeschärft und als eine Konsequenz der Integration der Kirche in ein agrarisch strukturiertes Reich erklärt. Man darf dabei allerdings nicht vergessen, dass es neben diesen formalisierten Spenden auch ein „vorchristliches Mitleid“ mit den Bedürftigen und Schwachen gab, das allen Kulturen eigen, aber quellenmäßig nicht fassbar ist, den Alltag der Armen aber wesentlich bestimmte.[999] Das heißt, die Armenmähler zu den vier genannten Zeiten waren der christlichen Caritas verpflichtete Handlungen, wobei eine zu Weihnachten stattfinden sollte.[1000]
Einen wichtigen Platz nahm das Weihnachtsfest in den Zielsetzungen der zu Beginn des 12. Jahrhunderts belegten Bürgerbruderschaft der Stadt Salzburg ein, eine Einrichtung, die in Salzburg früher entwickelt war als in anderen deutschsprachigen Städten. Den um 1100 verfassten ältesten Statuten der Salzburger „Zeche“ ist – hier in der Übersetzung von Heinz Dopsch – Folgendes zu entnehmen:[1001]
„In der Stadt Salzburg gibt es eine Bruderschaft, die in der Umgangssprache Zeche genannt wird und von christlichen frommen Leuten gegründet wurde, die ihre Gebete und Gastmähler gemeinsam abhalten. Diese Gemeinschaft steht Klerikern, Mönchen, Nonnen, Frauen im weltlichen Stand, Reichen und Armen und allen, die ihr geziemend beitreten wollen, offen. [...] Jährlich werden für die Seelen aller Verstorbenen der Bruderschaft 8000 Messen gefeiert und ebenso viele Psalmen gesungen. Vor dem Weihnachtsfest werden jedes Jahr Armenmähler im Wert von 100 Mark abgehalten, aber auch an allen Dienstagen und Sonntagen werden den Armen Almosen gespendet. [...] Wer kann, trägt jährlich zu den Ausgaben für die gemeinsamen Armenmähler 15 Pfennige bei oder statt dessen einen Scheffel Getreide. Wenn er das bis zu seinem Lebensende getan hat, wird ihm nach seinem Tode ein hölzerner Sarg in Form eines Sarkophages beigestellt, in dem er beigesetzt, und ein Begräbnisplatz, an dem er bestattet werden soll [...]. Außerdem werden für ihn folgende Gaben den Armen gespendet: Sechs Scheffel Brot, 60 Käse, 12 Urnen Bier und 55 Nachtlichter. Solche Armenmähler werden einzeln für jeden, der in der vorgenannten Bruderschaft beigesetzt wurde, abgehalten, für alle gemeinsam aber jene, die ich vorher genannt habe.“[1002]
Armenmähler vor dem Weihnachtsfest und regelmäßige Almosenspenden werden hier in Zusammenhang mit dem Totengedenken genannt. Das Motiv für das Almosen ist hier nicht die christliche Nächstenliebe, sondern wie dann bei den meisten mittelalterlichen Seelgerätstiftungen die kultische Heilssicherung.[1003]
Ab dem Hochmittelalter wird in den Totengedächtnissen immer wieder die sündentilgende Kraft des Almosens beschworen.[1004] Hanns Koren beschäftigte sich mit den „Armenbeschenkungen im brauchtümlichen Totengedächtnis“ und wies dabei auf eine Verbindung von Jahrtragsspenden (urkundlich nachweislich gestiftet) und Traditionsspenden (keine gesicherte Datierung) hin. An bestimmten Tagen wurden bestimmte Speisen (Käse, Brot, Fleisch) und Wein zum Gedächtnis des Stifters an eine ungewöhnlich große Zahl von Menschen in feierlicher Weise übergeben. Die Tage, an denen diese Spenden verteilt wurden, „erweisen sich uns in der Regel als uralte Totengedächtniszeiten: Michaeli, Allerseelen, Advent, Weihnachten, Fastenzeit“.[1005]
Im Fall der hochmittelalterlichen Salzburger Bürgerzeche, einer Vereinigung von über 1.200 Menschen, deren primäres Ziel das Totengedenken in Form von Gebeten und Almosen war, kam den Armenmählern vor dem Fest der Geburt Christi eine besondere Bedeutung zu. Die Statuten sagen zwar nichts Konkretes über den Verlauf dieser Mähler und ihren Umfang aus, jedoch lässt die Angabe „im Wert von 100 Mark“ darauf schließen, dass damit eine sehr große Summe gemeint war, die für die Beteilung von vielen Menschen vorgesehen war.
