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Vom Postulieren zum Gautschen (Siegmund Beinsteiner)[5104]

Zu den Zunftbräuchen, die sich in Salzburg bis heute noch erhalten haben, gehört das Gautschen, die Wassertaufe der Buchdrucker. Dieser von Druckerei zu Druckerei unterschiedlich gehaltene Brauch geht bis ins Mittelalter zurück, doch damals wurde noch nicht gegautscht, sondern postuliert. Postulieren heißt fordern; auf das Druckereigewerbe bezogen hatte es zweierlei Ausdeutung: der seine Lehrzeit beendende angehende Gehilfe forderte die Aufnahme in den Kreis der Kunstgenossen, nach Erfüllung der geltenden strengen Vorschriften wurde er dann postuliert und zum „redlichen Gesellen“ gemacht. Postulat bezeichnete aber auch das zwischen den Prinzipalen (Druckereibesitzer) und den Gehilfen bestehende geregelte Arbeitsverhältnis. Das Postulat war somit eine Zunftordnung, die sich im Lauf der Zeit eigenständig entwickelte.

So verlangte man z. B. von einem „aufdingenden“ (aufzunehmenden) Lehrling als Hauptbedingung den beglaubigten Nachweis, daß er in „einem reinen und keuschen Ehebett gezeuget“ wurde. Auch wurde mit dem Anlernen nicht sogleich begonnen, man mußte eine Warte- und Probezeit mit Botengängen und verschiedenen Hilfsarbeiten durchmachen. Begann endlich die eigentliche Unterweisung, erhielt der Lehrling einen „Anführgespan“ (Lehrmeister), wenn der Prinzipal nicht selbst dazu in der Lage war. Die formelle Beendigung der Lehrjahre (vier Jahre, meist jedoch eine erheblich längere Lehrzeit) erfolgte durch das „Lossprechen“. Damit hatte man jedoch noch nicht die Gesellenwürde, es folgte eine Zwischenzeit, während der ein junger Gehilfe „Kornut“ (Hörnerträger) genannt wurde. Erst durch das Postulieren (d. h. Forderung und Gewährung der Aufnahme in den Gesellenstand) wurde man ein zünftiger Geselle; und das war eine nicht so einfache Sache: es kostete ein gehöriges Stück Geld. Einerseits um die darauffolgenden Festivitäten, die meist einige Tage anhielten, herauszuschlagen, andererseits entstanden knapp hundert Jahre nach Erfindung der Buchdruckerkunst so viele Buchdruckereien, daß sich auch die Gesellen einen zu starken Zustrom zum Gewerbe durch eben hohe Freisprechungs- oder Postulierungskosten fernzuhalten versuchten. Es erklärt sich daraus, daß meist nur angesehene und reiche Jünger zur Kunst kamen, gleichzeitig machte man im „Material“ der künftigen Buchdrucker eine Auslese: nur ein geistig Fähiger und Gewandter sollte das Gewerbe erlernen. Ein Grundsatz, der auch heute noch angewendet wird.

Die eigentliche Postulationsfeier, die einige Wochen vorher mittels Einladung angezeigt wurde, spielte sich in einem öffentlichen Lokal ab. Dazu waren sechs bis acht Personen als „Beamte“ erforderlich: der „Prologus“ oder Vorredner, der „Depositor“ als Leitender und Hauptredner, der „Knecht“ als vielbeschäftigter Spaßmacher, der „Lehrmeister“ oder „Pfaffe“, der gute Lehren erteilte, zwei „Zeugen“, der „Epilogus“ oder Nachredner; zum Schluß wurde dem Kornuten von der „Kranzjungfer“ ein Kranz aufgesetzt, und der Lehrmeister sprach abschließende belehrende Worte. Nach Glückwünschen der ganzen Versammlung wurde bei Musik, Tanz, Schmaus und Trunk bis spät in die Nacht gefeiert, den anderen Tag war die Nachfeier für die Gesellen.

Man kann sich vorstellen, daß die Prinzipale über dieses Feiern nicht glücklich waren; verschiedene Regenten erließen dagegen strenge Verordnungen, so u. a. Maria Theresia 1771 in der „Ordnung für die Buchdruckergesellen und Jungen“, die „alle solche albernen Gebräuche von nun an in allen deutschen Erblanden gänzlich abgeschaffet“ hatte.

Trotz dieser und anderer Verbote wurde fleißig drauflos postuliert. In weiterer Zeit und durch neue, strengere Verordnungen verflachte das Postulieren, nur die alte Gesellenweihe, das mildere „Gautschen“, wurde bis heute beibehalten, eine Zeremonie, die dem Postulieren entlehnt ist, und in deren Mittelpunkt ein scherzhaftes Wasserbad steht. Beim Gautschen gibt es heute mehrere Möglichkeiten der Durchführung:

Die lustigste Art, zumindest für die Unbeteiligten, ist die unvorbereitete Gautschung; sie findet meist am letzten Lehrtag oder einige Tage später statt. Die Packer (meist vier kräftige Gehilfen) fassen unvorhergesehen den Gäutschling, zerren diesen in den Hof, wo der Gautschmeister (ein erfahrener Geselle) bereits wartet und ein Wasserbottich bereitsteht. In diesen werfen die Packer den Gäutschling, tauchen ihn kräftig unter (je mehr er sich wehrt, umso öfter) und, wenn er auftaucht und aus dem Bottich steigt, bekommt er noch ein „Sturzbad obenauf, das ist dem Sohne Gutenbergs allerbeste Tauf“. Anschließend reicht der Gautschmeister einen kräftigen Schluck und überreicht den Gautschbrief. Am Abend folgt dann noch in einem Gasthaus die „innerliche“ Gautschung.

