850.000 Menschen (Stand 2002) besuchen jährlich den Salzburger Christkindlmarkt (heute auf dem Dom- und Residenzplatz) und genießen die besondere Stimmung inmitten der barocken Altstadt. Der Christkindlmarkt ist die winterliche Hauptattraktion der Stadt, und doch kann Salzburg – anders als viele deutsche Städte – nicht auf eine jahrhundertealte Tradition verweisen. Erst seit 1946 wird alljährlich in der Vorweihnachtszeit ein Weihnachtsmarkt abgehalten, zunächst im Kurpark, später auf dem Mirabellplatz. 1974 übersiedelte der Christkindlmarkt auf die Plätze rund um den Salzburger Dom.
Eine „erfundene“ Tradition also, wie so vieles in der Welt der Bräuche, Trachten und zeitgenössischen Volkskunde? Keineswegs, wenn wir einen Blick in die Geschichte werfen, die von vorweihnachtlichen Märkten im Salzburg des 17. Jahrhunderts berichtet. Wenn allerdings Tradition als Versuch der Imitation vergangener Kulturen gesehen wird, dann kann auch ein Christkindlmarkt heute nur eine „erfundene“ Tradition sein. Der Wandel von Existenzbedingungen oder Kommunikationsmöglichkeiten muss auch die Kultur, die Verarbeitung der Umwelt durch die Menschen, verändern. Vergangene Ausdrucksformen in der heutigen Welt wieder zu beleben, heißt, sie neu zu erfinden.
„Ein sogenannter Christmarkt ist eigentlich für die Stadteinwohner gewidmet. Er fängt 14 Tage vor Nicolai an, und dauert noch 14 Tage darnach. Während dieser Zeit wird Puppen- und Naschwerk verkauft, und es ist jedermann gestattet, alte oder Trödelwaren öffentlich feil zu haben.“ So beschreibt Lorenz Hübner 1793 den spätestens seit dem 17. Jahrhundert rund um den Nikolaustag abgehaltenen Markt am Alten Markt.
Wie lange dieser Weihnachtsmarkt wirklich dauerte, darüber herrschte im ausgehenden 18. Jahrhundert Streit: „Seit Menschengedenken“ habe er alljährlich am Martinitag (11. November) seinen Anfang und am Thomastag (21. Dezember) sein Ende genommen, berichtet eine Quelle aus dieser Zeit. Die alteingesessenen Tändler hingegen wollten die neue Konkurrenz möglichst kurz halten und forderten – wiederum mit dem Hinweis auf die Tradition – die Einschränkung auf 14 Tage. Dieses Ansuchen wurde mit der Begründung abgelehnt, dass am Nikolaimarkt ohnehin nur Waren verkauft würden, die für die eingesessenen Tändler „zu gering“ seien.
Gerade für die ärmeren Klassen böte dieser Markt die Möglichkeit, ihre Bedürfnisse an kleineren Waren zu befriedigen oder selbst verschiedene Kleinigkeiten zu verkaufen. Somit galt der Salzburger Christkindlmarkt in der zeitgenössischen Einschätzung als „ordentlicher“ Trödelmarkt und wurde in amtlichen Berichten – wohl auch mit einer gehörigen Portion Lokalpatriotismus – in einem Atemzug mit den berühmten Märkten in Wien, Paris, Amsterdam und Nürnberg genannt.
Immer wieder versuchten Salzburger Händler, die Konkurrenz der Marktleute durch Anzeigen bei den zuständigen Ämtern aus der Stadt zu verdrängen. Im Jahr 1849 wiesen sie nicht nur auf die zu große Ausdehnung des Marktes hin, sondern auch darauf, dass der Markt den Domplatz, auf den er mittlerweile übersiedelt war, verunstalte. Der Salzburger Gemeinderat verfügte, dass der Markt nur zwei Wochen rund um den Nikolaustag abgehalten werden durfte. Diese Verordnung wurde jedoch nicht befolgt.
Gut 50 Jahre später, im Oktober 1903, wurde der Nikolaimarkt in die städtische Marktordnung aufgenommen. Vom Martinitag bis zum Heiligen Abend durften „unter den Dombögen“ Waren aller Art mit Ausnahme von Nahrungs- und Genussmitteln feilgeboten werden. Besonders für Antiquitäten und auch allerhand kuriose Gegenstände stellte der Markt einen Geheimtipp dar.
Am Ende des Ersten Weltkrieges setzte die ökonomische Krise dem Markt stark zu. Er war nur mehr „ein Schatten von dem, was er einst war“. In den frühen 1930er-Jahren kam schließlich das vorläufige Ende des Nikolaimarktes. Für mehr als das Nötigste war kaum mehr Geld vorhanden. Der Salzburger Weihnachtsmarkt hörte zu bestehen auf.
