1527 ist in Mailand erstmals ein Vierzigstündiges Gebet vor dem Allerheiligsten im Dom für die Kartage bezeugt. Marcus Sitticus fühlte sich, auf Grund seiner Verwandtschaft (über seine Mutter), zum 1610 heiliggesprochenen Karl Borromäus (1538–1584) und zu dessen Wirken besonders hingezogen. Wegen seiner „großen Frucht und Nutzbarkeit” wurde das Vierzigstündige Gebet vom jüngst erwählten Erzbischof, „der christkatholischen Römischen Kirchen zu dieser heiligen Zeit wohlhergebrachtem löblichsten Gebrauch nach”, ab dem Palmsonntag 1613 jeweils „solenniter celebriert und begangen”. Vorausgegangen war ein erzbischöflicher „Bevelch”, mit dem publiziert worden war, in welcher „Ordnung” die drei Tage zu Beginn der „Marterwoche” [Karwoche] zu gestalten seien. Vor allem sollten die Stunden nur mehr am Tage gehalten werden: „Seitemal großer Ungelegenheit halben und um Ärgernis zu verhüten”, werde das Gebet bei Nacht eingestellt. – Womit die Form eines Ewigen Gebets, d.h. einer ununterbrochenen eucharistischen Gebetswache jedoch nicht mehr erfüllt war.
IHFG erschien am Sonntag nach sieben Uhr in der Kirche, nahm die Benediktion der „Palmbäume” vor und verteilte hernach die einzelnen „Palmrohre” [Zweige] an die anwesenden Domherrn. Nach der 10 Uhr-Messe, zu der der Fürst in Begleitung der Hofherrn, des Adels, des Hofgesindes und der Leibgarde in die Franziskanerkirche gekommen war, begann der „Umgang” [Prozession], in dem er, „unter einem weißen damastenen mit Silber und Gold abgestickten Himmel” [Baldachin], getragen von acht Kammerherrn, das Hochwürdige Sakrament, unter Teilnahme der Anwesenden, in das zwischen den beiden bei dem Predigtstuhl stehenden Altären „aufgerichte Theatrum [Schauplatz] (welches mit silbernen Leuchtern, brennenden Lampen, und künstlichen Tapezereien geziert)” trug und in den dort aufgestellten Tabernakel stellte. Hernach folgte die erste Gebetsstunde.
Der Fürst selbst betete jeden Tag zwei Stunden, eine Stunde vormittags und eine nachmittags. Zu diesen Stunden hielt der Hofprediger jeweils eine viertelstündige „Sermon oder Vermahnung”, dazu musizierte und sang die Hofmusik „etliche schöne Konzerte”. Alle Stunden wurde zudem mit der großen Glocke ein Zeichen, eine Viertelstunde lang, gegeben. Den Religiosen, nämlich den „Patres Benedictinos”, Franziskanern, Kapuzinern und Augustinern waren bestimmte Zeiten „assigniert” [angewiesen], Stadtrat, Bürgerschaft und die „ganze Gemein, beiderlei Geschlechts,” für ihre Betzeiten in „gewisse Classes und Ordnungen, den Gassen der ganzen Stadt nach,” eingeteilt worden. Die drei Konfraternitäten – die Sakraments-, die Allerseelen- und die Bruderschaft „Unser Lieben Frauen und Sta. Monica zu Mülln” – sammelten sich zuvor in der nächstgelegenen Kirche und zogen von da, die Brüder und Schwestern mit ihren roten, weißen oder schwarzen „Säcken” [Kutten] angetan, gefolgt von „adelichem und anderm Frauenzimmer, und großer Anzahl Weibspersonen”, in „schöner Ordnung andächtiglich” in die Pfarrkirche. Von der Musik der Allerchristglaubigen Seelen Konfraternität wurde während der Gebetsstunde „eine schöne Letanei von dem Hochwürdigen Sakrament” musiziert. Für die Teilnahme am Vierzigstündigen Gebet wurde ein vollkommener Ablass gewährt.
Die „Austeilung” [Einteilung] zu den Gebetsstunden, „so in der Pfarrkirchen am hl. Palmsonntag um neun Uhr Vormittag angefangen, und Mittwoch morgens um acht Uhr vollendet” wurden, lautete z.B. für das Jahr 1614: Am Sonntag begann um 9 Uhr IHFG in Begleitung von Domkapitel, Kammerherrn und Truchsesse. „Zu ihrer deputierten Stund” erschienen um 10 Uhr die Klerisei des Chors, alle Beneficiaten, Alumni und die aus St. Peter, um 1 Uhr die Kapuziner, um 2 Uhr das Konsistorium und die Hofoffiziere [Beamten], um 3 Uhr nachmittags die Hof- und Kammerräte, samt ihren Dienern, um 4 Uhr die „Zechenleut” [Handwerkszünfte], das Bruderhaus und das Spital, um 5 Uhr der Stadtrat und um 6 Uhr die Schule von St. Peter.
Am Montag waren um 5 Uhr früh die Franziskaner an der Reihe. Ihnen folgten um 6 Uhr die Bruderschaft „Unser Lieben Frauen und der hl. Monicæ”, um 7 Uhr die Augustiner zu Mülln, um 8 Uhr das Marktviertel, um 9 Uhr das Kaiviertel, um 10 Uhr die Getreidegasse, um 11 Uhr das Gstättenviertel, um 12 Uhr das Nonntal-Viertel und der Mönchsberg, um 1 Uhr das Brücken-Viertel, um 2 Uhr das Innere und das Äußere Stein- Viertel, um 3 Uhr das Viertel oberhalb des Ostertors samt dessen Anhängige (ausgenommen das Linzer-, Bergstraß- und Lederer-Tor), um 4 Uhr wiederum IHFG, das Domkapitel und der Hofstaat, um 5 Uhr die Benediktiner von St. Peter, zuletzt um 6 Uhr die Klerisei des Chors, alle Beneficiaten, Alumni, und die anderen Chorpersonen.
Den Erchtag [Dienstag] eröffnete um 5 Uhr die Domschule, um 6 Uhr folgte der Stadtrat. Um 7 Uhr fanden sich wiederum die Hof- und Kammerräte samt ihren Dienern ein, um 8 Uhr das Konsistorium und die Hofbediensteten, um 9 Uhr die Franziskaner, um 10 Uhr das Marktviertel, um 11 Uhr das Kaiviertel, um 12 Uhr die Getreidegasse, um 1 Uhr das Gstätten-Viertel und Mülln, um 2 Uhr nachmittags die Schule von St. Peter, um 3 Uhr die Augustiner, um 4 Uhr die Kapuziner und die Christi Fronleichnams- Bruderschaft, um 5 Uhr das Nonntal-Viertel und der Mönchsberg, um 6 Uhr das Brückenviertel unterhalb des Ostertors. Am Mittwoch nahmen um 6 Uhr früh mit dem Innern und Äußern Steintor und um 7 Uhr mit dem Viertel oberhalb des Ostertors die Gebetsstunden dieses Jahres „ihre Endschaft”.
Am Mittwoch-Abend wurde nach der Komplet die erste Pumpermette gesungen, mit anschließendem Miserere der Hofmusik. (Bei den Metten in der Karwoche wurde mit hölzernen Ratschen oder Klöppeln „gepumpert”.) Am „Grüenen Donnerstag” weihten IHFG den Chrisam mit den hierfür gebräuchlichen Zeremonien. (Die Weihe des Salböls wird auch heute noch alljährlich feierlich vom Ortsbischof an diesem Tag vorgenommen.) Um ein Uhr nachmittags war die Fußwaschung: Der Fürst kam dazu, samt dem ganzen Hofstaat, hinab in die Pfarrkirche, wo IHFG, nach einer Predigt, die sich diesen Akt zum Thema nahm, zwölf armen, in lange weiße Röcke gekleideten Alten den rechten Fuß, niederkniend, selbst wusch, abtrocknete und küsste. Diesen Männern, die danach zu Hof gespeist und auch mit einer „Ehrung” [Verehrung = Geschenk] begabt [beschenkt] wurden, würde dieser Akt sicherlich ein Leben lang im Gedächtnis bleiben, meinte der Chronist Johannes Stainhauser.
