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5.8. Wilde Jagd. Darstellung aus der Sicht eines Mitwirkenden (Adolf Freudl)

5.8.1. Kurztext

5.8.1.1. Die Wilde Jagd als Perchtenbrauch

Die zeittypische Erscheinungsform der Perchtenbräuche hat sich, seitdem es konkrete Aufzeichnungen – abgesehen von den bereits sehr früh aufscheinenden Verboten – gibt, in vielfacher Weise Veränderungen unterziehen (lassen) müssen.

Kern des jeweiligen Brauches ist ein ritualisierter Umzug mit Tänzen, szenischen Dialogen bzw. Spielszenen einer bestimmten Gruppe von Masken oder Figuren, der an einem oder mehreren unmittelbar hintereinanderliegenden Tagen ausgeführt wird.

Eindeutig auszunehmen sind immer wieder Elemente des Rügens und Heischens, aber auch des Ehrens, Glückwünschens (und Dankens). „Die Beachtung des Kerns, über den Einvernehmen herrscht, wird von den Trägern der Überlieferung kontrolliert, so dass in der Fluktuation Konstanz, Kontinuität gewahrt wird.“[1567]

5.8.1.2. Die „Wilde Jagd“ vom Untersberg

Der Perchtenlauf der Wilden Jagd wird bzw. deren Figuren werden immer mit dem südlich der Landeshauptstadt Salzburg aufragenden Hausberg, dem Untersberg, in Verbindung gebracht. Dies ist einer der Eckpunkte dieses Brauches – Sagenwelt Kaiser Karls –, woraus sich aber unweigerlich ein anderer Eckpunkt ergibt – nämlich die Sagenwelt, die mit diesem Berg verbunden ist, ähnlich dem Kyffhäuser im Harz (Kaiser Barbarossa). „Durch das Christentum wurden die alten Götter in Schreckensbilder verwandelt und damit gezwungen, in hohlen Bergen zu hausen oder in den Lüften herumzuirren“.

Damit hängt eben auch die Wilde Jagd, „s’wilde Gjoad“, zusammen. „Gleich einem Sturmwind braust der Geisterzug heran, verworrenes Geheul schallt durch die Lüfte, man hört Pferde wiehern, Hunde bellen, Peitschenknall und Jagdrufe. Wehe dem nächtlichen Wanderer, er ist unrettbar verloren, wirft er sich nicht sogleich mit dem Gesicht auf die Erde und lässt den Geisterzug vorbeirasen.“

So lautet eine Definition, die uns von Nicolaus Huber (gest. 1887) überliefert ist, der sich im ausgehenden 19. Jahrhundert – einer Zeit, die mythische und vorchristliche Anbindungen suchte und eine Vorliebe für „Altertümer“ hatte – ausführlich mit dieser Sagenwelt beschäftigte und seine „Sagen vom Untersberg“[1568] veröffentlicht hat.

5.8.1.3. Die Figuren der Wilden Jagd

Die Wilde Jagd wird von den Brauchausführenden, der Gruppe „Jung Alpenland“, am zweiten Donnerstag im Dezember durchgeführt. Zwölf Figuren – bis auf Tod, Hexe und Habergoaß handelt es sich um tanzende Perchten – nehmen teil an der Wilden Jagd, deren Ort nicht bekannt gegeben wird:

Der Gesellschaft voran schreitet die/der Vorpercht.

Der Trommelschlag des Todes bestimmt den Ablauf des Geschehens.

Der Rabe weist einen Bezug zur Sage des im Berg schlafenden Kaisers auf.

Das Moosweiberl und der Baumwercher zählen zu den „schiachen“ Figuren.

Der Schrei des Hahnengickerls soll das Böse verscheuchen.

Der Riese Abfalter ist als „Riese des Untersberges“ eine gutmütige, lokale Sagengestalt.

Der Saurüssel zählt zu den „schiachen Perchten“.