Bis in das Spätmittelalter hinein war nicht näher definiert, wer in den Genuss eines Almosens kommen sollte, der Sammelbegriff „pauperes“ reichte aus.[1006] Das Bitten um Gaben zu bestimmten Festzeiten war das Vorrecht der Armen.[1007] Viele Arme brachten viele Gebete – und diese Gegenleistung stand im Mittelpunkt des Interesses.
Am Beginn der Neuzeit vollzog sich, bedingt durch das starke Anwachsen der Armen in den großen Städten Mitteleuropas, unter dem Einfluss der Reformation und aus macht- und wirtschaftspolitischen Interessen ein Einstellungswandel. Bettlerinnen und Bettler wurden nun nicht mehr aus unterschiedsloser Nächstenliebe als Bestandteil des Gesellschaftssystems betrachtet, sondern immer mehr als ordnungsgefährdend empfunden, v. a. dann, wenn sie in großen Gruppen auftraten. Bettelordnungen begannen nun zwischen ehrbaren, schwachen, arbeitsunfähigen Armen und falschen, starken, arbeitsfähigen Bettlern, zwischen Heimischen und Fremden zu unterscheiden, enthielten Beschränkungen der Aufenthaltsdauer, Arbeitszwang oder Ausweisung von arbeitsfähigen Bettlern sowie Strafandrohungen für zu aggressives Betteln; sie privilegierten einheimische Arme. Diese frühen Bettel-, Armen- und Almosenordnungen legten auch die Grundlinien des armenpolitischen Vorgehens dar, die dann in den nächsten drei Jahrhunderten in verschärfter und modifizierter Weise immer wieder wiederholt wurden.
Die Obrigkeit versuchte auch in Salzburg, den Umgang mit den Armen und Bettlern durch zahlreiche Armen- und Bettelverordnungen zu reglementieren. Vor diesem städtisch-weltlichen Hintergrund überrascht es nicht, dass weder die Salzburger Stadt- und Polizeiordnung von 1524 noch die Salzburger Landesordnung von 1526 das Verabreichen von Almosen zu bestimmten Terminen nennen. In beiden tritt die Unterscheidung zwischen starken, fremden Bettlern und dürftigen, einheimischen sowie Bettelkindern klar zutage.[1008] Das Gleiche gilt auch für die Verordnungen des 18. Jahrhunderts und für die umfangreiche Almosenordnung von 1754.
Es stellt sich nun die Frage, wie sich der Einstellungswandel der Frühen Neuzeit, der sich regional unterschiedlich deutlich vollzog, im Umgang mit den Almosenspenden zu Weihnachten bemerkbar machte und ob dieser überhaupt quellenmäßig erfassbar ist. Bedeutet eine Nicht-Nennung in Quellen, dass Spenden an die Armen so selbstverständlich gehandhabt wurden, dass sie nicht mehr eigens erwähnt wurden oder dass sie nicht mehr existierten?