Es waren zwar schon früher, nach altem katholischem Brauch, zum „Gedächtnis der Grablegung unseres Seligmachers” am Karfreitag hin und wieder in den „fürnehmsten” Salzburger Kirchen schöne Gräber aufgerichtet worden, unter der Regierung von Marcus Sitticus kam es regelrecht zu einem Wettstreit unter den Gotteshäusern der Stadt.
Zur „Erweckung mehrer Devotion in dem andächtigen Salzburger Völklein”, ließ der Fürst in der Pfarrkirche „in der Abseiten bei dero Oratorio” eine stattliche Grablegung „mit einer künstlichen Perspectiva” aufrichten und mit köstlichen Tapezereien, „Kle[i]nodien, silbern vergulten Leuchtern und zugehörigem Schmuck” zieren: etliche „armierte” Männer standen dabei abwechselnd Wache und viele Male spielte „kläglich” an diesem Tag die Hofmusik lieblichste Konzerte. In derselben Kirche errichteten die Franziskaner, die eigentlichen „Hausherrn”, noch zusätzlich, „ihrem Gebrauch nach,” in ihrem Chor ein Grab mit „zierlich bekleideten Engeln und andern Bildern, vielen brennenden Lampen, schönem Gewölk”, das in „zierlich Perspectiva auch in die Weiten zu sehen gewesen”. Das Grab in der Bürgerspitalskirche stammte von der hochfürstlichen „Quardarobba”, die Augustiner in Mülln hatten das ihre bei der Sakristei „erigiert” [aufgerichtet], und auch bei diesem wurde „lieblich musiziert”.
Einzig die Schwestern auf dem Nonnberg blieben bei ihrem „altväterischen Gräblein mit einer Musica,” während die Äbte von St. Peter, Martin Hattinger (1584–1615) und Joachim Buechauer (1615–1626), den fürstlichen Inszenierungen, „nicht mit geringen Unkosten,” in der neuen Veits-Kapelle Konkurrenz machten, woran die Sankt-Petrische Musik nicht unbeträchtlichen Anteil hatte. Das zuvor mitten in der Kirche gestandene, „altväterisch-geschnitzte Gräblein” wurde in das im Friedhof stehende St. Margarethen- Kirchlein verlegt. St. Peter erhöhte in den folgenden Jahren den Aufwand für die Gestaltung des Karfreitagsgrabs durch jährlich bei dem Chronisten Johannes Stainhauser in Auftrag gegebene „andächtige teutsche Verse”, die am Grab für die Besucher rezitiert wurden. 1616 wurden z.B. die Waffen des bittersten Leidens Christi in einer Repräsentation durch Gott und sieben Engel „anmutig erklärt und ausgelegt”.
Viel beachtet wurde auch das Grab der Bruderschaftskirche St. Salvator, das das ganze Gewölbe beim Altar ausfüllte: „Mitten in der Höhe war eine große Glorie oder Himmelsperspective” und darinnen der Name Jesu durchleuchtend zu sehen. Hinter dem Gewölk war die Musik verborgen, denn es glänzte so, dass man die dahinter aufgestellte Bühne nicht merkte, ja gleichsam glaubte, alles schwebe in den Lüften. Die aufgestellten Ampeln waren mit Folien dermaßen zugerichtet, dass man meinte, es wären Edelsteine. Insgesamt brannten hier über 80 Lichter.
Auf IHFG Bevelch wurde 1617 auch in „dero Stadt Hallein” ein Grab aufgerichtet, ebenso in Tittmoning, wo der dortige Pfarrer zudem einen geistlichen Dialogum verfasste.
Dem fürstlichen Exempel folgend, sahen sich die „eifrigen Salzburger, junge und alte”, am Karfreitag wie am Samstag zu regelrechten Wallfahrten zu den in den Stadtkirchen „schön und andächtig aufgerichteten” Gräbern veranlasst. Eine mühsamer zu erreichende Station war dabei das „Gräblein” auf dem Kapuzinerberg.
Am 18. März 1612 war Marx Sittich von Hohenems, in Gegenwart des päpstlichen Nuntius Antonio de Diaz, zum Fürsterzbischof erwählt worden, am 18. April langte die Konfirmation aus Rom ein. Trotz kürzester Vorbereitung bot der Fürst am Karfreitag den Salzburgern ein ungewohntes, ihnen fremdes „Spectaculum”: Abends zu Untergang der Sonne zog da von der Kapuzinerberg- Kirche herab eine Prozession, überwiegend zusammengesetzt aus Mitgliedern der Domklerisei und den Konventen der Stadtklöster. An der Spitze gingen drei Trompeter, darauf folgten Reiter in schwarzem Harnisch. So genannte lebendige Figuren stellten das Leiden des Erlösers dar. Etliche Teilnehmer waren Flagellanten, andere trugen schwere große Holzkreuze und wieder andere gingen „mit ausgespannten Armen” herum. (Der Chronist vermerkte dazu, dass die Kreuzträger beim Herunter- und Hinaufgehen wohl mögen geschwitzt haben.) Bei der Andräkirche am Ende der Linzergasse schloss sich der Fürst selbst diesem Zug an, zusammen mit dem päpstlichen Nuntius und in Begleitung der Hofherrn und Räte, diese mit schwarzen „Säcken” angetan. „Mit scharfer Pönitenz, inbrünstigem Gebet und Betrachtung der Leiden Christi” zog man durch fast die ganze Stadt und kehrte dann zum Ausgangspunkt zurück. Die Hofmusik begleitete den Zug auf der ganzen Wegstrecke. Dergleichen habe man weder allda, in Salzburg, noch „anderstwo nie” gesehen, meinte der Chronist.
Ab 1613 blieb die Gestaltung dieser nun alljährlich durch IHFG angeordneten Karfreitags Prozession im Grunde immer gleich, nur wurde der Umzug von Jahr zu Jahr prachtvoll „gemehrt”. Voraus ging jeweils ein „Eremit oder Einsiedler”, mit langem Haar und schwarzem Bußkleid, in den Händen ein Kruzifix, „welcher an unterschiedlichen Örtern der Stadt als Prologus Processionis mit heller [lauter] Stimme die deutschen Rhythmos [Verse] rezitierte”: "Andächtige liebe Christenleut." Begleitet wurde er von „zween weißbekleideten Engeln mit Flügeln, deren einer ein Windlicht, der andere einen Totenkopf getragen”. Auf sie folgten die Augustiner, Franziskaner, Kapuziner und die Priesterschaft im Dom. (Angemerkt sei: Die Benediktiner von St. Peter haben an keiner dieser Prozessionen teilgenommen!) Darauf kamen die Mitglieder der neuen Bruderschaften in ihren farblich unterschiedenen „Säcken”, allesamt das Angesicht mit „Gugeln” [Kapuzen] verhüllt. Etliche unter ihnen taten dabei ihr „Bußwerk” [Bußübungen] als Disziplinanten, Kreuzträger und „Poenitentes”; letztere hatten sich mit Dornen krönen lassen und ihre Arme waren mit Stricken oder Ketten kreuzweis gebunden, andere „strichen” [schlugen] sich selbst mit Ruten Beine und Arme und gingen auf Holzschuhen. Wieder andere verzichteten während der ganzen Zeit auf die mitgeführten Confortativen [Labungen]. Die im Zug mitziehenden Barbiere und Bader hatten Essig dabei, um die durch die präparierten Geißeln verursachten Wunden später im Nebenzimmer eines Gasthauses reinigen zu können. Die Mitglieder der Bruderschaften führten Kreuzstäbe, teilweise mit vergoldeten Endknöpfen, den so genannten Rundeln für die vornehmsten Ränge, in Händen, vorangetragen wurden ihre Fahnen und Kreuze, diese bedeckt „mit schwarztaffetem langem Velo [Schleier], darauf Totenköpfe gemalen”. Manches Kreuz war so groß, dass „daran drei Personen getragen”.
Zwischen die Passionsdarstellungen eingestreut waren mehrfach Trompeter zu Pferd, „welche allenthalben in den Gassen ganz klägliche Melodei geblasen”, und die Hofmusik, in mehrere „Chöre” aufgeteilt. Manche von ihnen, die zugleich die Arma Passionis Christi [Leidenswerkzeuge] in Händen trugen, sangen „gesetzweis”, als Chorus Angelorum, d.h. in Engelverkleidung, octo Vocibus (mit acht Stimmen) den Planctum Mariae „Stabat Mater”, abwechselnd lateinisch und deutsch, wobei jeder Engel „seinen besonderen Gestus [Gebärde], nach Andeutung des Texts, artlich gebrauchte”.
