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Protestantismus zwischen Verfolgung und Ökumene ... zur Beyhaltung wahrer Religion und Verhuettung besorgend mehreren Ybls ... (Gerda Dohle) – Langtext

Martin Luther – ein deutscher Mönch verändert die Welt

Der Augustiner-Eremit Martin Luther (1483–1546), der an der Universität Wittenberg Theologie lehrte, löste im Jahr 1517 durch den Anschlag seiner so genannten 95 Thesen die Reformation in Deutschland aus. Er übte unter anderem Kritik an dem damals praktizierten Ablasshandel, mit dem, seiner Meinung nach, Missbrauch seitens der katholischen Kirche betrieben wurde. Dies bewegte Luther schließlich dazu, verschiedene Aspekte der kirchlichen Lehre und Disziplin infrage zu stellen, was er in Form jener Thesen an die Öffentlichkeit brachte.

Die Verbreitung der Thesen im deutschen Sprachraum erfolgte nicht zuletzt durch die neue Technik des Buchdrucks recht rasch, wobei die Stadt Nürnberg eine zentrale Rolle spielte.[3965] Bei der bäuerlichen Bevölkerung fand das Gedankengut Luthers großen Anklang. Durchs Land ziehende Prädikanten[3966] verkündeten, als Vorboten der evangelischen Bewegung, den einfachen Menschen, dass im Evangelium weder für die Unfreiheit der Bauern noch für die damals verlangten, übergroßen Abgaben eine Begründung zu finden sei.

Früher Protestantismus im Erzstift Salzburg – erste Vertreibungen als Reaktion der katholischen Obrigkeit

Auch in Salzburg hielten die Lehren Luthers bald Einzug, wofür in erster Linie zwei Gründe ausschlaggebend waren. Einerseits studierten einige Salzburger Bürgerssöhne und Söhne von im Bergbau tätigen, reichen Gewerken mit internationalen Kontakten auch in Wittenberg und anderen Zentren der neuen Lehre und trugen somit das Gedankengut in ihre Heimatstadt.[3967] Andererseits lag Salzburg an wichtigen Handelsstraßen, wodurch die hier durchkommenden Wirtschaftstreibenden und Händler aus dem deutschen Raum die neuen Ideen an die Bevölkerung weitergaben.[3968]

Interessant ist der Umstand, dass der frühere Vorgesetzte Luthers im Orden der Augustiner-Emeriten und persönliche Freund, Johann von Staupitz, auch nachdem er durch Erzbischof Kardinal Matthäus Lang von Wellenburg (1519–1540) als Abt von St. Peter eingesetzt wurde, weiterhin in engem brieflichen Kontakt mit Luther stand.

Die Reaktion des Salzburger Landesfürsten auf die Verbreitung dieser „ketzerischen“ Lehren ließ nicht lange auf sich warten. Erzbischof Matthäus Lang hatte anfänglich große Sympathien für die große Reformbewegung Luthers, erst durch die politische Entwicklung im Vorfeld des Bauernkrieges von 1525 erfuhr dies eine Wandlung. Er ließ unmittelbar nach seinem Amtsantritt 1519 eine hohe Weihsteuer[3969] eintreiben, weiters erging die Ausschreibung eines zusätzlichen „Ungelds“, einer außerordentlichen Getränkesteuer. 1522 wurden auf einer Salzburger Provinzialsynode in Mühldorf am Inn scharfe Maßnahmen gegen die Lehre Luthers beschlossen, beispielsweise das Verbot der Verbreitung der lutherischen Schriften. Diese und andere Maßnahmen provozierten in der bereits aufgewühlten Stimmung in der Bevölkerung weitere Empörung, zu sehr drückte die Steuerlast, zu reformbedürftig war die Kirche, und zu viele waren bereits zu Anhängern Luthers und seiner Schriften geworden. Um den Widerstand der Bürger zu brechen und einem drohenden Aufstand entgegenzuwirken, ließ Erzbischof Matthäus Lang in Tirol Truppen anwerben, besetzte damit die Festung Hohensalzburg und richtete deren Geschütze auf die Stadt, worauf die völlig überraschten Bürger widerstandslos kapitulierten. Diese unblutige Auseinandersetzung des Jahres 1523 ging als so genannter „Lateinischer Krieg“[3970] in die Geschichte ein.[3971]

Im Bauernkrieg von 1525/1526 traten neben Forderungen nach wirtschaftlich-sozialer Besserstellung auch jene nach religiöser Erneuerung, zusammengefasst in den so genannten „24 Artikel Gemainer Landschaft Saltzburg 1525“. Kritik an den Missständen in der Kirche, an der Leibeigenschaft, die nicht in der Bibel begründet ist, sowie die Forderung nach Abschaffung der Grundherrschaft, vor allem der Klöster und des Domkapitels, sind nur einige der in dieser Beschwerdeschrift erhobenen Forderungen. Die Bürger der Stadt Salzburg verlangten in einer aus 59 Punkten zusammengesetzten Beschwerdeschrift die Umwandlung Salzburgs in ein weltliches Fürstentum, die Abdankung des Erzbischofs als Landesfürst und die Übernahme der Regierung durch die Landstände – diese Punkte hatten wenig Aussicht auf Realisierung. Anführer dieses Bauernaufstandes waren nicht, wie die Vermutung nahe legen würde, unzufriedene Bauern, sondern Gewerken und Bergknappen. Neben religiösen Motiven – unter Gewerken und Knappen fand die Lehre Luthers raschen Zustrom – sind sicherlich die restriktive Waldordnung von 1524[3972] sowie neue Abgaben für das Montanwesen als Gründe zu nennen. Der Bauernaufstand wurde nach anfänglichen Erfolgen blutig niedergeschlagen. Die Situation der Bauern verschlimmerte sich anstatt sich zu verbessern, zudem wurden ihnen hohe Geldstrafen aufgebürdet.[3973]

Durch die Beschlüsse des Konzils von Trient (1545–1563) versuchte die sich innerlich erneuernde katholische Kirche, protestantisch gewordene Gebiete wiederzuerlangen und diese durch Reformideen im katholischen Glauben zu stärken. Der so genannte Augsburger Religionsfriede von 1555 führte quasi zu einer Koexistenz zweier konfessionell begründeter Machtblöcke im Deutschen Reich.[3974] Denn es wurde sowohl den katholischen als auch den protestantischen Landesfürsten ermöglicht, die Religion ihrer Untertanen zu bestimmen: Gehörten die Untertanen einer anderen Religion als ihr Landesfürst an, so mussten sie entweder ihre Religion aufgeben und jene der Obrigkeit annehmen oder sie waren gezwungen, ihre Heimat zu verlassen.[3975] Wer also herrschte, bestimmte auch den Glauben der Untertanen oder mit dem bekannten Satz ausgedrückt: „Cuius regio, eius et religio“ („Wessen das Land, dessen ist die Religion“).

