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Kapitel 4. Vorbereitung und Fest

Inhaltsverzeichnis

4.1. Gemeinde- und Familienfeier heute (Hans Paarhammer)
4.2. Weihnachtsfestkreis in der evangelischen Kirche (Luise Müller)
4.3. Sankt Nikolaus und Co. Über heilige und unheilige Gabenbringer zur Weihnachtszeit (Ingrid Loimer-Rumerstorfer)
4.4. Sankt Nikolaus, der Erzheilige (Ulrike Kammerhofer-Aggermann)
4.5. Der 8. Dezember (Helga Maria Wolf)
4.6. Rorate (Ulrike Kammerhofer-Aggermann)
4.7. Heischebräuche und Weihnachtsgaben. Von Armenmählern zu Weihnachtsalmosen. Erste, punktuelle Ergebnisse einer historischen Spurensuche (Sabine Veits-Falk)
4.8. Klöpfelnächte und An(g)klöckeln (Ulrike Kammerhofer-Aggermann)
4.9. Glöckler (Adolf Freudl)
4.10. Das Dürrnberger Klöckelsingen (Johann F. Schatteiner)
4.11. Denn sie hatten keinen Platz in der Herberge (Ulrike Kammerhofer-Aggermann)
4.12. Das Wagrainer Herbergsuchen. Ein Heilig-Abend-Spiel (Dieter Bankosegger)
4.13. Die Geburt Jesu und die Propheten (Franz Viktor Spechtler)
4.14. Weihnachten im Schnittpunkt der Kulturen. Ein Lobpreis der Vermischungen (Josef P. Mautner)
4.15. Das Salzburger Adventsingen (Karin Schamberger)
4.16. Der Adventkranz (Ulrike Kammerhofer-Aggermann)
4.17. Die Weihnachtskrippe. Zur Geschichte der Krippenkunst in Salzburg (Ernestine Hutter)
4.18. Der Heilige Josef. Vom Breikocher zum Muskelmann (Konrad Köstlin)
4.19. Krippenverbote der Aufklärungszeit (Ulrike Kammerhofer-Aggermann)
4.20. Heilige Kindln. Jesus in Andachtsgegenständen der Weihnachtszeit (Ingrid Loimer-Rumerstorfer)
4.21. Die Dürrnberger Weihnachtsschützen (Johann F. Schatteiner)
4.22. Traditionelle weihnachtliche Festtagskost (Barbara Rettenbacher)
4.23. Salzburger Weihnachtsspeisen (Ulrike Kammerhofer-Aggermann)
4.24. Schenken (Ulrike Kammerhofer-Aggermann)
4.25. „Morgen, Kinder, wird’s was geben“. Ein Blick auf die Geschichte des weihnachtlichen Gabentisches (Esther Gajek)

4.1. Gemeinde- und Familienfeier heute (Hans Paarhammer)

4.1.1. Kurztext

4.1.1.1. Keine Kultur ohne Fest und Feier

Feste und Feiern bilden eine grundlegende und unzerstörbare Kategorie der menschlichen Kultur- und Religionsgeschichte. Feste sind im Spielraum gesamtmenschlicher Lebensvollzüge Mittel, Ziel und Höhepunkt menschlicher Daseinsbewältigung. Es gehört zur Natur des Menschen, dass er arbeitet und feiert. Der Begriff „Kultur“ kommt vom lateinischen Wort „colere“, das so viel bedeutet wie Land bebauen, bewohnen, aber auch verehren, pflegen. Der religiöse Kult umfasst demnach den gesamten Umgang des Menschen und seiner religiösen Gemeinschaft mit den ihn bestimmenden höheren Mächten und Gottheiten; der Kult ist die Ausdrucksform der Pflege lebendiger Gottesbeziehung, individuell wie gemeinschaftlich. Fest und Feier gehören „lebensnotwendig“ im wahrsten Sinn des Wortes zum Menschen, d. h. die Not des Lebens wendend. Das menschliche Dasein besteht nicht nur aus Werktagen, aus reiner Arbeitszeit. Das Erlebnis des Festes hebt den Menschen aus dem Einerlei des Alltages heraus.

Vom alten griechischen Philosophen Demokrit stammt der Satz: „Ein Leben ohne Feste ist wie ein langer Weg ohne Gasthäuser!“ Er will damit sagen: Der einzelne Mensch braucht in seinem Lebenslauf regelmäßig auch Zeiten, wo er innehalten, Rast machen und Einkehr halten kann – bei sich selbst, bei anderen und vor allem mit anderen, die ihn spüren lassen: Es ist gut, dass es dich gibt, dass wir dich haben; wir teilen die Freude des Lebens mit dir! Das eigene Leben, das Miteinander in Haus und Gemeinde, in Nachbarschaft und Verein, aber nicht weniger das religiöse Leben in Familie und Pfarrgemeinde bietet viele Gelegenheiten, ein Fest zu feiern und dieses Angenommensein zu erfahren.

4.1.1.2. Durch das Jahr und durch das Leben

Die meisten religiösen Feste wie Weihnachten, Ostern, Pfingsten sind vom Gedanken der Erinnerung getragen. Jedes Jubiläum, das wir feiern, jeder Jahrtag, den wir begehen, jeder Geburtstag, zu dessen Feier wir eingeladen werden, ist ein Hereinnehmen eines einmal geschehenen Ereignisses in die Gegenwart. Man nennt dies die „anamnetische Funktion“ des Festes. Eine zweite Gruppe von Festen und Feiern ist jahreszeitlich bedingt und kosmosbezogen; hierzu zählen die Feste um Aussaat und Ernte, die Feste zu den Lebenswenden wie Geburt, Hochzeit und Tod. Auch die Feier des Eintrittes bzw. der Aufnahme in eine Gemeinschaft, die Übertragung oder die Übernahme eines Amtes, Feiern, die mit dem Beruf zusammenhängen, Begrüßungs- und Abschiedsfeiern gehören in diese Kategorie. Man nennt dies die „konsoziative Funktion“ eines Festes.

Feste haben ihren Nährboden immer in der menschlichen Gemeinschaft; sie führen auf die Gemeinschaft hin, sie stiften und vertiefen Gemeinschaft (in Familie und Gemeinde). Feste wachsen aus der Gemeinschaft heraus und vermitteln dem Einzelnen die beglückende Erfahrung mitmenschlichen Angenommenseins. Schließlich bewahren Fest und Feier den Menschen vor Vereinsamung und Verbitterung und fordern ihn heraus, selbst aktiv mitzuwirken und sich mit seinen Begabungen und Talenten einzubringen und auf diese Weise die Kräfte seines Geistes und Gemütes nicht zu verbergen, sondern im biblischen Sinn „auf den Leuchter“ zu stellen und anderen davon mitzuteilen. Feste und Feiern leben aus der Tiefe des Menschen selbst, nicht nur aus seinem Verstand, sondern vielmehr aus den Kräften des Herzens. Für sich allein kann niemand ein Fest feiern. Ein Fest kann es nur in der Verbundenheit mit anderen geben.

4.1.1.3. Die religiöse Dimension von Festen und ihre Gestaltung

Fest und Feier haben seit Menschengedenken ihre Verankerung in Gott, dem Schöpfer und Erlöser des Menschen. Feste sind daher immer Ausdruck und Antwort auf die Fragen: Woher kommen wir? – Wohin gehen wir? – Woran können wir uns halten? In den Festen des Glaubens und der religiösen Gemeinschaft artikuliert der Mensch seine Verwurzelung in Gott und auf Gott hin, berühren einander Zeit und Ewigkeit, Erde und Himmel. Fest und Feier sind deshalb ein „Vorgeschmack für den Himmel“ oder die „ewige Glückseligkeit“, die in der Bibel an mehreren Stellen mit dem Bild des ewigen Festmahles oder des himmlischen Hochzeitsmahles umschrieben wird.