In den Mittelpunkt gestellt waren die Nachbildungen von Stationen der Passion, montiert auf Wagen, die von verborgenen Personen geschoben wurden. „Lebendige Figuren” stellten die einzelnen Szenen dar, wobei jeder „Actum” nur an bestimmten Orten zur Aufführung kam. Die Begleitung an den Seiten hatte dabei immer darauf Acht zu geben, dass die Fuhrwerke auf der richtigen Spur blieben. Einige Bilder schilderten den Weg zum Kreuz, wo Personen, allein oder in Gruppen, in ihren „formlichen” [gewohnten] Kleidern, solche, allgemein verstandene Gegenstände christlicher Symbolik in Händen hielten. So führten z.B. auf dem Weg zur Kreuzigung die begleitenden Personen die vielfältigen Arma Christi [Marterinstrumente], Veronika das Schweißtuch oder Petrus den Hahn und das Schwert mit sich.
Zuletzt, 1619, waren es 15 „Figuren” geworden, mit bzw. auf denen „das ganze Leiden Christi”, angefangen vom Abendmahl bis zur Kreuzesabnahme und Grablegung, gezeigt wurde. Bezahlt wurden die meisten Darstellungen „vom Hof”, d.h. vom Fürsten. Billig waren diese Aufbauten nicht: Für die von der Stadt finanzierte „Vorhölle” waren z.B. dem Herrn Baumeister Kosten in der Höhe von 97 Gulden zu ersetzen. Es war dies allerdings eine besonders aufwändige Inszenierung, die eher einem Fastnachtsumzug entsprach: „Es haben sich bei dieser Figur in die 24 Personen befunden. Darinnen saßen die sieben Altväter [Patriarchen] samt dem Luzifer. Vor dem Höllenschlund stand Christus in einem rottaffeten Rock, in der Hand das Fähnlein seiner Auferstehung. Vor und nach dem Wagen gingen vier große Teufel mit Pechpfannen, nebenher etliche junge Teufel, die Feuer von sich geben und mit Ketten hin und her gelaufen sind. Aus der Vorhölle wurde gleichfalls immerdar Feuer gespieen.”
Auffallend ist, wie realistisch die Schuld der „gottlosen” Juden zur Darstellung kam. An zwei Bildern soll dies verdeutlicht werden. In der Figur Das Urteil Christi saß auf einem „aufgemachten” [errichteten] Thron der Landpfleger Pontius Pilatus, angetan mit einem scharlachroten Talar, auf dem Haupt einen türkischen Bund [Turban]. „Vor ihm stund das unschuldige Lämmlein, Christus der Herr, der zuvor von vier jüdischen Kriegsknechten schmerzhaftest gegeißlet und mit einer Dornenkron gekrönt worden war. Ein kleiner Knabe durfte ihn zu vielfältigen Malen verspotten und anspürzen [anspucken], ist vor Ihme oftestenmal auf die Knie niedergefallen.” Darauf folgte die Szene der Ausführung, „wie nämlich Christus das schwere, seinem schmerzlich verwundeten Rücken aufgeladene Kreuz getragen, samt Simon von Kyrene, der ihm solches nachzutragen von den Juden genötigt worden: welche dann auf sie beide geschlagen und sie grimmiglich hin und her gestoßen, daß der ermüdete und ganz verwundete schwache Herr darunter oftmals ganz schwerlich ist gefallen.”
Auf die „lebendigen Figuren” folgte die Reiterei, alle mit schwarzem „Küriß” [Harnisch] angetan. In den Händen hielten sie Wurfbeile oder Lanzen, daran rote und weiße Fähnlein befestigt waren. Hofherrn und Edelknaben bildeten die Vorhut, bevor der Fürst selbst kam, zu Fuß und allein, sozusagen als „oberstes Haupt” dieser Prozession. Er hatte einen Stab in Händen, darauf das Christussymbol, eine vergoldete Sonne. Ihm allein (nebst den Domherrn) stand das Privileg zu, mit entblößtem Angesicht teilzunehmen. Nach IHFG kam noch deroselben Leibgarde, alle zu Fuß. Erst daran schlossen sich, in lockerer Gruppierung, das Hofgesind, die Bürger und der gemeine Mann, sowie „das adeliche Frauenzimmer und Weibsbilder an, so haufenweis ihre Paternoster [Rosenkränze] in Händen getragen.”
Das bekannt launische Salzburger Wetter wollte freilich nicht immer mitspielen: Am 1. April 1616 hatten die Bruderschaften sich in Ordnung aufgestellt, die Müllner war bereits bis zum [Gässchen zum eisernen] „Bären” [heute: Haus der Natur] gelangt, als sie, nachdem es stark zu regnen begonnen hatte, der fürstliche Befehl zur Umkehr ereilte.
Die Flagellanten, die schon herunter bis zur Andräkirche gekommen waren, wollten nicht mehr zurück und verrichteten, „mit etlich wenig Lichtern”, ihre Andacht. Jene, die am darauffolgenden Samstag die Prozession veranstalteten, sind, da es an diesem Abend noch mehr regnete, „ganz naß geworden”, berichtet das Bruderschafts- Protokoll. Karfreitag 1617, dem 24. März, sollte es, als alles bereits in Bereitschaft gestellt war, noch ärger kommen. Der Chronist Stainhauser schreibt: „Seitemal [weil] sich von Anfang des Jahres bis dahin ein dermaßen schönes und warmes Wetter erzeigt gehabt, dergleichen zuvor kein Mensch erlebt, es auch keinem Winter, sondern vielmehr einem lustigen [lieblichen], ja sommerlichen Frühling zu vergleichen gewesen, so hat sich jedoch am Gründonnerstag zu Abends solch schöne Zeit verkehrt und ist dargegen ein grobes Regenwetter eingefallen, welches den ganzen Freitag kontinuiert und die vorgehabte Prozession einzustellen Ursach geben, zu jedermanns Bedauern, fürnehmlich der Ausländer, die aus den nächstgelegenen Städtlein und Märkten, solche zu sehen, gen Salzburg gekommen waren.”
Die im letzten Regierungsjahr von Marcus Sitticus am Karfreitag (29. März) veranstaltete Prozession litt darunter, dass wiederum „wider alles Verhoffen, demnach eine gute Zeit vorher schön trucken Wetter gewesen, am Gründonnerstag grober Regen, vermischt mit Schneewetter eingefallen” war. Am nächsten Tag, „wiewohl es nicht mehr sonders geregnet” hat, waren die Straßen, da es weiterhin bewölkt blieb, sehr kotig. Die auf Wagen gestellten „Figuren” mussten diesmal wegbleiben.
Beginn war jeweils um 7 Uhr abends. Da es zu dieser Tageszeit schon dunkel war, erzielten die mitgeführten Kerzen, Fackeln und „Torzen oder Windlichter” [Wachsfackeln], sowie die Laternen mit rotem und grünem Glas eine besondere Wirkung. Für die Pechpfannen wurden eigens Buttenträger aufgenommen. Bei Schlechtwetter mussten die aus Papier hergestellten Laternen, mit der „von allerlei Farben darauf gemalten” Bilderfolge der Passion, selbstverständlich zurückgelassen werden.
Am 26. Juni des Jahres 1618, dem Tag des heiligen Johannes und des heiligen Paulus, der Schutzheiligenvor Unwetter, machte sich, begleitet von einer großen Schar, am Vormittag der Dompfarrer mit dem Allerheiligsten zur Salzach auf, denn diese war, nach 18 Tagen Dauerregen, erstaunlich angeschwollen. Dort segnete er den Fluss. Es ist ein Wunder zu nennen: Das Wasser ging sofort zurück, der Dauerregen hörte auf, und es folgten unmittelbar hernach einige Tage Schönwetter. So lautet der (lateinische) Bericht des Chronisten Stainhauser.
Mit dem Markustag, dem 25. April, begannen die Bittprozessionen der Frühlingszeit. Die Flurprozession zum Heiligen Markus war „uraltlöblicher Gebrauch der christkatholischen Kirche”. Dieser „größere” und ältere Bitttag (Litaniae maiores) sah immer das Singen der Allerheiligenlitanei vor. In der Stadt veranstaltete man, in Abwandlung eines Bittgangs, eine Prozession von der Pfarrkirche aus nach Mülln, unter Begleitung der Hofmusik.
