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5.5. Perchtenlaufen zwischen Mythos und Karneval. Woher stammen die Unkener Tresterer und Stelzentänzer wirklich? (Ulrike Kammerhofer-Aggermann)

5.5.1. Kurztext

5.5.1.1. Bewertung von Bräuchen

Am Beispiel der Unkener und Stuhlfeldener Tresterer lässt sich die Geschichte des Perchtenlaufens zwischen Mythos und Karneval darstellen, die sich auf zwei Ebenen entwickelt hat. Einerseits ist die Entwicklung eines für die Bevölkerung bedeutsamen Spielbrauches mit allen zeitlichen Veränderungen und Bewertungen darin zu sehen. Andererseits hat dieser Brauch – oder besser diese Gruppe von Bräuchen – auch ein Stück der Entwicklungsgeschichte der Volkskunde sowie ihrer Forschungsfelder und Blickwinkel mitgemacht.

Von der Mitte des 19. bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts haben zudem die Meinungen der Forscher (wie der politischen Instrumentalisationen) die Bewertung der Bräuche in der Bevölkerung mitgeprägt. Erst die Zusammenschau aller dieser historischen Kulturwanderungen und Anpassungen an die Bedürfnisse kann uns heute eine Einordnung dieser Bräuche ermöglichen.

5.5.1.2. Die Unkener und Stuhlfeldener Tresterer

Diese zur Gruppe der Schönperchten gezählten Tänzer stellen sich heute als Sonderformen der Faschingsläufer dar. Weil in Salzburg bereits im 18. Jahrhundert die Bezeichnung B/Percht mit Maske gleichbedeutend war, wurden sie, nach der Definition des ersten Viertels des 20. Jahrhunderts, ein Teil der Gattung der Schönperchten.

Die Bezeichnung Tresterer (trestern = Stampfen, Treten, Trauben maischen) kennzeichnet den stampfenden, schleifenden Schritt und die rhythmischen Sprünge des charakteristischen Tanzes, der seinen Rhythmus aus Stampfschritten und Händeklatschen entwickelt.

Ilka Peter, die Tanzpädagogin und für Salzburg bedeutsame Heimatkundlerin, hat in den 1930er-Jahren begonnen, die Schritte der Tresterer aufzuzeichnen und zu filmen. Am Salzburger Landesinstitut für Volkskunde sind drei Filmrollen zu ein- und derselben Aufnahme aus ihrem Besitz erhalten. 1939 ließ Ilka Peter (in Zusammenarbeit mit Richard Wolfram, Professor Hermann Lager, Studienrat Walter Goebl und Herrn Lapka) den ehemaligen Vorpercht Matthias Eder von Kaprun nach Wien kommen. Im Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften wurde der Tanz der Vorpercht aufgenommen und für die politische Arbeit des NS-Regimes beschriftet und verarbeitet.

5.5.1.3. Die Kostüme und Masken der Tresterer

Die Stuhlfeldener Tresterer (Wiedereinführung 1963) wie die aus ihnen entstandenen Tresterer des Vereines „Alpinia“ tragen rot-weiße enge Brokatkostüme im Charakter des venezianischen Rokokos, dazu ein Schmucktaschentuch (das elegante Ziertaschentuch des Adels jener Zeit; in Österreich, in den westlichen Bundesländern um 1900 vielfach noch als „Fazonetel“ bezeichnet) in der Hand, ihre Kopfbedeckung sind „Gainzel“, flache kleine Strohhüte, mit 20 bis 30 hoch aufragenden weißen Hahnenfedern und wippenden, das Gesicht verdeckenden, langen bunten Bändern.

Die Unkener Tresterer (Wiedereinführung 1911/12) tragen dunkle Bundhosen, weiße Hemden, Männergürtel (gestickte Ranzen) und dunkle Hüte mit Goldflittern, Seidenblumen, Myrten und Bandrosetten. Vergleichbar sind sie den italienischen Karnevalstänzern (etwa aus Bagolino), spanischen und baskischen Moreskentänzern wie südosteuropäischen Reigentänzern.

Im gesamten Alpenbogen und darüber hinaus haben sich eigenständige Fortentwicklungen dieses renaissancebetonten Männertanzes in Kostümen erhalten. Auch die Unkener Stelzperchten gehören dazu. Ihre Kleidung– weiße Hosen und Hemden – stellt ja eine Erinnerung an die Arbeitskleidung der einfachen Bevölkerung vergangener Jahrhunderte dar.