Die Fähigkeit, Feste feiern zu können, hängt davon ab, welches Gespür die Menschen für den Rhythmus der Vorgänge in der Natur, im Jahreslauf und im Gang des liturgischen Feierns des Kirchenjahres haben. Ein Fest beginnt schon lange, bevor es gefeiert wird. Auf Weihnachten bereitet der Advent, auf Ostern die Fastenzeit vor; jeder Sonn- und Feiertag beginnt mit dem Vorabend. Für die Feste und Feiern im Leben eines Menschen gibt es eine Phase der Einstimmung und Hinführung: Taufgespräch zur Taufe, Vorbereitung der Erstkommunion durch Tischmütter, Hinführung zur Firmung durch Firmhelfer, eine Hochzeit wird durch verschiedene Elemente von langer Hand vorbereitet, das christliche Begräbnis durch die Totenwache an den Vorabenden. Eine Feier kann aus einem überraschenden Entschluss oder Ereignis entstehen, ein Fest hingegen erwächst nie aus der Spontaneität. Feste erwachsen aus dem Anlass einer Gemeinschaft, eines Natur- oder Lebensereignisses, aus der Kommunikation mit Natur, Mitmensch und Gott.

4.1.2. Langtext

4.1.2.1. Keine Kultur ohne Fest und Feier

Feste und Feiern bilden eine primäre und unzerstörbare Kategorie der menschlichen Kultur- und Religionsgeschichte.[896] Feste sind im Spielraum gesamtmenschlicher Lebensvollzüge Mittel, Ziel und Höhepunkt menschlicher Daseinsbewältigung. Es gehört zur Natur des Menschen, dass er arbeitet und feiert. Der Begriff „Kultur“ kommt vom lateinischen Wort „colere“ = Land bebauen, bewohnen, aber auch verehren, pflegen. Der religiöse Kult umfasst demnach den gesamten Umgang des Menschen und seiner religiösen Gemeinschaft mit den ihn bestimmenden höheren Mächten und Gottheiten; der Kult ist die Ausdrucksform der Pflege lebendiger Gottesbeziehung, individuell wie gemeinschaftlich. Fest und Feier gehören „lebensnotwendig“ (im wahrsten Sinn des Wortes) zum Menschen, das heißt die Not des Lebens wendend. Das menschliche Dasein besteht nicht nur aus Werktagen, aus reiner Arbeitszeit. Das Erlebnis des Festes hebt den Menschen aus dem Einerlei des Alltags heraus.[897]

Vom griechischen Philosophen Demokrit stammt der Satz: „Ein Leben ohne Feste ist wie ein langer Weg ohne Gasthäuser!“ Er will damit sagen: Der einzelne Mensch braucht in seinem Lebenslauf regelmäßig auch Zeiten, wo er innehalten, Rast machen und Einkehr halten kann – bei sich selbst, bei anderen und vor allem mit anderen, die ihn spüren lassen: Es ist gut, dass es dich gibt, dass wir dich haben; wir teilen die Freude des Lebens mit dir! Das eigene Leben, das Miteinander in Haus und Gemeinde, in Nachbarschaft und Verein, aber nicht weniger das religiöse Leben in Familie und Pfarrgemeinde bietet viele Gelegenheiten, ein Fest zu feiern und dieses Angenommensein zu erfahren.

4.1.2.2. Religiöse Wurzeln von Fest und Feier

Der Glaube, das heißt die religiöse Identität, bietet vielerlei Gelegenheiten zum Feiern. Für den religiösen Menschen ist der Kalender mehr als eine Zählung und Aneinanderreihung von Tagen, Wochen und Monaten, er wird vielmehr zum Festkalender. Die Bezeichnungen „Fest“ und „Feier“ stammen hauptsächlich aus dem religiösen Bereich. Das Wort „Fest“ (fas, dies festivus) kommt vom Lateinischen und bedeutete im Alltag der Römer den Tag der Arbeits- und Gerichtspause, um sich der religiösen Feier zu widmen. Ebenso kommt der Begriff „Feier“ aus dem Lateinischen (feriae) und bezeichnete ursprünglich den Ruhetag bzw. die Zeit, an der keine Geschäfte verrichtet werden durften. Feste und Feiern sind religionsgeschichtlich eng mit rituellen Handlungen verbunden und bringen zwei grundlegende menschliche Bedürfnisse zum Ausdruck: den Transzendenzbezug und die Hinordnung auf die Pflege gemeinschaftlicher Beziehungen.

4.1.2.3. Leben in den Kategorien von Raum und Zeit sowie im Spannungsfeld von Individuum und Gemeinschaft

Feste und Feiern gliedern in allen Kulturen die Zeit und geben dem Jahreslauf wie dem Lebenslauf eine feste Struktur. Dies gilt auch für die Gestaltung menschlicher Lebensräume, die durch Fest und Feier ihre Bedeutung, ihren Charakter, ihre Bestimmung und ihren Schmuck bekommen. Feste markieren zudem wichtige Punkte, Stationen und Abschnitte des menschlichen Daseins. Die Gemeinsamkeit des festlichen Erlebens, die gleiche Erfahrung des sich über den Alltag Erhebens fördert die Einheit und Stabilität der Gemeinschaft. „Das Fest stellt sich in seiner idealtypischen Reinheit als eine Vergemeinschaftungsform dar“.[898]

Im Unterschied zum Fest liegt einer Feier „immer eine bewußt ausgearbeitete Idee oder ein Weltbild zugrunde“. Traditionen werden gepflegt und Werte ins Bewusstsein geholt. Riten und Zeremonien sind für das Gelingen einer Feier notwendig. So sehr Fest und Feier zu unterscheiden sind, haben sie doch einen engen Bezug aufeinander und bedingen einander. Der Grund für eine Differenzierung von Fest und Feier liegt in deren sozialen Bedeutungen und Funktionen. Beide gehören zur Fülle der Wirklichkeitserfahrung des Menschen, zeigen aber unterschiedliche Möglichkeiten zur Bewältigung der alltäglichen Wirklichkeit. Die Feier gibt dem alltäglichen Handeln Sinn und Bedeutung und das Fest hebt die alltägliche Wirklichkeit heraus.

4.1.2.4. Werte und Sinnstiftung

Die moderne philosophische Anthropologie hat überzeugend dargelegt, dass Ideen, Werte und Weltbilder unmittelbar zum Wesen des Menschen gehören. Es ist ihm von Natur aus aufgegeben, aktiv zur Welt Stellung zu beziehen und sein Leben sinnvoll zu gestalten. Eine Feier ist der soziale Ort, wo dem Menschen diese Ideen, Werte und Weltbilder bewusst werden, wo er sich der persönlichen Ziele und Zwecke seines Lebens vergewissern kann. Für J. A. Jungmann ist „Gemeinschaft immer Versammlung um Werte“. Die Feierkultur in Gemeinde und Familie wird zum Spiegelbild für die Werte, die das Zusammenleben bestimmen.

4.1.2.5. Christliche Deutung

Eine christliche Definition des Festes wurzelt in dem biblischen Grundsatz: Das Fest ist „der Tag, den Gott gemacht hat“ (vgl. Ps 117,24). Der Mensch kann die Feier machen und gestalten, aber nicht den Grund und den Anlass zum Fest. Der katholische Philosoph Josef Pieper hat den Satz geprägt: „Ein Fest feiern heißt: die immer schon und alle Tage vollzogene Gutheißung der Welt aus besonderem Anlaß auf unalltägliche Weise begehen.“[899] Im Fest bestätigt der Mensch sein grundsätzliches „Ja zum Leben“, seine Freude über die Welt im Ganzen und über das Dasein des Menschen selbst. Den tiefsten Grund aller Festfreude und überhaupt des Anlasses ein Fest zu feiern, sieht Josef Pieper darin, „dass die Welt und das Dasein im Ganzen uns etwas Gutes und Geliebtes sind, dass uns die schlechthin universale Zustimmung und Bejahung gelingt, welche sagt: Alles, was ist, ist gut; und es ist gut, zu sein.“[900] Ohne Bejahung des Daseins gibt es kein Fest!