Der Bär wird geführt vom Bärentreiber.

Die Hexe wird dem „hässlichen“ Figurentypus zugeordnet.

Die Habergoaß tritt in unterschiedlicher Form bei Perchten- und Nikolausaufzügen im Alpenbereich auf.

5.8.2. Langtext

Es ist schon eine auffallende Zeiterscheinung, aber Perchten und Perchtenbräuche erfreuen sich seit einigen Jahren einer immer größer werdenden Wertschätzung. Auf Jung und Alt und quer durch alle Gesellschaftsschichten üben diese angeblich überlebten Bräuche eine Anziehungskraft aus, die einerseits fast schon beängstigend wirkt, andererseits aber für die Brauch-Ausübenden äußerst motivierend ist. Vielleicht hängt diese, weiten Bevölkerungskreisen gemeinsame Wertschätzung damit zusammen, dass das vermeintlich hohe Alter der Perchtenbräuche ihnen im Allgemeinen Würde verleiht und Ehrfurcht abverlangt. Auf das Bundesland Salzburg bezogen, können diese Bräuche als Belege und Zeugnisse der eigenen Vergangenheit angesehen werden.

Vom momentanen Zeitgeist ausgehend, ist aber auch eine modernere Interpretation durchaus legitim. Erfolg und Misserfolg, Akzeptanz oder Ablehnung von Perchtenbräuchen werden auch in der Zukunft von der, für die Mitwirkenden so wichtigen, „richtigen Positionierung im volkskulturellen Bereich“ abhängig sein. Man könnte diese auch als Marken im handelsüblichen Sinn bezeichnen. „Marken sind immer gefragt, denn sie stehen für etwas ganz Spezielles. Marken sind besondere Ausprägungen, sind etwas Besonderes, weshalb sie auch mehr Zuwendung und Interesse bekommen.“[1569] Dies färbt erfahrungsgemäß auch auf die tragenden Personen oder Organisationen ab, weil damit besondere Verhaltensweisen verbunden werden, die dadurch gelebt werden. Die Art und Weise der Präsentation ist ein weiterer Fixpunkt. „Mit Marken fühlen sich die Menschen ‚dabei‘ und ‚in‘, da kann man hingehen und gewinnt an Image und Prestige.“

Die zeittypische Erscheinungsform der Perchtenbräuche hat sich, seitdem es konkrete Aufzeichnungen – abgesehen von den bereits sehr früh aufscheinenden Verboten– gibt, in vielfacher Weise Veränderungen unterziehen (lassen) müssen. Kern des jeweiligen Brauches ist ein ritualisierter Umzug mit Tänzen, szenischen Dialogen bzw. Spielszenen einer bestimmten Gruppe von Masken oder Figuren, der an einem oder mehreren unmittelbar hintereinander liegenden Tagen ausgeführt wird. Eindeutig auszunehmen sind aber immer wieder Elemente des Rügens und Heischens, aber auch des Ehrens, Glückwünschens (und Dankens). „Die Beachtung des Kerns, über den Einvernehmen herrscht, wird von den Trägern der Überlieferung kontrolliert, so dass in der Fluktuation Konstanz, Kontinuität gewahrt wird.“[1570] Josef Pieper definiert das Teilhaben an einer Tradition, in einer Tradition zu stehen wiederum so: Das Überlieferte eben als d a s annehmen, was es ist. Das heißt, ich akzeptiere das Überlieferte als wahr und gültig, obwohl ich diese Gültigkeit nicht kritisch nachprüfen kann.

