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4.12. Das Wagrainer Herbergsuchen. Ein Heilig-Abend-Spiel (Dieter Bankosegger)

4.12.1. Kurztext[1066]

4.12.1.1. Persönliche Erlebnisse von Dieter Bankosegger

Im Dezember 1948 haben Karl und Herta Twertek (Josef und Maria), Dorothea Twertek (Engel), Alfred (Bettler) und Dieter Bankosegger (Wirt) als Kinder das Wagrainer Herbergsuchen wiederaufgenommen. Dieter Bankosegger erinnert sich:

„Am Heiligen Abend bekleideten wir uns unseren Rollen entsprechend und zogen dann um Mittag los. [...] Vor der Türe des ersten Gasthauses, dem Steinerwirt, wurden wir ängstlich, [...]. Der Engel, der als Erster hineinzugehen hatte, brauchte nicht viel zu sagen. Der Bettelmann war von Natur aus etwas unbekümmert. Nun kam ich als Wirt an die Reihe. Als ich nun unter dem Gewölbe der Küche stand und die Burschen und Männer sah, war ich arg verwirrt. Die meisten von ihnen hatten die Hüte auf. Sie rauchten Tabak und tranken Bier. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie an diesem Spiel ein Interesse haben könnten. Ich bekam ernsthafte Schwierigkeiten mit dem Text.

Nun aber merkte ich, dass etlichen von ihnen das Spiel vertraut war und sie begannen, mir einzusagen. Ich spürte sogar, dass man uns Wohlwollen entgegenbrachte und sich über unser Erscheinen freute. Wir verloren alle unsere Ängstlichkeit und Scheu und spielten das Spiel in Harmonie mit den Zuschauern zu Ende. Wir bekamen auch Lob und die Geschenke, dieses Mal hauptsächlich Geld, fielen großzügig aus. [...] Redlich teilten wir die Gaben auf und freuten uns darüber. Noch mehr aber freute uns, dass wir überall mit Wohlwollen aufgenommen worden waren.“

4.12.2. Langtext[1067]

Frauentragen und Herbergsuchen zählen zu den schönsten Bräuchen in der Adventzeit. Trug man früher ein Bild der Gottesmutter von Haus zu Haus, führt man heute, wie etwa in Wagrain, Salzburg, ein Laienspiel auf, das den Weg Maria und Josefs nach Bethlehem zum Thema hat. Dass die Mitwirkenden heimatliche Mundart und Tracht auszeichnet, ist selbstverständlich. Ich habe mich bemüht, den Text des „Wagrainer Herbergsuchens“ vollständig aufzuschreiben. Mit Georg Ortner, der viele Jahre als Wirt mitgespielt hat, habe ich den Text und die Singweise überprüft und auf Tonband aufgenommen. Zusätzlich habe ich ein von Karl Twertek besungenes Tonband verwendet. Es ist mir darum gegangen, durch den Vergleich der Fotos auf die Überlieferung des Spieles hinzuweisen und Text und Noten für die Durchführung bereitzustellen.

4.12.2.1. Erinnerungen von Dieter Bankosegger und Friedrich Loitfellner

  • Das „Herbergsuchen“ wurde immer am Heiligen Abend gespielt.

  • Die Leute gingen früh genug von zu Hause zur Mette, um das Spiel noch sehen zu können.

  • Besonderes Vergnügen bereitete das Auftreten des Bettlers. Manche Kinder fürchteten sich vor ihm.

  • Pfarrer Rettensteiner (Rettenbacher?) wartete den Spielern besonders großzügig auf.

  • Oft schien es, das Spiel würde nicht mehr aufgeführt, aber es hat sich dann doch immer wieder jemand dafür gefunden.

  • In den Jahren 1938 bis 1944 war die Aufführung des Spieles aufgrund seines christlichen Inhaltes verboten.

  • Ein besonders eifriger Spieler war Michael Koblinger. Er war Kleinhäusler und Zimmerer. Sein Anwesen gehört heute zum Heimatmuseum im ehemaligen Landrichterhaus zu Wagrain. Meistens spielte er den Josef. Er darf als Spielleiter angesehen werden.

4.12.2.2. Der Spieltext

1. Szene: Engel: (tritt ein) Gloria in excelsis Deo! Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden, die guten Willens sind!

