Startseite: Bräuche im Salzburger LandFolge 1: Im Winter und zur WeihnachtszeitFolge 3: In Familie und GesellschaftBegleitheft (in Arbeit)ZitierempfehlungVolltextsucheHilfe

8.19. Die Wallfahrt nach Maria Kirchental[1903] (Ingrid Loimer-Rumerstorfer) - Langtext

„Das Orth, wo jetzt die neue herrliche Kirch mit der wunderthätigen MARIAE-Bildnuß stehet, ist ein Berg, und zugleich ein Thal. Ein Berg, weilen man von der Ebne bey drey viertel Stund aufwärts gehen muß, und ein Thal, weilen es mit hohen Gebürgen umgeben ist. Dahero diß Orth von Alter hero wegen der unten am Fuß deß Bergs stehenden St. Martins=Pfarr=Kirchen der Kirchberg, von andern aber das Kirchenthal genennet worden. Und diser letztere Namen ist ihme nun wegen der neu=erbauten Kirchen eigentlich verbliben. An disem Orth ware zuvor ein Wald, worinnen die umligende Nachbarschafft ihren Blumbesuch, Holtz=Recht und Mäder hatte. Weilen es aber allda, auf denen anligenden hohen Gebürgen gefährliche Arbeiten abgeben, auch einen gantzen Sommer das Vieh alldorten gehütet wurde, so hat ein andächtiger Mann, Namens Ruep Schmuck, Bauer zu St. Martin ungefehr um das Jahr 1670. ein höltzernes Capellel aufgerichtet, und etliche geistliche Gemähl darein gestellet, damit die zu der gefährlichen Arbeit gehende Leuth und Vieh=Hüter etwas zu betten angemahnet, und aufgemunteret wurden, welches auch vilfältig geschehen. Nachdeme aber dises Capellel fast niedergefaulet, hat gemeldte Nachbarschafft mit gnädiger Verwilligung an selbiges Orth Anno 1688 ein neue Capellen bey 10. Schuh in die Vierung aufmauren lassen, und hernach gebetten, jenes geschnitzte MARIAE-Bild, welches in gemeldter Pfarr-Kirchen in dem alten Altar über 200. Jahr gestanden, und nach eben allda damahl aufgerichten neuen Altar übrig ware, in besagte neue Capellen zu übersetzen, welches ihnen auch bewilliget, und darauf dises Bild an dem Fest=Tag SS. Petri & Pauli den 29. Junii desselben Jahrs processionaliter dorthin getragen worden ist. Hierauf wurde dise neue Capellen und U.L.Frauen Bildnuß von vilen besuchet und verehret ...”[1904]

Dieses „unserer Lieben Frauen Bildnuß” ist eine gotische Holzskulptur aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Sie stellt eine thronende Maria mit dem Jesusknaben im Arm dar und ist von einem Strahlenkranz umgeben. Das Kind hält einen kleinen Vogel in der Hand – ein damals oft gebrauchtes Symbol:[1905] Handelt es sich um eine weiße Taube, so deutet sie eine erlöste Seele an, ein bunter Distelfink hingegen weist auf das künftige bittere Leiden Jesu hin.[1906]

Den alten Berichten zufolge kamen Bauernmägde und Knechte, Holzfäller und Jäger von den nahen Almen und Wäldern zur Andacht in die kleine Kapelle. Auch manch frommer Dorfbewohner ging von St. Martin hinauf ins Kirchental, weil er sich der alten Marienstatue aus der nunmehr barockisierten Pfarrkirche verbunden fühlte. Bald schon mischten sich Gläubige aus weiter entfernten Ortschaften unter die Einheimischen, da die Kunde laut wurde, daß sich oben im Hochtal wunderbare Dinge getan hätten. Fromme Gebete seien erhört worden, in der Kapelle hätte sich die Statue von ihrem Platz wegbewegt, die Madonna habe geweint! Solche Ereignisse wurden auch von anderen Orten erzählt und erschienen den Leuten daher nicht unwahrscheinlich, außerdem kannten sie aus Erbauungsbüchern und Predigten eine Fülle von geistlichen Wundergeschichten. Da nun eifrige Beter ein sichtbares Zeichen der Erhörung herbeiwünschten, so hielten sie möglicherweise das Flackern der Kerzen oder einen wetterbedingten Lichteinfall in der Kapelle für eine Belebung des Marienbildes. Der Pfarrvikar von St. Martin wurde mit der Untersuchung der Gerüchte beauftragt. Streng befragte er die Gläubigen nach den Geschehnissen, aber weder er noch der Dechant von Saalfelden konnten irgendwelche Unwahrheiten, Hirngespinste oder gar Blendwerke des Teufels feststellen. Vikar Pürckamber selbst zweifelte an dem plötzlichen Gnadenfluß, bis er in einer schweren Krankheit die Hilfe der kleinen Madonna vom Kirchental am eigenen Leib verspürte. Im Herbst 1690 langten Protokolle über die verwunderlichen Begebenheiten am erzbischöflichen Hof ein, und noch im selben Jahr wurden Berichte darüber nach Rom geschickt. Die hohe Geistlichkeit entschied sich dafür, die weitere Entwicklung der Dinge abzuwarten; man w die frommen Katholiken noch ihre Gegner im damals so unruhigen Pinzgau durch vorschnelles Urteil über etwaige Mirakel weiter erregen.

Schon seit mehr als eineinhalb Jahrhunderten bildeten die vielen „Ungehorsamen” in den „wilden Gebirgstälern” des Erzstiftes, besonders im Pongau, Pinzgau und in einigen Tiroler Tälern eine drohende Gefahr für die Regierung; politisch Unzufriedene kämpften gegen die Privilegien von Adel und Klerus, Anhänger der neuen Lehren für die Freiheit im Glauben. Seit dem Dreißigjährigen Krieg hatte sich die wirtschaftliche Lage durch immer neue Steuern und Abgaben verschlechtert. Im Gebirgsland nahm die Arbeitslosigkeit zu, da unrentable Bergwerke stillgelegt wurden. Viele Bauern waren infolge der üblichen Erbteilung nicht mehr fähig, sich und ihre Familien zu erhalten. Das einfache Volk verarmte zusehends. Scharenweise mussten sich die „Unfreien” den Sommer über als Saisonarbeiter im Ausland verdingen, vor allem in Schwaben und Württemberg. Aus diesen protestantischen Ländern brachten die Heimkehrer den heimlichen Salzburger Lutheranern, Calvinisten und Wiedertäufern verbotene Schriften mit, deren Gedankengut den Widerstand gegen den geistlichen Landesfürsten verstärkte. Da aber für das Erzstift der Grundsatz „Cuius regio, eius religio” galt, waren alle Untertanen zum Katholizismus verpflichtet, denn der Landesherr bestimmte die Religion. Protestantische „Inklinanten” wurden Aufrührern gleichgestellt, sie wurden als „Rebellen” strengstens bestraft. Waren sie nicht bereit sich dem Erzbischof zu unterwerfen, so drohte ihnen die Ausweisung. Erst kürzlich waren Defregger Protestanten des Landes verwiesen worden, und als einige von ihnen zurückkamen, um ihre Kinder und den Erlös ihrer Güter abzuholen, wurden sie gefangengenommen und als Galeerensträflinge nach Venedig geschickt.

Erzbischof Johann Ernst Graf Thun, in dessen Regierungszeit (1687 –1709) die Entstehung der Wallfahrt nach Kirchental fiel, war ein besonders strenger Regent. Besorgt um die sittliche und religiöse Besserung seiner Untertanen, erließ er zahlreiche Gebote und Verbote,[1907] die das Volk murren machten. Er untersagte zum Beispiel das nächtliche Gasselgehen, das Zücken von Messern und den Besitz nicht amtlich gemeldeter Waffen. Glücksspiele waren verboten; Tanzveranstaltungen mussten schon am Abend enden, damit jeder zur festgesetzten Stunde daheim war. Unkeusche und arbeitsunwillige Personen wurden öffentlich abgestraft; Wilderern, Fisch- und Holzdieben drohte Gefängnis, Militärdienst oder gar die Galeerenstrafe. Personen, die ohne Erlaubnis ausreisten oder verbotene Bücher einschmuggelten, wurden des Landes verwiesen. Der Erzbischof verpflichtete die Ortsgeistlichen zur Visitation der Privathäuser, die Beamten arbeiteten mit Spitzeln zusammen. Er selbst überzeugte sich auf Reisen durch die einzelnen Gaue vom Befolgen seiner Anordnungen. Die Eltern wurden angehalten, ihre Kinder streng katholisch zu erziehen; Handwerker sollten nur katholische Gesellen anstellen; alle Untertanen mussten während der Sonntagsgottesdienste schwören, fortan im katholischen Glauben zu leben und zu sterben; „falsche Eidschwörer” wurden empfindlich gestraft und gedemütigt. Obwohl rings im Land neue Seelsorgestationen errichtet wurden und der inneren Mission große Bedeutung zukam, gelang es nicht, die römisch-katholische Lehre im ganzen Volk zu festigen. Acht Generationen lang, bis hin zur großen Emigration der Jahre 1731/32, verließen immer wieder Hunderte, ja Tausende von Protestanten das Erzstift, was unter anderem einen gewaltigen Verlust von Arbeitskräften bedeutete.[1908]