Dieses „Einverständnis mit allem, was ist“, entspricht dem „sehr gut“ des Schöpfers, das dieser am siebten Tag gesprochen hatte. Im Fest bekräftigt der Mensch die Gutheit des Seins durch die Antwort der Freude. Feste werden so zu „Haltepunkten im menschlichen Leben, die bewußt machen, daß das Leben sinnvoll und etwas Schönes ist“.[901] Josef Pieper erzählt vom Erlebnis eines wochenlangen indischen Festes, bei dem ihm ein orthodoxer Hindu auf seine Frage, „über was denn die Menschen sich freuen, die großartige Antwort gegeben (hat): ‚Es ist die Freude, ein Geschöpf zu sein, das Gott aus Freude geschaffen hat.‘“[902]

Seit dem Schöpfungsbericht, in dem es heißt, dass alles „sehr gut“[903] war, was Gott geschaffen hatte, hat der Mensch Grund zum Feiern! Weil er selbst – der Mensch – Gottes Ebenbild ist und sehr gut geschaffen wurde, bedenkt dies der Mensch dankbar und froh und ruft sich das „Geschenk des Erschaffenseins“ immer wieder neu in Erinnerung. Als Geschenk freilich – auch das ist eine bedenkenswerte Sache – sind sämtliche Anlässe der großen Festtage gedacht: die Überwindung des Todes; das Glück, da zu sein; die Teilhabe am göttlichen Leben: All das ist einfach Geschenk. „Und weil niemand sich selber etwas schenken kann, darum kann es kein wirkliches Fest geben, das ganz und gar menschliche Gründung und in solchem Sinn reines ‚Menschenwerk‘ wäre.“[904]

Aber nicht nur im „Rückblick“ sozusagen auf die Schöpfung und den Schöpfer, sondern auch im „Ausblick“ auf das letzte Ziel, die ewige Vollendung und Erfüllung des Lebens haben die christlichen Feste ihre Sinnstiftung und Bedeutung: „Christliche Feste sind Feste der Erwartung und des Dankes. Im Mittelpunkt steht ein verheißener, zukünftiger, besserer Zustand, auf den hin alles ausgerichtet wird und neben dem unser endliches Leben verblasst. Alles Erdenleben und alle Erdenfeste sind lediglich ein Abglanz all dessen, was da einmal über uns hereinbrechen wird oder an dem wir teilhaben dürfen – je nachdem, wie dereinst entschieden worden sein wird.“[905]

4.1.2.6. Wesensmerkmale für Fest und Feier

Jedes Fest hat einen besonderen Anlass bzw. ist aus einem besonderen Ereignis entstanden und herausgewachsen. Es gibt Ereignisse im Jahreslauf, im Lauf der Geschichte und im Lebenslauf des Menschen, die von so einschneidender und das Leben und Geschick unseres Daseins wendender Bedeutung und Tragweite sind, dass sie der Mensch vor dem Vergessen bewahren und aus der Vergangenheit in die Gegenwart hereinholen will. Ein vergangenes Ereignis soll durch die Kraft der Erinnerung vor dem Vergessen bewahrt bleiben und in einem gegenwärtigen festlichen Geschehen weiterwirken.

„Natürlich werden die Feste vom Menschen nicht nur begangen und gefeiert, sondern auch eingerichtet, von der Festsetzung auf einen bestimmten Kalendertag bis zur konkreten Gestaltung des festlichen Tuns. Die Feier kann also der Mensch in gewissem Sinn selber machen, aber nicht das zu Feiernde, nicht den festlichen Anlaß und den Grund zum Feiern. [...] Unverfügbar ist aber, wohl zu bedenken, nicht nur der Grund und Anlaß des Festes, sondern auch seine Frucht. Was für einen Sinn hätte sonst der uns völlig vertraute, uralte Menschenbrauch, einander zu den großen Festen Glück zu wünschen? Was für ein Glück? Es ist schwer zu beschreiben, obwohl es dafür viele Namen gibt. Was eigentlich wünschen wir einander denn sinnvollerweise in den herzlichen Weihnachtswünschen? Gesundheit, ungetrübtes Miteinander, Gedeihen der Kinder, Erfolg und sogar – warum auch nicht? – guten Appetit zum Feiertagsschmaus. Aber das in Wahrheit Wünschens-Werte ist doch wohl das Gelingen der festlichen Feier selbst, nicht nur, was sie von außen bereichert und schmückt, nicht die Zugaben, sondern die Gabe, die den Menschen als innere Frucht des Festes zugedacht ist: Erneuerung, Verwandlung, Verjüngung, Wiederherstellung, Wiedergeburt.“[906]

4.1.2.6.1. „Zukunft aus Erinnerung“ – Die „anamnetische Funktion“ des Festes

Die meisten religiösen Feste, wie z. B. Weihnachten, Ostern, Pfingsten, sind vom Gedanken der Erinnerung getragen. Was einmal war und geschehen ist, soll nicht vergessen werden, es soll in unsere Zeit, in unser Leben hereingeholt werden. Man nennt dies die „anamnetische Funktion“ des Festes. „Mit dem Festgeschehen wird also die Aufgabe gedacht, dass etwas historisch Vergangenes oder im Mythos ‚Existierendes‘ in die momentane Gegenwart des Hier und Jetzt übertragen und durch Erinnerung wieder aktuell gemacht werden kann.“[907]

Jedes Jubiläum, das wir feiern, jeder Jahrtag, den wir begehen, jeder Geburtstag, zu dessen Feier wir eingeladen werden, alles das ist ein Hereinnehmen eines einmal geschehenen Ereignisses in die Gegenwart. Im Fest leuchtet der konkrete Bezug zu unserem Dasein auf. Ein bloßer Gedenktag muss daher nicht schon zum Festtag werden. Das schlechthin Vergangene kann nicht wirklich gefeiert werden, es sei denn, dass seine Bedeutung als direkt uns betreffend empfunden wird. Im Hinblick auf Weihnachten betont Josef Pieper klar und mit Recht: „Wenn – konkreter und etwas aggressiver gesprochen – wenn das Ereignis, dass Gott Mensch geworden ist, um uns Anteil haben zu lassen am Leben Gottes, wenn das Geschehnis der Menschwerdung Gottes – aus welchen Gründen auch immer – nicht mehr erfahren wird als etwas, das unsere Existenz hier und jetzt völlig unmittelbar betrifft, dann ist es in der Tat unmöglich geworden und übrigens auch sinnlos, Weihnachten zu feiern.“[908]

4.1.2.6.2. Durch das Jahr und durch das Leben – Die „konsoziative Funktion“ des Festes

Eine zweite Gruppe von Festen und Feiern sind jahreszeitlich bedingt und kosmosbezogen; hierzu zählen die Feste um Aussaat und Ernte, um Hoch- und Tiefstand der Sonne; auch die Feste zu den Lebenswenden wie Geburt, Hochzeit, Tod und Begräbnis, sind unter diesem Gesichtspunkt zu sehen. Auch die Feier des Eintritts bzw. der Aufnahme in eine Gemeinschaft (z. B. Professablegung in einem Kloster, Feier der Primiz), die Übertragung oder die Übernahme eines Amtes, Feiern, die mit dem Beruf zusammenhängen, Begrüßungs- und Abschiedsfeiern, gehören in diese Kategorie. Man kann dies als die „konsoziative Funktion“ eines Festes bezeichnen.

Feste haben immer ihren Nährboden in der menschlichen Gemeinschaft; sie führen auf die Gemeinschaft hin, sie stiften und vertiefen Gemeinschaft (in Familie und Gemeinde). Feste wachsen aus der Gemeinschaft heraus und vermitteln dem Einzelnen die beglückende Erfahrung mitmenschlichen Angenommenseins. Schließlich bewahren Fest und Feier den Menschen vor Vereinsamung und Verbitterung und fordern ihn heraus, selbst aktiv mitzuwirken und sich mit seinen Begabungen und Talenten einzubringen und auf diese Weise die Kräfte seines Geistes und Gemütes nicht zu verbergen, sondern im biblischen Sinn „auf den Leuchter“ zu stellen und anderen davon mitzuteilen. Feste und Feiern leben aus der Tiefe des Menschen selbst, nicht nur aus seinem Verstand, sondern vielmehr aus den Kräften des Herzens. Für sich allein kann niemand ein Fest feiern. Ein Fest kann es nur in der Verbundenheit mit anderen geben.