5.5.1.4. Jeder Zeit ihre Bedeutung und Gestaltung

Aus der Wiederbelebungszeit stammen offenbar die Musikbegleitung und die Schuhplattlerelemente (der vorrangige Tanz der bayerischen Trachtenvereine im 19. Jahrhundert) der Unkener Tresterer. Lange hat sich die falsche NS-Zeit-Bewertung als germanischer Männerbund- und Erntekulttanz erhalten. In die Schritte wollte man einerseits das Weinstampfen (im Pinzgau?) wie auch das Aufwecken der Erde nach dem Winter hineindeuten, da der NS-Zeit Bräuche nur unter kultischem Aspekt gerechtfertigt schienen. Ein ausschließlich lustiges, ausgelassenes Tun oder kreative Gestaltung waren jener Zeit suspekt.

Vor 1900 lassen sich Auftritte im Fasching – in Wirtshaus- und Wohnstuben – feststellen, seit der Wiederbelebung um 1900 verlagern sich die Auftritte auf den Vorabend des Dreikönigstages – den Perchtenabend, der wie Silvester ein Weihnachts- und Faschingsbeginn-Tag war. Quellen sind seit dem 18. Jahrhundert erhalten. Heute treten die Tresterer auch zu Volkskulturfesten, beim Adventsingen oder zu ähnlichen Anlässen auf.

5.5.2. Langtext[1520]

„Das Berchtenlaufen, ein Maskenzug von Haus zu Haus und oft von Ort zu Ort, ist im Pinzgau fast außer Gebrauch [...].“[1521] Dies stellte 1846 Matthias Koch fest und nach ihm weitere Reiseschriftsteller und Landeskundler, die das Perchtenlaufen unter den „Volksbelustigungen“ erwähnen. Doch zu jener Zeit weinte niemand dem abkommenden Brauch eine Träne nach – erst wenige Jahrzehnte später begann die Wiederentdeckung.

Die Wissenschaftler der Aufklärung, meist hochgebildete Beamte und Geistliche, sahen darin eine Gefahr teils wohl für die Sittlichkeit, vor allem aber für die Ordnung und Sicherheit. Zudem huldigte die Zeit der Aufklärung dem Rationalismus und hielt viele weltliche und religiöse Bräuche für den Ausdruck der Unbildung des Volkes. So versuchte der Salzburger Fürsterzbischof Firmian zwischen 1721 und 1750 mehrfach das Perchtenlaufen durch Hofgerichtsbefehle zu verbieten. So wurden etwa am 17. Februar 1730 die „ärgerliche Müssbräuche“ beanstandet, „[...] was maßen daselbst zu Heil. Dreikönigen und Fastnachzeit die Junge Pursch in Unterschiedlichen Naaren Kleidern und Schellwerckh verstölter umzulauffen pflegen [...]“. Eine Kette von Verboten schloss sich an, was auch darauf hinweist, dass sich die Bevölkerung diese Bräuche nicht einfach verbieten ließ.[1522] Bräuche und ihre Durchführung kosteten auch Zeit und Geld, und beides sollte – nach Ansicht der Aufklärer – sinnvoller verwendet werden, wie etwa aus der Kritik über die 124 arbeitsfreien Tage, die jährlich für kirchliche und weltliche Bräuche im Pfleggericht Saalfelden 1841 verwendet wurden, hervorgeht.

5.5.2.1. Probleme der Perchtenforschung

Das Grundproblem vieler volkskundlicher Forschungsbereiche ist die Schriftlosigkeit. Denn „das Volk“ war weitgehend schriftlos und Abhandlungen, die über diese „kleinen Leute“ geschrieben wurden, handeln großteils von Grundbesitz, Steuern, Recht und Ordnung. So erfahren wir nur am Rande etwas über Alltagsleben und Feste jener Bevölkerungsschichten aus den Akten. Die wenigen, meist rügenden, strafenden oder belehrenden Hinweise sind aus dem Blickwinkel der Obrigkeit verfasst und so kurz gehalten, dass sie über das Wesen einer Sache und deren Bedeutung für die Ausführenden wenig aussagen. Nach den Verboten von 1756 in Neukirchen und 1759 in Mittersill setzte auch der Topograf des Pfleggerichtes Saalfelden 1802 das „sogenannte Perchtenlaufen“ mit „Trinken, lärmenden Spielen und Unordnungen“ gleich, die er der Unvernunft der Bevölkerung zuschrieb.[1523]