Die Synode von Orléans hatte die drei Tage vor Himmelfahrt als Bitttage (rogationes) angeordnet. Die Himmelfahrtswoche heißt daher auch Bittwoche. Zur Unterscheidung von anderen Bitttagen wurden diese Litaniae minores, kleinere Bittgänge, genannt. Traditionell wurden die Bitttage dazu veranstaltet, um Fruchtbarkeit für die Felder und Verhütung von Unwetter zu erbitten. Gewöhnlich zogen die Stadtbewohner da am Montag nach Mülln hinaus, am Erchtag nach Nonnberg hinauf und am Mittwoch „über die Brucken hinüber gen St. Sebastian Gottesacker”.
Das Fest der „Auffahrt Christi” (Christi Himmelfahrt), am Donnerstag darauf, wurde mit Musik und Trompetenblasen, auch „Herabwerfung vieler Oblaten” festlich begangen. Diese Zeremonie mußte 1614 „abgeschafft”, d.h. vom Landesfürsten, wegen der bei der Jugend darbei „fürübergangnen Ungebühr und Unzucht,” verboten werden. (Man dürfte sich aber nicht allzu streng an das Verbot gehalten haben, denn Erzbischof Guidobald Thun, 1654–1668, musste das Verbot mit der Begründung wiederholen, dass erfahrungsgemäß damit Aberglaube getrieben würde. Erinnert sei daran, dass es noch zu Ende des 19. Jahrhunderts am Fronleichnamstag oder am folgenden Sonntag den Brauch des „Himmelbrodschutzens” gab: Auf der Brücke von Oberndorf nach Laufen versammelte sich eine Menge Volkes. Man wartete auf eine Anzahl von Zillen, die die Salzach herab kamen. Als sie unter der Brücke durchfuhren, wurden von der Brücke herab – ungeweihte – Oblaten geworfen. Die größte Ehre gebührte dann jenen beiden Schiffern, denen es gelang, das meiste „Himmelbrod” aufzufangen.)
Das Verhältnis der Urpfarre zu ihren Tochtergründungen spiegelte sich darin wider, dass letztere an bestimmten Festtagen, hinter dem Kreuz ziehend, „als Kreuztrachten”, Gottesdienste ihrer Mutterpfarre mitfeiern sollten. Die Fahrten der Kreuzvölker zu den Kirchen der Haupt- und Residenzstadt sind seit dem Mittelalter bezeugt. Die einzelnen Pfarren erlegten an den Pilgerstätten der Stadt ein so genanntes Kreuzgeld.
Das „Bauernvolk”, nicht allein das, das der hochfürstlichen Hauptstadt Salzburg nahe wohnte, sondern auch das, das etliches entlegener beheimatet war, sogar das aus dem Pinzgau hatte den alten Brauch, dass es, sowohl die drei Bitttage in der Kreuzwoche, der Woche nach der Kreuzerfindung (3. Mai), als auch in den dreien Tagen nach Pfingsten „mit seinen Kreuzfahnen und Pfarrern gen Salzburg” kam und mit ihren „Rufen oder Gesängen” die Pfarrkirche, darin es jetzt auch, seit der Translation im Jahre 1612, die Heiltümer beider Hauptpatrone, St. Rupert und St. Virgil, verehren konnte, dann die Gotteshäuser von St. Peter, auf dem Nonnberg und zu Mülln besuchte. Etliche zogen auch noch weiter auf den Dürrnberg. Wenn aber Regenwetter einfiel, gingen sie nur in das Kloster St. Peter.
Den Montag (Secunda Feria Rogationum) fand die Domstifts-Prozession, von der Pfarrkirche nach Mülln hinaus, statt. Auch pflegten jährlich an diesem Tag die fünf Bauernschaften von Lamprechtshausen, Berndorf, Bergheim, Köstendorf und Seekirchen nach Salzburg zu kommen.
Am Erchtag wurde gewöhnlich die Prozession nach dem Gotteshaus des Klosters Nonnberg angestellt und allda summum Officium gesungen. Diesen Tag zogen die Einwohner von Höglwörth, Kuchl, Thalgau nach Salzburg herein, um die genannten Gotteshäuser aufzusuchen.
Am Mittwoch erfolgte wiederum eine domstiftliche Prozession, diesmal nach St. Sebastian, wo jener Gottesdienst abgehalten wurde, der vor Jahren bei St. Michael auf dem Aschof [Residenzplatz] „beschehen”: Weil aber von dem Dom aus dahin der Weg zu kurz gewesen und die Kirche zu eng geworden, wurde der Umzug nach St. Sebastian hinüber gelegt.
Das Pfingstfest, ein Pallij Festum [Bischofsfest], sang IHFG maxima eaque consueta solennitate in Pontificalibus. Die Musik fiel, mit „unterschiedlichen” Chören und „eingeteilter” Trommetterei, überaus festlich aus.
Den Montag nach Pfingsten hielt der Dompropst das Hochamt, wie abends zuvor auch die Vesper. Die Predigt aber war, wegen der ankommenden Kreuzvölker, in die Bürgerspitalskirche verlegt worden. Die Kreuzvölker stammten an diesem Tag aus Tittmoning, Kay, Fridolfing, Waging, Otting, Petting, Ostermiething, St. Georgen bei Laufen (Oberndorf), Ernstetten und Vachendorf. Eingezogen waren die „Mann- und Weibspersonen” mit einer schönen Fahne und in „zierlicher” Ordnung. Die, die bereits abends zuvor mit ihren Kreuzen herein nach Salzburg gekommen waren, besuchten frühmorgens die genannten vier Gotteshäuser. Nachmittags, um die Vesperzeit, trafen dann die „Bürgbauern” mit zwei Kreuzen ein.
Die Zeller (nach anderer Überlieferung: die Pinzgauer) weigerten sich angeblich im Bauernkrieg 1526/1527, „treulos zu sein”. „Man nennt sie deshalb noch heute die getreuen St. Ruprechts-Knechte.” Die Teilnehmer kamen aus dem gesamten Mitterpinzgau. Der Weg wurde stets über den Hirschbühel und Berchtesgaden genommen und in etwa 18 Stunden Fußmarsch bewältigt. Die am entferntest Wohnenden hatten gar mit vier Tagen zu rechnen. Dass es, vor allem auf dem Rückmarsch, nicht immer gesittet und bescheiden zuging, missfiel der Geistlichkeit bereits im 17. Jahrhundert: „In St. Ulrich am Pillersee kamen viele Kreuzgäng[er] aus dem Pinzgau und [den] umliegenden Orten an. Nach dem Mittagessen, bei welchen Feder- und allerhand Wildbret, auch der besten Forellen und Salmlinge nach Überfluß aufgetragen worden, hatten wir unsern Spaß, diesen monstris zuzuschauen. Sie sangen, sie sprangen und tanzten, nachdem sie sich vollgesoffen, gar artig und zum Teil abscheulich, gingen endlich mit Juchzen und Schreien, jeder seine Gredl bei der Hand führend, wiederum heim.” (Bericht des Augsburger Benediktinerpater Reginbald Möhner)
Die Pinzgauer Pilger hatten das Vorrecht – „das sie ihnen nit nehmen lassen”, dass sie jährlich bei ihrer Wallfahrt nach Salzburg unter der Vesper, während die hochfürstliche Musik das Magnifikat aufführte, zugleich ihr „bäurisches” deutsches Wallfahrtslied zu singen – „so von wenigen verstanden wird”, wundert sich schon der Chronist zu Beginn des 17. Jahrhunderts, und, geleitet von einem Chorvikar anstatt ihres Pfarrers, unter ihrer Fahne um den Hochaltar zu ziehen, wo hingegen die übrigen Wallfahrer aus anderen Gerichten nicht weiter als bis an den Chor vorgelassen wurden. Abends, wenn sie auch die andern Gotteshäuser besucht hatten, gingen die getreuen Ruprechts- Knechte in den Hofkeller, wo sie mit Essen und „einem guten starken Trunk” zur Genüge versehen wurden. Der Erzbischof selbst habe sie hier aufgesucht und beschenkt: Der Älteste erhielt einen Dukaten, der Jüngste einen Taler.