4.1.2.6.3. Religiöse Dimension – Die „mimetische Funktion“ von Festen

Fest und Feier haben seit Menschengedenken ihre Verankerung in Gott, dem Schöpfer und Erlöser des Menschen. Feste sind immer Ausdruck und Antwort auf die Fragen: Woher kommen wir – wohin gehen wir – woran können wir uns halten? In den Festen des Glaubens und der religiösen Gemeinschaft artikuliert der Mensch seine Verwurzelung in Gott und auf Gott hin, berühren einander Zeit und Ewigkeit, Erde und Himmel. Fest und Feier sind deshalb ein „Vorgeschmack für den Himmel“ oder die „ewige Glückseligkeit“, die in der Bibel an mehreren Stellen mit dem Bild des ewigen Festmahles oder des himmlischen Hochzeitsmahles umschrieben wird. „Das Fest ist der Inbegriff des Lebensspiels. Es bildet die Angel, in der die Tür des Lebens sich dreht.“ Man nennt dies „die mimetische Festtheorie“.[909]

4.1.2.7. Christliche Prägung der Zeit durch Fest und Feier

Nach christlicher Glaubensüberzeugung wird der gläubige Mensch von kirchlichen Festen und Feiern nicht nur gehalten, sondern Feste und Feiern heiligen seinen Lebenswandel und bestimmen seinen Lebensrhythmus. Die Kirche entfaltet in feierlicher Form das gesamte Mysterium des Glaubens. Schöpfungs- und Erlösungsordnung prägen den Lebensstil der christlichen Kultur.

Der Sonntag als Tag des Herrn – der Wochenrhythmus geht auf den biblischen Schöpfungsbericht zurück (vgl. Gen 1) – ist der Eckpfeiler der christlichen Feierkultur. Als „Herrentag“ ist er der Urfeiertag der Christen, der den Sinn der Zeit offenbart.[910] Er ist als Tag des auferstandenen Christus und Tag der Kirche zum Tag der Freude, der Ruhe und der Solidarität der Menschen geworden. „Die eucharistische Versammlung ist das Herz des Sonntags.“ (Johannes Paul II.). An diesem wöchentlich wiederkehrenden Festtag soll der Mensch zum Sinn seines Lebens finden und Kraft für den Werktag schöpfen.

Neben dem Sonntag prägt das Kirchenjahr mit seinen Festkreisen den Jahres- und Lebenslauf der gläubigen Menschen. Die terminliche wie inhaltliche Festlegung des liturgischen Jahres hebt den Gemeinschaftscharakter hervor, denn sie entzieht das Fest der Beliebigkeit des Einzelnen. Durch Vorgaben schafft das Kirchenjahr Heimat, Geborgenheit und Identität in Raum und Zeit und hält Zeiträume offen für die „Zustimmung zur Welt“ (Josef Pieper). Die Kirche entfaltet im Laufe des Jahres das grundlegende Erlösungsthema, „das ganze Mysterium von der Menschwerdung und Geburt bis zur Himmelfahrt, zum Pfingsttag und zur Erwartung der seligen Hoffnung und der Wiederkunft des Herrn.“[911] Bei der Feier der Mysterien Christi im Jahreskreis hat die Verehrung der Gottesmutter einen hohen Stellenwert, der sich in den Marienfesten der Unbefleckten Empfängnis (8. Dezember), der Gottesmutterschaft (1. Jänner), der Verkündigung des Erlösers (25. März), der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel (15. August) und der Geburt der allerseligsten Jungfrau und Gottesmutter (8. September) manifestiert. „In diesen Kreislauf des Jahres hat die Kirche auch die Gedächtnistage der Martyrer und der anderen Heiligen eingefügt.“[912]

Die tragenden Pfeiler des Kirchenjahres sind der Weihnachts- und der Osterfestkreis. Der Begriff „Festkreis“ ist eine verhältnismäßig junge Bezeichnung für einen Zeitraum innerhalb des liturgischen Jahres. Jeder Festkreis hat ein bestimmtes Hochfest zum Mittelpunkt, um den sich noch weitere Feste und Zeiten gruppieren, die sich inhaltlich auf das Hochfest beziehen. Zwischen dem Oster- und dem Weihnachtsfestkreis liegt die „Zeit im Jahreskreis“ mit den fortlaufend gezählten Sonntagen (33 oder 34 Wochen), aufgegliedert in zwei Phasen: erstens von der Erscheinung des Herrn (6. Jänner) bis zum Aschermittwoch (1. Phase) und zweitens vom Pfingstmontag bis zum 1. Adventsonntag (2. Phase).

Karl-Heinz Bieritz spricht von sechs prägenden Kräften, die verantwortlich sind für die Strukturierung der liturgischen Gestalt des Kirchenjahres:[913]

  • die jüdische Festordnung, denn aus ihr stammt das Grundmuster des Osterfestkreises, die lunisolare Zeiteinheit und die Anschauung, dass zur Gerechtigkeit des Frommen die Teilnahme am Fest gehört;

  • das Bewusstsein, dass mit Jesus Christus eine neue Ära begonnen hat, die zugleich als Endzeit qualifiziert ist;

  • die Verehrung der Apostel, Martyrer und Heiligen als Zeugen Jesu Christi;

  • das Interesse, alle kirchliche Verehrung auf Jesus Christus zu konzentrieren;

  • die unterschiedlichen theologischen und katechetischen Interessen, die zu Ideen- und Devotionsfesten führten;

  • die verschiedenen monastischen Bestrebungen, die liturgischen Zeiten und Feiern abwechslungsreich zu gestalten.[914]

4.1.2.8. Gestaltung von Festen

Ein Fest beginnt lange schon, bevor es gefeiert wird. Oftmals gibt es auf ein großes Fest hin eine lange Vorbereitungszeit (Advent auf Weihnachten, Fastenzeit auf Ostern hin). Jeder Sonntag und Feiertag beginnt eigentlich mit dem Vorabend. Feste und Feiern des Lebens haben eine Phase der Einstimmung und Hinführung: Taufgespräch zur Taufe, Vorbereitung der Erstkommunion durch Tischmütter, Hinführung zur Firmung durch Firmhelfer, Vorbereitung einer Hochzeit von langer Hand, die Totenwache an den Vorabenden als Vorbereitung auf das christliche Begräbnis. Ein Fest erwächst nie aus der Spontaneität; hingegen kann eine Feier sehr wohl aus einem überraschenden Entschluss oder Ereignis entstehen.

Feste erwachsen aus dem Anlass einer Gemeinschaft, eines Natur- oder Lebensereignisses, aus der Kommunikation mit Natur, Mitmensch und Gott. Im Grunde werden deshalb drei Hauptgruppen von Festen unterschieden: Übergangsfeste (Übergänge im Lebenszyklus des einzelnen Menschen), Naturfeste (stehen in Verbindung mit der Sonnenwende im Sommer und Winter als kritische Angelpunkte des Jahres; in den bäuerlichen Kulturen stehen die wirtschaftlichen Tätigkeiten und die Feste in besonders enger Beziehung) und heilsgeschichtliche Feste (diese haben in den Erlösungsreligionen ihren hohen Stellenwert; „sie sind die Erinnerung an das Eingreifen Gottes oder an Ereignisse im Leben von religiös bedeutsamen Gestalten (Stifter, Heilige)“.[915]

Daher wiederholen sich zu bestimmten Zeitpunkten bestimmte Feste immer wieder, wobei das Jubiläum stets an ein einmaliges gefeiertes Ereignis anknüpft, um dieses in die Gegenwart hereinzuholen und seine Bedeutung zu erneuern. „Zum Fest gehört eine Art Wiederkehr. Wir reden zwar von wiederkehrenden Festen im Unterschied zu einmaligen Festen. Die Frage ist, ob das einmalige Fest nicht eigentlich selbst immer nach seiner Wiederholung verlangt. Wiederkehrende Feste werden nicht so benannt, weil sie in eine Zeitordnung eingetragen werden, sondern umgekehrt, die Zeitanordnung entsteht durch die Wiederkehr der Feste.“[916]