Die „schiachen Perchten“ wurden nochmals 1848 vom Pfleggericht Zell am See und Mittersill verboten, offenbar befürchtete man in diesem Zusammenhang staatsgefährdende Aufstände.[1524] Die verdienstvolle österreichisch-bayerische Forscherin Marie Andree-Eysn schrieb 1905 nüchtern und untendenziös über „Die Perchten im Salzburgischen“. Obwohl ihre Arbeit auch der Vorliebe jener Zeit für Natur- und Fruchtbarkeitskulte anhängt, wird daraus deutlich, dass das gesamte alpenländische Maskenwesen nicht so einfach und eingleisig „auf den germanischen Mythos rückführbar ist“, wie das bald darauf die Nationalen und Nationalsozialisten sehen wollten. Sie waren es ja auch, die die Zugehörigkeit dieser Umzüge zum Faschingstreiben zu erwähnen „vergaßen“ und die Vernetzung vielschichtiger Einflüsse unterschiedlichster Herkunft mit deutlichen Wandlungen zugunsten ihrer Zielsetzung verschleierten.

Es finden sich darin, angefangen vom antiken Masken- und Umzugswesen über alpenländische frühe Spiel- und Glaubensvorstellungen, auch Einflüsse der mittelalterlichen höfischen Tänze und Aufzüge, des italienischen Karnevals und Theaters ebenso wie solche aus dem religiösen Volksschauspiel, das im Mittelalter seinen Ausgang nahm und in der Gegenreformation zur Hochblüte gelangte. Alle diese Stränge zu verfolgen und zu entwirren könnte nur eine gesamteuropäische Quellenstudie verwirklichen. Erst in solchen Detailarbeiten würde sich herausstellen, welche Überformungen, Wandlungen, Bedeutungsänderungen und unterschiedliche Spielformen das Maskenwesen im Laufe der Jahrhunderte mitmachte.

So können wir zwar derzeit auch in den Unkener Tresterern viele europäische „Verwandtschaften“ bemerken, aber nicht näher ergründen. Wir können feststellen, dass ihre Kostüme, ebenso wie jene der Stelzentänzer, jenen der Handwerkertänze der Renaissance in allen großen Städten Europas ähnlich sind, ebenso wie jenen der verschiedenen Perchten-, Schemen-, Masken- und Moreskentänzer in Europa. In dieses Bild passt sich ja auch die von Friederike Prodinger beschriebene „schöne Bercht, welche so aufspringt“ ein.[1525] Wir finden in den kostbaren Bändern und Borten, in der Vorliebe für die Farben Rot und Weiß viele Bezüge zu festlichen Auftritten und Tänzen im Mittelmeerraum.[1526] Die Deutung als „geheimer Männerkult“ in „den alten Kultfarben“ allein[1527] wird der Sache wohl nicht gerecht.

Reines, gebleichtes Weiß war über Jahrhunderte ein Zeichen des Reichtums und der Vornehmheit. Der ungefärbte Leinenstoff, oft abgenützt und verschmutzt, dagegen, war der allgemein übliche Kleidungsstoff. Rot, besonders Chenillerot war dagegen seit der Antike die kostbarste Farbe, die den Herrschern und Priestern vorbehalten blieb. So wurde sie einerseits weithin zur Kultfarbe, etwa zur Farbe der Freude in der katholischen Kirche und war andererseits für die Bevölkerung selten und hervorstechend. Allein durch den psychologischen Farbwert, durch seine Signalwirkung ist Rot von besonderer Auffälligkeit und Eindringlichkeit, und damit auch als Faschingsfarbe erklärbar. Richard Wolfram zieht eine Verwandtschaft der Tresterer mit den englischen Morristänzern, slawischen Maskenläufern oder den baskischen „maskerades“, auch diese rot gewandet und sogar als „Schöne“ und „Rote“ bezeichnet, und mit vielen anderen europäischen Faschings- und Frühlingstänzern in Betracht.[1528]