Bettelmann: (poltert herein) Unter Blitz und Dunner! Mecht da nit oaner schelten oder fluachn bei dem verdammten Herbergsuachn? Geh i bergauf und bergnieder, bett’l i a Brot, verkaf i’s wieder, nimm i a a poar Kreuzer ein, geh i zan Wirt und kaf ma a Achterl Wein. Mir scheint, der Wirt kimmt eh schon herein.

2. Szene: Wirt: Ah guatn Abend, was ist dein Begehr’n? Bettelmann: Ob i einkehr’n kunnt beim Herrn! Wirt: Ja, warum denn nit, wann der Herr brav Geld hat! Bettelmann: Geld? Ja da schaut’s schlecht aus. / Koan Kreuzer, koan Pfenning, koan Heller, koan Knopf! Wirt: Dann pack dich hinaus, du Schelm, du Tropf! / I bin der Herr im Haus / und wer koa Geld hat, den jag‘ i hinaus! (Er packt den Bettelmann und wirft ihn vor die Tür hinaus) Für sich: Und bleibt ma vom letztenmal no was über, / dann verkaf i’s am naxtn Tag wieder. / Und hab’ i im Keller z’wenig Wein, / dann schütt’ i brav Wasser drein. / Dös macht mir koane Flaus’n! / Dös muaß mir helfen haus’n.

3. Szene: Josef und Maria hört man von draußen singen (gemächlich):

Bethlehem, o Judenstadt, hast gar kein Ort nicht mehr, wo sich bei so kalter Nacht hinlegt mein Gott und Herr. Wo er die Liebe sucht und stets bei euch einkehrt, wenn da ein Wirtshaus wär‘, bei diesem guten Mann. Wir wollen hinzu geh’n, bei diesem guten Mann. Wir wollen hinzu geh’n und wollen klopfen an.

Josef: (singt) Mein Herr, ein Zimmermann aus der Stadt Nazareth, so morgen königlich und euch erweichen lässt! Nur ein klein’s Winkelein, man kann schon zufrieden sein.

Wirt: An Zimmermann, den brauch i nit, / für den hab’ i koan Ort. / S‘ Haus voller Leut’, ‘en Stall voller Vieh! / Pack dich hinaus, i hab koa Herberg für dich!

Josef: (singt) Mein Herr, wir gehen schon alle Straßen auf und ab. Verschone doch mein Weib, sei doch nicht wie ein Stein! Nur ein klein’s Winkelein, man kann schon zufrieden sein!

Wirt: Was geht mich dein Weib an? Warum nimmst sie mit dir? Die Eifersucht hast am Krag’n wia’r a [...]! Wer woaß, ob’s’d a Geld hast, dass d‘ zahln kannst dafür?

Maria: (singt) Mein Herr, von Herzen woll’n wir alles zahlen aus was du von uns begehrst. Erlaub uns doch ins Haus, sonst ist’s mit uns heut aus.

Wirt: Mein Haus ist gebaut für Frauen und Herr’n, aber um so schlechte Leut’ wia ös seid’s, kann i mi nit scher’n! Von mir aus kann dein Weib auf der Straß’ draußt gebärn!

Josef: (singt) Ein eisenhartes Herz hat wohl dies Städtelein, man hat so großen Schmerz, möchte dringen durch Mark und Bein! Wer hat ein solches Herz, das härter ist als wie ein Stein!

Wirt: Du bist a krähfalscher Mann, ich kenn dir’s schon an! Wann die Frau entbunden hat, oft lafat’st ihr davon.

Maria: Nützt nichts! Komm, Josef, lass uns weiterziehen!

Josef und Maria: (singen) Bethlehem, o schäme dich! Bist Gottes Kreatur. Lass uns doch nicht im Stich! O Mensch betracht es nur!

Als Abschluss singen alle den „Weihnachtlichen Haussegen“:

Ein Kind ist uns geboren, / das Gott und Mensch zu gleich, / er öffnet Herz und Ohren, / ihr Christen freuet euch / Zu Bethlehem im Stalle / kehrt unser Heiland ein / Er kommt zum Trost für alle, / geliebet will er sein. // Die Hirten hören singen / die frohe Engelschar / gekrönte Fürsten bringen / Gold, Weihrauch, Myrrhen dar. / Sie legen Herz und Krone / zu Jesu Füßen hin / sie sehn in Davids Sohne / Gott selbst und preisen ihn. // Erfüll mit deinen Gnaden / Herr Jesu dieses Haus; / Tod, Krankheit, Seelenschaden, / Brand, Unglück treib hinaus! / Lass hier den Frieden grünen. / Verbanne Zank und Streit, / dass wir dir fröhlich dienen / jetzt und in Ewigkeit.