Die anderen Kreuzvölker beantworteten dieses Privileg mit dem berühmten Spottlied „Dö Pinzgara wollten kirfiartn gehen”. Einzig die 20 Strophen des Liedes „Wannst uns liaßt a d'Schörgn varöcka” geben einen ungefähren Eindruck davon, was die eigentlichen Anliegen der Pinzgauer Kreuzvölker gewesen sein mögen.
Auch den andern [zweiten] Pfingstfeiertag (Dienstag) kamen – in gleicher Ordnung, wie am Vortag – Kreuzvölker in Salzburg an, nämlich die von Radstadt, Werfen, St. Veit, Saalfelden, Teisendorf, Ainring, Salzburghofen und Siezenheim. Die Wallfahrer aus Bergheim, Anthering und Hälbming [Hallwang] hatten zudem etwa 200 bis 250 Bauernmägdlein bei sich, alle mit weißen Jöpplein und gleichfarbigen Schürzen angetan.
Die Fronleichnamsprozession ist ein Höhepunkt des kirchlichen Jahreslaufs und wurde seit der Gegenreformation im katholischen Süden Deutschlands – hier auch Antlasstag genannt – als Höhepunkt katholischer „Festdramatik” gestaltet. „Sonderlich haben die frommen Fürsten von Bayern in dero Residenz- und Hauptstadt allhie zu München solch ansehnliche Processiones mit gehorsamer Zutuung dero Bürgerschaft und Zünfte angerichtet, die anderer Potentaten Umgang nit wenig übertroffen ...” So beginnt eine Darstellung der Fronleichnamsprozession von 1580. Die Beschreibng der „Ordnung der ganzen Procession des Allerheiligsten und Hochwürdigsten Sacraments” von 1597 ist auch in Druck erschienen. 1612 wurde Marcus Sitticus von Herzog Maximilian von Bayern zu diesem „allerstattlichsten Umgang Christi Fronleichnams in die fürstliche Residenzstadt München freund- und nachbarlich eingeladen.”
In München lag allerdings die Gestaltung der „Figuren aus dem Alten und Neuen Testament” (weiterhin) in den Händen der Handwerkszünfte, war weniger eine Veranstaltung des Hofes (und der Bruderschaften). Es fällt zudem auf, dass die Schilderung der Leiden Christi näher am Text der Heiligen Schrift blieb, d.h. eine „jüdische” Mitwirkung am Tod Christi nicht derart drastisch hervorgehoben wird, wie sie dann in den Bildern der Salzburger Umzüge so auffällig vor Augen tritt. (Wenn Marcus Sitticus im April 1617 den Vorschlag des Bruders, jüdische Kaufleuten in Hohenems anzusiedeln, gebilligt hat, so waren allein wirtschaftlichen Überlegungen Ausschlag gebend. Denn, schreibt er, Juden betrieben Geschäfte, die notwendig seien, aber von keinem andern getätigt würden. – Religiöse Toleranz hätte dem Charakter des Erzbischofs so gar nicht entsprochen.)
Die Prozession des nächsten Jahres mag dem in München geschauten Ablauf noch nahe gestanden sein. Der Zug, an dessen Spitze „der Ordnung nach” die Handwerkszünfte mit ihren von „wohlriechenden Blumen gezierten” Stangen, Engeln und Kreuzen gingen, nach ihnen der Kondukt des Doms und von St. Peter, bewegte sich durch die „fürnehmsten” Gassen der Stadt. Hoftrompeter bliesen „oftermals stattlich auf”, die Musiker von St. Peter und des Hofes musizierten. Das „Hochwürdige Sakrament” trug IHFG selbst in Händen, unter einem kostbaren Himmel schreitend, den sechs Hofherrn hielten, fast durch die ganze Stadt, wobei ihm die Kanoniker aufzuwarten [dienen] hatten. Die Leibgarde, zu Fuß, umgab den Fürsten vor und neben dem Himmel. Hernach kamen Geistlichkeit, Edelknaben und Stadtrat mit Kerzen in Händen, während Adel, Räte und Bürgerschaft Torzen führten.
Den Abschluss bildeten – wie bei all diesen Prozessionen -, in lockerer Form, Bürgerschaft und der gemeine Mann, beiderlei Geschlechts. Die zwei Fähnlein des bürgerlichen Cornet [Regiment], insgesamt 400 Mann stark, hielten in den Gassen und auf den Plätzen Wacht. Sie waren mit jener Livrea bekleidet, die für den fürstlichen Einritt im Jahr zuvor angeschafft worden war. In deren Ausstaffierung dominierten die Hohenemser (blau-gelb) und die Salzburger (rot-weiß) Farben. Die traditionelle Verlesung der Initien der vier Evangelien erfolgte an den Altären, die in der Pfarrkirche [Franziskanerkirche], Spitalskirche [St. Blasius], auf dem „Brodmarkt” [Waagplatz] und bei der Alten Dompropstei [Kapitelgasse 1] „wohlgeziert” errichtet worden waren. Bei jedem Halt wurden vom hochfürstlichen Hauptschloss [Festung] die großen Stuck [Geschütze] losgebrannt. Zum Hochamt in der Pfarrkirche musizierte wiederum die Hofmusik. Der Weg war mit grünen Zweigen geschmückt, in die Fenster auf dem ganzen Weg waren Teppiche gehängt und Gemälde, Büsche und brennende Kerzen gestellt worden. Der Bürgerschaft, „so am Gottsleichnamstag sich zu Roß gebrauchen lassen”, wurde die Teilnahme mit 12 Talern vergütet, dem Trompeter zwei Taler ausgezahlt.
Nach Abschluss der Feierlichkeiten in der Stadt hielten die Kommandanten und Soldaten auf der Festung zusätzlich eine Prozession ab, an der sich auch deren „Weiber und Kinder” beteiligten. Die Patres von St. Peter veranstalteten jeweils in ihrer Kirche und im Kreuzgang noch einen eigenen Umgang. Dabei begleiteten sie die Schüler, in Chorröcken und mit Kränzen auf dem Kopf, sowie die Sankt-Petrischen Musikanten und „herfürgeputzte” Englein.
Die Prozession am Sonntag darauf bewegte sich – geführt vom Bischof von Chiemsee – von der Pfarrkirche aus über die Gstätten durch das Klausentor hinaus nach Mülln. Noch „schlechter” [einfacher] war die von den Bäckern gestiftete Prozession am achten Tag nach Fronleichnam (Octava Corporis Christi), die von der Pfarrkirche nach St. Sebastian ging. Die Monstranz wurde diesmal vom Domdechant getragen.
Mit „Aufrichtung” der Fraternitäten wurden die Umgänge farbenfreudig: Und unter die Brüder in ihren Säcken und mit Stäben in Händen, mit ihren Fahnen und Laternen, wurden Knaben eingereiht, die mit Flügeln und schönen Haaren als Engel gekleidet worden waren. Sie zeigten die Marterwerkzeuge Christi und streuten Blumen auf dem Weg aus.
1615 hatte die „rote” Sakramentsbruderschaft „Figuren” für den Umgang vorbereitet, die unter das Motto „Erschaffung der Welt”, „Das Manna oder Himmelsbrot” oder die Erlösung durch Menschwerdung Jesu gestellt waren. Verkleidung, Symbole und Schrifttafeln erklärten den Gläubigen die zur Schau gestellten Themen. Als 1616 erstmals der dritte Altar vor die St. Salvatorkirche in der Kaigasse situiert wurde, errichtete die Bruderschaft ein Portal, auf dem drei Engel das „allerheiligste Geheimnis unter dem Himmel” in deutschen Reimen rezitierten und sangen. 1617 stellte die Bruderschaft die Opferung Isaaks als kleine Szene dar. Mit Grabgestaltung und Fronleichnamsportal war der Maler Christoph Müller beauftragt worden. In den Rechnungsbüchern der Fraternitäten finden sich zahlreiche solcher Aufträge an heimische Handwerker und Künstler, aber auch die Entlohnungen für die Musiker, Träger, Büchsenmeister, Taglöhner und Buben schlugen zu Buche. Gelabt wurden die Teilnehmer mit Wein und Konfekt.