Auch der Burschenbrauch mit seinen Funktionen der sozialen Kontrolle darf nicht übersehen werden. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts waren es immer die „Burschen“ – gemeint als Bezeichnung der Standesgruppe der unverheirateten Männer, wie alt sie auch tatsächlich sein mochten –, die diesen Brauch ausübten. Sie hatten in dörflichen Gemeinschaften das Recht, soziale Missstände in vorgeschriebener Form anzuprangern – in den Formen des Philippelns, im Faschings- und Umzugsbrauch, im Hochzeitsbrauch und offensichtlich im Perchtentreiben. So ist in den „Unordnungen“, die zu den Verboten führten, neben dem allgemeinen Spaß der Bevölkerung auch diese Funktion der sozialen Kontrolle und Hygiene zu sehen. Die Sitten im Ort, heimliche Liebschaften, geizige Bäuerinnen und zu strenge Bauern wurden dabei spaßig, aber öffentlich gerügt und Rivalitäten zwischen Burschen und Bauern ausgetragen. Dazu kommt der fallweise Protest gegen die Obrigkeit, der man in diesem Zusammenhang wohl einmal „die Rute ins Fenster stellte“, worauf der Grund des Verbotes von 1750 in Unken hinweist. Sieben Bauernburschen wurden mit Schanzarbeit als Ersatz hoher Geldstrafen belegt, da sie beim Perchtenlaufen dem Oberschreiber „Stangen gelegt und Steckhen zugeworfen hatten“. Friedrich Johann Fischer sieht drei Möglichkeiten für die Ausdeutung der „Steckhen“ gegeben, nämlich Triststangen und Bergstöcke mit Eisenspitzen, die den Perchten für ihre Sprünge dienten, sowie einfache Zaunstecken.[1529]

5.5.2.2. Perchtenforschung als Spielwiese der Sehnsüchte und Ideologien der Forscher

Rund um die Jahrhundertwende erwachte (nicht nur) in Salzburg Interesse an den großteils schon abgekommenen Sitten, Bräuchen und Trachten der Bevölkerung in den entlegenen Teilen des Landes. Nun entdeckten neugegründete Vereine wie Heimatschutzbewegung (1908/1909) und die 1911 gegründete Landtagskommission diese entschwundene Welt.[1530] Es wurde gesammelt, aufgezeichnet, erneuert und dazuerfunden, was dem damaligen Bild von Heimat, Tradition und – mit heutigen Worten gesprochen – regionaler Verankerung entsprach. Es lag im national-romantischen Geist der Zeit, dass alles möglichst „vorzeitlich“, „uralt“ und „naturkultisch“ sein sollte. So setzte sich Richard Wolfram 1936 noch mit der beweisbaren Fehlinterpretation des Tresterns durch Kuno Brandauer auseinander.

Dieser wollte sowohl das Wort „trestern“ als Getreidedreschen mit den Füßen als auch den ganzen Tresterertanz als geheimen Fruchtbarkeitskult der Germanen verstanden wissen.[1531] Und obwohl Wolfram dies 1936 schlüssig widerlegte und das Wort mit dem Weinstampfen[1532] und die Sache mit europaweiten Stampftänzen in Verbindung brachte, konnte er sich der Faszination des kultischen Männerbündelns auch hier nicht entziehen. Die Bevölkerung nahm diese Fehldeutung Brandauers auf. Die Perchten – und alle Masken in ihrem Umkreis – wurden „germanisch-heidnisch-naturkultisch“, das Zweiweltenmodell des Hellen und Dunklen – ein Lieblingsmodell der „Rückführung auf den germanischen Nordstandpunkt“ – wurde auch in sie hineininterpretiert und als „uralt“ und „mythisch“ verklärt.[1533]

5.5.2.3. Kult oder Spiel, Wort oder Wortspielerei?

Dass Nikolausspiel, Perchteln am Perchtenabend sowie Glöckler- und Trestererlauf im Fasching bereits zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert von den Ausführenden und Beteiligten nicht als Kult verstanden wurden, geht aus den erhaltenen Beschreibungen hervor (etwa in Unken, wo die Percht zur Hexe mit dem Besen wurde und ihre Schere an den Kasperl abgab). So vermischten sich mit der Zeit verschiedene Daten, Bräuche, Einflusssphären und Ausdeutungen.

Schon bei den Verboten des 18. und Beschreibungen des 19. Jahrhunderts waren weibliche Berchten und Hexen mit Besen und Scheren, italienischer Harlequin oder Lungauer/Wiener Hanswurst, Pater und Teufel, Bettelmann und Bettelweibel zu einem facettenreichen bunten Zug unter den Namen „Masken“, wie „P/Berchten“ vermischt. Die Schönen und die Schiachen, die Dummen und die Unnahbaren, die strengen Ordner und lustigen Faxenmacher erfreuten die Leute, die so wenige Sensationen im Alltag kannten, allein schon durch ihre Vielfalt. Ein Hof, der von den „Berchtenzügen“ besucht wurde, hatte schon deshalb Glück, weil ihr Besuch zeigte, dass seine Besitzer in der Dorfgemeinschaft geachtet waren, „dazugehörten“. Ob man auch vor x-hundert Jahren dabei an magische Rituale dachte, oder ob diese später hineinprojiziert worden sind, das wissen wir heute nicht.