Es steht außer Zweifel, aber der Perchtenlauf der Wilden Jagd wird bzw. deren Figuren werden immer mit dem südlich der Landeshauptstadt Salzburg aufragenden Hausberg, dem Untersberg, in Verbindung gebracht. Dies ist einer der Eckpunkte dieses Brauches (Sagenwelt Kaiser Karls), woraus sich aber unweigerlich ein anderer Eckpunkt ergibt – nämlich die Sagenwelt, die mit diesem Berg verbunden ist, ähnlich dem Kyffhäuser im Harz (Kaiser Barbarossa). „Durch das Christentum wurden die alten Götter in Schreckensbilder verwandelt und damit gezwungen, in hohlen Bergen zu hausen oder in den Lüften herumzuirren.“ Damit hängt eben auch die Wilde Jagd, „s’wilde Gjoad“, zusammen. „Gleich einem Sturmwind braust der Geisterzug heran, verworrenes Geheul schallt durch die Lüfte, man hört Pferde wiehern, Hunde bellen, Peitschenknall und Jagdrufe. Wehe dem nächtlichen Wanderer, er ist unrettbar verloren, wirft er sich nicht sogleich mit dem Gesicht auf die Erde und lässt den Geisterzug vorbeirasen.“ So lautet eine Definition, die uns von Nikolaus Huber (gest. 1887) überliefert ist, der sich im ausgehenden 19. Jahrhundert – einer Zeit, die mythische und vorchristliche Anbindungen suchte und eine Vorliebe für „Altertümer“ hatte – ausführlich mit dieser Sagenwelt beschäftigt und seine „Sagen vom Untersberg“[1571] veröffentlicht hat. Eine von vielen soll hier stellvertretend für die von Nikolaus Huber gesammelten Sagen stehen:

„Vor mehreren hundert Jahren hauste auch der Riese Abfalter auf dem Untersberge. Noch sieht man einen großen Felsgraben auf dem Rücken des Berges, der ihm zum Lager diente. Die Hügel von Wals, Liefering und Maxglan, sowie die Golserhügel da und dort, auf denen jetzt meistens Kirchen stehen, sollen von den Steinen herrühren, die er bisweilen zum Zeitvertreib herabwarf. Am Fuße des Gaisberges soll er einst einer Riesenjungfrau begegnet sein, welche, vom Abersee kommend, Steine in der Schürze trug, um auf selben als Trittsteinen über die Salzach zu schreiten, selbe aber unterwegs unbemerkt bei Plainfeld verloren hatte, weil die Schürze ein Loch bekam. Abfalter soll sie dann über die Salzach getragen haben.“

Zum 40. Lauf, der im Dezember 1988 durchgeführt wurde, erhielt der Trägerverein – die „Brauchtumsgruppe Jung Alpenland“ (gegründet 1947; nicht zu verwechseln mit der NS „Landesbauernschaft Alpenland im Reichsnährstand“, die auch andere Bräuche im Jahrlauf durchführte[1572]), beheimatet in der Stadt Salzburg – Aussagen eines Mannes in schriftlicher Form, der vor mehr als vierzig Jahren eine maßgebliche Rolle dabei gespielt hat, dass es das „Wilde Gjoad“ in der heutigen Form wieder gibt, nämlich von Werner Dürnberger.

Sogar in der 2001 erschienenen Neuauflage des Salzburger Kulturlexikons[1573] wird die Wilde Jagd erwähnt. Unter diesem Schlagwort ist zu lesen, dass der „von Kuno Brandauer 1949 neu begründete Maskenlauf als Vermengung der Sage von der Wilden Jagd (in der NS-Zeit zu Wodans Wildem Heer umgedeutet) mit Figuren der Untersbergsage und den Perchten“ zu sehen ist. Dazu ist allerdings anzumerken, dass Jung Alpenland diese Meinungen nicht unbedingt teilt.