Auch zu dieser Jahreszeit spielte das Wetter nicht immer mit: Das Bruderschafts- Protokoll notierte für das Fronleichnamsfest 1618: „Der Umgang auf dieses Fest ist wegen des eingefallenen Regenwetters nit fortgegangen, ansonsten hätte man bei der Bruderschaft-Kapelle die Figur vom geduldigen Job präsentiert und darvon etliche Vers rezitiert. Am Sonntag in der Oktav ist man gleichwohl nach Mülln hinausgangen, aber nach dem Hochamt, als man schon am Hereinziehen gewesen, hat das Regenwetter die Prozession ganz und gar zerstreut, und sich ein jeder salviert so gut er künnte, das hochwürdige Sakrament hat man draußen gelassen. Pfingstag [Donnerstag] hernach hat es abermals geregnet und ist der Umgang in der Pfarrkirche verrichtet worden.”
Mancherlei Elemente sind in den „großen Umgang” eingegangen, die weitere Entwicklung brachte in den Ländern Europas besondere Formen hervor: Spanien kannte schon bald die „lebenden Bilder”. Im Salzburg des Marcus Sitticus wurden diese biblischen Szenen weiter aus- und in die Umzüge eingebaut.
Bereits im zweiten Jahr ihrer Einrichtung, 1614, veranstaltete am Erchtag [Dienstag] in octava Corporis Christi die Gürtelbruderschaft von Mülln ihre eigene Fronleichnamsprozession. Teilnehmer waren immer auch die Mitglieder der ehemaligen Müllhamer Zeche und zahlreiche Bauernmägdlein der den Augustinern von Mülln inkorporierten Pfarre Salzburghofen [Freilassing]. Sie alle waren feiertäglich herausgeputzt und trugen Kränze auf dem Kopf. Der Fürst, der Mitglied dieser Fraternität war, erschien selbst, samt Hofmusik und Trompeten. Besonderen Glanz verliehen dieser Prozession die Bögen und Altäre. Die Bögen, „aufgerichtet als Porten [Ehrenbögen], dadurch man gegangen,” waren mit Tannenbäumen und Rauschgold, mit Bildern und Schrifttafel gestaltet worden. Die vier Stationen befanden sich am Eck herunten an der Kirchenmauer, beim „Bruckl an der Alm” [vor dem so genannten Lieferinger Tor], an der „Behausung des Hofrats Franz Rohrwolf” [Müllner Hauptstraße 4] und beim Kirchlein der Leprosen. An diesen Orten hatte man aus Holzläden einfache Bühnen errichtet für die Personen, die die jedes Jahr neu ausgewählten, zum Fest passenden Themen aus der Bibel szenisch „repräsentierten” [darstellten] und in „darbei rezitierten deutschen Versen auslegten,” wozu immer auch musiziert wurde. Der Umkehrpunkt, Terminus genannt, war jeweils beim so genannten Hohen Kreuz [Müllner Hauptstraße 2], wo die Prozession, nachdem die fünf „Stuckl” [kleinen Kanonen] auf dem Klausentor losgebrannt worden, kehrtmachte und in die Müllner Kirche zurück zog. (Das Doppelkreuz, straßen- und salzachseitig, dürfte genauso eine den Schiffern Segen spendende, wie Überschwemmungen abwehrende Funktion gehabt haben. Solche Kreuze waren oft Ziel- bzw. Umkehrpunkt von Prozessionen.)
Geradezu theatermäßig in Szene gesetzt wurde die 1619 dargestellte „Historia, wie die Juden zu Breslau grausamest mit dem Hochwürdigen Sakrament umgangen”. Dazu war ein tapeziertes Zimmer „accomodiert” [eingerichtet] worden, „in dessen Mittel ein Tisch stand, darum fünf Personen in jüdischer Kleidung standen, welche in ein künstlich also zugerichte Hostie mit Messern und Pfriemen gestochen, aus der das Blut haufenweis geflossen. Darob sich die Juden mit Verwunderung entsetzt und aufgeschrien: Manhu, Manhu, Was ist das? was ist das? Darauf ist eine Person in prophetischen Kleidern herfürkommen, welche diese Geschichte in deutschen Versen erklärt hat.” Am vierten Altar fand eine „Fürstellung” statt, „wie etliche Hirtenknaben mit dem Amt der Heiligen Meß gespielet und wie es ihnen darüber ergangen.” Für die Bestrafung der drei Hirtenknaben wurde gar ein so genanntes Schnurfeuerwerk eingesetzt, „so den Altar samt den Knaben niedergeschlagen, worauf sich der Himmel eröffnete und ein wohlgestalter Engel” dieses Geschehnis den Teilnehmern der Prozession in Reimen kommentierte.
Die Fraternitäten waren zu einem monatlichen Umgang verpflichtet, der dem zu Fronleichnam gestalteten glich, allerdings wurden bei diesem Anlass immer kürzere Wege genommen. Nicht alle Prozessionen standen in Zusammenhang mit Festen des Kirchenjahres, sondern galten einzelnen Ereignissen. Gleich im ersten Jahr seiner Regierung erachtete Marcus Sitticus es als überaus bedeutsam, den „Bürgbauern” bei ihren Betfahrten das Aufsuchen der Reliquien des „Beschützers nicht allein der fürstlichen Hauptstadt, sondern des ganzen Erzbistums” wiederum zu ermöglichen.
In Form einer Prozession wurden am Vorabend des Rupertus-Festes nicht allein dessen Gebeine, sondern auch die der Bischöfe Martin (von Tours) und Virgil, sowie der heiligen „Märterer” Vinzenz, Hermes, Chrysanthus und der heiligen „Jungfrau” Daria in ein neues, aus Ebenholz verfertigtes und mit Silber beschlagenes Reliquiarium [Reliquienschrein] überführt und auf dem Hochaltar der Pfarrkirche verwahrt. Den feierlichen Akt gestaltete die Hofmusik, zusammen mit Trompeten und Pauken, mit einem Te Deum, von der Festung wurden zur gleichen Zeit die „großen Stuck” losgelassen. Der Chronist glaubte anmerken zu müssen, dass das einst blühende Vaterland in den vergangenen Monaten auch dadurch zu Boden gesunken sei, weil die Heiltümer der „Salzburgerischen Heiligen” nach Abbrechung des Doms gleichsam „unachtsamlich”, d.h. ohne Reverenz und Ehrung, im fe. Residenzgebäude verwahrt lagen.
Durch den Sturz Wolf Dietrichs waren viele seiner Bauvorhaben unvollendet geblieben. Für den Neubau anstelle des Konrad-Doms, der 1598 durch Brand teilweise zerstört und hernach abgetragen worden war, hatte bereits eine Grundsteinlegung am 18. März 1611 stattgefunden. Marcus Sitticus ließ den Dombau umplanen. Als nach „vergangner winterlicher Zeit das Bauwetter angefallen”, waren im Frühjahr 1614 die Fundamente des neuen Doms gegraben worden. Auf den 14. April wurde die feierliche Grundsteinlegung festgesetzt. Begonnen wurde der Tag um sechs Uhr früh mit Predigt und Messe in der Pfarrkirche. Dann bewegte sich ein Zug der Ordens- und Weltpriester zum Ort, wo der erste Stein gelegt werden sollte. Der Fürst selbst schritt als letzter. Auf dem Bauplatz war bereits ein Tisch „aufgerichtet” worden, an dem darauf liegenden Stein vollzog der Erzbischof dann den Weiheakt. Unter diesem Akt sangen die anwesenden Kleriker choraliter Bußpsalmen und eine Litanei. Assistiert von Domherrn ging der Fürst hernach zu den Grundfesten, wo der geweihte Stein von den beiden Baumeistern an die „gehörige” Stelle gelegt worden war. Der Erzbischof machte viele Kreuze in den Stein, tat mit einer Kelle Mörtel darauf und etliche Schläge. Hernach besprengte er den Ort der Grundsteinlegung und den ganzen Bauplatz mit Weihwasser. Selbstverständlich war auch die Hofmusik in die Gestaltung der Feier einbezogen.
Ausgehend von den romanischen Ländern wurden die Fraternitäten als Instrument Tridentinischer Erneuerung (wieder)entdeckt. Die Bestimmungen der Bulle Quaecumque vom 7. Dezember 1604 übertrug dem Ortsbischof die Entscheidung für die Zulassung von neuen Bruderschaften. Der von römischem Verständnis geprägte Marcus Sitticus sah darüber hinaus darin einen Auftrag, sich des Bruderschaftswesens neuen Stils bei seinen Reformbestrebungen vorrangig zu bedienen. Zu den Aufgaben der neuen Bruderschaften zählte auch die Organisation von Wallfahrten. Diese ihre Tätigkeit muss sehr erfolgreich gewesen sein, wenn die Teilnehmerzahlen als Maßstab genommen werden. Die Zeit der Wallfahrten erstreckte sich naturgemäß von Mai bis in den September hinein. Im Folgenden werden einige, besonders charakteristische Wallfahrten der Salzburger an Hand von zeitgenössischen Chroniken dargestellt.