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Chronisten Christoph Jordan (16. Jahrhundert) und Dückher von Haslau (1609–1671) die Beschlüsse der eingangs erwähnten Synode von Reisbach, in denen Weihnachten als Armenmahl-Termin genannt wird, wiedergaben, jedoch so modifizierten, wie sie es für zeitgemäß hielten. Beide, und im 18. Jahrhundert dann auch Florian Dalham, verzichteten aber auf die Nennung von Armenmählern.[1009]
Hanns Koren beobachtete eine fast wellenförmige Entwicklung der „Salzburger Spenden“ (er beschäftigte sich nicht explizit mit Spenden zur Weihnachtzeit): Seinen Erhebungen zufolge stiegen Spenden an die Armen im vorreformatorischen 15. Jahrhundert an und gingen dann unter dem Einfluss des Protestantismus im 16. Jahrhundert zurück. Ein neuerlicher Anstieg setzte dann wieder im Zuge von Gegenreformation und Barock ein.[1010]
Was weihnachtliche Heischebräuche anbetrifft, so verweist Ulrike Kammerhofer-Aggermann darauf, dass diese in der Gegenreformation nun nicht mehr wie im Mittelalter in erster Linie von den ärmeren Bevölkerungsgruppen, die als Vertreter der Armen Seelen galten, sondern im Umkreis der Klöster auch ein Brauch der Lateinschüler wurden, der sich auf die Bevölkerung ausbreitete.[1011] Das würde bedeuten, dass sich der allgemeine Einstellungswandel gegenüber den Armen auch auf die Heischegänge zu bestimmten Feiertagen insofern auswirkte, als dass diese nun auch von jenen durchgeführt wurden, die nicht zu den Notleidenden und (Schutz-)Bedürftigen zählten und sich ihr Kreis damit erweiterte.
Die Ratsprotokolle der Stadt Salzburg verzeichnen ab 1704 Listen von namentlich genannten Personen, die ein „heyliges Almosen“ aus Anlass des Weihnachtsfestes aus der Amtskasse des Bürgermeisters in der Höhe von einem Gulden erhielten. Die Anzahl der beteilten „Supplikanten“ war unterschiedlich hoch und betrug 1704 beispielsweise 13 Personen,[1012] 1708 42, [1013] 1728 30,[1014] 1740 67[1015] oder 1757 64 Frauen und Männer.[1016] Ende des 18. Jahrhunderts war für die Verteilung und die Ansuchen offensichtlich die städtische Armenkommission verantwortlich, die ab 1799 unter Erzbischof Hieronymus Colloredo als dauerhafte Einrichtung geschaffen wurde, bis Ende des 19. Jahrhunderts Bestand hatte und bestimmte, wer eine Unterstützung erhielt.[1017] In der Geschichte der Salzburger Bräuche stellt die Aufklärung eine wichtige Zäsur dar und im Gefolge seines umfangreichen Hirtenbriefs (1782) schaffte Colloredo durch eine Reihe von Verordnungen zahlreiche Bräuche und Elemente der Volkskultur (Wallfahrten, Bittgänge, Weihnachtskrippen etc.) ab.
Schon in den ersten Protokollen der städtischen Armenkommission taucht der Begriff „Weihnachts- und Osteralmosen“ auf, in der Sitzung vom 6. März 1800[1018] wurde über die weitere Vergabe dieser beiden Almosen beraten. Die Niederschrift dieser Ergebnisse erlaubt einen Einblick in die städtische Almosenpraxis zu Weihnachten und Ostern.
„Bis jetzt“, so wird berichtet, wurden immer je 200 Gulden für das Weihnachts- und Osteralmosen ausgegeben. „Diese höchst mildesten Gaben, welche samt den Bittschriften seit vielen Jahren an das hiesige Stadtgericht, und von diesem an den Armenverwalter gegeben werden, sind zunächst für die Hausarmen bestimmt – der Nothleidende erkennt diese Wohlthat mit gerührtestem Dank“. Die Armenkommission bat um weitere Fortsetzung dieser „außerordentlichen Gabe“.