Die Zahl der treuen Katholiken wurde besonders im Gebirgsland von Jahr zu Jahr geringer. Männer wie der Bauer Rupert Schmuck aus St. Martin, der seinen Dienstleuten in der Einöde einen hölzernen Unterstand erbaut und mit Heiligenbildern zu einer Stätte der Andacht und des Gebetes ausgeschmückt hatte, waren selten anzutreffen. Dort oben in der kleinen Kapelle sollte sich also im Umkreis der Marienstatue manch Wundersames zugetragen haben. Den befragten Zeugen musste man Glauben schenken, selbst wenn man ihren geringen Bildungsstand in Betracht zog und auch die Tatsache, dass das Volk noch stark im magischen Denken verhaftet war. Der Zulauf zur Kapelle nahm ständig zu. Viele Gläubige brachten der Muttergottes Opfergaben und Geschenke für eine erhoffte oder bereits erhaltene Hilfe dar. Immer dringender äußerten sie den Wunsch nach einem Priester, der in der Kapelle die Messe lesen dürfe. Als die behördlichen Untersuchungen über den „neu entsprungen= und Trostreich flüssenden Gnaden=brunn” abgeschlossen waren, wurde die Verehrung des Bildnisses freigegeben. Eine ansehnliche Geldspende aus Tirol ermöglichte eine Erweiterung der Kapelle und den Ankauf eines Altares, auf den ein Glaskästchen mit der Marienstatue gestellt wurde. Am 14. Mai 1691 konnte die erste Messe gefeiert werden. Noch im Herbst desselben Jahres kam Erzbischof Johann Ernst, der ein großer Marienverehrer war, in das Kirchental, zelebrierte am 13. Oktober eine Messe und setzte dem Marienbild und dem Kindlein kostbare goldene Kronen auf.[1909]

Diese Handlung ist bemerkenswert, weil in der Fachliteratur als Beispiel für die Krönung eines Salzburger Gnadenbildes bisher nur jene von Maria Plain (1751) genannt worden ist.[1910] Der Krönungsbrauch selbst hat in der abendländischen Kirche eine lange Tradition, die bis ins 8. Jahrhundert zurückreicht; nach den Vorschriften, die im 17. Jahrhundert in Rom ausgearbeitet wurden, musste ein Heiligenbild sehr alt, allgemein verehrt und wundertätig sein, um diese Auszeichnung zu erhalten. Da alle drei Bedingungen auf die Kirchentaler Madonna zutrafen, erhielt sie als Königin des Himmels eine herrschaftliche Krone. Einige Jahre später wurde ihr ein goldenes Szepter geschenkt, zudem bekleidete man die Statue mit barocken Prunkgewändern, die meistens nur die Gesichter von Mutter und Kind frei ließen. Maria wurde als mächtige Herrscherin damals auch in geistlichen Liedern gefeiert, war sie doch in den Türkenkriegen zur großen Schutzherrin des christlichen Abendlandes, insbesondere des bedrohten Österreich und seiner befreundeten Nachbarländer erwählt worden. Bis ins 20. Jahrhundert sang man in manchen Diözesen ein Preislied, das bereits in einem Salzburger Prozessionale von 1667 enthalten war:

„Dich grüß ich, Fürstin mein, du Jungfrau ewig rein!
 Du Brunn der Gütigkeit, du Stern der Seligkeit,
 du aller Herzen Freud, o Maria!”[1911]

Der „wunderschön prächtigen, hohen und mächtigen, liebreich holdseligen himmlischen Frau” wollte der Erzbischof anstelle der Kapelle eine Kirche errichten lassen. Dann aber entschied er sich für einen Standort weiter oben im Tal, weil dieser vor Lawinen sicherer war. Im Volk erzählte man von neuen Wundern: Die Marienstatue hätte dort hinauf geblickt, auch wären dort drei Kornähren mitten im Schnee emporgewachsen; eine Ähre ist, kostbar gefasst, heute noch in der Schatzkammer zu sehen. Als Architekten berief der Landesfürst keinen Italiener, wie es seine Vorgänger getan hatten, sondern dank seiner guten Beziehungen zum Wiener Hof den „kayserlichen Ingenieur” Johann Bernhard Fischer von Erlach, der in den Jahren vor und nach 1700 eine Reihe bedeutender Bauten für die Salzburger Residenzstadt schuf, zum Beispiel die Dreifaltigkeits- und die Universitätskirche, die Kirche der Ursulinen und die des Johannesspitals. Für Kirchental entwarf Fischer eine prunkvolle, schön gegliederte Kirche, deren Fassade mit den beiden Ecktürmen an die Plainer Wallfahrtskirche und letztlich an den Salzburger Dom erinnern. Der „Pinzgauer Dom” konnte allerdings nicht so großartig, wie geplant, verwirklicht werden, weil die Kosten dafür zu hoch waren. Zwar hatten eifrige Pilger viel Baumaterial ins Hochtal hinauf geschleppt und große Geldopfer gebracht, auch mussten sich die wohlhabenderen Kirchen im Pinzgau und Pongau finanziell am Bau beteiligen, doch wäre das neue Gotteshaus ohne die wiederholte und beachtliche Unterstützung aus der Privatschatulle von Johann Ernst und anderer Grafen Thun nicht vollendet worden.

Die Ausführung des Baues wurde dem tüchtigen Loferer Maurermeister Stephan Millinger übertragen. Schon nach einer Bauzeit von nur fünf Jahren konnten die Handwerker mit der Inneneinrichtung der Kirche beginnen. Am 8. September des Jahres 1699, am Fest Mariä Geburt, wurde die erste Messe gelesen, und genau zwei Jahre später weihte der Bischof von Seckau, ein Bruder des Salzburger Erzbischofes, die Kirche ein, obwohl sie noch nicht fertig ausgestattet war. Neben der Kirche war inzwischen auch ein Priesterhaus entstanden; die kleine, alte Kapelle wurde nicht länger erhalten, sondern an ihrer Stelle ein Kreuz errichtet, das heute noch zu sehen ist.

Schon während der Bauzeit der Kirche waren Pilger aller Stände und Altersgruppen aus weit entfernten Gegenden ins Kirchental gekommen, aus Tirol und Österreich, aus Böhmen, Mähren und Ungarn, vom Rhein, aus der Schweiz und aus Italien. Ihre Anliegen waren vielfältig, ihr Vertrauen auf die Hilfe Marias groß. Die Priester am Wallfahrtsort hatten bereits im Jahr 1690 mit der Aufzeichnung einzelner Gebetserhörungen begonnen, sodass wir uns aus den Texten über die Lebensumstände, Nöte und Ängste unserer Vorfahren unterrichten können.

Das erste gedruckte „Mirakelbuch” geht noch auf Pfarrer Pürckamber zurück, auf jenen Geistlichen von St. Martin, der den Beginn der Wallfahrt mit Skepsis verfolgt hatte. Der Titel des Büchleins lautet:

„Neu=entsprungen= und Trostreich flüssender Gnaden=Brunn / Oder Warhaffte Beschreibung der Gnaden und Gutthaten / welche der Allmächtige GOtt durch die Glorwürdigiste Himmels=Königin / auch barmhertzigiste Helfferin der Christen MARIA In dero Gnaden=Hauß im Kirchen=Thal nächst Lofer / Ertz Stiffts Saltzburg / und Decanats Salfelden gelegen / An unterschidlich=betrangt=presthafften und elenden Persohnen mildreichist gewürcket hat. Vom ersten Jahr 1690. biß Ende 1729. Zusammen getragen Von A.R.D. Josepho Pürckamber gewesten Pfarrs=Vicario zu St. Martin; und nach desselben zeitlichen Ableiben durch andere Geistliche continuirt / von dem Wolehrwürdig= und Wolgelehrten Hrn. Martin Weißbacher Vicario zu Uettendorff in dise Form ge=bracht / und auf inständiges Anlangen der andächtigen Kirchfahrter in Druck gegeben. Cum permissu & licentia Superiorum.” Saltzburg / gedruckt bey Joh. Joseph Pambsteidl Löbl. Landschafft und Stadt Buchdruckern / 1744

Die Wunderberichte darin tragen Überschriften wie:

„Ein bey 18. Jahr lang vom bösen Feind besessene Weibs=Persohn wird allda hiervon erlediget.”
 „Ein Sprachloser erlangt die Red.”
 „Maria löscht den Brand an einen Fuß.”
 „Ehe=Friden bringt Maria zuwege.”
 „Gefährliche Geburt gehet glücklich ab.”
 „Ein vom Wasser=Rad Beschädigter wird schleunig gesund.”
 „Unglück mit dem Vieh höret auf.”
 „Ein tödtlich erkranckter Religios erlangt die Gesundheit.”
 „Durch Zauberey Erkrumte wird gerad.”
 „Ein gefährlicher Fall auf einer Holtz-Risen gehet noch glücklich ab.”

Aus den Berichten erfährt man Namen und Stand der hilfesuchenden Leute, ihre Notlage und den Zeitpunkt des Gnadenerweises. Da liest man zum Beispiel:

„Ursula Rädlin Millnerin bey St. Martin hatte ein kranckes Kind / welches gantze Nächt so unruhig war / daß auch sie Mutter lange Zeit keinen Schlaff haben kunte. So bald sie aber eine Kirchfahrt allhero verlobt / ist das Kind gesund und hernach ordentlich schlaffend geworden.” (S. 18)

„Stephan Millinger Maurermaister zu Lofer sagte aydlich auß / daß er vor einem Jahr um Weynachten solche Schmertzen im Creutz gehabt / daß er 3. gantze Wochen nicht habe auß dem Hauß gehen können. Da verlobte er sich unser L. Frau im Kirchenthal zu besuchen / worauf die Schmertzen so viel nachgelassen / daß er zwar wohl hart zur Capellen hinauf gekommen / nach verrichten Gebett aber seye er gantz leicht herab gangen / und aller Schmertzen verschwunden.” (S. 20)

„Auf gleich Weiß bekräfftigte Sebastian Kiebeunter in der Unter=Zenau Pfleg=Gerichts Lofer. Daß / als er den 30. October diß Jahrs in die Leogang auf ein Hochzeit geritten / und neben dem Wasser über ein Bergel zu einen schmalen Weeg kommen / habe er das Pferd beym Zigl darüber geführet / es seye aber der Weeg gebrochen / und das Pferd bey anderthalb Gaden[1912] hoch hinab gefallen / und auf den Rucken da gelegen / daß er solches schon für verlohren gehalten / in diser Noth habe er U. L. Frau im Kirchenthal angeruffen / worauf das Pferd wider alles Verhoffen sich aufgeschwungen und glücklich herauß gekommen.” (S. 20)