4.12.2.3. Persönliche Erlebnisse von Dieter Bankosegger

Im Dezember 1948 (ich besuchte damals die Hauptschule St. Johann im Pongau) lud mich mein Schulfreund Karl Twertek ein, beim „Herbergsuchen“ mitzuspielen. Einer seiner Verwandten hatte die Rollen des Spieles aus dem Gedächtnis aufgeschrieben. Zum Lernen dieser Rollen hatten wir eine Woche Zeit. Karl und seine Schwester Herta spielten Josef und Maria, deren Schwester Dorothea den Engel, mein Bruder Alfred Bankosegger den Bettler und ich selbst den Wirt. Karl und Herta lernten ihre Rolle von ihrem Verwandten auch singen. Einige Male probten wir mitsammen und es ging so, dass wir uns nicht zu schämen brauchten. Ein gewisser Ernst war dazu notwendig.

Am Heiligen Abend bekleideten wir uns unseren Rollen entsprechend und zogen dann um Mittag los. In den ersten Häusern ging es recht gut und der Lohn bestand zum Großteil aus Gebäck. Vor der Türe des ersten Gasthauses, dem Steinerwirt, wurden wir ängstlich, wohl auch deswegen, weil wir wussten, dass dieses Spiel sonst nur von Erwachsenen gespielt wurde und wir nach dem Krieg wieder einen Anfang damit machten. Durch die Küchentür (das Gastzimmer war wegen der geringen Zahl der Gäste geschlossen) hörte man Männerstimmen, manchmal auch das Geklapper von Geschirr.

Der Engel, der als Erster hineinzugehen hatte, brauchte nicht viel zu sagen. Der Bettelmann war von Natur aus etwas unbekümmert. Nun kam ich als Wirt an die Reihe. Als ich nun unter dem Gewölbe der Küche stand und die Burschen und Männer sah, war ich arg verwirrt. Die meisten von ihnen hatten die Hüte auf. Sie rauchten und tranken Bier. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie an diesem Spiel ein Interesse haben könnten. Ich bekam ernsthafte Schwierigkeiten mit dem Text. Nun aber merkte ich, dass etlichen von ihnen das Spiel vertraut war und sie begannen, mir einzusagen. Ich spürte sogar, dass man uns Wohlwollen entgegenbrachte und sich über unser Erscheinen freute. Wir verloren alle unsere Ängstlichkeit und Scheu und spielten das Spiel in Harmonie mit den Zuschauern zu Ende. Wir bekamen auch Lob und die Geschenke, dieses Mal hauptsächlich Geld, fielen großzügig aus.

Dieses Erlebnis machte uns für die nächsten Hausbesuche sicher. Als wir die Runde durch Wagrain und die näher am Ort liegenden Häuser beendet hatten, war es schon dunkel. Redlich teilten wir die Gaben auf und freuten uns darüber. Noch mehr aber freute uns, dass wir überall mit Wohlwollen aufgenommen worden waren.

4.12.2.4. Das „Wagrainer Herbergsuchen“ in Bildern

Beim Vergleich der Fotos aus den Jahren 1935 und 1955 fällt auf, dass trotz des großen Zeitunterschiedes eine gewisse Ordnung und Überlieferung (Tradition) erkennbar ist. Das im Jahre 1985 gemachte Foto weist nur in einigen Punkten auf die in den anderen Bildern aufgezeigte Überlieferung hin.

Das „Wagrainer Herbergsuchen“ 1935

JOSEF trägt einen niederen, breitkrempigen Hut. Der Überwurfmantel besteht aus einem längeren und einem darübergelegten kürzeren Teil. Die große Strohtasche wird mithilfe eines über die Schulter gelegten Stabes auf dem Rücken getragen. Dieser Stab hat aber keine Ähnlichkeit mit einem Wanderstab. Er ist gerade geschnitten, im Querschnitt rechteckig vierkantig und als Wanderstab äußerst unhandlich. Auch zum Tragen erscheint er sperrig und reichlich unpraktisch. Er erinnert eher an eine Messlatte und soll vielleicht als Zeichen dafür angesehen werden, dass Josef zur Zunft der Zimmerleute gehörte.