Nach Angabe des Armenverwalters bewarben sich jeweils 600 bis 700 Menschen um eine Beteilung, darunter vor allem „ungestüme Bettler“, während der „wahre Hausarme sich hinauszudrängen schämet, oder krank zu Hause schmachtet, oder in Stille und Geduld sein trauriges Schicksal trägt und also von einer außerordentlichen Beyhilfe nichts erhält“. Das Resultat dieses Ansturms sei, dass die Summe „den großen Spenden, die in den hiesigen Kirchen bey Seelen Gottesdiensten jährlich zu tausend Gulden Kreuzer und Groschenweise meistens an ungestüme Bettler und Kinder verschwendet werden“, gleiche. Den wahren Armen werde dadurch nicht geholfen. Daher ersuchte die Armenkommission den Erzbischof, die Verteilung dieser zu überlassen, „indem sie durch die Conscription eine genaue Kenntniß der wahren Hausarmen erworben hat“. Der Armenverwalter könne dann das Almosen gerecht verteilen, „ohne sich Mißhandlungen und Grobheiten lästiger Bettler aussetzen“ zu müssen. Der Erzbischof war mit dem Vorschlag einverstanden und in der darauf folgenden Sitzung setzte sich die Armenkommission nochmals mit der neuen Verteilung des „sogenannten Feyertag Almosens“ auseinander.[1019] Colloredo genehmigte die Beschlüsse.
In Zukunft sei diese Verfügung im Intelligenzblatt (eine aufgeklärte Salzburger Zeitung) bekannt zu machen, und darauf hinzuweisen, dass durch die neue Regelung die Kosten, die durch das Abfassen einer Bittschrift an den Erzbischof entstehen, eingespart werden und eine „zweckmäßigere Verteilung“ gewährleistet werden können.
Dieses Beispiel lässt sehr schön erkennen, wie sich der Charakter des Almosens zu Weihnachten gewandelt hat und vom Denken der Aufklärung beeinflusst wurde. Nicht mehr das Motiv der mittelalterlichen Caritas, die Armen Seelen oder Totenkultelemente stehen im Zentrum des Interesses, sondern es geht um eine möglichst gerechte Verteilung von Mitteln an einem hohen kirchlichen Feiertag. In den Genuss der Spenden sollten aber nur jene kommen, die es nach Ansicht der Zeitgenossen auch wirklich verdienten. Eine Konskription, das heißt eine statistische Erfassung der Armen, und eine Überprüfung ihrer Unterstützungswürdigkeit sollte eine gerechte Verteilung der Mittel sicherstellen.
Von den Betroffenen wurde diese Regelung allerdings mit wenig Enthusiasmus aufgenommen. In der Jännersitzung 1803[1020] resümierte die Armenkommission, dass die „Armen, welche auf dieses Almosen Zuspruch zu haben glaubten, sehr zudringlich sich darum gemeldet haben“. Mit Unterstützung von Privaten mussten zu Weihnachten insgesamt 230 Gulden an die Armen „in der gewöhnlichen Art“ ausgeteilt werden, „um so viele Bittende nicht trostlos abweisen zu müssen“. Es wurde jedoch abermals bekräftigt, hinkünftig nur mehr 200 Gulden „an besonders würdige und höchst bedürftige Arme“ auszuteilen. In diesem Zusammenhang fiel auch ein weiterer, nicht zu unterschätzender Hinweis auf den Charakter des Weihnachtsalmosens: Es war eine Spende „für den Winter“. Die Armen begehrten wohl besonders hartnäckig ihr „Recht“ auf ein Almosen zu Weihnachten, da für sie der Alltag im Winter unverhältnismäßig schwieriger war.