„Der Maria Carlin von Stain der Herrschaft von Täxis 3. jähriges Töchterlein Anna genannt / ist auf ein in den Händen gehalten= grosses Fisch=Messer mit grossen Gewalt gefallen / und hat ihme solches so hart durch das Aug in den Kopff gestossen / daß die Mutter dasselbe 2. mahl nicht heraus ziehen könte / sondern mehrer Stärcke anwenden muste. In solchem Leyd begehrte sie Hüllf von Badern / welche aber alle ihr Unmöglichkeit vorgewendet / und dises Kind gar nicht angenommen haben. Derowegen die höchst=betrübte Mutter der Mutter GOttes zu Füssen gefallen / ein Kirchfahrt ins Kirchenthal versprochen. Worauf aller Schaden von sich selbsten entwichen / und das Kind ohne Verletzung deß Augs frisch und gesund worden.” (S. 106)

„Gertraud Schmuckin lediges Stands von Lofer 20. Jahr alt / hat im Kraut=Essen unversehens ein Bein geschlunden / so bey einer Viertelstund im Halß gestecket / und diser schon angefangen zu geschwellen /sie auch fast nichts mehr reden können / sondern in Kürtze ersticken müste. Ihr Vatter Michael Schmuck spricht ihr beweglich zu / sie solle Hülff bey Mariam im Kirchenthal suchen / und ein Kirchfahrt verloben / sie thuts / und alsobalden ist das Bein durch ein Reisper herauß gesprungen / so geschehen den 14. Sept. 1695.” (S. 113)

„Den 1. Sept. diß Jahrs zwischen 8. und 9. Uhr in der Nacht haben etliche Nachtdieb und Rauber dem Willibald Weickl Gastgeben zu Brunn nicht nur all das Beste gewaltthätiger Weiß hinweckgenommen / sondern auch alle in dem Hauß erschröcklich tractiret und gepeyniget / absonderlich des Würths Tochter Rosina genannt / welche sie mit auf den Rucken gebundnen Händen über ein Stang auf zwey Kästen gehänget / und ihr mit brinnenden Kertzen / die Füß und den Leib schmertzhafft gebrennet / in diser äussersten Noth ruffte sie Mariam an / und verlobte sich an dises Gnaden=Orth / worauf sie gleich keine Schmertzen empfunden / die Rauber aber alle die Flucht genommen haben / dahero sie die Kirchfahrt alsobalden selbst verrichtet / ein silbernes Hertz sambt einer Tafel geopffert und das Obbeschribene erzehlet hat.” (S. 198)

In das Kirchental pilgerten nicht nur einzelne Personen, die sich der Muttergottes „verlobt” hatten, sondern auch ganze Wallfahrtszüge, etwa dann, wenn die Bewohner einer Ortschaft für die „glückliche Befreyung vor dem Feind” dankten oder dafür, dass sie von einer drohenden Feuersbrunst, Überschwemmung oder Seuche verschont geblieben waren. Sie brachten oft recht kostbare Geschenke mit, zum Beispiel goldene Ketten und Ringe für die Gnadenstatue, Silberleuchter, Messgewänder, Altardecken und Monstranzen für die Kirche, Geldspenden für den Unterhalt der Geistlichen und für fromme Stiftungen. Wohlhabende Bürger opferten Wachskerzen in Körperlänge, Soldaten ihre Kriegsfahnen, kranke Personen Nachbildungen der schmerzenden Körperteile. Geheilte Lahme ließen ihre Krücken in der Kirche zurück, ehemalige Gefangene ihre Eisenketten, Frauen dankten mit Wachskindlein für eine glückliche Geburt, und manchmal schenkte ein Bauer der heiligen Maria sogar eine lebendige Kuh oder ein Kalb. Viele Gläubige ließen zum „ewigen Gedächtnis” an die erlangte wunderbare Hilfe Bilder malen, auf denen die überstandenen Gefahren in bunten Farben geschildert und mit einem kurzen Text erklärt wurden; „Ex Voto” steht meistens dabei, „aus einem Gelöbnis heraus entstanden”. Da sie üblicherweise auf Holz gemalt waren, nannten die Leute sie „Tafeln”.[1913]

Solche Votivbilder waren schon im späten Mittelalter bekannt, erlebten ihre Blütezeit aber erst im Barock. In Aufbau und Gestaltung erinnern sie an die gotischen Stifterbilder und an die Grabplatten der frühen Neuzeit, weil auch sie zweigeteilt sind: Die obere Bildhälfte gehört dem Himmel und seinen Bewohnern an, die untere der Menschenwelt. Im Himmelslicht erscheint auf Wolken das Gnadenbild, zu dem der Votant betend emporblickt, entweder noch im Augenblick der Gefahr oder bereits nach seiner glücklichen Rettung; manchmal ist die ganze Familie des frommen Beters abgebildet, verstorbene Angehörige sind durch ein Kreuzlein gekennzeichnet.

Gewöhnlich hatten die Maler von Votivbildern – oft waren es einfache Handwerker wie die Möbelmaler – einen Vorrat halbfertiger Ware mit den gängigen Themen auf Lager, weil sich gefährliche Lebenssituationen wiederholten. Da gab es Szenen mit brennenden Häusern, kenternden Flößen, scheuenden Pferden, mit verunglückten Holzfuhren, mit Lawinenabgängen, mit kranken Menschen oder Tieren. Die Besteller ließen das erwählte Gnadenbild einfügen, sich selbst und ihre Angehörigen dazu malen und die Tafel beschriften. Diese frommen „Bildergeschichten” wirkten in Zeiten, in denen ein Großteil der Bevölkerung des Lesens unkundig war, noch stärker auf die Wallfahrer ein als die Berichte der „Mirakelbücher”. Je mehr „Wunder” anzustaunen waren, umso angesehener wurde ein Gnadenort, umso reicher flossen auch die Spenden. Außergewöhnliche Gnadenerweise wurden sogar auf Wunsch der Geistlichen in großformatigen Bildern verewigt und in der Kirche gut sichtbar aufgehängt. Sie haben in Kirchental ihre Plätze im Hauptraum der Kirche bis zur Gegenwart behalten, während viele kleine, einfache Votivbilder von Zeit zu Zeit gegen aktuellere ausgetauscht wurden.

Weil die Zahl wunderbarer Gebetserhörungen weiter anwuchs, erschien bereits im Jahr 1751 in Salzburg ein zweites „Mirakelbuch” mit dem schönen Titel „Kirchenthalischer Immer hell= und heylsam fliessender Gnaden=Brunn”, verfaßt vom damaligen Regenten Kirchentals, Thomas Georg Swoboda. Dieser Geistliche war kein einfacher Landpfarrer wie sein Vorgänger Pürckamber, sondern ein gelehrter Mann, der seine Aufzeichnungen mit Anspielungen auf theologisches Schrifttum würzte. In seinem Buch stehen unter anderem die folgenden Berichte:

„Im offenen See unvermuthet kommenden Schlitten=Fahrern wird von Maria wunderbarlich außgeholffen. Den 18. November bringet danckbarist vor Jungfrau Clara Poschacherin von Saltzburg, zu Lofer gebürtig, wie daß sie vor Jahren zu Anfang deß Winters sambt anderen Personen unvertraut in Pillersee hinein gefahren, in der Meynung, sie fahreten auf einem ebenen mit Schnee bedeckten Feld, als sie nun mitten darauf gewesen, und gesehen, daß selbe auf dem einbrechenden Eyß sich befindeten, der See schier allerdings offen, und lauter Wasser vor ihnen stunde, auch nicht mehr weiter, noch zuruck fahren konten, haben sie sammentlich mit hertzinniglichster Andacht zur der Kirchenthalischen Gnaden=Mutter ihr Zuflucht genommen: und sihe Wunder! auf sothane demüthigiste Anruffung seynd sie auf den gantz gebrechlichen Eyß gleich als auf einen Wasen oder trucknen Land glücklich hinüber gefahren; sobald aber dieselbe auß dem Schlitten außgestigen, ist das Eyß eingebrochen, und zerschmoltzen; worauß sie dann erkennet, daß sie wunderthätiger Weiß durch die übergebendeytiste Mutter GOttes in Kirchenthal von der augenscheinlichen Todts=Gefahr seyen befreyet worden. Die von weiten zusehende Leuth haben nicht genug bewundern können, wie dise Schlittenfahrer mit dem Leben darvon kommen. Hier erscheinet, was für ein grosse Macht Maria von ihren Göttlichen Sohn empfangen: Nix, glacies -faciunt verbum ejus, (a) daß auch der Schnee / und das Eyß ihr (nemlich Mariae) Wort verrichten, und denen Marianischen Pfleg=Kindern nicht schaden.” (a) Psalm, 148.v.8. (S. 48f)

„Durch Vorbitt Mariä wird das wilde Feuer gelöschet. Was für eine erschröckliche Feuers=Brunst der Hochfürstl. Marckt Salfelden in heurigen Jahr den 26. Julii habe außgestanden, ist allbekannt, und wurde wohl der gantze Marckt in die Aschen gelegt worden seyn, wann nicht die nächst bey der Hochfürstl. Pfleg wohnende Burger und Inwohner Mariam in Kirchenthal mit Verlobnuß einer Wallfahrt um Hülff angeruffen hätten. Dises ihr gethanes Gelübd hat ihnen so vil gefruchtet, daß ihre Häuser und Städl seynd unverletzt gebliben; dannenhero dieselbe zur schuldigister Danckbarkeit eine grosse Tafel (in welcher der Marckt Salfelden ist abgemahlen) sambt diser beygesetzten schrifftlichen Attestation mit Haltung eines solemnen Lob=Ambts bey abgelegter Wallfahrt geopffert haben. Der Großmächtigisten Himmels und Erdens=Königin, der Unbefleckt = Jungfräulichen Mutter deß Eingebohrnen Sohn GOttes Mariä in dem wunderthätigen Gnaden=Bild zu Maria Kirchenthal. Seye zu einem unterthänigisten Dancks=Opffer von sammentlichen Burgern und Bewohnern deß Pfleg= und Orths=Viertls in dem Hochfürstl. Saltzburgerischen Marckt Salfelden, bey dero Marianischen Gnaden=Thron neben einer andächtigen Wallfahrt und Ambt der heiligen Meß gegenwärtige Gedächtnuß=Tafel aufgehefftet, in Erwegung vermittels deroselben Vorbitt bey dero anno 1734. den 26. Julii durch einen in dem Thurn der Lobwürdigen Pfarr=Kirchen zu Salfelden nidergegangenen Donner=Streich entstanden hefftigen Feuers=Brunst, und dardurch in Aschen gelegt vilen Häusern und Gebäuen auf eine gantz wunderthätige Weiß von der allenthalben andringend=äusseristen Feuers=Gefahr gleichwohlen dises Pfleg=Viertl nebst einem zimlichen Theil deß übrigen Marckts Salfelden unverletzter erhalten worden. Vor welch=höchste Gnad nochmahlen GOtt, und der mütterlichen Vorbitt Mariä, dann beyden grossen Vorsprechern Floriano und Joanni Nepomuceno unendlicher Danck, Lob, Ehr, und Preyß gesagt seye. Actum Salfelden den 13. Augusti Anno 1734. O wie hoch=vermögend ist die Vorbitt und der Schutz Mariä! massen nicht allein der Schnee und das Eyß (wie schon oben an dem 49. Blat angemercket) sondern ignis Brando, - faciunt verbum ejus, (a) auch das Feuer / und der Hagel ihr (nemlich Mariä) Wort verrichten / und aufhören ferneren Schaden zuzufügen.” (S. 56ff)