Im Allgemeinen stellte sich im Erzbistum Salzburg in der zweiten Hälfte des 16. beziehungsweise zu Beginn des 17. Jahrhunderts folgendes Bild in Bezug auf den Glauben und auf die katholische Kirche dar: Ein großer Teil der Bevölkerung hat sich gegenüber der katholischen Landeskirche entfremdet, was sicherlich mit der Unwissenheit gerade der unteren Bevölkerungsschichten in Zusammenhang steht. Aberglaube beherrschte zudem den Alltag der Bevölkerung. Der Mangel an Priestern, der fast zwangsläufig zu einem weitgehenden Stillstand der Pfarrseelsorge führte, tat sein Übriges. Trotz Visitationen in den einzelnen Pfarrgemeinden konnten die Durchführung von Reformen sowie gegenreformatorische Vorhaben großteils nicht realisiert werden.

In den habsburgischen Nachbarländern des Erzbistums Salzburg war die Wende zum 17. Jahrhundert von Maßnahmen im Dienste der Gegenreformation geprägt. Auch Erzbischof Markus Sittikus (1612–1619) schloss sich den Bestrebungen zur Zurückdrängung des Protestantismus vehement an. Von 1613 bis 1617 fand die bisher strengste Generalvisitation seiner Diözese statt. Sympathisanten der Lehre Luthers mussten sich Verhören unterziehen, die – ganz im Sinne heutiger Bedeutung – wahre Inquisitionen waren. Ungehorsame, Besitzer lutherischer Bücher und Glaubensverdächtige wurden des Landes verwiesen, an die 1.000 Personen waren davon betroffen. Danach erfolgte die systematische Bekehrung der Untertanen. Während des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) – Salzburg blieb dank der geschickten Neutralitätspolitik des Erzbischofs Paris Graf Lodron (1619–1653) von den Auseinandersetzungen verschont – traten die Salzburger Protestanten in den Untergrund, da man einer Ausweisung in Kriegsjahren nach Möglichkeit nicht ausgesetzt werden wollte.[3976] Die Verbreitung dieses so genannten „Kryptoprotestantismus“ erkennt man recht deutlich anhand der Situation im Defreggental (heute Osttirol), wo nach einer Glaubensprüfung protestantisch gebliebene Bauern mitten im Winter 1684/85 des Landes verwiesen wurden. Zu den Unwirtlichkeiten der kalten Jahreszeit kam noch dazu, dass den Auswanderern/Exilanten verboten wurde, Kinder unter 15 Jahren mitzunehmen, die dann jedoch zumeist, als Folge des Einspruchs der evangelischen Reichsstände, nach fünf Jahren zu ihren Familien nachkommen durften. Die 621 Emigranten fanden zunächst in Ulm Aufnahme, einige davon wurden nach Württemberg und in die Schweiz abgeschoben. Da das Tal völlig zu entvölkern drohte, beendete der nächste Erzbischof, Johann Ernst Graf Thun (1687–1709), diese Ausweisungen und Vertreibungen.[3977]

Auch im Lungau und Pinzgau waren die Lehren Luthers stark verbreitet. Verfolgungen und Hausdurchsuchungen waren die Folge. Protestanten wurden dort ebenfalls des Landes verwiesen oder zur Rückkehr zum katholischen Glauben gezwungen.

Ein ähnliches Schicksal wie die Defregger erlitten die Knappen des Dürrnberger Salzbergwerkes im Jahr 1668. Nachdem diverse Bekehrungsversuche gescheitert waren, wurden die davon betroffenen 60 bis 70 Personen gezwungen, das Land zu verlassen. Auch ihnen wurden die Kinder entzogen. Der Großteil der Dürrnberger zog ins sächsische Erzgebirge, da sie dort ihrer angestammten Tätigkeit als Bergmänner nachgehen konnten.

Trotz all dieser äußerst rigiden Maßnahmen konnte die Obrigkeit den Protestantismus in Salzburg nicht auslöschen.[3978] Auf der einen Seite wurde man vorsichtiger, seinen wahren Glauben preiszugeben, auf der anderen Seite fühlten sich die Salzburger Evangelischen durch das Ausharren gegen alle Bekehrungsversuche der Obrigkeit in ihrem Glauben bestärkt.[3979] Weitere Repressalien waren daher die Konsequenz.

Die Emigration von 1731/32 – Tausende mussten um ihres Glaubens willen die Heimat verlassen

Zu Beginn der Regierungszeit von Erzbischof Leopold Anton Freiherr von Firmian (1727–1744) bezeichnete sich rund ein Siebtel der Salzburger Bevölkerung dem protestantischen Glauben zugehörig. Ein Umstand, wodurch nach Meinung der katholischen Obrigkeit die Existenz des geistlichen Fürstenstaates und somit die des Fürsterzbischofs gefährdet schien.[3980] Seit seinem Amtsantritt machte es sich Erzbischof Firmian, in noch härterer Form als seine Vorgänger, zur Aufgabe, die „Ketzerei“ auszurotten. Hausdurchsuchungen, Verhöre und Kerkerstrafen fanden in bislang unbekanntem Ausmaß statt. Durch die als Konsequenz angeordneten Landesverweisungen einzelner Personen wurden ganze Familien auseinander gerissen. Trotz dieser harten Maßnahmen beziehungsweise gerade aus diesem Grund wuchs das Zusammengehörigkeitsgefühl unter den „Andersgläubigen“. Männer und Frauen versammelten sich zu gemeinsamen Gottesdiensten in denjenigen Häusern, in denen noch eine Bibel oder evangelische Andachtsbücher vorhanden waren. Im Mai 1731 überbrachten 31 Abgesandte aus den sieben Pongauer Gerichten dem „Corpus Evangelicorum“, den Vertretern der protestantischen Reichsstände am Reichstag zu Regensburg, im Namen von 19.000 (bei Rohrmoser: 21.000 am Protestantismus festhaltende Untertanen) Evangelischen eine Bittschrift und baten – in völliger Unkenntnis ihrer Rechtslage – beim Erzbischof zu bewirken, dass für jedes Pfleggericht ein evangelischer Pfarrer eingesetzt werden sollte. Sollte der Erzbischof ihre Bitte nicht erhören, möge er sie zumindest „mit fernerweiten Gewalttätigkeiten verschonen und den ungehinderten Abzug mit den Unsrigen aus den Salzburgischen Landen gestatten“. Da sich die erzbischöflichen Zentralstellen ein genaues Bild über die Situation in den einzelnen Pfleggerichten machen wollten, entsandten sie als Reaktion auf die Bittschrift eine Kommission, welche die Bevölkerung bezüglich ihres Glaubens befragen sollte.