Im Dezember desselben Jahres, als Salzburg unter kurfürstlicher Regierung stand, ersuchte die Armenkommission Kurfürst Ferdinand von Toskana, wie gehabt 200 Gulden vom Hofzahlamt für das Weihnachtsalmosen zur Verfügung zu stellen: „[...] dieser Brauch besteht schon so lange, dass die Stadtarmen fest damit rechnen.“[1021] Der neue Herrscher ließ sich jedoch nicht überzeugen. Von der Hofkammer werde jährlich genug Geld für Almosen ausgegeben und die „dermaligen Verhältnisse“ gestatteten keine Austeilung an die Stadtarmen. Die neue, fremde Regierung (bis 1805) konnte offensichtlich diesen „Brauch“ leichter negieren. Ab dem Jahr 1806 sind im Salzburger Stadtarchiv keine Armenkommissionsprotokolle mehr erhalten, die dokumentiert hätten, ob sich die „Abschaffung“ des Weihnachtsalmosens durchsetzte.
1810 bis 1816 war Salzburg Teil des Königreichs Bayern. Die konsequent betriebene Integration der neuen bayerischen Gebiete hinterließ auch in Salzburg in relativ kurzer Zeit markante Spuren in der Verwaltung, im Bildungswesen, in der Justiz, im Steuerwesen, in der Landwirtschaft sowie im Gesundheits- und Sozialwesen. Für das Armenwesen war nun das Polizeikommissariat zuständig. Drei Quellenbeispiele aus dem Stadtarchiv geben Hinweise auf die Almosenpraktiken in der Weihnachtszeit.
Die „Kirchsänger“, die das 7-stündige Gebet in hiesiger Domkirche singen, „ohne davon bezahlt zu werden, haben seit 40 Jahren jährlich die Erlaubniß gehabt, zu den Zeiten Weihnachten, Neujahre und Hl. 3 Königen in der Stadt und auf dem Land zu unseren bekannten und guten Leuten singen gehen zu dürfen, wie es hier bisher immer der Brauch war“. Obwohl sie schon zu Beginn der bayerischen Regierung mit ihrer Bitte, weiter zu den genannten Feiertagen singen zu dürfen, abgewiesen worden waren, baten die Kirchsänger nochmals um Bewilligung: Sie verwiesen darauf, dass das Sternsingen ihren größten Verdienst darstelle und sie gerade in schlechten Zeiten (wie sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch vorherrschten) darauf angewiesen seien.[1022]
Nach Karl Adrian bestand die „Zunft der Kirchsänger“ im Gebirge und im Salzburger Flachland fast bis 1840. Auch er verweist darauf, dass die Geschenke, die sie sich durch das Sternsingen in Form von Geld oder Naturalien verdienten, oft die einzige Entschädigung darstellten.[1023]
Die Kirchensänger verwiesen in ihrer Bittschrift auch auf die Laufener Schiffer, mit denen sie möglicherweise in Konkurrenz standen. Im Gegensatz zu den Schiffleuten, denen das Polizeikommissariat das Komödienspielen während der Winterszeit in Städten und Märkten ebenfalls untersagt hatte, sängen sie nur kurze Zeit und nur mit fünf Mann.
Das Sternsingen wurde in erster Linie von den Halleiner und Oberndorfer Schiffsleuten als eine Art Übergangsbeschäftigung im Winter betrieben, wenn sie der niedrige Wasserstand der Salzach zwang, ihre Tätigkeit einzustellen.[1024] Erstmals wurde das Sternsingen in Bayern in der Mitte des 15. Jahrhunderts in Bayern erwähnt. Diesbezügliche Quellenhinweise aus dem Salzburger Raum, konkret aus Tittmoning, datieren aus den Jahren 1550/51 und 1569 aus Laufen.