Die erste Salzburger Kirchfahrt, veranstaltet von der Fronleichnams-Fraternität für den 22. Juli 1615, führte auf den Dürrnberg, zur dortigen Liebfrauenkirche, von einigen auch „gläserne” Kirche genannt, da ihre Fassade aus „palliertem Märmelstein” so scheine und glänze, dass man sich gleichsam darinnen sehen könne. An dieser „allgemeinen” Wallfahrt sollen 1200 Personen teilgenommen haben.
Nach vorher gehörter Messe wurde um 5 Uhr früh aufgebrochen. An der Spitze trug man eine Fahne aus Damast, Laternen und das große Kruzifix. Die Musiker sangen unterwegs die Marienlitanei, Vorsänger der Frauen die neubestellten deutschen Kirchfahrer-Rufe. Im Nonntal ließ man die Laternen in der damals noch bestehenden gotischen Erhardskirche zurück und nahm stattdessen Wachstorzen in die Hand, die beim Durchzug durch Hallein, um 9 Uhr, angezündet wurden. Das Amt auf dem Dürrnberg gestalteten die Musiker mit allerlei Instrumenten. Anschließend wurde dem Volk zwei Stunden Zeit zum Essen gelassen. Ein „Wahrzeichen” berief die Pilger hernach in die Pfarrkirche von Hallein. Nach einem figurierten Salve Regina ordnete sich der Zug für Hallein, um hernach in freier Ordnung nach Salzburg zu ziehen. Erst im Nonntal am Abend fand man wieder zu einer Ordnung für den Zug durch die Stadt bis in die Pfarrkirche.
Noch im gleichen Jahr sammelte dieselbe Bruderschaft in der ganzen Stadt für eine dreitägige Kirchfahrt nach Altötting. Von der Kanzel wurde „meniglich” [jeglicher] um Hilfe gebeten, da auf dergleichen Reisen große Unkosten entstünden. Der Aufruf erbrachte 198 Gulden, eine Summe, die die tatsächlichen Kosten in der Höhe von 479 Gulden bei weitem nicht decken sollte. Allein die 100 Kirchfahrermäntel aus rotem „moskabitisch juchten” Leder [russischem Rindsleder] verbrauchten fast das ganze Sammelgeld. Zudem hatte man die Pilgerstäbe rot streichen und vergolden lassen und für Altötting ein Messgewand angeschafft. Auch wollten die Schiffer und die Fuhrleute, die Sammler in Salzburg und die mitgenommenen Sänger entlohnt werden. Für alle musste die Zehrung bezahlt werden.
Diesmal wurde das [Glocken-]Zeichen zum Aufstehen um vier Uhr früh gegeben. Und, obwohl es ziemlich stark regnete an diesem 7. September 1615, forderte der Prediger die Menge nach der Messe auf, die Fahrt zu wagen. In völligem Regenwetter zog man über die Brücke hinaus über das Gries zu den vier großen Schiffen am Wasser, und bestieg diese, ohne von der Salzach behindert worden zu sein. Als aber die sie Begleitenden zurückkehren wollten, war der Fluss so angestiegen, dass die Leute waten, etliche sich ausziehen und andere getragen werden mussten.
Als sich der Prediger an einem Stempfen [Pfahl] eine Ader verletzte, dass das Blut in die Höhe spritzte, konnte man ihn in der Eile nur mit einem Tüchl verbinden. Der Geistliche hielt daraufhin die bloßen Füße die ganze Fahrt über ins Wasser. Der Fuß schwoll nicht an, heilte in freien Stücken und war kein Hindernis auf der Rückwanderung nach Salzburg. Das Salzburger Wallfahrervolk hielt diese schnelle Genesung für ein Wunderzeichen.
Die Kirchfahrer waren bis dahin alle bis auf die Haut nass geworden, als sich das Wetter zu bessern begann und bis Mittag allmählich aufheiterte, dermaßen, dass jeder, ehe er vom Schiff gegangen, wiederum trocken war. Von nun an gab es Schönwetter. Zwischen 12 und 1 Uhr mittags ging man unterhalb des Klosters Raitenhaslach an Land und von da über die Höhen nach Altötting. Zur Vesperzeit sammelte man sich am Ende des Waldes und wartete, bis Klerisei und Einwohner von Altötting ihnen entgegenkamen und mit den Salzburgern unter Glockengeläute im Ort einzogen. Die Menge wurde auf 800 Personen geschätzt. Als die Frauen zur Kirche kamen, war diese bereits mit den Männern überfüllt. Nach dem gesungenen Salve wurde die Predigt daher heraußen auf dem Friedhof gehalten. Inzwischen war es Nacht geworden und jeder sah sich „sonder Gelegenheit” nach einer Herberge um. In den beiden Kirchen war bis Mitternacht und am nächsten Morgen in aller Früh Gelegenheit zu beichten. Das mitgebrachte Messgewand aus rotem Samt und weißem Atlas, bestickt mit Gold, Silber und Seide, wurde nach dem Hochamt auf den Altar gelegt und dagelassen. Hernach besuchten die Salzburger den Kirchenschatz und die Heiltümer [Reliquien], wobei ein großes Gedränge entstand.
Nach der Suppe wurde um 12 Uhr zur besonderen Ehre der Pilger aus Salzburg mit der großen Glocke, nicht, wie gewohnt, mit den zwei kleineren der Kapellen, das Zeichen zur Zusammenkunft gegeben. Darauf wurde ein Salve gesungen, die Litanei vor dem Altar angefangen und die Leute in Ordnung gestellt. Dann nahm man den Weg, in Gottes Namen, über die „Harten” [Landschaft nach der Brücke über die Alz] nach Tittmoning, wo man am Abend keinen geordneten Einzug mehr zustande brachte, da die meisten erst verspätet eintrafen. Dafür erfolgte der Auszug am nächsten Morgen, nach der Messe, wohlgeordnet, begleitet von den Tittmoningern bis zu den „Siechen” [Bruder- oder Siechenhaus] hinaus. Am Abend des 9. September trafen zwischen 4 und 6 Uhr die Gruppen, nach und nach, in der Müllner Kirche ein. In Geschlossenheit ging es zur Stadt hinein in die Pfarrkirche, wo, nach der Benediktion, die Kirchfahrt glücklich beschlossen wurde. (Solche Pilgerfahrten auf dem Fluss waren nicht ungefährlich: Den Salzburger Pilgern war sicher noch in Erinnerung, dass am 28. Mai 1612 ein „Kreuzschiff” auf der Fahrt von Schärding nach Passau an einer Innbrücke zerschellt war und dabei 300 Personen ertrunken sein sollen.)
Wiederum war es die Fronleichnams-Bruderschaft, die am 8. Mai 1616, diesmal veranlasst durch ihren Präfekten Graf Paris zu Lodron, den späteren Erzbischof, eine Kirchfahrt organisierte, und zwar diesmal nicht zu einer Marienkirche, sondern zu einem „uralten” Ort, nämlich Seekirchen, „zwo Meilen Wegs von Salzburg”, wo der heilige Rupertus, der Überlieferung nach, zusammen mit seinen 12 Reisegefährten und seiner „Schwester” [recte: Nichte] Ehrentrudis, seinen Fuß zum ersten Mal in diese „Gegend und Landsart” gesetzt hat. Er habe hier eine schöne Kirche erbaut, zu Ehren des heiligen Petrus, Erstkirche oder kurz die „Ehekirche” genannt, wovon sich der Name Seekirchen herleite, da der gemeine Mann, damit es besser laute und leichter von der Zunge gehe, ein „S” dazu gefügt habe, deutet der Chronist Stainhauser den Ortsnamen.