Am 13. Juli 1731 hielten die evangelischen Glaubensbrüder des Pongaus in Schwarzach eine geheime Versammlung ab, wo sie beschlossen, sich der Kommission des Erzbischofs gegenüber offen zu ihrem Glauben zu bekennen. Um dieses Gelöbnis, von dem sich übrigens niemand ausschloss, zu bekräftigen, tauchten sie ihre Finger in ein am Tisch stehendes Salzfass. Diese symbolische Handlung prägte die Bezeichnung „Salzleckertisch“.[3981]

Die Bitten der Protestanten fanden naturgemäß bei Erzbischof Leopold Firmian und seinem Hofkanzler Cristani von Rall, der eigentlichen Hauptfigur der Maßnahmen im Zusammenhang mit der Vertreibung der Protestanten, kein positives Gehör, denn sie werteten allein die Abkehr von der katholischen Religion als einen Akt der Rebellion und des Aufruhrs.[3982] Burgen und Befestigungen wurden aus diesem Grund in Verteidigungszustand gebracht, um einen eventuellen bewaffneten Aufstand sogleich entgegenwirken zu können, doch die Protestanten beharrten auf einer friedlichen Lösung. Verhaftungen von protestantischen Führungspersönlichkeiten waren nur die ersten Vorboten des am 31. Oktober von Erzbischof Firmian unterzeichneten und am 11. November 1731 angeschlagenen und verlesenen Emigrationspatentes, welches den Befehl zur Auswanderung der Protestanten erteilte. Entgegen den Bestimmungen des Westfälischen Friedens von 1648, in dem eine Frist von drei Jahren für die Auswanderung eingeräumt wurde, sowie entgegen den Protesten, unter anderem des Kaiserhofes, in Wien, ging man im Erzstift mit äußerster Härte vor. Die Obrigkeit begründete dies mit einem angeblich zu erwartenden Aufstand.

Dies bedeutete für die „Unangesessenen“ ohne eigenen Besitz oder landwirtschaftliches Anwesen, also Knechte und Mägde, innerhalb von acht Tagen das Land zu verlassen. In drei Schüben verließen insgesamt 4.184 Unangesessene bis Ende März 1782 das Land. Den „Angesessenen“, nämlich Bauern und Bürger, wurde eine dreimonatige Frist bis zu ihrer Auswanderung gesetzt. Das war zwar am Papier eine Möglichkeit den Besitz zu verkaufen, praktisch aber dennoch weitgehend eine Enteignung.

Für die erste betroffene Gruppe wurden Transporte von 200 bis 300 Personen zusammengestellt und an die Grenze gebracht. Sie wurden auf diese Weise gezwungen, ohne sich mit Reiseproviant, Geld und warmer Kleidung zu versorgen – man beachte den Zeitpunkt der Ausweisung –, ihre Heimat zu verlassen. Einige wenige fanden bereits in Memmingen und Ulm Arbeit, andere zogen nach Augsburg und nach Württemberg weiter.

Die Vertreibung der Salzburger Protestanten im Spiegel ausgewählter zeitgenössischer Texte[3983]

Bereits aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts existieren Zeugnisse über Aktivitäten von Protestanten, häufig von herumziehenden Personen im Erzstift Salzburg. Diese Schriftstücke geben einen interessanten Einblick in die Religiosität früher Protestanten in diesem Raum. So forderte der Domchordechant Wilhelm von Trautmannsdorff[3984] im Juli 1574 vom Pfleggericht Werfen[3985] einen Bericht über die Aktivitäten des Andrä Lamparter, dem man nachsagte, er würde „zu Sanndt Johanns[3986] Teutsche Schuel haltenn, allerlay verpotten Cathechismus[3987] seinen Jungern im gehaim lernen und fürschreiben wie man dan gannzlich darfürhalten thuet, dass er in der Regilion fasst suspect unnd nit gerecht sei“. Interessant ist der Umstand, dass der genannte Lamparter Beziehungen über das Erzstift Salzburg hinaus unterhielt, so wird berichtet, dass „er mit seinem Sonn, der im Lanndt ob der Ennß wonnhafft unnd wie bericht, nit Catholicus ist, durch Schreiben unnd Pottschafften, vil Comunicierung thuet“. Konkret sollte seine religiöse Praxis und die seines Hausgesindes erkundet werden und zudem, „ob er nit auch teutsche verpottne Tractätl ausprait unnd was er seinen Jungern, oder villeicht auch annderen gewaxnen Personnen in disem Fall verlesen oder verschreiben thue“. Ein weiterer Gegenstand der Untersuchung war neben Auskundschaftung seines persönlichen Bekanntenkreises auch, ob er „aus verpottnen Buechern verlessen, unnd alsonst andern Ortten, oder Häusern Predigtstuel“ errichtet hatte.

Thomas Mitterstainer, von 1593–1601 Pflegsverwalter zu Werfen[3988], reagierte rasch auf dieses Schreiben und berichtete am 28. Juli jenes Jahres, dass er dem örtlichen Pfarrherrn den Befehl erteilt hatte, geheime Nachforschungen in dieser Angelegenheit anzustellen. Über das weitere Vorgehen der Obrigkeit in dieser Angelegenheit beziehungsweise das Schicksal des Andrä Lamparter ist im Bestand des Pfleggerichts Werfen nichts überliefert.

Bereits vor 1731 gab es, wie erwähnt, zahlreiche Bemühungen gegen Protestanten vorzugehen beziehungsweise sie des Landes zu verweisen, da durch sie „der Kürche und Wohlstand hiesiger Landen in Gefahr gesezt würdet“. Ein Beispiel ist jene Verordnung aus dem Jahr 1701, welche „zur Beyhaltung wahrer Religion und Verhuettung besorgend mehreren Ybls“ erlassen wurde und deren wichtigsten Inhalte im Folgenden wiedergegeben werden[3989]:

„Erstens seind all und jede, welche verbottene und kezerische Buecher bey sich haben, oder umb dergleichen habende wüßten, bey schwärer Leib- oder geltbueß schuldig und gehalten, selbige alsbald der geistlichen oder weltlichen Obrigkheit einzuhändigen und respective anzudeuten. Welche aber fürs und dergleichen verbottene Buecher mit sich oder vermitls ander ins Land hereinbringen sollen nit allein des Landes auf ewig verwisen sondern auch nach gestalt der Sachen ihrer Haab und Guetter verlurstiget werden, und damit Drittens dem annoch zimblich grassirenden kezerischen gifft noch besser abgeholfen werde, solle ein jeder, welcher ausser Landes zu ziechen gedacht ist, bey seiner vorgesezten ordentlichen Obrigkheit sich vorhero anzumelden und wohin, auch in was geschäfften er zu verreisen zugleich ob und umb welche Zeit zu revertiren willens seye, derselben threulich anzudeuten, mithin den Consens daryber zu erhollen schuldig seyn. Würde sich aber jemand ohne obrigkheitlichen Consens ausser Landes begeben, der solle nicht allein nit mehr hereingelassen, noch im Lande auf erfahren gedultet, sondern auch, da er ein Vermögen alda hette, mit einer nambhafften Gelt Straff angesechen werden. Und wan auch schon einer von seiner Obrigkheit den Consens in das Reich oder ander Öhrter auf eine zeitlang abzuraisen erhalten, solle ihme doch darbey aufgetragen und woll ernstlich sich an uncatholischen Orthen nicht zuverweillen eingebunden, und dahero allerdings obgelegen seyn, von eines Orths Obrigkheit, und deren Gebieth er sich die Zeit seines Ausbleibens befunden hat, seines Auf- und Verhaltens halber glaubwürdige Urkhund beyzubringen, damit man, welche an katholischen oder uncatholischen Orthen gewesen, auch deren Handl und Wandl daraus abnemmen und nach gestalt der Sachen gebührendes Einsechen vorkheren möge. Wan nun Viertens jemand der Religion halber eintweds von selbsten und freyer Thatten emigriert oder fortgeschafft wurde, were aber im Land beguettet und angesessen, einem solchen solle zu Verkhauff oder Veräusserung seiner Guetter einstens ein dreymonathlicher Termin bestimbt, dennjenigen aber, die bei hoch- oder nider Instanz rechtsferttigungen anhängig haben, solche per Procuratorem und durch einen Gewalttrager Katholischer Religion auszuführen bevorgestölt, hingegen and[e]r[e], welche weder guetter noch rechts händl, ein volglich im land nichts mehr zu thuen haben, gleichwohlen aber wider das Verbott yber lang oder khurz ohne Erlaub sich hereinschleichen, diese sollen auf betretten alsbalden zu Verhafft genommen und gegen denenselben mit schwärer leibsstraff ande[re]n zum exempl verfahren werden. Wie dann Fünfftens auch diejenige, so dergleichen hereingehende Emigranten wüssten oder in Hörberg einnemmen, und der geistlichen oder weltlichen Obrigkheit bey Zeitn nit anzaigen, ebnermassen ein schwäre Leibs- oder Gelt Straff zu gewarthen haben. Würde sich aber Sechstens jemand understehen ohne obrigkheitliches Vorwissen und Consens seine aigene, oder and[e]r[e] sowohl vogtbar als unmündige Künder, Weib oder and[e]r[e] Persohnen, was Stands und Geschlechts sye immer seind, mit sich in uncatholische Örther hinauszuentführen, ein solcher solle nach Ungnaden an Leib und Guett gestrafft werden. Sibentens werden diejenige, denen wegen Verdachts im Glauben die Ablegung der Glaubensbekhantnus auferladen, von ihnen auch würckhlich abgelegt ist worden, dafern sye widerumb aber in einen kezerischen Irrthumb fallen, oder mit kezerischen Buechern, oder auch in dergleichen Zusammenkhonfften betretten wurden, als Meineydige abgestrafft und gestalter Dingen nach aus dem Land fortgeschafft werden. Nicht weniger Achtens hat sich ein jeder, welcher in Glaubenssachen constituiert, oder examinirt würdet, bey unausbleiblich schwärer Straff zu huetten, der der Obrigkheit mit kheiner Unwahrheit vorkhomme. Schlüsslichen, und damit inskhonfftig niemand mit der Unwüssenheit sich entschuldigen, sondern ein jeder vor Straff und Schaden zu huetten wüsse, also habt ihr dise ernstliche gnedigste Verordnung jährlich 14 Täg vor Ostern, dann zu Pfingsten, und ainmahl im Hörbst an ainem Sonn- oder Feyrtag gleich nach dem Gottsdienst vor der Kürchen publiciren, und offentlich ablesen zu lassen, auch von Obrigkheit wegen besten Fleißes darob zuhalten, nit weniger wir es beschechen, seiner Zeit alhero zuverlässig zu berichten.“

Bemerkenswert ist der Umstand, dass als Strafe für viele Vergehen in Religionssachen der Landesverweis vorgesehen war.[3990] Punkt 4, der die Auswanderung der Angesessenen betrifft, sieht für das Verlassen des Landes bereits jene Dreimonatsfrist vor, die auch 1731 zur Anwendung kam.

Auch nach der Vertreibung von 1731 blieb der Protestantismus ein Problem im Erzstift, wie zahlreiche Anzeigen und Untersuchungen in dieser Angelegenheit belegen. Ein Beispiel dafür ist die Untersuchung gegen Thomas Stainer und dessen Sohn aus Unterkreuzberg, denen wankender Glaube aufgrund Vernachlässigung des Besuches des Gottesdienstes vorgeworfen wurde. Diese Untersuchung zog sich zweieinhalb Jahre lang ab Jänner 1754 hin.[3991] Der Beschuldigte wurde am 24. August 1756 zu einer Strafe von 30 Reichstalern verurteilt und entging nur aufgrund seines fortgeschrittenen Alters dem Arbeitshaus.

Der Volkskundler Leopold Schmidt sieht in den zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert entstandenen Pinzgauer und Pongauer Blankholzmöbeln mit ornamentalem und floralem Schnitzdekor kryptoprotestantische Äußerungen, einerseits in der Übernahme von Vorbildern aus Werkstätten in protestantischen Reichsstädten, andererseits in der Ablehnung des katholischen Barock und seiner religiösen Motive. Von Schmidt wie anderen Autoren wird ja auch häufig darauf verwiesen, dass Hauszeichen und Grabsteine immer dann, wenn sie nur die Stifter unter dem Kruzifix zeigen und keine zusätzlichen Madonnen- beziehungsweise Heiligendarstellungen aufweisen, Hinweise auf protestantische Haltungen sind.[3992]

Die Förderung des katholischen Glaubens durch die Obrigkeit führte auch zu Missbräuchen. So forderte der Hofrat am 1. Dezember 1783 einen Bericht über einen gewissen Bartlmä Hanhart an, der angab, dass er „zu Salfelden zu convertieren gesinnet“ wäre und über Goldegg nach Werfen gelangte.[3993] Das Pfleggericht Werfen teilte über „diesen schon bejahrten Menschen“ Bartlmä Hanhart mit, dass er sich „mit Stechung unterschiedlicher Wappen auf Kupfer, Stahl, Messing und Perlmutter“ seinen Lebensunterhalt verdiente und „in seiner Kunst nicht ungeschickt und von guten Sitten“ war. Er stammte aus Zürich in der Schweiz und bekannte sich des am 23. Dezember 1783 vom Pfleggericht Werfen verfassten Berichts zufolge zur calvinischen Religion. Mit der Begründung, dass „er mit dem Herrn Dechanten zu Salfelden wegen seiner Convertirung zu dem katholischen Glauben in Unterhandlung gewesen seye“, wollte er in Werfen eine halbjährige Unterkunft mit „Kost und Zimmer“ erreichen. Aus diesem Grund sollten auch beim Pfleggericht Saalfelden Nachforschungen angestellt werden. Über das weitere Schicksal von Bartlmä Hanhart wird in den Akten des Pfleggerichts nichts mehr berichtet, doch kann angenommen werden, dass es sich hier um die missbräuchliche Vortäuschung einer beabsichtigten Konvertierung gehandelt haben dürfte.