4.1.2.8.1. „Feiern mit allen Sinnen“

Bei der Einstimmung, Vorbereitung und Durchführung eines Festes sollen alle Sinne des Menschen angesprochen werden und Herz und Gemüt bewegen. Deshalb gibt es viele Zeichen und Mittel, mit denen einem Fest eine besondere Note gegeben werden kann. Jede Festzeit hat ihre Festzeichen. So gehört zum Advent der Adventkranz, zu Weihnachten der Christbaum und die Krippe, zum Osterfest das Osterlamm, der Osterstrauch etc. Nach den fünf Sinnen des Menschen soll ein Fest sichtbar, hörbar, riechbar, schmeckbar und greifbar (fühlbar, spürbar) sein. Wenn die Elemente der Festgestaltung gut aufeinander abgestimmt sind und in das Feiern unserer Lebensräume von Haus, Dorf und Stadt eingebunden sind, dann sind Feste etwas Erhebendes und Belebendes.

Sichtbar wird das Fest durch die Raumgestaltung, durch das Schmücken von Häusern, Plätzen und Wegen (z. B. mit Fahnen und Girlanden, Kränzen, Blumen und Lichtern). Sichtbar wird das Fest durch den Tischschmuck, durch Tracht und Festgewand, durch Schmuck und Festabzeichen, durch Fahnen, Laternen, Prangstangen, durch Zeichen und Symbole, die auf den Festanlass direkt hinweisen oder den Festinhalt offenbaren. Sichtbar wird ein Fest durch Gruppen, Vereine, Gemeinschaften, die in ihrem Auftreten und Sich-Bewegen einem Fest eine ganz typische Note verleihen (man denke an die Vielgestalt von Tänzen, Prozessionen, Umzügen, Aufmärschen).

Hörbar wird das Fest durch Musik und Gesang, durch Gedicht und Festrede, durch den Klang der Glocken und den Salut der Schützen. Hörbar wird das Fest im gemeinsamen Beten und Singen, im Klatschen und Jauchzen, im Darbringen von Glückwünschen und Ehrenbezeugungen. Hörbar wird das Fest durch das Zusammenspiel vieler Kräfte, wie es erhebender nicht sein könnte beim festlichen „Großer Gott wir loben Dich“. Hörbar wird das Fest schon einen Tag vorher durch das sogenannte „Feiertagsläuten“ oder zeitig in der Früh durch einen Weckruf der Musikanten oder durch einen Salut der Schützen.

Riechbar wird das Fest durch den Wohlduft des Gebäcks und der zubereiteten Speisen, durch den Duft der Kerzen und Blumen, durch den Wohlgeruch der Tannen und Kräuter und Früchte. Manchmal ist dieser Wohlgeruch des Festes schon einige Zeit vor dem Fest zu verspüren, er ist gleichsam Vorbote des kommenden Festes (z. B. im Advent das Backen der Lebkuchen, Kekse und des Kletzenbrotes). Die Kirche verwendet wohlduftende Harze, um das Herz zur Anbetung des Allerhöchsten zu erheben. Wie der Weihrauch das Gotteshaus erfüllt und zeichenhaft emporsteigt, so sollen auch die Feierräume der Familie und der Gemeinde von der Gegenwart und Herrlichkeit Gottes erfüllt werden. Die Bräuche der Haussegnung mit dem „Rauchengehen“ zur Weihnachtszeit sind diesbezüglich etwas Wichtiges: Haus und Hof, Stall und Vieh, Stube und Familie werden in den Duft des Weihrauchs hineingenommen: Es ist Zeichen für Gottes geheimnisvolle Gegenwart und für seinen Segen über allem, was da lebt.

Schmeckbar wird das Fest durch das gemeinsame Mahl, durch Essen und Trinken in froher Tischgemeinschaft. „Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen“ sagt ein altes Sprichwort. Feste ohne Festmahl sind nicht denkbar. Durch das gemeinsame Festessen wird die Gastfreundschaft gekrönt, erhält jedes Fest seinen Höhepunkt. Ein „Festessen“ ist daher etwas anderes als nur „fest essen“, es ist „Gipfel und Quelle“ allen festlichen Feierns und jeder festlichen Gemeinschaft. Charakteristische Festspeisen geben Informationen über den Inhalt und den Anlass eines Festes. Bestimmte Speisen waren und sind für bestimmte Feste „reserviert“. Segnungen von Speisen und Mählern werden zu bestimmten Gelegenheiten vorgenommen. Eine festliche Tischgemeinschaft gehört zu jedem Jubiläum genauso wie zu den Feiern der Wenden des Lebens wie Taufe, Hochzeit und Begräbnis.

Spürbar, greifbar und fühlbar wird das Fest durch Geschenke und Gaben, die überbracht oder gereicht oder verteilt werden. Sie sind Zeichen von Festesfreude, freundschaftlicher Zuneigung und sich mitteilender Liebe und Wertschätzung. Das sogenannte „Weisen“ bei der Hochzeit, das Gratulieren bei einem Jubiläum, das Verteilen der Geschenke durch den heiligen Nikolaus oder die „Bescherung“ am Heiligen Abend offenbaren „spürbar“, was gefeiert wird. Aber auch der Händedruck im freundlichen Gruß bei einer Gratulation oder Danksagungsfeier vermitteln „greifbar und fühlbar“ die Festlichkeit eines bestimmten Anlasses.

Das Tanzen in vielgestaltigen Formen, das Erheben des Glases zum gegenseitigen Wohle, nicht zuletzt das Mittragen von Zeichen und Symbolen, wie z. B. von Fahnen und Bildern, von Prangstangen und des Traghimmels, von Bruderschaftsabzeichen und Insignien, machen ein Fest zusätzlich zur Sichtbarkeit auch spürbar. Auch das eigene aktive Mitgestalten eines Festes durch Dienste, Ämter und Funktionen macht ein Fest zu einem spürbaren Ereignis und Erlebnis.

Eines der stärksten Ausdrucksmittel der Festgestaltung ist das darstellende Spiel; es kann auf seine Weise Freude vermitteln und den Sinn eines Festes aufhellen. Thomas von Aquin pflegte gerne zu sagen: „Das Spiel ist notwendig zur Führung eines menschlichen Lebens!“ „Das Spiel als Prototyp des Festes [...] ist eine Aktivität des freien Menschen in der freien Zeit. Im Spiel lebt ein eigentlicher Sinn. Auf diesen können Gemeinschaft und der einzelne nicht verzichten. Damit erhält das Spiel im Rahmen der Kultur eine Funktion.“[917] Der Philosoph Hans-Georg Gadamer betont im Hinblick auf die menschliche Bedeutung von Fest und Spiel: „Das Fest ist eine Form der Freiheitserfahrung. Wenn man bedenkt, wie geregelt alle Erziehung und all unser arbeitsames Leben ist, dann ist das Fest jener Ort, wo wir von dem, was ansonst von uns verlangt wird, entlastet sind.“[918] Nur immer unter Leistungsdruck stehen, nur Arbeit haben, nur immer Werktag ertragen müssen, macht das Leben hart und den Menschen mit der Zeit mürrisch, kalt und unfrei.