Ein sehr hoch abgefallener Mann wird bey seinem Leben erhalten. Georgius Soder von der Gmain Stauffenegger=Gerichts bezeuget, welcher Gestalten er kurtz vor Pfingsten, zwischen 11. und 12. Uhr Mittags über einen sehr hohen Palfen oder steinerne Wand bey 6. Gaden hoch in Untersperg (allwo Jahrs vorhero eine Sendin sich zu todt gefallen, und er auß Fürwitz hinunter geschauet) abgefallen, doch aber, nachdem er vor Schrocken eine Zeit unverwust da gelegen, ist er frisch und gesund aufgestanden, unangesehen, daß derselbe mit der Brust auf einen Stein, mit dem Kopff aber an einen Baum hart ware angefallen. Dise grosse Gnad hat er der kräfftigen Vorbitt und gnadenreichen Hülff Mariä in Kirchenthal zugeschriben, als welche er Anfangs deß geschehenen Falls inbrünstig angeruffen, und gar wohl erkennet, auch bey sich selbst gesprochen hat: Wann mir jetzt U. L. Frau in Kirchenthal nicht hilfft, so ist es auß mit meinen Leben; dahero derselbe den 8. September seine Kirchfahrt verrichtet, und zur Danckbarkeit ein gemahlene Tafel geopfferet hat.” (S. 62f)

„Ein schwangeres Weib von einem wilden Stier überfallen, wird wunderbarlich von der Todts=Gefahr befreyet. Den 13. October bringet Josephus Spisenreither, und sein Ehe=Weib Maria Prandstötterin (von Neukirchen Deisendorffer=Pfarr) ein gemahlene Tafel, welche sie sambt einer Kirchfahrt allhero verlobt, als dieselbe Jahrs vorhero von einem wilden Stier bey einer Stund lang sehr übel tractiret, etlichmal in die Höhe geworfen, mit 5. Stichen und vilen blauen Flecken grausam zugerichtet, auch ihr sogar die Kleyder von Leib seynd gerissen worden; in diser grösten Lebens=Gefahr hat dieselbe endlich Mariam in Kirchenthal um Hülff angeruffen: und, O Wunder! gleich hierauf ist der wilde Stier von ihr gewichen, und sie sambt ihrer Leibs=Frucht (dann sie schon auf halbe Zeit schwanger ware) mit dem Leben darvon kommen, und glücklich geheylet worden, es lebet auch das Kind noch heunt zu Tag frisch und gesund.” (S. 90f)

„Maria erhaltet einen von der Schnee=Lähn gantz Vergrabnen bey dem Leben. Den 21. November 1737. hat glaubwürdig vorgebracht Eva Hörbstin Bäurin zu Uncken, wie daß Anno 1735. am Sonntag nach Liechtmessen um 7. Uhr zu Morgens ein Schnee=Lähn ihren Vieh=Stall von Hauß weggerissen, und darvon getragen, wobey 25. Rinder und zwey Schaaf darunter todt gebliben seynd: ihren Sohn Blasi hat sie erst nach 3. Stunden unter dem Schnee vergrabner gefunden, und ihn halb todter herauß gescharret: jedoch ist er wunderbarlich bey dem Leben erhalten, und bald wider fähig geworden, sein Arbeit zu verrichten. Dise Errettung von Augen=scheinlicher Todts=Gefahr hat er danckbarist der wunderthätigen Gnaden=Mutter in Kirchenthal zugeschriben, welche er gleich bey erster Gefahr, alsdann auch eine gantze Stund, so lang er noch bey guten Sinnen war, inbrünstigist hat angeruffen. Wer also unter den Schutz Mariae stehet, non timebit – a frigoribus nivis, (a) hat ihm nicht zu förchten vor der Kälte deß Schnees. Dise barmhertzigiste Jungfrau beschützet alle, deren Marianisches Liebs=Feuer unter dem kalten Schnee nicht erlöschet.” (a) Prov. cap. 31. v. 21. (S. 99f)

„Abscheuliche Mund=Fäul und graußlichen Scharbock heylet Maria. In der Schatz=Kammer allhier wird eine Votiv=Tafel aufbehalten, welcher etliche Brocken und Gebeiner beygehänget seyn, so einen hieunt stehenden Weibs=Bild auß dem Mund und Kinbacken bey schmertzlichist erlittenen Scharbock seynd heraußgefallen; nachdeme sie aber ihr Vatter allhero verlobet, ist dieselbe mit Erstaunung aller Bekannten frisch und gesund hergestellet worden. Obgedachte Votiv-Tafel hat dise Beyschrifft: ‚1741. hat sich Lorentz Aschauer von Berchtesgaden wegen seiner Tochter (die den Scharbock vil Wochen schmertzlich gelitten) allhier zu U. L. Frauen ins Kirchenthal mit einer Opffer=Tafel verlobt, weil es durch das Maul starck geblütet, und seynd ihr vil Zähn herauß gefallen, sambt etlich Kinnbein=Brocken, wie hier zu sehen. Sie ist GOTT Lob wider gesund worden. Es ist also die Kirchenthalische Gnaden=Mutter mit allem Recht anzurühmen, und zu preysen mit den Worten des heiligen Joannis Damasceni: Fons aquae vivae, (a) Maria ist ein Brunn deß lebendigen Wassers, welches die Krafft hat alle Verfäulung und abscheuliche Kranckheiten zu heylen, auch denen presthafft=incurablen Personen ein frisches und gleichsam neues Leben mitzutheilen.' (a) Orat. 3. de Assumpt.B.M.V.” (S. 120f)

„Ein sechs=jähriges Knäblein wird vor grossen Unglück bewahret. Folget die schriftliche Zeugnuß. Um das Monat December 1748. hat Judas Thaddaeus Pichler sechs=jähriges Gericht=Schreiber Söhnlein von Lofer mit einer Schuh=Schnallen getändlet, und während deme auß Unverstand die Zung hindurch gestrecket, in Zuruckziehen aber den Dorn mitten durch die Zung also zwar fest eingeschnallet, daß seine darbey gewesene eben unverständig kleine Geschwisteret (weilen sie mit den Händen die Schnallen nicht mehr außledigen können) mit einem Messer die Zung abzuschneiden schon bereit gewesen, wann nicht auf vernommenes Kinder=Geschrey die Hauß=Frau darzu kommen wäre, welche bey ersehener Gefahr die Mutter GOttes im Kirchenthal um Hülff angeruffen, sodann durch ein augenscheinliches Miracul bey ersterer Berührung der Schnallen solche ohne mindiste Mühe herunter genommen, nach welchen weder ein Tropffen Blut, weder ein Wunden gesehen, auch nicht der mindeste Schmertz verspühret worden. Nunmehro erkennest du Marianischer Wallfahrter zur Genügen, daß unsere Kirchenthalische Gnaden=Mutter mit dem Außspruch deß seeligen Alberti Magni zu loben, und zu preysen seye, Fons a quo perfluit omne bonum, (a) als ein Brunn, auß welchem alles Gutes hervor fliesset: Allda können sowohl die Kinder, als die Betagte, ja alle das Wasser allerhand geistlich= und zeitlichen Wohlthaten herauß schöpffen, und gebrauchen. In Bilbl. MARIAE super Isaiam Prophet.” (S. 192f)

Eine weitere Fortsetzung des „Kirchenthalischen Gnadenbrunnens” erschien im Jahr 1780 in Salzburg. Darin wurden die Mirakel in Gruppen zusammengefasst und mit einem Register versehen: „Suchtafel der Krankheiten und Gefahren. In welcher durch die Fürbitte der seligsten Jungfrau und Mutter Gottes Mariae im Kirchenthale ist geholfen worden”. Die kräftige Sprache vieler Mirakelberichte und die Lust an der eindringlichen Darstellung von Gefahren, die auf den bunten Votivtafeln gar schrecklich anzusehen sind, rücken diese Zeugnisse der Volksfrömmigkeit stilistisch in die Nähe der allseits beliebten Moritaten und deren Illustration auf den Schildern der Bänkelsänger. Geistliche und weltliche Erzähler verstanden es, breite Bevölkerungsschichten in ihren Bann zu ziehen.