Ausweisung, Emigration, Immigration

Am 2. Februar 1732 erließ der König von Preußen, Friedrich Wilhelm I. (1713–1740), ein so genanntes „Einladungs-Patent“, in dem den Salzburger Protestanten Aufnahme in Ostpreußen sowie eine ungehinderte Anreise versprochen wurde. Zudem sollten sie nach Ankunft in ihrer neuen Heimat ein bescheidenes, tägliches Verpflegungsgeld erhalten.[3994] Grund dieser Aufnahme und Ansiedlung waren nicht ausschließlich religiöse Motive, sondern der Umstand, dass weite Teile des landwirtschaftlich bedeutsamen nördlichen Ostpreußen Anfang des 18. Jahrhunderts von einer verheerenden Pestepidemie heimgesucht wurden, welcher große Teile der Bevölkerung zum Opfer fielen. Die zum überwiegenden Teil aus der Landwirtschaft stammenden Salzburger Protestanten waren daher für die Wiederbesiedlung der durch die Seuche entvölkerten Landstriche vorgesehen.[3995]

Am 24. April 1732, dem Georgitag, wurde mit der Ausweisung der Angesessenen begonnen. Aufgrund der großen Anzahl, an die 16.000 Personen, war ein gemeinsamer Aufbruch nicht möglich. Es erfolgte die Deportation dieser Personengruppe zwischen dem 6. Mai und dem 6. August in 16 Wanderzügen. Alte, Kranke und kleine Kinder wurden auf Planwagen mitgeführt, die Mehrheit der Vertriebenen hatte den Weg jedoch zu Fuß zurückzulegen. Wie stark das Zusammengehörigkeitsgefühl der Protestanten auch in anderen Ländern Europas war, zeigte sich in der Spendenfreudigkeit an die Emigranten, beispielsweise in den Niederlanden, in Dänemark und in Schweden, aber auch im anglikanischen England.[3996]

Als der Sommer 1732 im Salzburger Land zu Ende ging, waren im Pongau und Pinzgau nicht weniger als 1.776 Bauernhöfe von den Bewohnern verlassen und unbewirtschaftet – ein unermesslicher Aderlass für die Bevölkerung und Wirtschaft des vergleichsweise kleinen und überschaubaren Erzstifts.[3997] Wie Horst Wierer auf CD-ROM 1 dieser Reihe „Im Winter und zur Weihnachtszeit“ am Beispiel der Gasteiner Perchten zeigte, wurden diese Höfe wieder mit weichenden katholischen Erben aus anderen Ländern, unter anderem aus dem Unterinntal, besiedelt. So kam es sowohl durch die Ausweisung als auch durch die Neubesiedelung zu kulturellen Änderungen.[3998]

Die Wege der ausgewiesenen Salzburger Protestanten zerstreuten sich recht rasch, das Leben der Vertriebenen war, bis sie eine neue Heimat gefunden hatten, mit vielen Entbehrungen und Tod verbunden. Diejenigen, die sich in Ostpreußen niedergelassen hatten, mussten sich neben der ungewohnten Landschaft noch mit der Situation zurechtfinden, dass sie nicht die einzigen und ersten Ansiedler in der von der Pest verwüsteten Landschaft waren. Kolonisten aus anderen deutschen Landen, aber auch aus der Schweiz und aus Frankreich hatten sich in den vergangenen 20 Jahren dort ansässig gemacht. Konflikte mit den Neuankömmlingen bezüglich Arbeit und bebaubarem Land waren die Folge. Drei Jahre dauerte die Ansiedlung der Salzburger, wobei sich der preußische König mit teilweisem Erfolg bemühte, volle Entschädigung für die von den Emigranten zurückgelassenen Güter zu erhalten. In Gumbinnen, heute Gussew im Gebiet von Kaliningrad (Königsberg) gelegen, wurde 1740 auf Anregung des preußischen Königs, Friedrich Wilhelm I., ein eigenes Hospital, die „Salzburger Anstalt“, errichtet, die für Kranke und unterstützungswürdige Salzburger und deren Nachkommen gedacht war. Über mehr als eineinhalb Jahrhunderte hinweg blieb das Gemeinschaftsgefühl der ehemaligen Salzburger lebendig. Als ihr Zusammengehörigkeitsgefühl an der Wende zum 20. Jahrhundert bedroht schien, wurde 1911 der „Salzburger Verein“ ins Leben gerufen, der dieser Entwicklung entgegenzuwirken trachtete und bis heute Familienforschungen, Memorials und Kontakte wie auch das Protestantenmuseum im Schloss Goldegg betreibt.

Die ethnischen Kämpfe und Übergriffe in der letzten Phase des Zweiten Weltkrieges ab Herbst 1944 sowie die Grenzveränderungen als Folge der Konferenz von Potsdam im Sommer 1945 vertrieben auch die Nachkommen der Salzburger aus ihren Siedlungsgebieten im ehemals deutschen Ostpreußen. 1953 konnte in Bielefeld, der Patenstadt des ehemaligen Kreises Gumbinnen, durch die Wiedergründung des Salzburger Vereines und durch die Übernahme einer Patenschaft durch das Land Salzburg erneut eine Verbindung zur ursprünglichen Heimat hergestellt werden.[3999]

Schon Ende des Jahres 1732 brachen 780 Dürrnberger und Halleiner Bergknappen in ihre neue Heimat, nach Holland, auf. Sie sollten ursprünglich als unersetzliche Fachkräfte in Salzburg bleiben, baten jedoch im Sommer 1732, nachdem der Großteil ihrer Glaubensbrüder bereits vertrieben worden war, um die Erlaubnis, ihre Heimat verlassen zu dürfen. Ein weiterer Grund für ihre freiwillige Auswanderung war der Umstand, dass ihnen der Vertreter der Niederlande am Kaiserhof in Wien, Jacob Jan Hamel Bruyninx, besondere Vergünstigungen – wie die Staatsbürgerschaft und volle Gleichberechtigung, Bezahlung aller Reisekosten, eigene Pfarrer beziehungsweise Lehrer sowie Steuerfreiheit für einige Jahre – zugesichert hatte.[4000] Die Realität auf der für sie vorgesehenen Insel Cadzand[4001] sah jedoch anders aus. Die Unterkünfte waren mehr als mangelhaft, die Geldmittel, die unter der holländischen Bevölkerung für die Neuankömmlinge gesammelt worden waren, wurden an sie nicht ausbezahlt und der vorgesehene Bau einer Strickwarenfabrik, in der sie Arbeit und Lohn gefunden hätten, wurde nie realisiert. Die Folge war, dass viele ehemalige Salzburger nach Frankfurt, Salzburg bei Hameln, Harburg bei Hamburg sowie Regensburg zurückkehrten, um sich dort niederzulassen.[4002]