Ein Hauptproblem der Perchtenforschung ist, dass völlig unterschiedliche Erscheinungen mit demselben Namen benannt wurden. Einerseits die Frau Percht, die stille, schwarz-weiß verhüllte Frau, die am Perchtenvorabend (5. Jänner) die Häuser kontrolliert, und jene vielfältigen, schillernden Varianten der Schönperchten (die Tafelperchten, Tresterer, Stelzentänzer, Glöckler, Schemenläufer etc.), die in allen Berichten vor 1900 als Teil des Faschingstreibens aufscheinen. Die, erst von Friederike Prodinger als „Perchten“ bezeichnete, „Maskengruppe mit Untersberg“ in der Kuenburgsammlung zeigt ja auch eine gemischte Maskengesellschaft.[1534] Prodinger weist auf die Bedeutung von „Percht“ für „Maske“, also auf die Übernahme des Begriffs für diese vermummte Gestalt auf das gesamte Maskenwesen, hin.[1535] Ignaz von Kürsinger (1841) verwendet die Begriffe Berchten und Masken teils getrennt, teils verquickt, für Graf Friedrich Spaur (1800) sind sie Synonyme der Faschingsmasken. Dazu hat sich über das Zutun der Nationalsozialisten noch aus den „Schiachen“ im Gefolge der „Schönen“ und den Kramperln und Teufeln im Gefolge des heiligen Nikolaus das finstere Volk des „Wotansheeres und der Wilden Jagd“ zwischen Nikolausabend und Weihnachten entwickelt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, im Zusammenspiel von Medien, Sensationslust, Tourismus- und Freizeitgesellschaft, gewann diese Variante eine unglaubliche Eigendynamik und wurde zum neuen Genre der „Krampusperchten“. Erstaunlicherweise hält sich die heidnisch-germanische Zuweisung über die NS-Zeit hinaus, denn auch heute lassen sich viele vom atavistischen „Mythos“ faszinieren, während andere das spielerische Gruseln im Rollenspiel genießen. So wurden aus den ins Riesenhafte verzerrten Teufeln und Schiachen die „heidnischen Krampusperchten“ und aus den fröhlichen Glöcklern und Tresterern renaissancefroher Faschingsfeste, die sich schon vor dem 17. Jahrhundert auch die Heischefunktion des Gabenbittens aneigneten,[1536] die „Fruchtbarkeitskulte zum Winterende“. Die großen Unterschiede zwischen den historischen und den heutigen Masken zeigen die erhaltenen Stücke in den Museen. Die glatten Frauengesichter der Frau Percht, die seltsamen Tiermasken der „Schiachen“, die gehörnten Teufl und venezianisch anmutenden „Schönen“ sind mit den heutigen monströsen „Schiachperchtenmasken“ nicht mehr vergleichbar.[1537]

Das Wort „B/Percht“, sehen Dietz-Rüdiger Moser und Marianne Rumpf mit vielen Quellenverweisen als Verballhornung des lateinischen Wortes „Epiphanie“. Das Fest Epiphanie, Erscheinung des Herren, am 6. Jänner, war ja lange sowohl Weihnachts- wie Neujahrsfest. Gegen die Verballhornung spricht, dass die Kirche an der Frau Berchte wenig Freude hatte und sie zuerst offenbar im Mittelalter als prüfende katechetische Figur aufnahm und schließlich im 16. Jahrhundert die verwerfliche „Frau Welt“ oder „Frau Sünde“ (aus feministischer Sicht schlössen sich hier weitere Feststellungen an) in ihr sehen wollte, vielleicht um eine ältere kultische Figur damit zu übertönen.[1538]

5.5.2.4. „Die Perchten im Salzburgischen“

Die eindrucksvolle Beschreibung der Pinzgauer Perchten von Ignaz Kürsinger darf hier nicht fehlen, denn Kürsinger schildert darin die Tresterer und ihr Gefolge präzise. Vorformen der heutigen Hexen und des Hanswurst finden sich ebenso wie der interessante Verweis auf die heute ja nicht mehr existenten Masken der Tresterer. Zudem versteht in diesem Text Kürsinger nur die beiden alten Figuren mit dem Besen dezidiert als „Berchten“, wogegen er den gesamten Zug als „Berchtenlaufen“ bezeichnet:

„Junge rüstige Bursche, acht bis zehn an der Zahl, bilden eine Gesellschaft, von denen zwey, alte häßliche Gestalten, mit alten Besen bewaffnet, vorstellen, es sind die B e r c h t e n (häßliche, grausliche Gestalten, deren Name noch in mancher Kinderstube als Schweigmitel (!) helfen muß) ihnen folget gewöhnlich eine Karricatur aus Hanswurst, Landstreicher und anderem Gesindel zusammengesetzt; und diesem Compositum folgen die Tänzer, mit festanliegenden Kleidern, mit grellfärbigen Bändern rundum geziert, auf dem Haupte eine Krone von hochfliegenden Hahnenfedern, von welchen unzählige lichtfärbige Bänder über Schultern und Rücken herabflattern. Das Gesicht mit einer Larve verhühlt, haben sie am Ende des Rückens eine Alpenglocke, oft bis zu einem Viertel=Centner Schwere angehängt. Ihr Erscheinen deuten sie mit schnell und im besten Tacte vollführten Fußschlägen an; bilden dann einen Kreis, in dem sie die herrlichsten Evolutionen mit unglaublicher Präcision und Schnellkraft vollführen, wobei ihnen die Schläge der Füße auf dem hölzernen Boden den sicheren Tact geben.

Abwechselnd im Tanze lassen sie ihre Glocken plötzlich ertönen, die sie im Nu wieder schweigen machen; zum Schluße begleitet den Tanz eine Geige oder Klarinette, die durch den künstlichen Dreyschlag und die Behendigkeit ihrer Füße die bewegliche Gruppe freundlich erhöht.

Es ist das Berchtenlaufen, das Trestern und der Dreyschlag; ihre Kleidung und Tanz erinnerte mich lebhaft an die Tänze der Indianer, wie ich sie in Bildern sah. Sie ziehen von Pfarre zu Pfarre, begrüssen die besseren Häuser, so ihnen die Mühe des Tanzes mit Branntwein und Brod gelohnt wird, und kehren dann friedlich wieder zu ihren Arbeiten zurück. Alt und Jung, Groß und Klein läuft diesem uralten Volks=Schauspiele zu, weidet sich fröhlich an den Sprüngen der Tresterer, freuet sich über die Berchten und belachet den Hanswurst.“[1539]

5.5.2.5. Studien über die Unkener Tresterer

An älterer Literatur ist die Arbeit Marie Andree-Eysns über die „Perchten im Salzburgischen“ bis heute grundlegend. Hans Schuhladen hat 1983 das Perchtenlaufen und seine Wandlungen anhand der Verbote aus Archivquellen zusammengestellt und dazu das wechselnde Traditionsverständnis der Epochen mitberücksichtigt, seine Arbeit ist für Salzburg von großer Bedeutung. Angelika Kromas hat darüber in der Zeitschrift „Salzburger Volkskultur“ (Nov. 97) berichtet. Richard Wolfram hat im Rahmen seiner umfangreichen Tanzforschungen 1934 und 1936 das Unkener Trestern aufgezeichnet und wichtige Aussagen der damaligen Gewährsleute erhalten. Berichtigungen oder Veränderungen dazu hat Herr Raimund Fuchs aus Unken im Zusammenhang mit dem Jubiläum 80 Jahre „D’Saalachtaler Unken“ 1998, die sich aus den Tresterergruppen von 1911/12 bildeten, zusammengetragen. Ihm ist zu wünschen, dass für die Drucklegung einer ausführlichen Vereinschronik – mit Deutungen, die dem gegenwärtigen Wissensstand entsprechen! – einmal Mittel vorhanden sein mögen.