Nach der mehr als zehnjährigen Pause in der Abhaltung des Salzburger Christkindlmarktes begann – abseits der Altstadt – die Geschichte des heutigen Christkindlmarktes. Ab 1946 wurde im Kurpark ein Markt abgehalten. 1950 übersiedelte der Weihnachtsmarkt auf den Mirabellplatz, wo er sich rasch großer Beliebtheit erfreute. Aus dem Dutzend „fliegender Stände“ des Jahres 1948 waren 1960 bereits 33 feste Hütten geworden. Zehn Jahre später bevölkerten bereits 41 Marktstände und 20 Blumenhändler den Platz in der Salzburger Neustadt.
Der Bau der Parkgarage unter dem Schrannenplatz, der im November 1974 begann, machte den angrenzenden Mirabellplatz als Marktort ungeeignet. Überlegungen, den Markt in die Salzburger Altstadt zu verlegen, hatte es bereits 1970 gegeben. Vier Jahre später wurden die Pläne verwirklicht.
Die Revitalisierung der Altstadt, die in den frühen 1970er-Jahren mit der Einführung der Fußgängerzone begann, sollte den Christkindlmarkt wieder dorthin zurückbringen, wo Jahrhunderte zuvor bereits der alte Nikolaimarkt beheimatet war. 1969 wurden am Alten Markt probeweise mehrere Hütten aufgestellt, um in der Vorweihnachtszeit zu einer Belebung der Altstadt zu sorgen. Den eigentlichen Beginn des Christkindlmarktes brachte jedoch erst eine Initiative von Kaufmann Erwin Markl und Tobi Reiser d. Ä., dem „Vater“ des Salzburger Adventsingens. 1974 konnte erstmals nach mehr als 40 Jahren wieder ein Christkindlmarkt auf dem Domplatz stattfinden, mit einem Sortiment, das sich dem Anlass anpassen sollte: Weihnachtsgeschenke, Winterbekleidung, Christbäume, Blumen und Nahrungsmittel.
Ein Rahmenprogramm, vor allem musikalischer Art, sorgte zusätzlich für die nötige Weihnachtsstimmung. 1980 schrieb der Magistrat Salzburg einen Gedichtwettbewerb zum Thema Christkindlmarkt aus, den der Heimatdichter Theodor Kürzl mit einer gereimten Geschichte des Christkindlmarktes für sich entschied: „Längst wieda steht dea Brauchtumsschatz / ban Domfuaß, auf sein oitn Platz, / ei’grahmt vo Salzburgs Stolz und Pracht. / Und da Advent hoit drüba Wacht. / Da is dö staade Zeit zan gspüan / boid d’Eltern eahne Kinda füahn, / wo Stad(t) und Land an Zuaspruch nimmt / und wo ma gspüat, dass Weihnacht kimmt. / Dös ge(b)m a in manch gsegnta Stund / dö Turmbläsa dö Herzen kund.“
Der heutige Salzburger Christkindlmarkt (auf dem Dom- und Residenzplatz) ist von den Salzburger Kaufleuten ins Leben gerufen worden, um die Innenstadt zu beleben. Vom Gegensatz zwischen den Salzburger Kaufleuten und den „Standlern“ ist heute – anders als Jahrhunderte zuvor – nichts mehr zu bemerken. Die Kammer der gewerblichen Wirtschaft unterstützt die Arbeitsgemeinschaft Christkindlmarkt.
Dass die Besucher aus dem In- und Ausland seit 1982 jährlich einen eigenen „Adventkalender“ mit Informationen über die weihnachtlichen Märkte in Salzburg vorfinden, zeigt die Professionalisierung dieser Einrichtung. Sie hat sich den Bedürfnissen der Moderne angepasst und ist wesentlicher Bestandteil des Salzburger Winterfremdenverkehrs geworden. Der „Adventkalender“ begrüßt die Besucher mit einer kurzen Geschichte des Christkindlmarktes, die in vier Sprachen abgedruckt ist. Dass man hier jedoch – anders als in den Broschüren angepriesen – keineswegs der Hektik entfliehen kann, davon weiß jeder zu berichten, der jemals den Christkindlmarkt an schönen Abenden und Wochenenden besucht und einen ganz und gar nicht stillen „Event“ in der angeblich stillsten Zeit des Jahres erfahren hat.
Hervorgerufen durch den Erfolg des Christkindlmarktes rund um den Dom gibt es in Salzburg mittlerweile mehrere weihnachtliche Märkte wie den wiederbelebten Weihnachtsmarkt auf dem Mirabellplatz, den Adventmarkt im Burghof der Festung Hohensalzburg oder den Hellbrunner Adventzauber.
Literatur- und Quellenangaben (Auswahl)
[Christkindlmarkt 1974] 25 Jahre Salzburger Christkindlmarkt. In: Amtsblatt der Landeshauptstadt Salzburg (1974-11-30), S. 8 f.
[Lospichl 1970] Lospichl, Franz: Vom Salzburger Christkindlmarkt und den Tändlern. In: Amtsblatt der Landeshauptstadt Salzburg (1970-12-01), S. 2 f.
[Markl 1981] Markl, Erwin: Der Salzburger Christkindlmarkt. In: Salzburger Heimatpflege 5/3 (1981), S. 89–91.