Ich fühlte mich 40 Jahre zurückversetzt

„Am 9. Dezember 1988 fand wieder der Lauf des ‚Wilden Gjoads‘, dieses Mal in Leopoldskron-Moos, statt. Da er sich in diesem Jahr zum vierzigsten Mal wiederholte, bat mich Michael Nußdorfer sen., seines Zeichens Leiter der Landesarbeitsgemeinschaft für Volkstanz und Obmann der Brauchtumsgruppe Jung Alpenland, die Masken der Figuren, die ja im Laufe der Jahre sehr gelitten haben, neu zu bemalen. Mit Freude übernahm ich diese Arbeit. Während dieser Tätigkeit schien es mir, als sei die Zeit stehengeblieben. Ich fühlte mich vierzig Jahre zurückversetzt. Ja, ich erinnere mich ganz genau, wie alles begonnen hat. Meine Erinnerung an das ‚Wilde Gjoad‘ reicht sogar noch weiter zurück. In die Zeit, als ich zur Schule ging – in die dreißiger Jahre.

Mein Vater, der damals schon verstorben war, hinterließ Entwürfe zu Illustrationen, Federzeichnungen und Skizzen [heute im Untersbergmuseum der Marktgemeinde Grödig in Fürstenbrunn, Kugelmühlweg 4], darunter auch über die Untersberg-Sagenwelt. Viele dieser Zeichnungen habe ich nie wieder gesehen. Erst Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, ich glaube, es war 1957 oder 1958, kam ich mit Kuno Brandauer zu Dr. Martin Hell, der eine Original-Federzeichnung meines Vaters besaß – den ‚Riesen Abfalter vom Untersberg‘.

Ich selbst war 1942 in die ‚Meisterschule des Deutschen Handwerks‘[1574] gekommen, die spätere Kunstgewerbeschule am Rudolfskai. Dort lernte ich Kuno Brandauer kennen. Er war mein Lehrer und unterrichtete Heimat- und Brauchtumskunde. Die Grundbegriffe der Holzbildhauerei brachte mir Prof. Sepp Piffrader bei (Bildhauer, geb. 1882 in Klausen, gest. 1958 in Salzburg). Malunterricht nahm ich bei Prof. Franz Jung-Ilsenheim [siehe dazu: Katalog von Nikolaus Schaffer „Franz Jung-Ilsenheim. Illustrator der Geschichte 1883–1963“, erschienen 1984], wohl einem der bedeutendsten Historienmaler Salzburgs.

Leider mußte ich im Herbst 1943 einrücken, kam aber schon 1945 wieder gut nach Hause. Nach all dem Chaos und Zusammenbruch hatte jeder den Willen zum Wiederaufbau. Dazu gehörte auch die Brauchtumspflege. 1947 wurde die Brauchtumsgruppe Jung Alpenland gegründet, der ich mich mit Hingabe anschloß. Es würde hier zu weit führen, wollte ich alle Tätigkeiten und Erfolge der Gruppe (mit Unterstützung von Kuno Brandauer und Tobias Reiser sen.) aufzählen. Aber die eine Errungenschaft, nämlich die Wiederbelebung der ‚Wilden Jagd‘, möchte ich hier wiedergeben.

Es war im Sommer 1948, als ich mit Edwin Vogel, dem Gründungsobmann des Vereines, über die Idee sprach, einen Perchtenlauf zu beleben, den es einmal im südlichen Flachgau gegeben haben soll. Beide wußten wir natürlich zu wenig darüber, also gingen wir zu Kuno Brandauer. Dessen Begeisterung war groß. Er erzählte uns sogleich, daß sein Vater bei der letzten Wilden Jagd um etwa 1880 selbst dabei war. Er beschrieb uns auch die Figuren. Das Wissen um diesen alten Brauch beflügelte uns. Brandauer’s Begeisterung hatte mich angesteckt. In wenigen Tagen fertigte ich Bleistiftskizzen von den Masken an. Nachdem diese von Kuno Brandauer begutachtet worden waren, wurden sie auch im wesentlichen so ausgeführt. So kann ich mit Stolz und Recht behaupten, daß die Initiative zur Belebung dieses Perchtenlaufes von mir und Jung Alpenland ausging, der geistige Vater all dessen aber wohl Kuno Brandauer hieß.