Viele Geschehnisse, die den Menschen der Barockzeit als Mirakel erschienen, waren für spätere Generationen keine mehr.[1914] Der Alltag unserer Altvorderen war jedoch von so großen Gefahren und Unsicherheiten erfüllt, dass das Überleben allein schon als ein Wunder galt. Da drohten zunächst die mannigfaltigen Krankheiten, deren Ursachen oft in der unzureichenden Hygiene lagen, auch in der mangelhaften Ernährung, im Unwissen der Patienten oder in der schlechten Ausbildung der Ärzte. Viele sogenannte Heilkünstler richteten mit den üblichen Schwitzkuren, Aderlässen und Klistieren mehr Schaden als Nutzen an und waren zudem so teuer, dass nur wenige Kranke ihre Hilfe in Anspruch nehmen konnten; schwierige Fälle wurden von vornherein abgewiesen, um den ärztlichen Ruf nicht zu gefährden. Die meisten Leute glaubten fest an die Möglichkeit von Zauberei und Behexung („Hexenschuss”!), eine Krankheit konnte aber auch die Folge sündhaften Treibens sein. Geistliche Heilmittel waren daher überaus geschätzt: Man „verlobte sich” an einen Wallfahrtsort, ging also wallfahrten; man fragte heilkundige Kleriker nicht nur um Kräuter und Medizinen, sondern auch um wirksame Gebete zu jenen Heiligen, die als Patrone für bestimmte Krankheiten galten. Man rieb schmerzende Glieder mit geweihtem Wasser oder Öl ein, legte Amulette und Heiligenbildchen auf und vertraute auf die heilende Wirkung von Schluckbildchen und Palmkätzchen. Frauen hatten ihre große Not, wenn sie Mutter werden sollten; Unwissen und Unsauberkeit führten zu Komplikationen während der Geburt, zu Krankheit und Tod im Kindbett. Um wenigstens das Leben der Frau zu retten, wurden Kinder oft noch im Mutterleib von den Geburtshelfern zerstückelt; an totgeborenen Kindern suchte man ein kurzes Lebenszeichen zu bemerken, damit man ihnen durch die Taufe die ewige Seligkeit sichern konnte. Für eine glückliche Geburt dankte man der Mutter Gottes wie für ein Wunder. Den Männern drohten die meisten Gefahren bei schwerer körperlicher Arbeit. In den Mirakelbüchern scheinen Bergleute und Holzfäller am häufigsten auf. Andere Gefahren waren auf Reisen zu Wasser oder zu Land zu befürchten, weil es außerhalb der Städte nur wenige befestigte Straßen gab, weil Brücken fehlten, weil man vor Räubern und marodierenden Soldaten nicht sicher sein konnte. Innerhalb der Ortschaften war die Feuergefahr am meisten gefürchtet und beinahe unvermeidbar, denn man kochte und arbeitete an offenen Feuern, verwendete offenes Licht in Häusern, die überwiegend aus Holz erbaut waren, und war Blitzschlägen ungeschützt ausgeliefert. Die Berichte über Dankprozessionen nach einer überstandenen Feuersnot nehmen gerade in den Kirchentaler Mirakelbüchern breiten Raum ein.

Was nun die Zahl der Wallfahrer betrifft, so geben uns die Eintragungen im „Gnadenbrunnen” Auskunft. Für das Jahr 1728 ist zu lesen: „NB: Dise Jahr haben über 19.000. andächtige Kirchfahrter allda gebeichtet / und das Allerheiligiste Sacrament empfangen.” Ein Jahr später waren es schon über 20.000 Personen, und deren Zahl stieg beständig an. 1762 zählte man rund 40.000 fromme Pilger, 1783 sogar mehr als 50.000. Da zu einer echten Wallfahrt der Empfang des Buß- und Altarsakramentes gehörte, konnten die Geistlichen die Größe des Pilgerstroms anhand der ausgegebenen Hostien tatsächlich berechnen. Die vielen Wallfahrer erforderten selbstverständlich eine ausreichende Anzahl von geistlichen Betreuern; für das Beichthören und Messelesen wohnten daher bis zu sechzehn ständige Priester am Ort. Schon zu Beginn der Wallfahrt war ein Priesterhaus erbaut worden, das nicht nur als Unterkunft für die hier beschäftigten Seelsorger, sondern auch als vorübergehender Aufenthaltsort für Priesterstudenten dienen sollte und einem Regenten unterstellt war.

In Kirchental war es zu jeder Zeit möglich, nach dem Empfang der Sakramente einen vollkommenen Ablass zu gewinnen, was bedeutete, dass die Gläubigen auf jeden Fall – auch dann, wenn ihnen kein Mirakel widerfahren war – erleichtert und getröstet nach Hause aufbrachen, weil ihr Seelenheil wiederhergestellt war. Die große Angst vor einem plötzlichen Tod, der Reue und Buße verhindern konnte, war auf einige Zeit gebannt. Für die Armen Seelen wurden alle Samstage Messen am Hochaltar gelesen, und jedesmal konnte nach frommem Glauben eine Seele aus dem Fegefeuer erlöst werden. Gemäß dem Bericht Pürckambers wurde am 17. Juli 1712 in Kirchental die Bruderschaft des Marianischen Karmeliter-Skapuliers[1915] 13 feierlich eingeführt; ihre Mitglieder bemühten sich nicht nur um Selbstheiligung und um das Heil der Armen Seelen, sondern auch um die Hilfe für Arme und Kranke. Die landesweite Verbreitung der Skapulier-Bruderschaft war Teil der inneren Mission; Erzbischof Johann Erst Thun hatte sie gefördert, sein Neffe, Erzbischof Firmian, durch Dekret anbefohlen. In einem „Pinzgaua=Lied vor der Emigration 1731” heißt es dazu:

„Da gnädögest Herr der hat ünsa gedenkt,
 Zon Trost üns dö Skapulierbruaderschaft g'schenkt.
 Hiaz kann üns koa luthröscha Toifel mehr plagn,
 Weil mir ünsa Frau en Heaschzen tean tragn.”[1916]

In Kirchental bewegte das Verlangen nach Heil für sich und seine Angehörigen viele Privatpersonen zu frommen Stiftungen von Messen und Jahrtagen, von Rosenkranz- und Stundengebet und auch von Christenlehren. Im Jahr 1750 bezahlte der damalige Salzburger Bürgermeister Wilhemseder die Einsetzungskosten für die drei „goldenen Samstag-Nächte”; bei diesen Andachten an den Samstagen nach dem Michaelstag – dem Fest des christlichen Seelenführers –, beteten die Gläubigen um einen guten Tod und um die Erlösung der Armen Seelen.

Im Herbst, wenn die Ernte eingebracht war, mehrten sich verständlicherweise die Wallfahrten; während des Jahres mit den damals so zahlreichen arbeitsfreien Heiligenfesten übten die Marienfeiertage die größte Anziehungskraft auf Pilger aus, aktuelle Anlässe aber führten zu jeder Jahreszeit bittende und dankende Menschen an den Gnadenort. Dieser ständige Zustrom von Wallfahrern ließ die ganze Region wirtschaftlich und kulturell aufblühen. Straßen und Brücken, Wege und Stege wurden instandgehalten; Hufschmiede, Sattler und Wagner hatten Arbeit, die Bäcker verkauften ihr Brot, die Metzger ihre Würste, den Brauern wurde das Bier nicht alt, die Gastwirte hatten volle Häuser. Auch die Wachszieher und Devotionalienhändler machten gute Geschäfte; kleine Andenken vom Wallfahrtsort – Kerzen, Wachsstöcke, Heiligenbildchen, Breverl, Rosenkränze, Medaillen, Gebetbücher etc. – sollten nämlich etwas von der Kraft des Gnadenbildes auf die Angehörigen und Freunde daheim ausstrahlen. Die vielen Fremden brachten ihre verschiedenen Dialekte und Trachten mit, sie hatten eigene Lieder und Gebete, sie erzählten, was sich draußen in der Welt ereignete. Von den hochgeborenen Damen und Herren, die mit ihrem Gefolge anreisten, lernten die Einheimischen die neueste Kleidermode kennen; in der immer prächtiger ausgestatteten Wallfahrtskirche hörten sie an hohen Festtagen fürstliche Musik, und die zahlreichen geistlichen Herren vermittelten ihnen Bildung und Wissen. Insgesamt ging also ein wohltätiger Einfluss vom kleinen Kirchental auf den Pinzgau und seine Bewohner aus.

Die Größe und Bedeutung Kirchentals im 18. Jahrhundert ist am deutlichsten von einem ehemals weit verbreiteten Andenkenbild abzulesen, einem Kupferstich des berühmten katholischen Bilderverlages der Gebrüder Klauber in Augsburg. Die Vorlage dazu stammt von einem Schüler Paul Trogers, dem italienischen Maler Pietro Antonio Lorenzoni (1721–1782), der in Salzburger Diensten stand und den Wallfahrtsort aus eigener Anschauung kannte. Das Andachtsbild ist größer als die üblichen Einlegeblättchen für Gebetbücher und war als Wandschmuck gedacht (eine kleinere Fassung, ebenfalls von Lorenzoni, ist weniger aussagestark). Es zeigt die Gnadenmadonna und das Kind, wie sie unter einem von Engeln gehaltenen Baldachin vom Himmel herabschweben; beide Figuren sind ohne barocke Prunkkleidchen und Kronen dargestellt, aber von einem hellen Strahlenkranz umgeben. Rechts vom Betrachter blickt in halber Höhe eine geflügelte weibliche Gestalt zur Gottesmutter hin; die Mauerkrone auf ihrem Haupt weist sie als „arx fidei” – „Burg des Glaubens” aus.[1917] In den Händen hält sie eine Sonnenblume und drei Kornähren, Anspielungen auf Christus als wahre Sonne, auf das Ährenwunder aus der Bauplatz-Legende, aber auch auf Maria als Acker, aus dem das Brot des Lebens sprießt. Dieser Allegorie sitzt unter den Strahlen der Sonne der geflügelte Chronos gegenüber, er hat sein bekröntes Haupt dem Betrachter zugewandt, seinem durchdringenden Blick entgeht niemand. Die Sense in seiner linken Hand mahnt uns an die Endlichkeit irdischen Lebens, mit seiner Rechten zeigt er zum Gnadenbild hinauf, zu Maria als der Beschützerin in der Stunde unseres Todes: „Sancta Maria, mater Dei, ora pro nobis peccatoribus nunc et in hora mortis nostrae. Amen.” Neben ihm ruht auf einer Säule ein Januskopf; sein jüngeres, das Zukunftsgesicht, blickt durch einen Rocaillerahmen auf den Gnadenort mit der Kirche und den beiden großen Nebengebäuden und auf das dahinter aufragende Hochgebirge. Als Verbindung von Himmel und Erde darf man die schon erwähnte Sonnenblume ansehen, sie ist nämlich als lebensfähige Pflanze mitsamt dem Wurzelstock zu sehen, und diese Wurzeln neigen sich zum Priesterhaus, dem Hort fruchtbaren geistlichen Lebens, hinunter. Ein kurzer Text bekräftigt den Inhalt des Bildes: „Wahre Abbildung des Wunderthättigen Gnaden Bildes Mariae im Kirchen=Thal“.