In der Vorweihnachtszeit waren die Schiffsleute auch als Anglöckler oder Adventsänger unterwegs. Ulrike Kammerhofer-Aggermann führt auch die Schiffer als Beispiel dafür an, dass Weihnachtsbräuche häufig mit Heischegängen und mit der Bitte um Unterstützung in Zeiten der Arbeitslosigkeit verbunden waren.[1025] Seit dem Dreißigjährigen Krieg entwickelte sich das Sternsingen vor allem zu einer Praxis armer, häufig mobiler Gruppen, die ihre „Bettelfahrten“ im Schutz des allbekannten Brauchs pflegten.[1026] Von obrigkeitlicher Seite wurde immer wieder, verstärkt zur Zeit der Aufklärung, versucht, das mit dem Sternsingen kombinierte Bitten um Gaben zu unterbinden.
Ein bayerischer Gutachter beschrieb die Gepflogenheit der Kirchensänger, „zur Weihnachtszeit mit dem sogenannten Dreykönigsstern in den Häusern singen zu dürfen“, als einen „auffallenden Missbrauch, der in Baiern durchaus abgeschafft ist, im ehemaligen Salzburgerland aber so allgemein geherrscht hat, daß sich ganze Gesellschaften im Wynter hindurch, besonders zu Hallein und Laufen durch Singen, und Aufführen elender Possenspiele fortzubringen haben“. Die „rüstigsten Purschen“, die Schiffleute, wählten im Winter „diese widrige Lebensart“ und zögen als „Possenreisser müssig auf dem Land herum“. Der Gutachter empfahl nachhaltig ein diesbezügliches Verbot, um „diese Müssiggängerklassen zur anständigen Beschäftigung zu zwingen“. Da die Verrichtung der Kirchensänger notwendig sei, gebühre ihnen ein Lohn, „und keine Entschädigung, die ihrer Natur nach den polizeilichen Grundsätzen entgegen“ sei. Für den Fall ihrer Mittellosigkeit könnten sie wie jeder andere auch um Unterstützung ansuchen. Das „ihnen bisher gestattete Herumziehen“ bezeichnete er als „die Maske des gemeinen Gassen- und Hausbettels“. Die übergeordnete Behörde, das Generalkommissariat des Salzachkreises, beauftragte daraufhin am 21. Dezember 1810 die Polizeidirektion, „alle derley die Religionspflichten entehrenden Gewohnheiten selbst abzustellen“ und in den neuen Pfleggerichten zu verfügen. Das Argument der finanziellen Notwendigkeit wurde anerkannt, jedoch nicht die Art und Weise, wie die Kirchsänger zu Geld kommen wollten. Diese Vorgangsweise ist für die kurze bayerische Periode in der Salzburger Geschichte, in der bereits vom Nützlichkeitsdenken des Frühliberalismus bestimmte Prinzipien des Armenwesens verwirklicht wurden, typisch: Armut wurde nicht mehr unter religiösen, sondern primär unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet. Da durch die Schaffung einer Beschäftigungsanstalt und eines Arbeitshauses in Salzburg, durch rigorose Bettelbekämpfung und durch neuerliche Organisation der Fürsorge das Armenwesen geregelt schien, musste niemand, wenn er von seinen Arbeitskräften Gebrauch machte, betteln. Daher sei der derjenige, „welcher bettelt, der Gabe, um die er anspricht, nicht bedürftig, und keiner Gabe würdig“. Die Gabe verlor somit den Charakter eines traditionellen Almosens und wurde in den Augen der bayerischen Obrigkeit zu einer „Belohnung der Arbeitsscheu, ein Reitz zum Betteln“.[1027]
Zwei Jahre später richteten die Ministranten von der sogenannten kleinen Sakristei der erzbischöflichen Domkirche ein Gesuch an das Polizeikommissariat, zu Allerheiligen und „nach dem neuen Jahr“ vor allem bei den Bürgern der Dompfarre um Geldgaben bitten zu dürfen. Auch in diesem Fall wurden finanzielle Gründe für ihre Bittgänge angeführt: Alle Ministranten seien verheiratet und erhielten nur sechs Gulden Monatsgehalt. Durch den Rückgang der Geistlichen hätten sie eine Schmälerung ihrer Einkünfte erlitten und seien nun auf die Geldspenden angewiesen.[1028] Die Bitte wurde mit dem Hinweis abgewiesen, dass „die gebothene Sammlung als eine Gattung des Bettels nicht gestattet werden“ könne.