Eine andere Art ist die öffentlich, vorher angezeigte Gautschung. Nicht nur der Gäutschling kann sich darauf vorbereiten, auch dessen Angehörige und Freunde können mit dabei sein und zuschauen, die Zeremonie ist auch feierlicher. In manchen Druckereien wartet man ein paar Jahre bis mehrere zu Gautschende zusammenkommen, um eine besonders festliche Buchdruckertaufe zu veranstalten. Das geht sogar so weit, daß man sich alte Kostüme vom Theater ausleiht und einen kleinen Spielmannszug mit Trompetern, Fanfarenbläsern und Trommler engagiert. Zur festgelegten Zeit marschiert dann ein festlicher Zug von der Druckerei durch die Stadt zu einem geeigneten Brunnen. Dieser Zug besteht aus dem Fahnenträger, zwei Lehrlingen, die ein Transparent mit Firmenname und Zweck des Marsches tragen, dem kleinen Spielmannszug, den Gäutschlingen, vier Packern und als Abschluß dem Zeremonien- und Gautschmeister in voller Würde. Beim Brunnen angekommen, liest nach einem Fanfarenruf erst der Gautschmeister von einer Pergamentrolle vor, warum und weshalb gegautscht wird:

Gott grueß die Kunst!
Ehrsambe Collegen und Junioren,
also haben wir den heutigen Tag erkoren
zu einer Gautschung nach altem Herkommen
unseren Jungen und unsrer Zunft zum Frommen.
So habet fein acht, was selbig Ceremoni bedeutet.
Hiermit wird den jungen Gesellen ein reinigend Bad bereitet,
daß mit dem Wasser getilget werd
aller Lehrbuben Misere und Beschwerd,
so über kund gewordene Missetaten
ehrsambe Gsellen in heiligen Zorn geraten.
Auch weil das giftig Blei und die leidig Druckerschwärz
faciliter rinnet ins Bluet und drucket aufs Herz.
Auch daß sie nit fallen Sauffen und Prassen.
Das sollen sie füglich den Alten lassen.
Auch daß sie nit in tentationes geraten
als Lästermäuler und Teufelsbraten.
Auch daß sie allzeit in Ehren und Züchten
ihren Blick auf das Weibsvolk richten
und nit vor lauter Tänzeln und Scharmutzieren
ihr letzt Quentlein Verstand verlieren.
Auch daß sie nit mit argen Listen und Tücken
sich etwa vom ehrlichen Gautschtrunk drücken.
So taufen wir sie denn in Gutenbergs Namen
in diesem zunftgetreuen und würdigen Rahmen
zu ehrsamben Jüngern des Buchdrucker-Handwerks.
Amen.

Anschließend ruft der Zeremonienmeister die Gäutschlinge einzeln auf, der Gautschmeister spricht: „Gesellen packt an, laßt seine corpus posteriorum fallen auf diesen nassen Schwamm, bis triefen beide Ballen“. Blitzschnell treten die Packer in Aktion, und trotz heftiger Gegenwehr wandert der zukünftige Gutenberg-Jünger zum Gaudium der Zuschauer ins kühle Naß. Nach kräftigem Untertauchen gibt es beim Auftauchen das schon erwähnte Sturzbad obenauf, einen abschließenden Wasserguß aus einem Handschaffel. Mit einem Gautschtrunk ist die Zeremonie beendet.

Ebenso gibt es am Abend die „innerliche“ Gautschung, dabei wird in festlicher Form der Gautschbrief, ein wichtiges Zeugnis eines jeden Jüngers der „Schwarzen Kunst“, überreicht, denn wenn man diesen bei einem Firmenwechsel nicht vorweisen kann, wird man nochmals gegautscht. In diesem Fall kann auch, sollte jemand noch nicht gegautscht sein, seinen Gautschbrief verloren haben oder ihm aus gesundheitlichen Gründen ein Wasserbad nicht zugemutet werden können, die Sessel-Gautschung vorgenommen werden. Dazu werden auf einen Stuhl zwei mit Wasser vollgesogene Schwämme gelegt, und die Packer setzen den zu Gautschenden nicht gerade sanft darauf, deshalb der Spruch „bis triefen beide Ballen“. Von oben wird ein dritter Schwamm auf das Haupt als Sturzbad ausgedrückt. Über die „innerliche“ Gautschung braucht man keine Worte verlieren, doch es ist keine Schande, wenn sich die Gäutschlinge zur vorgerückten Stunde stillschweigend auf den Weg nach Hause machen.

1982 feiert man das Jubiläum „500 Jahre Druck in Österreich“. Wie lange sich der Brauch des Gautschens bei der heutigen Umstellung vom Blei-Schriftsatz auf die elektronische Satzverarbeitung erhalten wird, weiß man nicht. Doch solange Gutenberg in unseren Herzen weiterlebt, wird sicher weitergegautscht, in seinem Namen. – Gott grüß die Kunst!



[5104] Zeitschrift „Salzburger Heimatpflege“, 6. Jg., Heft 2, Juni 1982, S. 85–91.

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