Aber kommen wir zurück zur Gegenwart. Die Mitglieder der Gruppe, die damals dabei waren, wurden längst von Jüngeren abgelöst. Die Verantwortlichen setzen aber alles daran, daß dieser Brauch in seiner Natürlichkeit erhalten bleibt und nicht zur Schau ausartet. Der Ehrgeiz und der Wille, mitlaufen zu dürfen, ist bei den Jungen groß, so daß man sich um das Weiterbestehen dieses guten, alten Rauchnachtsbrauches keine Sorgen machen muß!“

Bei dieser Gelegenheit ist noch ein anderer Name zu erwähnen, der ebenfalls bei der Wiedereinführung des Brauches eine Rolle gespielt hat, nämlich Walter Dahel. Dessen Vater, seines Zeichens Historienmaler, hatte sich auch bereits mit der Wilden Jagd beschäftigt und Skizzen entworfen, die dann von Walter Dahel eingebracht werden konnten.

Durch eine glückliche Fügung hat sich Mitte des vergangenen Jahrzehntes eine Gewährsperson bei den Verantwortlichen von Jung Alpenland gemeldet. Mit ihren Informationen hat diese Person aus der Verwandtschaft Kuno Brandauers Maßgebliches beitragen können. Aufgrund dieser Aussagen liegt jetzt der Nachweis auf dem Tisch, dass sehr wohl bereits in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg auf dem Dachboden eines Hauses in Anif Masken, die eindeutig der Wilden Jagd zugeordnet werden können, aufbewahrt wurden. Diese Masken müssen, was ihr Aussehen und ihre mündlich überlieferte Verwendung anbelangt, auf das letzte Viertel des 19. Jahrhunderts zurückdatiert werden.

In den etwas mehr als fünfzig Jahren, seitdem die Wilde Jagd wieder gelaufen wird, hat sich auch die Einstellung zu dieser und die Meinung über diese Rarität gewandelt – sowohl von der Bevölkerung her als auch von den Perchtenträgern selbst. Am Anfang war die „verschworene Gemeinschaft“ fast wirklich nur für sich im Weichbild des Untersberges unterwegs, um bei einigen wenigen Bauernhöfen nach dem Rechten zu sehen. Das Verständnis der Leute war viel natürlicher, man stand dem Treiben positiv und ungezwungener gegenüber. Die Ursache dafür könnte auch darin gelegen sein, dass der Perchtenlauf nicht mehr in der Erinnerung des Großteils der Bevölkerung vorhanden war und die Neugierde obsiegte. Die Perchten wiederum waren bei ihrem (als „raunächtlich“ bewerteten) Treiben auf sich allein gestellt, wiewohl der Gemeinschaftsgeist diese Gruppe von Jahr zu Jahr immer enger zusammengeführt hat. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, war es nicht nur zu Beginn so, sondern kann auch jetzt – nach mehr als fünf Jahrzehnten – festgestellt werden, dass es etwas Besonderes war und ist, als Percht unterwegs zu sein.

Die Geschichte des Wilden Gjoad’s und der Masken wird innerhalb der Gruppe als Überlieferung weitergegeben. Einige wenige Masken wurden zum Beispiel erst dann an den nächsten Träger übergeben, wenn sich im Verein ein Jüngerer dazu angeboten hatte. Sein Auftreten, seine Einstellung und sein körperliches Gehabe waren meist ausschlaggebend dafür, dass er im Zuge der jährlichen Perchtensitzung für diese oder jene spezielle Maske als Träger ausersehen wurde.