Nach Nordamerika, Ebenezer in Georgia, wanderten über 120 Salzburger Protestanten aus. Durch das ungewöhnliche Klima war in den ersten Jahren die Sterblichkeitsrate relativ hoch. Erst nach Jahren gelang es ihnen, sich an die ungewohnten Bedingungen anzupassen. Im Allgemeinen lebten sie in einer Art von Gütergemeinschaft und kamen bald zu einem bescheidenen Wohlstand. Mit den dort ansässigen Indianern hatten die Ansiedler ein gutes Verhältnis. Bis zum 19. Jahrhundert blieben die Nachfahren der Emigranten zumeist Bauern und zogen nur zum Teil in die Stadt.[4003] Heute halten einige Vereine die Erinnerung an die alte Heimat und ihre Bräuche aufrecht und pflegen die Verbindung zum Bundesland Salzburg. Häufig kommen in der Hauptreisezeit im Sommer, zumeist während der Festspiele, Nachkommen dieser nach Nordamerika ausgewanderten Protestanten in das Salzburger Landesarchiv, um hier Ahnenforschung zu betreiben und Näheres über die Heimat ihrer Vorfahren in Erfahrung zu bringen.

Verboten – toleriert – gleichberechtigt. Protestantismus in Salzburg in den Jahrhunderten nach der großen Vertreibung

Trotz der wirtschaftlichen Nachteile, die sich durch die Vertreibung der Protestanten ergaben, blieb die Obrigkeit vorerst unnachgiebig.[4004] Vor allem die Abwanderung von Spezialisten aus Handwerk und Bergbau machte sich negativ bemerkbar. Die Anhänger der Lehren Luthers waren gezwungen, ihre Religion im Verborgenen auszuüben und konnten nicht offen zu ihrem Glauben stehen. Ein Beispiel für einen der geheimen Orte, an denen evangelische Gottesdienste stattfanden, war die so genannte „enterische Kirche“, eine Höhle in unmittelbarer Nähe zur Burg Klammstein am Eingang zum Gasteinertal. Trotz aller Versuche zur vollständigen Rekatholisierung, auch der ländlichen Gegenden, blieben viele Protestanten ihrem Glauben treu.

Salzburg, damals ein souveränes geistliches Fürstentum, übernahm auch das Toleranzpatent Kaiser Joseph II. von 1781, durch das in Österreich den Evangelischen, wenn auch mit Einschränkungen, eine Ausübung ihrer Religion und die Errichtung von Gotteshäusern gestattet wurde. Erst im Gefolge der politischen Umwälzungen an der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert und der endgültigen Zugehörigkeit des heutigen Bundeslandes Salzburg zum österreichischen Kaiserreich, 1816, brachen auch für die Salzburger Lutheraner „tolerante“ Zeiten an.

Ein Ausdruck des gesteigerten Selbstbewusstseins und des Aufschwungs der protestantischen Gemeinde in der Stadt Salzburg ist die 1867 erfolgte Einweihung der im Zuge der Verbauung des rechten Salzachufers errichteten evangelischen Kirche. Freilich, auch in den 1860er-Jahren wäre ein protestantisches Gotteshaus in der Altstadt, in relativer Nähe zum Dom oder den anderen prominenten katholischen Kirchenbauten noch undenkbar gewesen. Doch auch das änderte sich in den darauf folgenden Jahrzehnten. Spätestens mit dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie begann die römisch-katholische Kirche ihre dominierende Stellung innerhalb des gesellschaftlichen und politischen Systems im nunmehr republikanischen Österreich und damit auch in Salzburg allmählich zu verlieren.

Parallel dazu entspannte sich das Verhältnis der christlichen Konfessionen – der Gedanke der Ökumene trat zunehmend an Stelle der Konfrontation der Jahrhunderte davor. Die Vertreibung der Protestanten wurde daher auch von den führenden Vertretern der katholischen Kirche in einem völlig neuen Licht gesehen. Sichtbares Zeichen für diese geänderte Geisteshaltung war 1966 die Teilnahme von Erzbischof DDr. Andreas Rohracher an der Amtseinführung des Superintendenten Dipl.-Ing. Emil Sturm für die protestantischen Pfarrgemeinden in Tirol und Salzburg. Bei einem im Anschluss daran gegebenen Empfang im Salzburger Kongresshaus drückte Erzbischof Rohracher in einer Erklärung sein Bedauern über die Vertreibung der Protestanten aus und bat dafür – in seinem Namen und in jedem der ganzen Erzdiözese – die „Evangelischen Brüder und Schwestern“ um Vergebung.[4005] Damit wurde einerseits ein eindrucksvoller Schlusspunkt unter ein leidvolles Kapitel der Geschichte des Protestantismus in Salzburg gesetzt, andererseits ist diese Erklärung auch Ausdruck für ein zukünftiges, neues Miteinander dieser beiden großen christlichen Konfessionen.[4006] Daher soll das Dokument hier im vollen Wortlaut wiedergegeben werden[4007]:

„In der mehr als 1200jährigen Geschichte der Diözese Salzburg ist es wohl noch nie dagewesen, dass einer seiner Oberhirten an einer kirchlichen Feier der evangelischen Gemeinde offiziell teilgenommen hat. Aber drei Gründe haben mich veranlasst, mit diesem Brauch zu brechen und heute an der feierlichen Amtseinführung des ersten Superintendenten der neu errichteten evangelischen Diözese Salzburg–Tirol teilzunehmen.

1. Fürs erste soll dies das geänderte Klima unter Katholiken und nichtkatholischen Christen bezeugen und Ausdruck jenes neuen Verhältnisses zwischen der katholischen Kirche und den getrennten Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften sein, das, schon jahrzehntelang vorbereitet, vom Papst Johannes XXIII. Durch die Errichtung des Sekretariats für die Einigung der Christen so gefördert und vom Vaticanum II. durch das Dekret über den Ökumenismus gefestigt wurde.

In diesem Dekret anerkennt die Kirchenversammlung die Liebe und Hochschätzung, ja, fast kultische Verehrung der Heiligen Schrift der reformatorischen Christen, ihre biblische Frömmigkeit, ihre Liebestätigkeit und ihr christliches leben und fordert, mehr auf das Gemeinsame als das Trennende zu sehen. Gegenseitige bessere Kenntnis und gegenseitige Achtung und Liebe soll das Ziel aller ökumenischen Bemühungen sein.

2. Aus diesem ökumenischen Geist heraus drängt es mich, die Verfügung eines meiner Vorgänger zu bedauern, wonach die evangelischen Brüder und Schwestern genötigt wurden, das Land Salzburg zu verlassen. Als Entschuldigung für diese Anordnung kann ich nur anführen, dass der damalige geistliche Landesfürst noch im Banne jenes unseligen Grundsatzes des Westfälischen Friedens stand, der lautete „Cuius regio, eius religio“. Wie jedem historischen Ereignis die Auffassung jener Zeit, in der es sich begab, zugrundezulegen ist, so muss dies auch hinsichtlich dieser Anordnung geschehen, um ein gerechtes Urteil fällen zu können.