MARIA trägt zum einfachen Kleid ein großes, gestreiftes Tuch, das über den Kopf und die Schultern gelegt wird.

Der ENGEL trägt eine sich nach oben verjüngende Kappe, deren Spitze mit einem Kreuz verziert ist. Das Haar ist aufgelöst. In der Hand hält er einen Stab, dessen Spitze ebenfalls ein Kreuz ziert. Das lange, weiße Kleid wird mit einem Gürtel zusammengehalten.

Der WIRT trägt auf dem Kopf die früher übliche reich bestickte Samtkappe. Über dem weißen Hemd (mit Halsbinde) wird ein Samtleibl getragen. Dazu gehört der Ranzen (= lederner Bauchgurt), an dem die mit Silbertalern behängte Uhrkette befestigt ist. Die weiße Schürze, deren eine Ecke am Bund eingesteckt ist, gehörte zur üblichen Ausrüstung der Wirte.

Das „BETTELMANDL“ hat um den Hutgupf des (sichtlich nicht mehr neuen) Hutes ein buntes Tuch gebunden. Der ungepflegte Bart ist selbstverständlich, ebenso die im Mundwinkel hängende Tabakpfeife mit einem längeren Rohr. Um die Schulter hängt eine Art Hirtentasche, in diesem Fall der Bettelsack. Die Schnur mit den zwei Quasten, die unter dem Rock hervorlugt, ist ebenfalls nicht zu erklären. Der Bettelstab gehört zum Bettler dazu.

4.12.2.5. Beobachtungen zum Text

Auf den Fotos aus den Jahren 1935 und 1955 sind keine Hirten zu sehen und es ist auch mir nichts bekannt, dass etwa Hirten mitgespielt hätten. In der Niederschrift des Herrn Arthur Schlager kommt aber eine Szene mit drei Hirten vor. Diese hat in der Sprachformulierung einen ganz anderen Charakter als die Szenen vorher. Es muss festgestellt werden, dass der „Weihnachtliche Haussegen“ als Gesang der Hirten gedacht ist und sich dadurch auch besser in das Gesamtspiel einfügt als es bei dem jetzt üblichen Spiel der Fall ist. Die Herbergsuche wurde um das Hirtenspiel verkürzt, außerdem wurden Teile des Gespräches zwischen Josef und dem Wirt weggelassen. Der übrige Text deckt sich mit der Niederschrift von Herrn Arthur Schlager.

Der Wirt und der Bettler sprechen Mundart, der Engel, Maria und Josef äußern sich in gepflegter Hochsprache, wobei die Worte von Josef und Maria durch den Gesang noch überhöht werden. Manche „alterthümliche“ Sprachformen dürften von den Darstellern nicht richtig verstanden worden sein, weshalb sie auch nicht ganz richtig wiedergegeben werden und eigentümlich klingen. Vielleicht wäre hier eine Überarbeitung angebracht. Die Hirtenszene dürfte von einem Autor mit höherem Bildungsgrad stammen. Jedenfalls kommt es selten vor, dass man Hirten, die ja einen niederen Stand vertreten, in einer gehobenen Sprache sprechen lässt.

Betrachtet man den Text des „Weihnachtlichen Haussegens“ näher, so stellt er den Inhalt einer Weihnachtspredigt dar. Er ist in Hochsprache geschrieben und in eine gereimte Form gebracht worden, wie man es eigentlich nur einem theologisch geschulten Mann zutrauen kann. Allein schon der Titel „Weihnachtlicher Haussegen“ deutet darauf hin. In einigen Liederbüchern wird seine Entstehung bzw. Niederschrift in der Mitte des 19. Jahrhunderts festgelegt. Das ist die Zeit, in der Joseph Mohr als Pfarrvikar (1837 bis 1848) in Wagrain wirkte. Ich wage die Vermutung auszusprechen, dass uns Joseph Mohr mit diesem Lied ein Andenken hinterlassen hat. So wie „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ gerne gesungen wird, so erfreut sich auch der „Weihnachtliche Haussegen“ noch großer Beliebtheit.



[1066] Kurzfassung von Melanie Wiener-Lanterdinger.

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