Der Glaube an die Wunderkraft heiliger Bilder setzt uns heute oft in Erstaunen, vor allem dann, wenn wir alten Berichten entnehmen, wie einzelne Kultbilder bewertet oder gar gegeneinander ausgespielt wurden. In den Zeiten der Rekatholisierung waren überall im Land kleinere und größere Wallfahrtsorte entstanden, von denen die meisten der heiligen Maria geweiht waren. Der Bevölkerung aber war es durchaus nicht einerlei, wohin sich die Pilgerzüge richteten, weil einzelne Gnadenbilder als „Spezialisten” für bestimmte Notfälle galten; konnte das eine nicht helfen, so pilgerte man zum nächsten, und je weiter und beschwerlicher der Weg dahin war, umso eher erhoffte man sich einen Gnadenerweis. Nach der Volksmeinung hatte die Muttergottes von Plain eine andere Macht als die von „Maria-Hilf” oder „Maria-Taferl”; und wer konnte schon sicher sagen, ob nicht die alten Madonnen in Ötting, Einsiedeln oder Zell noch mächtiger waren. Zu all diesen religiösen Überlegungen kam als weitere, nicht zu unterschätzende Triebkraft für Wallfahrten die Reiselust dazu. Um des Seelenheils willen durften auch jene Menschen, denen das Reisen sonst nicht möglich war (Bauern, Taglöhnern, Dienstboten, vor allem Mädchen und Frauen), ihren engen Lebenskreis wenigstens für eine kurze Zeit verlassen und sehen, wie es anderswo auf der Welt zuging. Dass sich dabei manche Gelegenheit zu Bekanntschaften und sogar zu Liebschaften bot, gehörte mit zum Reiz einer Wallfahrt. In manchen alten Dienstverträgen war das Recht auf jährliche Wallfahrten sogar schriftlich fixiert.

Mitten in die große Wallfahrtsfreudigkeit schlug wie ein Blitz aus heiterem Himmel der Hirtenbrief des Erzbischofs Colloredovom Jahr 1782 ein. Geprägt vom Gedankengut der Aufklärung ordnete der Oberhirte darin eine Straffung religiöser Übungen, eine„Entrümpelung” der Gotteshäuser von unnötigem Zierat, eine Konzentration auf das Wesentliche an. Wallfahrten mit Ausnahme jener zum Salzburger Dom mussten an einem Tag zu bewältigen sein, weil eine tagelange An- und Abreise den Verlust kostbarer Arbeitszeit bedeutete und die Pilger zu Lustbarkeiten oder gar Ausschweifungen verleitete, die dem frommen Unternehmen schaden konnte.

Aus den Wallfahrtskirchen sollten alle volkstümlichen Votivgaben, darunter die vielen buntbemalten Tafelbilder, entfernt werden; wertvolle Stücke, wie Silberleuchter, Altargerät, Paramente, Goldkronen und anderer Schmuck für die Gnadenbilder, sollten in die Hauptstadt gebracht werden. Im ganzen Land wurden daraufhin viele Gaben der Pilger vernichtet oder eingezogen, oder sie gingen auf andere Weise verloren. Auch für Kirchental sind Verluste zu vermelden, sie waren jedoch nicht so groß wie an anderen Gnadenstätten. Der damalige Regens Winkelhofer wehrte sich mit seinen Geistlichen mutig und entschlossen gegen ein „Ausräumen” der Kirche. In einem Brief an den Fürsterzbischof erinnerte er daran, dass die Wallfahrt nach Kirchental nicht aus einer abergläubischen Praxis heraus entstanden war, sondern dass sie von der Obrigkeit gebilligt und von Erzbischof Johann Ernst unterstützt worden wäre. Auch schrieb er, dass die Geschenke der Muttergottes gehörten; dass unzählige Gläubige, denen Marias Hilfe zuteil geworden war, mit ihren Opfergaben die Kirche, das Priester- und das Mesnerhaus unterhielten; man solle die frommen Wohltäter doch nicht verschrecken, noch dazu befänden sich unter ihnen viele Ausländer. Wie sehr sich auch Wallfahrer um den Bestand der Gnadenstätte sorgten, ersehen wir zum Beispiel aus einem Brief,[1918] den der Hofschmied Pahls aus Schellenberg am 1. Hornung 1783 an Regens Winkelhofer richtete:

„G.s.J.Ch.! Ihro hochwirtn herr Regent! ich hab mit freiden vernomben, das daß Muetergottskleid gueth gerathen und schick ihn allda das gelt, damit Sie den Conto per 88 fl. 4 kr. abzallen können. Ich frai mich schon, wan ich konfftigm Somber disses schene Klaith selbst werde sehen können. Weilln ich aber jzt verschiedene Neue Keithen von Kirchen=”Rammben” höre, so begehre ich das Klaith wider zuruck, wann sich solche Begöbenheit in Kirchenthall eraignen soll. so bitte ich Ew. Hochw. H. Regent wolle das böst thun, daß dies Opfer der Muetter Gottes verbleibe, so wird das mich herzlich erfrein. mithin seinß Sie freindlichst gegrießt und inn Schuez gottes befolchen.”

Erzbischof Colloredo musste genau so wie sein Vorbild in Österreich, Kaiser Joseph II., seine allzu strengen Forderungen mit der Zeit lockern. Für Kirchental waren erst wieder die Kriegswirren der napoleonischen Zeit bedrohlich; damals mussten große Summen Geldes und viel Silbergerät als Kriegskontribution abgeliefert werden. Die Wallfahrt war während dieser unruhigen Zeit zurückgegangen; aus den letzten Jahren des politisch selbständigen Erzstifts hat uns Friedrich Graf Spaur immerhin noch eine jährliche Zahl von fast 40.000 Kommunikanten angegeben. In einem Brief von seiner „Reise durch Oberdeutschland” (Leipzig 1800) schildert der ehemalige Salzburger Domherr seine Eindrücke vom Wallfahrtsort im Stil und in der Denkweise eines überzeugten Aufklärers:

„Die im hintersten Winkel der Berge nicht ferne vom Dorfe St. Martin erbaute Wallfahrtskirche, das Kirchenthal genannt, erregte meine Bewunderung. Auf der beträchtlichen Höhe unzugänglich scheinender Felsen ist eine fast runde Fläche der harten Steinmasse abgewonnen und auf diese eine Kirche zur Ehre eines wunderthätigen Muttergottesbildes in einem majestätischen Styl und ganz im Italienischen Geschmack erbauet worden. Sie ist 60 Fuß hoch, 108 Fuß lang und 72 breit. Im J. 1694 hat der Erzbischof Johann Ernst Thun dieses Meisterstück der Baukunst mit einem Kostenaufwand von 40.000 fl. aufführen lassen. Alle Altäre sind von inländischem rothen Marmor, überall herrscht geschmackvolle Pracht. Mit der Entstehungsgeschichte dieser Wallfahrt will ich dich mitleidig verschonen. Diese gleichen mutatis mutandis sich alle wie ein Ey dem andern und am Ende blickt immer nur Aberglauben aus dem religiösen Firniß hervor.

Zur rechten der Kirche ist ein schönes geräumiges Priesterhaus erbaut. Geistliche, deren verdächtige Aufführung eine schärfere Aufsicht verdient, leben hier unter einem Regenten und essen an einem gemeinschaftlichen Tische unter strenger klösterlicher Zucht. Da der Sage nach jährlich beynahe 40.000 Beichtende und Kommunikanten diesem Wallfahrtsorte zuwandern sollen, so konnte ich dem Regenten Wimbacher meine Verwunderung darüber nicht bergen, dass man das geistliche Zuchthaus der Diöcese gerade hierher verlegt habe. Es sind aber auch einige Eremiti hier, die mit den gebesserten Subjecten den Beichtstuhl versehen, von dem die übrigen ausgeschlossen sind. Aus Mangel an Muße konnte ich mich in die Untersuchung nicht einlassen, ob die hier angewendete Correctionsmethode zweckmäßig sey und ob der dermahlige Regent auch Menschenkenntnis genug besitze, um zur Besserung dieser Verirrten zu würken? Mißvergnügen schien mir der Hauptzug auf allen Gesichtern zu seyn, die mir in diesem Hause begegneten. Das nicht ferne von der Kirche jeden Fremden anlockende bequeme Wirthshaus mag wohl von der Andacht der Wallfahrer und der geistlichen Züchtlinge den wesentlichsten Nutzen ziehen; wenigstens sollen nach der Erfahrung weder diese mit gebesserten Sitten das Priesterhaus, noch jene als sittlichere Menschen den Wallfartort verlassen.” (S. 289ff)

Das von Spaur erwähnte Priesterhaus hat als Besserungsanstalt für geistliche Herren noch einige Jahrzehnte fortbestanden, aber nicht die erhofften Veränderungen erzielt.

Benedikt Pillwein[1919] charakterisierte im Jahr 1839 Kirchental folgendermaßen: „Kirchenthal, ein sehr besuchter Wallfahrtsort zu U. L. Fr., mit 4 Häusern, 6 Wohnparteyen, 17 Einwohnern, ¾ Stunden von St. Martin, 1½ von Lofer, 7 von Reichenhall. Die Ortschaft Kirchenthal gehört zwar zum Pfarrbezirke St. Martin bey Lofer, aber die Wallfahrtskirche ist als selbständig keiner anderen Pfarre unterworfen, und hat ein Priesterhaus, dessen geistlicher Regent zugleich auch der eigentliche und unmittelbare Vorstand der Wallfahrtskirche ist. (Salzb. geistl. Schematismus 1813 S. 238.)”