Nichtsdestoweniger drängt es mich hier – obwohl für diese Erklärung ein Gotteshaus geeigneter wäre –, mein aufrichtiges Bedauern über die damaligen Ereignisse auszusprechen, und nicht nur in meinem Namen, sondern auch im Namen meiner ganzen Erzdiözese die evangelischen Brüder und Schwestern dafür um Vergebung zu bitten, wie es Papst Paul VI. zu Beginn der zweiten Session des letzten Vatikanischen Konzils getan hat.

3. Der dritte Grund für meine offizielle Teilnahme an Ihrer feierlichen Amtseinführung, Herr Superintendent, ist die aufrichtige Hochachtung Ihrer Person. Als Oberhirte der neuen evangelischen Diözese Salzburg/Tirol möge es Ihnen gelingen, die Kenntnis unseres Herrn überzeugend zu fördern und die Liebe zu ihm in zahllosen Herzen zu entflammen. Dazu wünsche ich Ihnen Gottes reichsten Segen.“

Neben der bemerkenswerten Vergebungsbitte des Erzbischofs an die Salzburger Protestanten ist die Erklärung auch ein überaus eindrucksvolles Zeugnis für den Geist und die herrschende tolerante Grundstimmung innerhalb der katholischen Kirche zur Zeit des 2. Vatikanischen Konzils.



[3965] Sallaberger, Johann: Das Eindringen der Reformation in Salzburg und die Abwehrmaßnahmen der Erzbischöfe bis zum Augsburger Religionsfrieden 1555. In: Amt der Salzburger Landesregierung (Hg.): Reformation – Emigration. Protestanten in Salzburg. Ausstellung 21. Mai – 26. Oktober 1981 Schloss Goldegg-Pongau. Land Salzburg. Salzburg 1981, S. 26–33, hier S. 26.

[3966] Vgl. Untersuchung über Andrä Lamparter aus dem Jahr 1574: vgl.: SLA (Salzburger Landesarchiv), Pfleggericht Werfen, Lit. A, XI, 1553–1657, Nr. 116.

[3967] Dopsch, Heinz: Kleine Geschichte Salzburgs. Stadt und Land. Salzburg 2001, S. 105.

[3968] Zaisberger, Friederike: Geschichte Salzburgs. Wien/München 1998, S. 157.

[3969] Jedem Salzburger Erzbischof stand das Recht zu, bei seinem Regierungsantritt (Weihe) die Güter seiner Grundherrschaft mit einer Abgabe (Weihsteuer) zu belasten. Ihre Höhe wurde im Normalfall mit einem Drittel der Anleit (5 % des geschätzten Wertes des Gutes) festgelegt.

[3970] Die Bezeichnung rührt vom Umstand her, da die im römischen („lateinischen“) Recht gebildeten Räte des Kardinals eine wesentliche Rolle spielten. – Vgl.: Dopsch, Heinz; Robert Hoffmann: Geschichte der Stadt Salzburg. Salzburg/München 1996, S. 225.

[3971] Dopsch, Heinz; Robert Hoffmann: Geschichte der Stadt Salzburg. Salzburg/München 1996, S. 223ff.

[3972] Eine Edition der Waldordnung von Erzbischof Matthäus Lang: vgl.: Pallauf, Sonja; Peter Putzer (Hg.): Die Waldordnungen des Erzstiftes Salzburg. In: Fontes rerum Austriacarum. Abt. 3: Fontes iuris. Bd. 16. Wien 2001, S. 43–59.

[3973] Dopsch, Heinz: Kleine Geschichte Salzburgs. Stadt und Land. Salzburg 2001, S. 106ff.

[3974] Ortner, Franz: Katholische Reform und Gegenreformation (1555–1648). In: Amt der Salzburger Landesregierung (Hg.): Reformation – Emigration. Protestanten in Salzburg. Ausstellung 21. Mai – 26. Oktober 1981 Schloss Goldegg-Pongau. Land Salzburg. Salzburg 1981, S. 54–63, hier S. 64.

[3975] Sallaberger, Johann: Das Eindringen der Reformation in Salzburg und die Abwehrmaßnahmen der Erzbischöfe bis zum Augsburger Religionsfrieden 1555. In: Amt der Salzburger Landesregierung (Hg.): Reformation – Emigration. Protestanten in Salzburg. Ausstellung 21. Mai – 26. Oktober 1981 Schloss Goldegg-Pongau. Land Salzburg. Salzburg 1981, S. 26–33, hier S. 32.

[3976] Ortner, Franz: Katholische Reform und Gegenreformation (1555–1648). In: Amt der Salzburger Landesregierung (Hg.): Reformation – Emigration. Protestanten in Salzburg. Ausstellung 21. Mai – 26. Oktober 1981 Schloss Goldegg-Pongau. Land Salzburg. Salzburg 1981, S. 54–63, hier S. 54ff.

[3977] Zaisberger, Friederike: Geschichte Salzburgs. Wien/München 1998, S. 158.

[3978] Vgl. Vorschriften gegen Protestanten aus dem Jahr 1701: vgl.: SLA (Salzburger Landesarchiv), Pfleggericht Werfen 1, XXXI, 1675–1775, Nr. 17.

[3979] Florey, Gerhard: Protestanten im Lungau und Pinzgau, im Defreggental und am Halleiner Dürrnberg. In: Amt der Salzburger Landesregierung (Hg.): Reformation – Emigration. Protestanten in Salzburg. Ausstellung 21. Mai – 26. Oktober 1981 Schloss Goldegg-Pongau. Land Salzburg. Salzburg 1981, S. 77–84, hier S. 77ff.

[3980] Zaisberger, Friederike: Geschichte Salzburgs. Wien/München 1998, S. 159.

[3981] Florey, Gerhard: Die „Große Emigration“. In: Amt der Salzburger Landesregierung (Hg.): Reformation – Emigration. Protestanten in Salzburg. Ausstellung 21. Mai – 26. Oktober 1981 Schloss Goldegg-Pongau. Land Salzburg. Salzburg 1981, S. 101–108, hier S. 101ff.

[3982] Alker, Ernst: Die Emigration der Salzburger Protestanten im 18. Jahrhundert. In: Frankenland. Zeitschrift für Fränkische Landeskunde und Kulturpflege. Doppelheft 5. Jg. 39: Mai 1987. Würzburg, S. 192.

[3983] Auf die Berücksichtigung der einzelnen „Transportlisten“ unter den angeführten Quellen sowie auf eine vollständige Transkription der historischen Texte wurde aus Gründen der größeren Übersichtlichkeit beziehungsweise einer „besseren“ Lesbarkeit verzichtet.

[3984] Seit 1560 Domdechant: SLA (Salzburger Landesarchiv), „Frank-Beamtenkartei“.