Diese jährliche Perchtensitzung, zu der grundsätzlich nur die männlichen Vereinsmitglieder zugelassen sind, wurde deshalb ins Leben gerufen, um im „verschworenen“ Kreis festzulegen, wo denn jeweils die Wilde Jagd unterwegs sein werde. Meist wird den Verantwortlichen des Vereines schon vorher ein Angebot eines oder mehrerer Orte im Weichbild des Untersberges gemacht, oft persönlich durch die Person des Bürgermeisters übermittelt. Darüber musste bzw. muss dann in demokratischer Art abgestimmt werden. Wenn einmal kein Angebot vorliegt, was auch vorkommt, wird meist auf die lückenlos geführte Perchtenchronik zurückgegriffen und ein Ort ausgewählt, der schon längere Zeit nicht mehr besucht worden ist. Wenn alle Anwesenden mit dem Vorschlag einverstanden sind, wird mit einem Gewährsmann in diesem Ort Kontakt aufgenommen und die Organisation in die Wege geleitet.

Die zuvor genannte Perchtenchronik stellt nach Wissen des Verfassers ein Unikum dar, weil zumindest gegenwärtig keine vergleichbaren Aufzeichnungen bekannt sind. Diese Perchtenchronik wird neben der bereits mehrere Bände umfassenden Vereinschronik geführt. Mit Fotos versehen wird der jährliche Ablauf im jeweiligen Ort dokumentiert, besondere Vorfälle werden ebenso festgehalten wie die Namen der Personen, die die einzelnen Figuren getragen haben oder sonst in verantwortlicher Art und Weise zum Gelingen beigetragen haben. Parallel zu den Ausführungen über die Wilde Jagd werden in dieser Chronik auch die Aufzeichnungen über den Glöcklerlauf in der Salzburger Altstadt (seit 1968) festgehalten.

Bei den Perchtenläufen unseres Kulturkreises handelt es sich immer um Großformen, d. h. die Percht tritt immer in der Mehrzahl auf. Nicht nur an die geisterhafte Einkehr der Percht in den Häusern wie auch an das Tun der Masken knüpft sich der Glaube, dass damit Glück und Segen verbunden sei. In manchen Gegenden wird das auch so ausgelegt: „Viele Perchten, gutes Jahr!“

Der freundlichen, schenkenden Seite der Percht steht eine nicht weniger ausgeprägte drohende, unheilbringende gegenüber. Ungestraft darf man sich ihr nicht nähern, das zeigen schon die vielfachen Sagen[1575] von den Vorwitzstrafen für alle, die die Percht(en) heimlich belauschen wollen. Im Fall der Wilden Jagd verhält es sich aber anders. Tierverwandlungen, die es auf allen Erdteilen und bei allen Völkern gibt, spielen eine sehr bestimmte und vor allem räumlich bezogene Rolle. Die Verwandlung in Bären kommt seit dem Mittelalter in vielen Bräuchen des Alpenraumes vor. Der Bär ist zum Symbol der alten Jahreszeit, der Wildheit und der Kraft geworden. Am stärksten mit den Vorstellungen der alpenländischen Bevölkerung verhaftet blieben, so Anton Dörrer, Fantasiegebilde wie Schnabeltiermenschen und Drachen, Vermenschlichungen von Landschaft und Naturgebilden wie Bergriesen und brüllende Seen, Personifizierungen und Naturerscheinungen wie Unwetter und Lawinen, Sturmwind und Wilde Jagd und besondere Krankheitsdämonen in der Bergwelt, wenngleich viele ihrer Bezeichnungen im Alltag nur mehr als Redensarten anklingen und einzig bei außerordentlichen Geschehnissen noch etwas von der früheren dämonischen Wirklichkeit zurückgewinnen.[1576]

Die bäuerliche Bevölkerung bringt bis heute, oft unbewusst oder auch nur in Redensarten, Missernten und Naturkatastrophen mit höheren Naturgewalten in Zusammenhang, die in den Sagen als verehrte, umworbene und gefürchtete Mächte erscheinen – weil die rationale Erklärung dafür fehlte. Trotz aller Verbote des aufgeklärten Absolutismus, trotz aller naturwissenschaftlichen Erkenntnisse sind solche Zuweisungen auch heute noch manchmal Teil der Ausdeutungen. So sind Bräuche als soziale Indikatoren mit historisch-regionalem Hintergrund zu verstehen.