4.1.2.8.2. Die Fähigkeit, zu feiern und der gute „Nachhall“

Die Fähigkeit, Feste feiern zu können, hängt vom Gespür die Menschen für den Rhythmus der Vorgänge in der Natur, im Jahreslauf und im Gang des liturgischen Feierns des Kirchenjahres ab. Der Wechsel der Jahreszeiten, das Dahingehen der Jahre, die Wenden unseres Lebens und die Vorgänge in unserer Gesellschaft fordern uns immer wieder heraus, mit Einfühlungsvermögen, Fantasie und „Esprit“ die Feste vorzubereiten und zu gestalten. Die Fähigkeit, ein Fest feiern zu können, ist auch davon geprägt, wie wir selbst von Kindesbeinen an das Feiern erlebt und welchen Nachhall erhebender Feste wir selbst in uns bewahrt haben. Fest und Feier haben immer mit lebendiger Tradition zu tun, das heißt mit der lebendigen und rührigen Weitergabe des Wahren, Guten und Schönen in den Bräuchen. Fest und Feier sind darüber hinaus auch immer Auftrag und Anruf, die eigenen Talente und Begabungen, die persönlichen „Charismen“, für das größere Ganze der menschlichen Gemeinschaft in Familie, Verein, Dorf und Gemeinde einzubringen. Das alte Dichterwort wird deshalb im Hinblick auf Fest und Feier seine ungebrochene Bedeutung auch künftig behalten: „Willst Du glücklich sein im Leben, trage bei zu anderer Glück, denn die Freude, die wir geben, kehrt ins eigene Herz zurück!“

Ist dann ein Fest gefeiert und vorüber, stellen das Leben und die Werktage wieder ihre Anforderungen. Die nachhaltige Wirkung eines Festes, das „erhebend“ war, prägt die Atmosphäre einer Gemeinschaft positiv. Der gute „Nachhall“ begleitet Gemeinde und Familie, sodass die Freude am „Wahren, Guten und Schönen“ das Zusammenleben bestimmt. Jedem Fest wohnt ein besonderer transzendenter Charakter inne, das heißt eine Kraft, die über den Menschen und seine Zeitlichkeit und Lebensräume hinausführt zu Gott und damit zur Ewigkeit. Wenn allerdings die an einem Fest Beteiligten zum Ende des Festes stöhnend seufzen, wie froh sie sind, dass Fest und Feier nun endlich vorüber und damit „überstanden“ sind, dann mag man schwerlich von einem Fest reden können. Denn das, was gefeiert wurde, war nicht erhebend, sondern erdrückend, nicht belebend, sondern belastend. Somit kann es kein Fest im eigentlichen Sinn des Wortes gewesen sein.

4.1.2.9. „Segnungen“ und „Weihungen“

Feiern von Segnungen haben im privaten wie im öffentlichen Leben einen bedeutsamen Stellenwert. Das Segnen gehört zu den Urgesten des Menschen und ist in allen Religionen anzutreffen. Es nimmt in vielfältigen Ritualen Gestalt an und prägt die Bräuche der Menschen im Kreis der Familie und im größeren Ganzen des Stammes, der Sippe, der Gemeinde und eines Landes. Diese Segnungen sind stark vom religiösen Empfinden der Menschen getragen und haben auch in der Gegenwart große Bedeutung. Der einzelne Mensch wie die Gemeinschaft der Familie, der Nachbarschaft, des Dorfes, der Pfarre und der Gemeinde erfahren sich als „segensbedürftig“. Dies ist eine interessante und sehr alte Erfahrung der Menschen. Dahinter stehen die dem Menschen innewohnende Sehnsucht und das Verlangen nach Heil, Schutz, Glück und Erfüllung des Lebens. Deshalb sprechen sich Menschen auch gerne gegenseitig Segen zu und wünschen sich Gutes, Gesundheit, Glück und Erfolg. Jede Gratulation ist im Grunde von dieser wohlmeinenden Mentalität und Intention getragen.

Segnungen sind Zeichenhandlungen, die das Leben von Einzelpersonen genauso wie der menschlichen Gemeinschaft im privaten wie im öffentlichen Bereich aus dem Glauben deuten und gestalten. Manche Segnungen machen in besonderer Weise auf die Geheimnisse des Glaubens aufmerksam und tragen dazu bei, dass Glaubensinhalte besser verstanden und tiefer empfunden werden. Bestimmte Segnungen sollen helfen, Existenzängste zu überwinden oder abzubauen, Hoffnung und Zuversicht zu wecken, dass der Mensch nicht auf sich allein gestellt ist. Das Wort von Alfred Delp bietet dazu eine schöne Motivation: „Lasst uns dem Leben trauen, weil wir es nicht allein zu leben brauchen, sondern weil Gott selbst es mit uns lebt!“

In den Segnungen werden die von Gott geschaffenen Dinge als „Gaben aus Gottes Hand“ gedeutet und als Zeichen zur Förderung des leiblichen und geistlichen Wohles des Menschen geschätzt und gewürdigt. „So werden die Gaben der Schöpfung und das Werk des Menschen zum Anlaß, sich zu Gott hinzukehren, ihm zu danken, ihn zu preisen und ihn um Hilfe anzurufen“, sagt das „Benediktionale“, das amtliche Buch der römisch-katholischen Kirche für die Feier von Segnungen.[919] Durch die Segnungen sollen also auch geistliche Wirkungen bezeichnet und vermittelt werden. Im Segnen soll Gottes Hilfe und Nähe erbetet und herbeigerufen werden. Die Bibel spricht in Bildern von Gott als der Quelle alles Guten und allen Segens (vgl. Gen 1, 22–28). Der Segen Gottes wirkt sich zunächst in der Schöpfung aus: Er ist Gabe Gottes vornehmlich an die Menschen, die ihrerseits ein Segen sein sollen für die anderen (vgl. Gen 12,1–3).

Bei allen Segnungen „ergeht die Bitte letztlich nie über die Dinge, sondern über den Menschen, der im Gebrauch der Welt zu Gott finden soll, durch dessen Erlösung die ganze Schöpfung befreit werden soll von der knechtischen Bindung an die Vergänglichkeit; durch die Segnung wird nicht die Sache verändert, sondern die Änderung des Menschen erbeten, der sich der Herrschaft Gottes unterwerfen soll im Gebrauch seiner Schöpfung. Gesegnet werden darum nicht nur die Gaben der Natur, sondern ebenso die Produkte der Technik, in der der Geist des Menschen sich die Schöpfung nach dem Auftrag Gottes untertan macht.“[920]

Segnen zielt auf eine enge Lebensgemeinschaft zwischen Gott und Mensch, Schöpfer und Geschöpf hin. Durch den Segen will sich der Mensch zugleich auch von seinem Gott angenommen erfahren und sich bei ihm geborgen fühlen. Deshalb ist die Antwort des Menschen auf den Segen immer der Lobpreis und die Danksagung. „Das lateinische Wort benedictio (ähnlich die entsprechenden hebräischen und griechischen Ausdrücke) meint zunächst den feierlichen Lobpreis Gottes. Wird dieser gesprochen angesichts seiner Schöpfungsgaben und bei ihrem Gebrauch, so werden darin die Dinge in ihrer Gottbezogenheit erkennbar, sie werden ‚gesegnet‘ (geheiligt, geweiht, heilig), wie dies 1 Tim 4,3–5 ausdrücklich lehrt.“[921] Nach vielen Zeugnissen der Bibel bewirkt dieser Lobpreis wiederum Segen. So sagt z. B. der Kirchenlehrer Augustinus: „Wir wachsen, wenn Gott uns segnet, und wir wachsen, wenn wir Gott preisen. Beides ist gut für uns. Das erste ist, daß Gott uns segnet. Und weil er uns segnet, können wir ihn preisen. Von oben kommt der Regen; aus unserem Erdreich wächst die Frucht.“[922]

In den Segensgebeten kommt bisweilen zum Ausdruck, dass die schöpfungswidrigen Mächte des Bösen ferngehalten und überwunden werden sollen und dass so der Mensch sich von Angst und Furcht befreit erfährt. Segnungen motivieren zur Freude am Leben und führen zur Erfahrung des Wahren, Guten und Schönen. Was in einem alten Kirchenlied gesungen wird, soll zur Grundmelodie individueller und gemeinschaftlicher Lebensgestaltung werden: „Alles meinem Gott zu Ehren, dessen Macht die Welt regiert, der dem Bösen weiß zu wehren, daß das Gute mächtig wird!“[923] Segnungen gründen im Gottvertrauen des Menschen und setzen als Zeichen des Heiles beim Spender wie beim Empfänger den Glauben voraus. „Damit ist magisches Selbstverständnis grundsätzlich ausgeschlossen.“[924] Menschliches Leben und menschliche Kommunikation vollziehen sich nicht nur in Worten, sondern auch in Gebärden, Gesten und Verhaltensweisen. Auch in einer technisch rationalen, von Wirtschaft und Wissenschaft dominierten Lebenswelt dürfen Herz und Gemüt des Menschen nicht zu kurz kommen. Deshalb braucht es viele sinnenfällige Zeichen, in denen der Mensch Verbundenheit, Hoffnung und festliche Freude erfährt. Wenn sie verkommen oder gar fehlen, verarmt das menschliche Leben und verkümmert die menschliche Gemeinschaft.