[3985] SLA (Salzburger Landesarchiv), Pfleggericht Werfen, Lit. A, XI, 1553–1657, Nr. 116.

[3986] St. Johann im Pongau.

[3987] Beim Schreiber des vorliegenden Textes handelt es sich möglicherweise um einen Legasteniker, da hiefür charakteristische Buchstabenverwechslungen auftreten, wie „Catherismus“ für „Cathechismus“ oder „Regilion“ für „Religion“.

[3988] SLA (Salzburger Landesarchiv), „Frank-Institutionen“.

[3989] SLA (Salzburger Landesarchiv), Pfleggericht Werfen 1, XXXI, 1675–1775, Nr. 17.

[3990] Gerda Dohle erläutert im Beitrag „Abenteuer Archivrecherche“ auf CD-ROM 1 die Willkür der einstigen Anlassgesetzgebung im Fürsterzbistum Salzburg. Dort und im Artikel „Maskenverbot im 17. und 18. Jahrhundert“ wird auch deutlich, wie groß die landesfürstliche Angst vor Unruhen und Aufständen der Protestanten war. – Dohle, Gerda: „Abenteuer Archivrecherche“. In: Luidold, Lucia; Ulrike Kammerhofer-Aggermann (Hg.): Bräuche im Salzburger Land. Zeitgeist, Lebenskonzepte, Rituale, Trends, Alternativen. CD-ROM 1: Im Winter und zur Weihnachtszeit. (= Salzburger Beiträge zur Volkskunde, Bd. 13). Salzburg 2002. – Kammerhofer-Aggermann, Ulrike; dies.: Maskenverbot im 17. und 18. Jahrhundert. In: Luidold, Lucia; Ulrike Kammerhofer-Aggermann (Hg.): Bräuche im Salzburger Land. Zeitgeist, Lebenskonzepte, Rituale, Trends, Alternativen. CD-ROM 1: Im Winter und zur Weihnachtszeit. (= Salzburger Beiträge zur Volkskunde, Bd. 13). Salzburg 2002.

[3991] SLA (Salzburger Landesarchiv), Pfleggericht Werfen 1, XXXIII, 1675–1775, Nr. 109.

[3992] Schmidt, Leopold: Bauernmöbel aus Süddeutschland, Österreich und der Schweiz. 2. Aufl. Wien 1977.

[3993] SLA (Salzburger Landesarchiv), Pfleggericht Werfen 2, XXXIX, 1783–1786, Nr. 528.

[3994] Florey, Gerhard: Die „Große Emigration“. In: Amt der Salzburger Landesregierung (Hg.): Reformation – Emigration. Protestanten in Salzburg. Ausstellung 21. Mai – 26. Oktober 1981 Schloss Goldegg-Pongau. Land Salzburg. Salzburg 1981, S. 101–108, hier S. 103ff.

[3995] Alker, Ernst: Die Emigration der Salzburger Protestanten im 18. Jahrhundert. In: Frankenland. Zeitschrift für Fränkische Landeskunde und Kulturpflege. Doppelheft 5. Jg. 39: Mai 1987. Würzburg, S. 194.

[3996] Florey, Gerhard: Die „Große Emigration“. In: Amt der Salzburger Landesregierung (Hg.): Reformation – Emigration. Protestanten in Salzburg. Ausstellung 21. Mai – 26. Oktober 1981 Schloss Goldegg-Pongau. Land Salzburg. Salzburg 1981, S. 101–108, hier S. 105ff.

[3997] Zaisberger, Friederike: Geschichte Salzburgs. Wien/München 1998, S. 161.

[3998] Wierer, Horst: Die Gasteiner Perchten-Geschichte: In: Luidold, Lucia; Ulrike Kammerhofer-Aggermann (Hg.): Bräuche im Salzburger Land. Zeitgeist, Lebenskonzepte, Rituale, Trends, Alternativen. CD-ROM 1: Im Winter und zur Weihnachtszeit. (= Salzburger Beiträge zur Volkskunde, Bd. 13). Salzburg 2002.

[3999] Kenkel, Horst: Salzburger in Ostpreußen. In: Amt der Salzburger Landesregierung (Hg.): Reformation – Emigration. Protestanten in Salzburg. Ausstellung 21. Mai – 26. Oktober 1981 Schloss Goldegg-Pongau. Land Salzburg. Salzburg 1981, S. 123–128.

[4000] Kaste-Mather, Elsbeth de; Horst Kenkel; Gerhard Florey: Salzburger in Holland. In: Amt der Salzburger Landesregierung (Hg.): Reformation – Emigration. Protestanten in Salzburg. Ausstellung 21. Mai – 26. Oktober 1981 Schloss Goldegg-Pongau. Land Salzburg. Salzburg 1981, S. 129–133.

[4001] Heute gehört diese Gegend um die Stadt Cadzand, im äußersten Südwesten der Niederlande, nahe der Grenze zu Belgien gelegen, durch die verschiedenen Eindeichungsmaßnahmen der letzten Jahrhunderte zum Festland.

[4002] Zaisberger, Friederike: Geschichte Salzburgs. Wien/München 1998, S. 163.

[4003] Kenkel, Horst; Gerhard Florey: Salzburger in Amerika. In: Amt der Salzburger Landesregierung (Hg.): Reformation – Emigration. Protestanten in Salzburg. Ausstellung 21. Mai – 26. Oktober 1981 Schloss Goldegg-Pongau. Land Salzburg. Salzburg 1981, S. 133–137.

[4004] Vgl. Untersuchung gegen Thomas Stainer und dessen Sohn 1754–1756; ein Beispiel für den versuchten Missbrauch der Maßnahmen zur Förderung der Rekatholisierung bietet die Untersuchung gegen den Schweizer Calvinisten Bartlmä Hanhart: vgl.: SLA (Salzburger Landesarchiv), Pfleggericht Werfen 2, XXXIX, 1783–1786, Nr. 528.

[4005] Florey, Gerhard: Die „Große Emigration“. In: Amt der Salzburger Landesregierung (Hg.): Reformation – Emigration. Protestanten in Salzburg. Ausstellung 21. Mai – 26. Oktober 1981 Schloss Goldegg-Pongau. Land Salzburg. Salzburg 1981, S. 101–108, hier S. 107f.

[4006] Vgl.: Rede von Erzbischof DDr. Andreas Rohracher im Salzburger Kongresshaus anlässlich der Amtseinführung des neuen Superintendenten Dipl.-Ing. Emil Sturm für die protestantischen Pfarrgemeinden in Tirol und Salzburg.

[4007] Florey, Gerhard: Die „Große Emigration“. In: Amt der Salzburger Landesregierung (Hg.): Reformation – Emigration. Protestanten in Salzburg. Ausstellung 21. Mai – 26. Oktober 1981 Schloss Goldegg-Pongau. Land Salzburg. Salzburg 1981, S. 101–108, hier S. 107f.

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