Schließlich hat der Volksmusikforscher Karl Horak 1941 und 1957 die Unkener Volkstänze verzeichnet und dabei dem Trestern und dem „Stelzenbandltanz“ besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Er wies auf die große Rolle des Plattelns im Tresterertanz hin, das fast 50 % der Tänze ausmacht.[1540] Hier erhebt sich die Frage, ob dieses Platteln schon im 19. Jahrhundert in den Tresterertanz Eingang fand, oder ob es 1912 bei der Wiederaufnahme dazukam. Dieses Schuhplatteln wurde ja mit dem ersten Trachtenverein in Miesbach „modern“ und zum Vorbild aller weiteren Vereinsgründungen. Auch alle um die Jahrhundertwende entstandenen Salzburger Trachtenvereine nahmen das Platteln in ihre Aufführungen auf. Nicht uninteressant ist auch das Datum dieser Wiederaufnahme, 1911/12. Wie erwähnt war ja 1911 die neue Landeskommission begründet worden, die auf Anregung von Karl Adrian, u. a. alle seit 1909 im Heimatschutzinteresse gesammelten Bräuche und Trachten fördern, zeitgemäß neu gestalten und wiedereinführen sollte. Die Kommission hatte große öffentliche Wirkung, da sie mit allen Bürgermeistern und Schulen im Land zusammenarbeitete.[1541] Ob mit Anregung der Landeskommission oder in deren Dunstkreis, die Wiedereinführung dieses Brauches und seine Anpassung an die Moden der Zeit lagen im Trend.

Ebenso fällt in Karl Horaks Beschreibung der Figuren des Unkener Stelzentanzes der Hinweis auf, dass die Stelzentänzer „in früheren Zeiten“ als „Zillertaler und Zillertalerin, [...] Senner und Melker, [...] Jäger und Dirndl, ein Paar in herrischer Tracht“ gekleidet waren. Horak sieht darin Nebenfiguren der Nikolausspiele und Fasnachtsaufzüge. Dies trifft wohl auf Narren, Pater und Hexen zu, doch sollte auch daran erinnert werden, dass seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert einerseits diese Figuren auch zum Faschingtreiben gehörten. Im Karneval wie im Theaterspiel waren der „Pater mit seiner Gretl“ und „Hänsel und Gretl“ beliebte Paare, die oft als Spott über Luther und seine Hausfrau verstanden wurden.[1542] Andererseits zählten die genannten Zillertaler- und Senner-Paare bereits zur selben Zeit zur charakteristischen Staffage der oberschichtlichen Alpenromantik. Sie zierten Fest, Andenken, dann Ansichtskarten und wurden etwa in Berchtesgaden als Holzschnitzereien verkauft, sie fanden sich unter den Kostümen der „alpinen Abende“ früher Trachtenvereine, etwa der Salzburger „Alpinia“.[1543]

Hier ist durchaus mit einer Wandlung der Tresterer und Stelzentänzer im frühen 19. Jahrhundert unter dem Einfluss des Tourismus und über den Kontakt der Unkener zu Bayern zu rechnen. Die Bestrebungen um „Echtheit“ und „Reinheit“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts könnten an diesen modischen Zutaten des vergangenen Jahrhunderts Anstoß genommen haben. Dass Lorenz Hübner 1796 unter den Pinzgauer Perchtenmasken vorrangig als Bauer, Bäuerin, Knechte und Dirnen gekleidete Figuren feststellt, die mit Feldbaugeräten umzogen und spaßeshalber Sägespäne, Nüsse und Zwetschken säten und pflügten, weist sowohl auf ein Faschingstreiben als auch auf den beständigen Wandel der Bräuche im Zeitgeschmack hin.[1544] Horak hat sich schließlich noch der Frage nach der Bedeutung der Stelzen gewidmet und Wolframs Auslegung als Überhöhung über das menschliche Maß bestätigt. So verwies er auch die Ausdeutung der Stelzen als notwendige Maßnahme, diese „Kult- und Segenstänze“ auch bei Hochwasser ausführen zu können, in den Bereich der „sagenhaften Ausschmückung“, der örtlich, aus der Unkenntnis der Ursachen, daraus entstandenen Legende.

5.5.2.6. Vom Nutzen der Bräuche

Welchen Sinn haben und hatten Bräuche, wenn sie gar keine „uralten“ Traditionen sind, keine „ur- und naturkultische Segenswirkung“ haben oder gar aus dem Faschingstreiben an Fürstenhöfen und in den großen Handelsstädten entstanden sind? Alles Humbug? Nein! Denn Bräuche sind aus einem jahrhundertealten Kulturgeflecht entstanden, in das jede Zeit, jede Generation immer neue Fäden, neue Farben und Schattierungen eingebracht hat. Der Streifen, an dem die Gegenwart gerade webt, muss daher ganz anders aussehen und ganz andere Bedeutungen enthalten als jener, der vor hundert Jahren entstanden ist. Einige Fäden sind in dieser Zeit abgerissen, andere zur Unkenntlichkeit verfilzt, manche laufen durch, wieder andere sind hinzugekommen.