Segnungen als heilige Zeichen geben, besonders wenn sie festlich gestaltet werden, dem religiösen Leben wie überhaupt dem Zusammensein in Familie und Gemeinde eine vielfältige Ausdrucks- und Anziehungskraft. Segnungen verkünden die Frohbotschaft des Glaubens sehr konkret auf menschliche Lebenssituationen hin und machen darauf aufmerksam, dass Zeit und Raum in Gott überreich gesegnet sind. Im Regelfall finden Segnungen öffentlich in Gestalt von gemeinschaftlichen Feierhandlungen statt. Damit soll eine Atmosphäre frohen Lebens und zuversichtlichen Glaubens entstehen und gefördert werden. Manifestiert werden soll, dass unser ganzes Leben gottbezogen und in ein gutes menschliches Miteinander und Füreinander eingebunden ist.

4.1.2.9.1. Segnungen im Spannungsfeld von „privat“ und „öffentlich“

Örtliche und regionale Traditionen haben bei der Festkultur von Segnungsfeiern ihre Eigenheiten und Schwerpunkte, wobei oftmals festzustellen ist, dass es im Laufe der Zeit zu einer „Inkulturation“ des Evangeliums und damit christlicher Wertvorstellungen gekommen ist. Es besteht immer die Gefahr, dass es zu einer Säkularisierung von Segnungen kommen kann und nur noch Riten ohne Inhalt bleiben; die alte Terminologie bleibt, außer dem „Duft der leeren Flasche“ ist nichts mehr vorhanden. Die Begriffe „Segnung“ und „Einweihung“ werden damit zum Synonym für „feierliche Eröffnung“ oder „festliche Inbetriebnahme“, ohne dass dabei eine religiöse Zeremonie stattfindet.

Diese vom Religiösen herkommende „Inkulturation“ bleibt ein ständiger Anruf und Auftrag. Das Benediktionale verlangt deshalb: „Örtliche und regionale Traditionen sind zu prüfen: Was dem Wesen der Segnung entspricht, möge erhalten und gefördert werden. Was jedoch Anlaß zu Mißverständnissen oder zum Aberglauben gibt, sollte verbessert oder durch Besseres ersetzt werden.“[925] „Weil Weihungen und Segnungen wie alle Sakramentalien stark in den Raum des tagtäglichen Lebens eingreifen, sind sie der Gefahr des Abgleitens in Magie besonders stark ausgesetzt und verlangen nach Unterweisung und dem ständigen Glaubensgehorsam derer, die sie gebrauchen; so ist das Wort der Schrift und das seelsorgliche Wort des Priesters besonders notwendig.“[926]

Segnungen stehen immer im Spannungsfeld von „privat und öffentlich“ und sind nicht nur Sache der dazu ausdrücklich bevollmächtigten kirchlichen Amtsträger. Deshalb heißt es im Benediktionale: „Die Gläubigen müssen sowohl bei den Feiern selbst als auch in der allgemeinen Verkündigung in den Sinn des Segnens der Kirche eingeführt werden. Sie sollen dabei ermuntert werden, auch im eigenen Lebensbereich zu segnen!“[927] Mit dieser Anweisung bekräftigt die kirchliche Autorität bisherige Formen und Bräuche, lädt aber auch zur Kreativität ein, ohne einer grenzenlosen Beliebigkeit das Wort zu reden. Bemerkenswert ist dabei der Satz: „Aufgrund des allgemeinen oder besonderen Priestertums oder eines besonderen Auftrages kann jeder Getaufte und Gefirmte segnen. Je mehr aber eine Segnung auf die Kirche als solche und auf ihre sakramentale Mitte bezogen ist, desto mehr ist sie den Trägern eines Dienstamtes (Bischof, Priester, Diakon) zugeordnet. So werden etwa die Segnungen öffentlicher Einrichtungen durch einen Amtsträger vollzogen, der die Kirche in diesem Bereich vertritt. Daher sind dem Bischof Segnungen vorbehalten, in denen eine besondere Beziehung zur Diözese sichtbar wird; Priester, Diakon oder beauftragte Laien segnen im Leben der Pfarrgemeinde oder im örtlichen öffentlichen Leben; Eltern segnen in der Familie.“[928]

Wer die Segnungsfeier leitet (Zelebrant), trägt auch die Verantwortung für eine sorgfältige Vorbereitung. Dabei soll auch auf jene Teilnehmer Rücksicht genommen werden, „die dem christlichen Gottesdienst oder dem christlichen Glauben fernstehen“. Seit vielen Jahren werden in manchen Gemeinden Segnungen im öffentlichen Bereich auf ökumenischer Ebene gefeiert. Es ist dies oftmals ein schönes und beeindruckendes Zeichen für die konfessionsübergreifende Gemeinschaft der einen Kirche Jesu Christi. Das Benediktionale der römisch-katholischen Kirche genießt auch bei vielen Seelsorgern der evangelischen Kirchen und der altkatholischen Kirche hohes Ansehen und wird auch von diesen sehr gerne verwendet.

4.1.2.9.2. Grundelemente einer Segensfeier

Nach dem Benediktionale umfasst die Vollform einer Segensfeier folgende Grundelemente: Eröffnung mit Gesang (oder Musik) – Begrüßung und Einführung – Eröffnungsgebet – Schriftlesung – Antwortgesang – Ansprache – Segnung – Fürbitten mit dem Gebet des Herrn – Allgemeiner Segen mit Entlassung. Die Gestalt der Feier kann sich mit der Zahl der Teilnehmer ändern. Eine Anpassung an die Situation durch Erweiterung oder Kürzung kann durchaus angeraten sein. Mit den zuständigen Verantwortlichen, auf deren Ersuchen hin eine Segnungsfeier erfolgen soll, ist in jedem Fall über die Gestaltung der Segnungsfeier zu reden. Gerade bei Segnungen im öffentlichen Leben ist die Segnungsfeier in der Regel in einen größeren Festakt eingebunden. Deshalb bedarf es dabei einer besonderen pastoralen Sensibilität. Das Segensgebet muss in jedem Fall die Personen oder die Gegenstände, die gesegnet werden, ansprechen und nennen und die Beziehung zum Heilswerk Gottes herstellen. In den Bitten ist für die Menschen die Hilfe Gottes und der rechte Gebrauch und Nutzen der betreffenden Sachen anzusprechen.

4.1.2.9.2.1. Weihwasser und Weihrauch

Das Weihwasser erinnert an die Taufe und macht deutlich, dass ohne dieses Element kein Leben möglich ist. Beim Segnen soll es auf Gott, die Quelle allen Lebens, hinweisen und die Lebensmacht Gottes zeichenhaft darstellen. Der Weihrauch ist Zeichen für die Anbetung und Verehrung Gottes und vor allem auch Ausdruck festlicher Freude.

4.1.2.9.2.2. Handauflegung

Das Ausbreiten oder Auflegen der Hände bei der Segnung von Personen ist ein uraltes Symbol für die Übertragung göttlicher Kraft und bringt die Bitte um den Segen Gottes besonders stark zum Ausdruck.