Joseph Dürlinger gab in seinem Buch „Von Pinzgau” (Salzburg 1866) die Gottesdienstzeiten an. Demnach begann an Sonn- und Feiertagen der Gottesdienst um fünf Uhr früh; um sechs Uhr wurde gewöhnlich ein „Amt mit Sermon” gehalten. An Wochentagen begannen die hl. Messen um halb sechs Uhr. Abends wurde täglich die Lauretanische Litanei gebetet. Genauere Angaben über kirchliche Veranstaltungen konnten die Wallfahrer den Büchlein über die Geschichte und die Gnadenquellen Kirchentals entnehmen, deren Texte von 1830 bis 1895 unverändert nachgedruckt wurden.

Nach einem historischen Rückblick auf die Entstehung der Wallfahrt – wörtlich übernommen aus der Einleitung der Mirakelbücher – folgen „weitere Erinnerungen für die andächtigen Wallfahrter”, die in zehn Punkte zusammengefasst sind. Darin heißt es:

  1. „Können alle und jede Christglaubigen beyderley Geschlechts, welche an einem ihnen belieben Tage des Jahrs reumüthig beichten, und die heilige Kommunion empfangen, sodann auch die Kirche zu U. L. Frau in Kirchenthale andächtig besuchen, und darin um Einigkeit der christlichen Fürsten, um Ausreitung der Ketzereyen und Irrthümer, und um Aufnahme der heiligen Mutter der Kirche ihr andächtiges Gebeth verrichten, einmal in jedem Jahre einen vollkommenen Ablaß erlangen.

  2. Imgleichen ist ein vollkommener Ablaß verliehen auf den 8ten September, als an dem hohen Festtag Mariä-Geburt, an welchem das jährliche Haupt= und Titularfest allda mit Stundgebethandacht, Hochamte, Predigt und Prozeßion feyerlichst begangen wird.

  3. Wird die jährliche Gedächtniß der heiligen Kirchweih allezeit am 3ten Sonntag im Oktober mit der ersten Vesper, Stundgebethandacht, feyerlichem Hochamte und Predigt gehalten, an welchem Tag alle und jede Christglaubigen in der gewöhnlichen Kirchenform den heiligen Kirchweihablaß gewinnen können.

  4. Werden der Zeit allda beständig mehrere Priester unterhalten, welche die ankommenden Wallfahrter mit Beichthören und anderen geistlichen Verrichtungen vom frühen Morgen an bedienen, und die heiligen Messen verrichten, so daß die letzte Messe wenn möglich, um 10 Uhr gelesen werde.”[1920]

Dass die heiligen Messen schon am frühen Morgen gehalten wurden, hängt mit dem strengen Nüchternheitsgebot für Kommunikanten zusammen, das erst nach dem II. Vaticanum wesentlich gemildert wurde. Nach dem Gottesdienst sprachen die Wallfahrer gewöhnlich noch ein Abschiedsgebet, wie es in vielen Andachtsbüchern, auf Gebetszetteln und Andenkenbildchen dieser Zeit zu finden war:

„‚Anbefehlung eines Wallfahrers vor seiner Abreise aus dem marianischen Gnadenhause Kirchenthal': O heilige Mutter Gottes und Jungfrau Maria! Ich dein unwürdiger Diener (deine unwürdige Dienerin) ergebe mich vor dieser Stunde an ganz besonders deinem Dienste. Dich erwähle ich zu meiner Frau, Beschützerin und Fürsprecherin. Deine Ehre und Verehrung soll mir ewig am Herzen liegen, die ich niemals verlassen, auch nicht gestatten werde, daß sie von einem meiner Untergebenen jemals verletzet werde. Ach nimm mich auf, stehe mir bei während meiner Heimreise und während meines ganzen Lebens; beschütze und segne mich und meine Angehörigen jetzt, als auch in der Stunde des Todes, und führe uns in das himmlische Vaterland, wo wir deinen Sohn Jesum ewig anschauen können, o gütige Jungfrau Maria. Amen.”[1921]

Bevor die Pilger den Wallfahrtsort verließen, kauften sie meistens kleine fromme Andenken für ihren Lieben zu Hause, vor allem Bildchen von der Gnadenstatue. Diese kleinen Heiligenbilder sind Zeugnisse für die neue Größe und Bedeutung Kirchentals im 19. Jahrhundert, weil sie nämlich nicht nur aus den Salzburger oder Tiroler Druckereien stammen, sondern auch von den damals bedeutendsten Kunstanstalten in Böhmen, Deutschland und der Schweiz.[1922]

Das religiöse Leben wurde in Kirchental durch die Errichtung einer Herz-Mariae- Bruderschaft unter Regens M. Mayr (1849) vertieft, weiters durch die Feier von Hochzeiten, Firmungen und Primizen und durch die Einführung der Maiandachten. Um 1870 wurden etwa 18.000 Kommunikanten jährlich gezählt, um 1900 waren es um die 12.000 Personen.

Als besonders treu erwiesen sich die Kreuzgruppen aus St. Johann/Tirol, aus Kirchdorf, St. Ulrich, Kitzbühel, Waidring, Reit im Winkel, Berchtesgaden, Ramsau, Grödig, Adnet, Siezenheim und aus Siegsdorf/Traunstein; die Siegsdorfer kamen bereits seit dem Beginn der Wallfahrt zur Kirchentaler Muttergottes. Wiederum geben die Eintragungen in den Mirakelbüchern[1923] und die Votivgaben Auskunft über die Anliegen der Pilger. Krankheiten scheinen auf (z.B. Magenleiden, Scharlach, Schlaganfall, Geisteskrankheit), jedoch findet man nur mehr wenige Hinweise auf Kindsnöte; die Ausbildung der Ärzte und Geburtshelfer hatte sich inzwischen verbessert. Auch werden weniger Unfälle von Kleinkindern erwähnt, weil sich die Fürsorge der Eltern für ihre Kinder verbessert hatte – ebenfalls eine Folge der Aufklärung. Abergläubische Vorstellungen, wie Behexung, Zauberei, Verschreien, sind nicht mehr dokumentiert. Nach wie vor erfährt man von Brandgefahr, Lawinenabgängen und von vielerlei Unfällen (z.B. Unfall beim Holzziehen, Heuführen, Brunnengraben, Eisenbahnfahren); öfter als im 18. Jahrhundert wird Kriegsgefahr als Grund einer Bitt- oder Dankwallfahrt genannt. Im Jahr 1800 „verlobte” sich eine Schützenkompanie aus Lofer nach Kirchental; 1805 brachte ein Soldat von Lueg eine Silberkugel als Dankopfer zur Muttergottes; 1870 „verlobte” sich ein Mann aus Haiming nach Kirchental; 1894 brachte eine Frau aus Haus/Ennstal die Kriegsdekorationen ihres Mannes als Dankopfer in die Kirche; 1901 ist sogar ein Votant aus Südafrika vermerkt.

Im Jahr 1902 wurde mit einjähriger Verspätung das zweihundertjährige Jubiläum der Wallfahrtskirche feierlich begangen, Erzbischof Katschthaler selbst kam nach Kirchental hinauf. Ludwig Heilmayr (Ludovicus Capellanus) verfasste eine „Kirchental- Geschichte des marianischen Gnadenortes zur Feier seines 200 jährigen Bestandes ” (Salzburg 1902), ein immer noch lesenswertes Büchlein. Die nächsten bemerkenswerten Informationen über den Wallfahrtsort sind in Alfred Hoppes Werk über „Des Österreichers Wallfahrtsorte” (Wien 1913) enthalten. Die Einleitung zu Kirchental beginnt folgendermaßen:

„Wenn einmal, wie es schon lange gewünscht wird, der Schienenstrang dem Laufe der Saalach folgend, die beiden Ortschaften Reichenhall und Saalfelden miteinander verbinden wird, dann wird's nicht mehr kostspielig oder zeitraubend sein, nach Kirchental zu kommen. Dann wird man in Station Lofer oder noch besser in Haltestelle St. Martin die Eisenbahn verlassen und nach einem Stündchen angenehmer Wanderung das Reiseziel erreicht haben. Heute ist die Sache noch wesentlich umständlicher. Kommt man von der österreichischen Gegend her, so muß man wohl oder übel von Salzburg an die Flügelbahn nach Reichenhall benützen (50 Min., 60 Pfennige) und sich dort dem Postwagen anvertrauen. (NB. Wenn er gerade um die Zeit unserer Ankunft zur Abfahrt bereit steht.) Dieser Postwagen wird uns gegen Barbezahlung von K 3.- in nicht ganz 4 St. nach Lofer bringen. Kommt man von der anderen Seite, von Tirol her, so stellt sich die Zufahrt auch nicht viel besser. Da muß man in Saalfelden die Eisenbahn verlassen, von dort im Omnibus in den Ort Saalfelden fahren, daselbst auf den Postwagen warten, der gegen Lofer fährt. Dieser bringt uns in dreistündiger Fahrt nach St. Martin bei Lofer. (Fahrpreis K.2,40.) Von St. Martin führt westwärts der kürzere und schönere Weg nach Kirchental hinauf. Der Weg von Lofer (südwärts über den Tirolersteig) ist länger und auch weniger schön. Die dabei zu überwindende Steigung beträgt von Lofer aus 237 m, von St. Martin einige m weniger. (Lofer weist an Seehöhe 629 m auf, Kirchental 856 m.)“

Darauf hin beschreibt Hoppe den Weg hinauf zur Kirche, die Entstehung und Geschichte des Wallfahrtsortes, und er gibt auch einige „statistische Daten” an: „Nächste Jubiläumsjahre: 1939 – 250jähriges Jubiläum der Aufstellung des Gnadenbildes; 1920 – 250jähriges Jubiläum der ersten Holzkapelle; 1952 – 250jähriges Jubiläum der Kirchenweihe. Ständige Priester: 3 Weltpriester. Heilige Messen fremder Priester jährlich: Zirka 5. Kommunikanten jährlich: 1.000. Besucher jährlich: nur etwas mehr als Kommunikanten; höchstens 15.000. Geschlossene Prozessionen jährlich: 20. Hauptfest: Mariä Geburt. Einwohnerzahl der um die Kirche liegenden Häuser: 20 Personen. Ständige Devotionalienhändler: 3. Gasthäuser: 1. Doch können auch beim Regens und Mesner Pilger unterkommen. Zusammen gegen 200 Betten. Der Besuch des Wallfahrtsortes ist ein wenig steigend.”