Bräuche sind immer Ausdruck unseres gegenwärtigen Welt- und Selbstverständnisses sowie unserer Anbindung an eine Region und deren Geschichte und die Bedeutung, die wir ihr beimessen. Darum wollen wir auch immer das in ihnen sehen, was uns in unserer eigenen Gegenwart besonders wichtig erscheint, was wir vielleicht im Alltag vermissen. Bräuche zeigen auch immer deutlich die soziale Gruppe, die hinter ihnen steht, sie weisen auf ihre Zusammensetzung und ihre Ziele hin, ebenso wie auf die Art und Weise, wie sie sich der Öffentlichkeit präsentieren will. Heute sagen Bräuche auch viel über die Art unserer Freizeit- und Festgestaltung, über unser Regional- und Kulturverständnis aus. Dass Bräuche heute vielfach auch zum Wirtschaftsfaktor – etwa im Tourismus – werden, ist ein Zug unserer Zeit.



[1520] Erstveröffentlichung: [Kammerhofer-Aggermann 1998c].

[1521] [Koch 1846], S. 308. – Vgl. [Kürsinger 1841], S. 166. – [Hübner 1796], Bd. 2, S. 397–400. – [Spaur 1800], Bd. 1, S. 243–245.

[1522] [Adrian 1924], S. 61–70, bes. 63 f. – Vgl. [FischerFJ 1963]: S. 119–121 nennen die Originaltexte aus den Salzburger Hofrathsprotokollen. – [Schuhladen 1984a]. – Vgl. [Kromas 1997].

[1525] [Prodinger 1959], hier Taf. 18/1 und S. 132, um 1850: Prodingers Verquickung derselben mit der Frau Percht kann allerdings aus heutiger Sicht nicht mehr nachvollzogen werden.

[1526] [Oetke Manuskript]. – Vgl. [WolframR 1979a], bes. 65–79: Trestern und S. 87–97: Stelzentanz.

[1527] [WolframR 1936a], bes. S. 2 f. – [WolframR 1979a], bes. Karten 45/112 und 46/114, bes. S. 79.

[1528] [WolframR 1978], bes. S. 340 f. – [WolframR 1951], S. 46–49.

[1529] [FischerFJ 1963], S. 112 f. und S. 120. – Vgl. [Kramer 1974].

[1532] Vgl. [KlugeF 1975], S. 789. – [Schmeller 1985], Bd. I/1, S. 676: Schmeller hält darüber hinaus auch noch eine Beziehung zu „tristen“ für möglich – ob die Sprungstangen der Perchten demnach auch Triststangen sein könnten, ist zu überlegen.

[1533] Das „Amt Rosenberg“ widmete sich auch in diesem Sektor der Mythensuche: u. v. a.: [Spieß Berchtenzeit]. – [Strobel 1937b]. – [Strobel 1936b].

[1534] [Prodinger 1959], bes. Taf. 17/1, S. 123 f.

[1535] [Prodinger 1960], bes. S. 545 und S. 550.

[1536] [Kapfhammer 1977a], S. 110 ff., S. 171. – Das Heischen hat Hanns Koren ([Koren 1954]) als Übernahme einstiger Seelenspenden in die Armenversorgung und in die Vorrechte der Burschen und Kinder erläutert. Richard Wolfram hat diesen Heischecharakter für alle Perchtenbräuche abgelehnt, wohl weil er seiner mythisch-kultischen Deutung widerspricht.

[1537] [Andree-Eysn 1905], Abb. 1–9 und Fig. 2–8. – [Prodinger 1959]. – [Hutter/Hörmann 1992].

[1538] [MoserDR 1993], S. 117–121, S. 46 ff. – [Rumpf 1991], S. 61–93.

[1540] [Horak 1957], bes. S. 68–70.

[1542] [Rainer 1997], bes. S. 208–214. – Hofrat Rainer ist noch für weitere freundliche Hinweise zu danken. – [SchwedtH/SchwedtE 1975].

[1543] [Kammerhofer-Aggermann 1993a], S. 25–51. – [Kammerhofer-Aggermann 1996], bes. S. 82–84, S. 88 f., S. 104 f. – [Kammerhofer-Aggermann 1998a].

[1544] [Hübner 1796], Bd. 2, S. 399.

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