Es war der Sonntag in der Kreuzwoche, wo „ohnedas Wall- und Betfahrten beschehen”, da mit der großen Glocke der Pfarrkirche morgens um drei Uhr das Zeichen zum Aufstehen gegeben wurde. Wegen der Menge der Teilnehmer – es seien über 2.000 gewesen, zählte der Chronist, musste die Frühmesse an zwei Altären gefeiert werden, am Lieb-Frauen-Altar und auf dem Hochaltar, dahin die Gebeine der Hauptpatrone Rupert und Virgil überführt worden waren. Wie bei den zuvor veranstalteten Betfahrten wurden dem Zug Fahnen, bemalte und vergoldete Laternen und das Kruzifix vorangetragen. Die Brüder, zwei und zwei, waren wiederum in die Pilgrimmäntel aus rotem Leder, mit dem darauf gedruckten goldenen Kennzeichen der Monstranz, gekleidet und hielten rote Pilgerstäbe in Händen, auf denen vergoldete Kelchlein waren. Die Vorsänger intonierten die bereits bekannten deutschen geistliche „Rufe”, die nun auch gedruckt vorlagen, zudem einen neuen zu Ehren des heiligen Rupertus, den Johannes Stainhauser verfasst hatte. Die Musik sang eine lateinische Litanei. (Für die 1.100 deutschen und 150 lateinischen Litanei-Bücheln, die aus Augsburg gekommen waren, hatte man etwa 30 Gulden bezahlt.)
Vor dem Tor von St. Sebastian hinterließ man Fahnen, Laternen und das Kreuz und zog, in freier Ordnung, auf dem extra hergerichteten Weg bis einen „Büchsenschuß” vor den Markt, wo man auf die nachgeführten Insignien wartete und sich sammelte. Hier wurden die Salzburger bereits vom Vikar und etwa 500 bis 600 Pfarrleuten erwartet. Wie üblich zog man vor dem Kirchgang zuerst um den Freithof [Friedhof]. Vor dem Hochamt sang und spielte die Musik, unterstützt von einem Regal, Zinken und Posaunen, ein schönes Konzert. (Die Bruderschaft hatte das Regal zum Preis von 28 Gulden kurz zuvor erworben.) Die herbeigeeilten Seekirchner und umwohnenden Bauernschaften meinten gar, halb Salzburg vor sich zu sehen und dass, wegen erloschener Andacht, die letzte Wallfahrt nach Seekirchen vor hundert Jahren habe stattgefunden. Und nur die Ältesten unter ihnen wären über dieses Ereignis noch durch ihre Eltern unterrichtet worden.
Die Salzburger Pilger blieben nach ihrer Ankunft drei Stunden oder auch noch länger zum Gebet in der Kirche. Nach „abbrüchigem” [mäßigem] Genuss von Speis und Trank – einige nahmen nur Wasser und Brot zu sich, etliche blieben gar ohne Nahrung – eilte man, nach gegebenem Zeichen mit der großen Glocke, wiederum dem „hochgebenedeiten” Gotteshaus zu. Es gab zwar, wie immer, die Erlaubnis, den Weg heimwärts „nach seiner Gelegenheit” zu nehmen, trotzdem fanden sich unterwegs einige Gesellschaften zusammen, die bis zur Stadt die geistlichen Rufe unausgesetzt mit fröhlicher heller [lauter] Stimme sangen. Im weiten Kreuzgang von St. Sebastian erst stellte man sich wieder in Ordnung einer Prozession und zog über die Brücke hinüber in die Pfarrkirche, wo jedermann zum Abschluss mit einem Gebet dem Salzburger Erzvater, dem heiligen Rupert, Dank sagte.
Bewundert wurde vom Chronisten, dass alle, der Präfekt der Bruderschaft genauso wie das „adeliche und zarte Frauenzimmer” und jene Kirchfahrer, denen es an Pferden und Wagen nicht gemangelt hätte, den Weg hin und zurück zu Fuß auf sich genommen hatten. Die Seekirchner, die von sich behaupteten, dass sie jährlich bis zu 70 Mal zu unterschiedlichen Gotteshäusern wallfahren würden, kamen dann am Montag in der Kreuzwoche, wie auch an den Pfingstfeiertagen mit ihrem Kreuz herein nach Salzburg.
Die in den Folgejahren aufgebotenen Wallfahrten, ob von der Fronleichnams- Bruderschaft oder einer der beiden anderen Bruderschaften veranstaltet, alle liefen sie in der zuvor geschilderten Ordnung ab. Am 12. Juli 1617 gab es eine Kirchfahrt zur Lieb- Frauen-Kirche auf der Gmain, „bei Reichenhall gelegen”, „wegen der vielfältigen, noch täglich (sich) zutragenden Wunderzeichen”. Am 15. Juli 1618 folgte eine nach Anthering. Bereits das Hochamt musste diesmal – wegen der großen Teilnehmerzahl – heraus unter das Portal verlegt werden. In der anschließenden Predigt auf dem Friedhof nahm der Hofprediger als Thema die sieben Brote (nach Markus 8,5 –6), „mit welcher Gelegenheit” er aber auch die sieben Buchstaben des Ortsnamens (A: Ablass, N: Neues Leben, D: Demütigkeit, R: Reich Gottes, I: Jesus, N: Nimmer sündigen, G: Gott), sowie die sieben Gaben des Heiligen Geists und die sieben Sakramente „auslegte und erklärte”.
Für den 24. August 1618 bot die Allerseelen-Fraternität eine Kirchfahrt nach Siezenheim an, „eine Stunde außerhalb der Stadt”. Der Weg führte den aus 2.000 Personen bestehenden Zug zuerst am Hof vorbei, dann über den Marktplatz, durch die Trägassen [Getreidegasse] und an der Spitalskirche vorüber, über die Gstätten(gasse) an St. Marx [der früheren Markuskirche] vorbei nach Mülln. Als man durch St. Maximilian, „ingemein Maxlon [Maxglan] genannt”, kam, wurden auch hier die Kirchenglocken geläutet. Besonderen Glanz gab dieser Prozession die Hofmusik. Wiederum wurde ein Regal mitgeführt.
Dieselbe Kirche war 1619 gleich dreimal Zielort: am 28. April für die Müllner und am 3. Mai, sowie am 28. Juli für die Allerseelen-Bruderschaft. Deren Kirchfahrt galt der Abwendung der Not, die durch die „ketzerischen rebellischen Behemen [Böhmen], samt ihren Adhärenten [Anhängern] und Konföderierten [Verbündeten]” den Katholischen entstanden war, und der Fürbitte für den Sieg des „gottesfürchtigen hungerischen [ungarischen] und behemischen” Königs Ferdinand II. (1619–1637) bei der bevorstehenden Wahl zum Römischen König und zukünftigen Kaiser.
Auf der Peregrination der Müllner nach Salzburghofen, am 2. September 1618, gingen die Brüder erstmals „mit entblößtem Angesicht”, d.h. ohne Kapuzen, stattdessen trugen sie (schwarze) Hüte. Die Fronleichnams-Bruderschaft folgte im nächsten Jahr bei ihrer Kirchfahrt nach Piding, am 9. Juni, diesem Vorbild und ersetzte ihre „Kappen” ebenfalls durch Hüte. Die Träger von Konduktkreuz und Fahnen waren jeweils mit neun Kreuzern zu entlohnen.
Die „Gnigler und Itzlinger Zech oder Bruderschaft” hatte bereits im Sommer zur Abwendung von Schauer, Hagel und Unwetter „von den lieben Früchten” zu St. Sebastian drei Lobämter halten lassen. Sonntag, den 21. Oktober 1618, veranstalteten die Mitglieder nun selbst, in Anlehnung an die Archikonfraternitäten, zum ersten Mal eine Kirchfahrt, die sie durch die Stadt bis nach Grödig führte.
Auch die Corpus-Christi-Bruderschaft, die Abt Christoph Wasner als Mittel der Rekatholisierung des Mondseerlandes errichtet hatte, führte 1615 ihre erste Kirchfahrt nach Salzburg zu den bezeichneten Gotteshäusern. Bereits um halb acht Uhr traf der Kondukt ein. An seiner Spitze ritt der Pfleger, ihm folgten die Kirchfahrer, jeweils drei und drei, insgesamt sollen es über tausend Personen gewesen sein. Die Salzburger Archikonfraternität, in roten Säcken und brennende Kerzen in Händen, erwartete sie in der Pfarrkirche, wo sie, in den „Abseiten” [Seitenschiffen] stehend, den festlichen Empfang bildete. Im Gotteshaus zu Mülln gestaltete hernach die Müllhammerische Musik, mit Gesang und Instrumenten, das Hochamt dieser Pilger.
(Ihr) Hochfürstlichen Gnaden
fürsterzbischöflich
Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde
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