Die darauf folgende „kurze Erwägung” ist eine Einladung an den Leser des Buches:

„Wie sie sich versteckt, die liebe Wundertäterin und große Gnadenspenderin der Menschheit. In einem steilen Graben zwischen Felsen und Fichten wollte sie weilen, wo nur die Waldvögelein ihr Lied singen, Fuchs und Reh sie besuchen konnten; aber die Menschen fanden sie doch in ihrem Versteck und tausend und tausendmal ging wohl einer zu ihr und rief sie an: ‚Mutter, komm und hilf mir!' Und sie kam und hat geholfen. – Sag', Leser, gelüstet es dich nicht, sie einmal aufzusuchen in der idyllisch schönen Einsamkeit? Könntest ihr dort manches sagen, was nur sie allein hören soll, wo nur sie allein helfen kann, was nur sie allein versteht! Und wer weiß? Vielleicht bekommst du dort Antwort, – Antwort, wie sie nur eine Mutter gibt, – Antwort, die dich erleuchtet, erwärmt und tröstet. Darum: Kommst du einmal in die Gegend, steig' hinauf nach Kirchental!“

Der zu Beginn des 20. Jahrhunderts geäußerte Wunsch nach einer Bahnverbindung von Saalfelden nach Lofer mit einer Station in St. Martin konnte nicht verwirklicht werden. Die Anreise und der Aufstieg zum Gnadenort blieben noch einige Jahre beschwerlich. Die Devotionalienhändler boten daher weiterhin unter anderen „Andenken an Maria Kirchental” kleine Sammlungen religiöser Texte mit Gedichten wie dem folgenden an:

Auf zur lieben Gnadenmutter!

Die Fahrt ist lang, der Pfad ist rauh,
  Der Fuß möcht' schier ermüden,
  Doch geht's zu uns'rer lieben Frau,
  Da wird mir Trost und Frieden!
  Der Sonne Brand, des Durstes Glut,
  Der Weg voll Staub und Steinen, -
  Nichts schwächt des Herzens frommen Mut,
  Bald wird das Ziel erscheinen!

In meiner Hand der Rosenkranz
  Versüßt mir alle Schmerzen,
  Da sprech' als Kind ich voll und ganz
  Zum besten Mutterherzen,
  Und schick' viel tausend Grüße schon
  Voll Sehnsucht ihr entgegen 
  Die rosengleich vor ihren Thron
  Sich liebend niederlegen.

Mein ganzes Herz schon bei ihr weilt,
  Ob Meilen uns auch trennen,
  Der Fuß auf's Neue vorwärts eilt,
  Ob auch die Wunden brennen.
  Wird doch dem Kind nicht eher wohl,
  Bis es am Mutterherzen
  Sich Trost für seinen Kummer hol',
  Und Kraft in allen Schmerzen.

Je größer jetzt der Fahrt Beschwer,
  Je fester darf ich hoffen,
  Daß mir Maria Hilf gewähr',
  Mir weit ihr Herz halt offen.
  Sie sieht, was ich in Lieb zu ihr
  Geduldig jetzt ertrage,
  Und schenkt gewiß zum Lohne mir
  Recht gnadenvolle Tage!

Heut weiß ich, was der Weisen Brust
  Einst mag durchdrungen haben,
  Da es sie zog voll Lieb und Lust
  Zum holden Königsknaben,
  Und als ins Haus dann traten sie
  Und Kind und Mutter sahen,
  Da meinten sie – beglückt wie nie, - 
  Dem Himmel sich zu nahen!

Die gleiche Fahrt mach jetzt auch ich
  Zur Mutter und zum Kinde,
  Und o, wie freut die Seele sich,
  Bis diese Zwei ich finde!
  Wie zieht's in heißem Sehnsuchtsdrang
  Mich hin zu Beider Füßen;
  Das wird – nach hartem Pilgergang - 
  Ein seliges Begrüßen!

Wenn ein paar Stunden noch entfloh'n,
 So klopf ich an die Pforte
 Der heiligen Kapelle schon,
 Und bin am Gnadenorte!
 So geht auch einst mein Pilgerlauf
 Durch Welt und Zeit zu Ende,
 Dann geb' den Geist getrost ich auf
 In ihre Mutterhände![1924]

In den Jahren 1947–49 wurde unter Regens Dr. Franz Wimmer, dem ersten der nun hier wirkenden Herz-Jesu-Missionare, eine Güterweg-Fahrstraße nach Kirchental hinauf gebaut; gegen die Entrichtung einer Mautgebühr kann sie von Pilgern befahren werden. Längs dieser Straße stehen fünfzehn steinerne Säulen mit Bildern von den Rosenkranzgeheimnissen; sie weisen auch jenen Besuchern den Weg, die nicht aus frommem Eifer zum Gnadenort kommen, sondern aus Interesse an einem Bauwerk Fischer von Erlachs oder an den noch hier erhaltenen Zeugnissen religiöser Volkskunst. Die neueren Votivgaben befanden sich in der linken Seitenkapelle, die älteren teils in der Schatzkammer, teils im Hauptraum des Gotteshauses. Ein neuerliches „Ausräumen” der Kirche ist – zumindest von Seiten der kirchlichen Behörden – nicht mehr zu befürchten, weil die Votivgaben nach dem neuen Kirchenrecht jetzt auch gesetzlich geschützt sind. Der betreffende Text lautet:[1925]

„An Wallfahrtsstätten, und zwar mehr als anderswo, soll den Gläubigen das Wort Gottes verkündet, Gottesdienste, vor allem die hl. Eucharistie gefeiert, das Bußsakrament gespendet und die anerkannten Formen der Volksfrömmigkeit gepflegt werden (c. 1234 § 1). Zu diesen Formen der Volksfrömmigkeit zählt u.a. auch das Anfertigen und Darbringen von sog. Votiven und Votivbildern, die aus Verehrung, auf Grund eines Gelübdes („ex Voto”), der Bitte in einer Notlage oder aus Dankbarkeit entstehen. Diese volkskünstlerischen Votivgaben sowie andere Dokumente der Frömmigkeit sind in den Sanktuarien oder in deren Nähe sichtbar aufzustellen und sicher aufzubewahren (Votiva artis popularis et pietatis documenta in sanctuariis auf lociis adiacentibus spectabilia atque secure custodiantur) (c. 1234 § 2).”

So wichtig dieser letzte Satz auch ist, so liegt das Hauptgewicht des Gesetzestextes auf den religiösen Aufgaben eines Wallfahrtsortes, und sie stehen auch in Kirchental an erster Stelle. Die Abgeschiedenheit des Ortes, seine Höhenlage, die Harmonie von Natur- und Kulturschönheiten begünstigen die Erhebung des Geistes aus den Niederungen alltäglicher Sorgen und Nöte. Unsere Vorfahren fühlten sich davon erfrischt wie von hellem, klarem Wasser und nannten Kirchental daher einen trostreich fließenden Gnadenbrunnen.



[1903] Erstveröffentlicht unter: [Loimer-Rumerstorfer 2001].

[1904] Einleitung zu [Swoboda 1751]; der Text wurde wörtlich aus dem 1. Mirakelbuch von 1744 übernommen.

[1905] Vgl. dazu z.B. Thernberger Madonna, um 1340, Wiener Diözesanmuseum; Madonna mit Kind von B. Daddi, Kirche Orsanmichele/Florenz, vor 1350; Madonna von Viveri, um 1350, Nationalgalerie Prag; Kirchberger Madonna, Pfarrkirche Kirchberg/Wagram, um 1420; Hl. Jungfrau mit Kind von Taddeo di Bartolo, Musée du Petit Palais, Avi vor 1422.

[1906] Joh. Neuhardt beschriebt den Vogel als Stieglitz: [Neuhardt 1982], S. 100; [Neuhardt 1986], S. 346, 372. Dagegen zeigen Gnadenbildkopien des 18. Jahrhunderts ein weißes Vöglein: z.B. [Neuhardt 1986], Tafel IX; Gnadenbildkopie im Salzburger Volkskundemuseum Hellbrunn.

[1911] Orgelbuch zum „Exultemus Domino”. Kathol. Kirchengesänge. St. Gabriel/Mödling 1933.

[1912] Gnaden: gewöhnliche Höhe einer Kammer oder Stube, eines Stockwerkes, etwa 12 Schuh hoch. [Schmeller 1985], S. 871f.

[1914] Medizinische Deutung von Mirakelberichten durch Univ. Prof. Dr. Josef Thurner in:[Neuhardt 1986].

[1915] Der Legende nach übergab Maria dem Karmeliter Simon Stock am 16. Juli 1251 auf dem Berge Karmel ein Gnadenkleid mit den Worten: „Nimm hin, geliebter Sohn, das Skapulier deines Ordens als Zeichen meiner Bruderschaft, dir und allen Karmeliten ein Privilegium; wer in diesem Kleid (fromm) sterben wird, soll das ewige Feuer nicht leiden. Siehe, ein Zeichen des Heils, ein Heil in Gefahren, ein Bündnis des Friedens und des ewigen Vertrages” (Zitat aus einer Aufnahme-Urkunde der Bruderschaft). Das ehemalige Schulterkleid (Skapulier) wurde auf ein Stückchen Stoff reduziert. Vgl. den Gebetszettel.

[1916] [HartmannAu 1910], Lied Nr. 161 in 9 Strophen.

[1921] Gefalteter Gebetszettel: „Drèi Ave Maria zu einer gnadenreichen Gottesmutter Maria in Kirchenthal". Einsiedeln. Gebr. Benzinger um 1850.

[1924] Ein Gruß von der Gnadenstätte. Nürnberg. Franz Schemm um 1910.

This document was generated 2022-07-27 10:32:32 | © 2021 Forum Salzburger Volkskultur | Impressum