4.1.2.9.2.3. Altar, Kreuz, Kerzen, Heiligenbilder, Blumenschmuck

Es empfiehlt sich, dass bei Segnungen außerhalb des Gotteshauses ein Tisch als Altar gedeckt und geschmückt wird, wobei in der Regel ein Kreuz und zwei Kerzen sowie ein Blumengebinde nicht fehlen sollten. Je nach Anlass können auch Bilder von Heiligen aufgestellt werden.

4.1.2.9.2.4. Segnungen im Leben der Familie

Schon in der alten Kirche wird die Familie als eine „Kirche im Kleinen“ (Ecclesiola) gesehen oder als Hauskirche (Ecclesia domestica) bezeichnet. Das II. Vatikanische Konzil hat diesen Gedanken besonders aufgegriffen und im Hinblick auf die Tatsache, dass in der Familie der heranwachsende Mensch nicht nur sein Angenommensein erfährt, sondern auch die Hinführung zum Glauben und damit zu Gott und zur menschlichen Gemeinschaft elementar erlebt, weiterentwickelt. Die Familie ist „der wichtigste Ort der personalen Gottesbegegnung und der Einübung in den Glaubensvollzug.“[929] Die Familie ist „staats- und gesellschaftstragend. Sie ist wohl der einzige Ort in der Welt, an dem der einzelne noch ganz ernst genommen wird, volle Zuwendung erfährt und so geschätzt wird, wie es seiner Würde entspricht. Nur in der Familie kann der Mensch voll und ganz Mensch sein, und zwar gerade deswegen, weil man ihn dort liebt.“[930]

Das Benediktionale unterscheidet bei den „Segnungen im Leben der Familie“ solche, die einen direkten Bezug zur Familie haben – wie die konkrete Segnung einer Familie, der Kinder, eines kranken Kindes, Jugendlicher vor besonderen Lebensabschnitten, Verlobung (im Familienkreis), Segnung eines Kranken, Tisch- und Brotsegnung, Segnung eines Hauses oder einer Wohnung. Gesondert wird auf Segnungen im Leben der Familie hingewiesen, die stärkeren Bezug zur Gemeinde haben, wie z. B. Muttersegen vor und nach der Geburt, Kindersegnung, Segnung der Schulanfänger, Krankensegnung, Segnung alter Menschen, Feier der Silbernen und Goldenen Hochzeit.

4.1.2.9.3. Segnungen im Weihnachtsfestkreis: Der Adventkranz als vorweihnachtliches Symbol in Kirche und Haus

„Die erste Segnungsfeier im ‚Benediktionale‘ erscheint in mehrfacher Hinsicht als ein Glücksfall: der Adventskranz erfreut sich allgemeiner Verbreitung und Beliebtheit. Seine natürliche Symbolik lässt sich unmittelbar christlich deuten. Sowohl in der Familie wie in der Kirche beheimatet, kann er ein Bindeglied zwischen Gemeindegottesdienst und familiärer ‚Hausliturgie‘ sein.“[931] Es verbirgt sich eine mehrschichtige Symbolik im Adventkranz. In der Regel werden Tannenzweige – zum Kranz oder Gesteck – zusammengebunden und bilden so ein Symbol lebendigen Zusammenhalts und Hinweis auf die endzeitliche Gemeinschaft mit Gott im Himmel, aber auch Zeichen der Erwartung des Heilandes und Huldigung an das Kommen des Erlösers „in Menschengestalt“.

Neben dem Gemeinschaftsmotiv steht das Lichtmotiv als zweite symbolische Komponente im Vordergrund: „Das Licht spricht heute nicht zuletzt Kinder und Jugendliche dort wieder an, wo es als kleine lebendige Flamme erfahren wird, welche leuchtet, belebt, zusammenführt, Geborgenheit und Zuversicht vermittelt.“[932] Das Licht ist Zeichen für den ewigen Gott und seine Herrlichkeit, aber auch Hinweis auf Jesus Christus, „der jeden Menschen erleuchtet“ (vgl. Joh 1,4 und 8,12). Die vier Kerzen symbolisieren die vier Adventsonntage und sollen im Wachsen des Lichtes hinführen zum Weihnachtsfest, an dem „das wahre Licht“ in die Welt zu den Menschen kommt.

In der jüngsten Zeit wird mit dem Grün des Adventkranzes auch ein Hinweis auf das Leben gesehen. In der Gefährdung der Schöpfung und in der Bedrohung der Natur ist der Adventkranz auch ein Lebensmotiv und ein Zeichen dafür, dass Leben Zukunft hat und der Mensch allen Grund zur Hoffnung auf das ihm verheißene Leben in Fülle. Vom Kirchenlehrer und Bischof Ambrosius stammt das Wort: „Was immer grün ist und nie sein Laub verliert, soll dich mahnen, dass du niemals deine Hoffnung verlierst, dass vielmehr stets durch den Glauben die Hoffnung auf Heil in dir lebt.“[933]

In vielen Gemeinden wird am Vorabend zum ersten Adventsonntag eine Vesper oder ein feierlicher Segnungsgottesdienst gehalten, an dem der Adventkranz der Kirche und die Adventkränze oder -gestecke der Familien gesegnet werden. Familienmitglieder bringen den Adventkranz des Hauses (gelegentlich auch mehrere, je nach der Situation eines Hauses oder Betriebes) in das Gotteshaus mit. Dies macht ein schönes Bild und schenkt eine tiefe Erfahrung der engen Beziehungen zwischen den Familien und ihrer Gemeinde und Kirche. Auf die Gemeindefeier folgt die abendliche Familienfeier mit dem Anzünden der ersten Kerze. Die amtliche Segnungsliturgie setzt sich im privaten Familienleben auf ihre Weise fort.

In einer „Feier der Hauskirche“ wird der Advent daheim festlich eröffnet. Von den diözesanen Pastoralämtern werden hierzu Behelfe und Anregungen geboten, gelegentlich auch mittels Pfarrblatt oder Pfarrbrief. Der eigenen Kreativität und Fantasie stehen hier Tür und Tor offen. Jede Familie gestaltet nach der eigenen Vorstellung (Gesang, Musik, Lesung, Gebet, Geschichte vorlesen oder erzählen, wie es früher einmal war usw.). Derartige Familienfeiern können ein wesentliches Moment des Festlichen erfahrbar machen: die Kontemplation – eine tiefere Schau und Erkenntnis des Daseins und damit eine Stärkung der „Zustimmung zur Welt“. Die mehrschichtige Symbolik des Adventkranzes kann dabei in anschaulicher und emotionaler Weise an Aussagekraft noch gewinnen, vor allem auch in Verbindung mit anderen Adventbräuchen wie z. B. dem Aufstellen der Barbarazweige, der Nikolausfeier, dem Frauenbildtragen, dem Anklöpfeln oder der Herbergsuche.



[896] Dazu ausführlich: [Assman 2000]. – [Assman 1992]. – [Assman 1991].

[900] [Pieper 1984], hier S. LV.

[902] [Pieper 1984], hier S. LV.

[903] Im Buch Genesis 1,33 heißt es: „Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut.“

[904] [Pieper 1984], hier S. LV.

[906] [Pieper 1984], hier S. LV–LVI.

[907] [Paus 1989], S. 94.

[908] [Pieper 1984], hier S. LV.

[909] [Paus 1989], S. 102.

[910] Dazu ausführlich: [Johannes Paul II. 1998]. – Ebenfalls dazu sehr aufschlussreich: [Weiler 1998].

[911] Liturgiekonstitution des II. Vatikanischen Konzils „Sacrosanctum Concilium“, Art. 102 in: [Rahner/Vorgrimler 1966], S. 81.

[912] Liturgiekonstitution des II. Vatikanischen Konzils „Sacrosanctum Concilium“, Art. 103 und Art. 104 in: [Rahner/Vorgrimler 1966], S. 81.

[914] Siehe dazu auch [Bieritz 1991].

[917] [Paus 1989], S. 103–104.

[922] [Gerhards/BeckerH 1987], hier S. 16 mit Anm. 2.

[923] [Gotteslob 1975], S. 578, Nr. 615, 3. Strophe.

[926] [BergerR 1999], S. 548–549.

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