Auch die Kaminkehrergesellen[1029] durften „bishero immer zum neuen Jahr das sogenannte Neujahres Geld bey den Kundschaften einhohlen“. Ein Kaminkehrermeister bat für seine Gesellen um eine neuerliche diesbezügliche Bewilligung, da die Geldgeschenke in ihren Lohn mit eingerechnet seien. Die Antwort des Polizeikommissariats fiel schon dem Titel nach – „Den Neujahrs Bettel der Kaminkehrergesellen betreff[end]“ – eindeutig aus: Das Erbitten von Trinkgeldern sei Bettel und dieser sei verboten. Der neu bemessene Lohn des Kaminkehrermeisters reiche aus, dass er selber gut leben und den Gesellen den Lohn zahlen könne, den sie verdienen.[1030]
Die meisten Armen, die in „geschlossenen Armenfürsorgeeinrichtungen“, wie z. B. in Spitälern, Bruder- und Armenhäusern, untergebracht waren, erhielten „zu den heiligen Zeiten“ außergewöhnliche Beteilungen. Da diese Institutionen bis ins 20. Jahrhundert hinein fast ausnahmslos katholisch orientiert waren und auf die praktische Religionsausübung in Form von verpflichtender Teilnahme an den Gottesdiensten, Rosenkranzgebeten usw. achteten,[1031] ist die traditionelle Wahl von kirchlichen Feiertagen als Austeilungstermin nicht erstaunlich.
Das Rechnungsbuch des Bürgerspitals der Stadt Salzburg aus dem Jahr 1706 verzeichnet zum Beispiel Sonderausgaben für je acht Eier für „Schniden“ (Schnitten) und 19 Viertel „extra Milch“ für eine Eierspeise zu „heyl. Ostern, Pfingsten und Weihnachten“, die den Pfründnern (Spitalsbewohnern) gereicht wurden.[1032] Die Bewohner des Bruderhauses Bischofshofen bekamen, abhängig von der wirtschaftlichen Lage, im 18. Jahrhundert sechs bis acht Mal jährlich Naturaldeputate. Aus dem Jahr 1794 sind auch die genauen „Spend Termine“ bekannt. Weizen, Korn und Schmalz wurden zu Fasnacht (Faschingsdienstag), zu Ostern, Pfingsten, Jakobi (25. Juli), Michaeli (29. September) und Weihnachten verteilt.[1033] Aus dem Jahr 1848 datiert ein im Pfarrarchiv Dürrnberg befindliches Verzeichnis jener Armen, welche zu Allerheiligen, Weihnachten, Ostern und Pfingsten beteilt werden – es waren nur vier Personen.[1034]
Auch in den modernen Armenfürsorgeanstalten des ausgehenden 19. Jahrhunderts wurde die Tradition der Geschenke aufrechterhalten. Für das 1898 gegründete Versorgungshaus Nonntal in der Stadt Salzburg spendete die Salzburger Bevölkerung im Gründungsjahr zu Weihnachten Getränke, Genussmittel und ausgewählte Lebensmittel wie zum Beispiel Bier, Wein, Kümmelschnaps, Rum, Tee, Gugelhupf, Schokolade, Christbrote, Orangen, Zwetschken, Äpfel, Eier, Schinken, Geselchtes, Käse, Schmalz, Tabak, Christbaumkerzen und Geld.[1035] Es hat den Anschein, dass sich die „großen“ Spenden an diese Armen nun immer mehr auf Weihnachten konzentrierten, das allgemein immer mehr zu einem Fest wurde, an dem Gaben geschenkt wurden.
Wie Karl Adrian nach den Aufzeichnungen eines „einfachen“ Pinzgauer Bauern in seinem 1924 erschienen Buch „Von Salzburger Sitt’ und Brauch“ berichtet, bestand die Sitte, dass Bauern einen Gemeindearmen als Weihnachtsgast zu sich nach Hause einluden und ihn auf das Beste bewirteten, früher sogar mit einem Kleidungsstück beschenkten. „Es ist vorgekommen, daß alle Siechen aus dem Armenhause geholt wurden, ja daß man sich fast stritt um sie.“[1036]
Die besondere Motivation, armen Menschen zu Weihnachten eine direkte Gabe oder eine Geldspende über eine karitative Institution zukommen zu lassen, hat sich bis heute ungebrochen erhalten. Stellvertretend für die zahlreichen österreichweiten und internationalen Initiativen, die an die religiös oder humanitär motivierte Spendenbereitschaft der Österreicherinnen und Österreicher zur Weihnachtszeit appellieren, sei nur die Aktion „Licht ins Dunkel“ genannt, bei der fast jedes Jahr neue Rekord-Spendenergebnisse erzielt werden.
[996] SLA, Kreisamt, Fasz. 37. Zum Inhalt dieser Berichte vgl. [Veits-Falk 2000], S. 112–114.
[997] [Werminghoff 1979], Bd. 1, S. 209 und S. 214 f.
[998] [Mollat 1987], S. 42 f.
[999] [Schubert 1992], hier S. 247–249.
[1000] Die häufig angeführte Interpretation, dass „festliche Tischgerichte“ zur Weihnachtszeit (auch in Zusammenhang mit den Sternsingern, Frautragen etc.) auf Ernte- und Fruchtbarkeitsbräuche zurückzuführen sind, erscheint in diesem Zusammenhang als erklärungsbedürftig. Vgl. z. B. [Koren 1996], Bd. 3, S. 35 ([Koren 1934]).
[1001] [Salzburger Urkundenbuch 1910], Bd. IV, Nr. 404a.
[1002] [Dopsch/HoffmannR 1996], S. 143.
[1003] [Klieber 1999], S. 72–75.
[1004] [Schubert 1992], hier S. 249.
[1005] [Koren 1996], Bd. 3, S. 501.
[1006] Vgl. auch [Oexle 1986].
[1007] [Kammerhofer-Aggermann 2001c], hier S. 552.
[1008] Vgl. dazu [Spechtler/Uminsky 1978] und [Spechtler/Uminsky 1981], S. 45 f.
[1009] [Werminghoff 1979], Bd. 1, S. 216–218.
[1010] [Koren 1996], Bd. 3, S. 478 f.
[1011] [Kammerhofer-Aggermann 2001c], hier S. 552.
[1017] Vgl. dazu [Veits-Falk 2000], S. 133–139.
[1023] [Adrian 1924], S. 45.
[1024] [Zinnburg 1977], S. 74.
[1026] Vgl. dazu [Weber-Kellermann 1982], S. 186. – [WolfHM 1992], S. 34 f.
[1027] [Salzach-Kreis-Blatt] 1812, Stück 12. – [Veits-Falk 2000], S. 88 f.
[1029] Zu den erwarteten Trinkgeldern anlässlich von Neujahrswünschen von Rauchfangkehrern, Briefträgern, Hausbesorgern oder Müllabfuhrmännern in jüngster Vergangenheit vgl. [WolfHM 1992], S. 26.
[1031] Vgl. z. B. [Falk-Veits 1998].
[1033] Pfarrarchiv Bischofshofen, E I (Bruderhaus, 1794). – [Veits-Falk 2001], hier S. 326.
[1034] Pfarrarchiv Dürrnberg, X Armenwesen 1–4.
[1035] AStS, NStA 252, Verzeichnis der Weihnachts-Spenden für das städtische Versorgungshaus im Jahre 1898.
[1036] [Adrian 1924], S. 33.