„Gerade in unserer Salzburger Gebirgsheimat hat sich der Glaube bis heute erhalten, daß in den Rauhnächten die Verbindung mit der Geisterwelt leichter als sonst herzustellen sei. Es liegt eine tiefe Verbundenheit mit der Natur in diesem Glauben. Um die Fruchtbarkeit der Erde wieder zu erlangen, hielt man es für notwendig, die bösen Geister abzuwehren, die zu dieser Zeit ihr Unwesen treiben, aber auch die guten Geister, die man in diesen Nächten auch unterwegs glaubte, zu befragen. Es galt daher, diese Unholde zu bekämpfen. Diese Dämonenbeschwörungen fanden meist durch Abbrennen von Feuer und Räucherwerk statt, so daß man diese Nächte auch Rauchnächte nennt. Diese Nächte haben sich als Rest hoher Festtage heidnischer Vorzeit im Glauben des Volkes erhalten und bilden noch heute die Hauptzeit für das Brauchtum ältester Herkunft.“[1577]

Die zwölf Nächte zwischen dem Thomastag (21. Dezember) und dem Fest der Heiligen Drei Könige (6. Jänner) spielten im Volksglauben eine große Rolle, weil sie für die finsterste Zeit des Jahres, voll der Geheimnisse, voll Zauber und Weissagung gehalten wurden. Heute leben diese Meinungen mit der Renaissance der Bräuche wieder auf. Im Österreichischen Volkskundeatlas schreibt dazu Richard Wolfram (der aus der Much-Gruppe der Wiener Mythologischen Schule[1578] kommend, speziell germanische Rituale in Bräuchen suchte): „Dieser Vorstellungskreis gehört zu den bemerkenswertesten und schwierigsten in der überlieferten Brauch- und Glaubenswelt unseres Volkes. Er umfaßt einerseits eine mythische, geisterhafte, im Brauch aber auch wirklich dargestellte ‚Frau Percht‘, andererseits aber ‚die Perchten‘ als einen Schwarm von Masken ohne eigentliche Percht als Anführer, aber mit einer gewissen Kerngruppe.“[1579]

Diese speziellen – wenn auch historischen –, aber für die Ausführenden wichtigen Bewertungen von Masken zeigen, dass jede einzelne Maske eine bestimmte Ausstrahlung hat. Die Verwandlung in eine einem Menschen unähnliche Gestalt veranlasst auch in unserer modernen Zeit eigentlich jeden Perchtenträger, sich für die Dauer des Brauches der jeweiligen Figur im ganzen Gehabe anzupassen. Das soll nicht heißen, dass man sich jetzt völlig enthemmt gehen lassen kann, weil ansonst der ganze Lauf ein Durcheinander und seines Sinnes entleert dargebracht würde. Trotzdem besteht die Möglichkeit, sich den Mitmenschen einmal auf andere Art und Weise zu nähern, aber ein gewisser Rahmen darf dessen ungeachtet nicht gesprengt werden. Es bestehen auch so noch genügend Möglichkeiten des Austobens und es ist nicht erst einmal passiert, dass das wilde Treiben „konditionelle Opfer“ gefordert hat.

Einige Absätze zuvor war bereits die Rede von der Zahl 12. Bei der Wilden Jagd gibt es zwölf Figuren; benötigt werden für die Darstellung aber dreizehn Personen:

Die/Der Vorpercht – schreitet der Wilden Jagd voran, klopft an Türen und Fenster und kündet die unheimlichen Begleiter an. Diese Figur ist es auch, die sich mit dem Spruch „Glück hinein, Unglück heraus, es ziagt des Wilde Gjoad um’s Haus!“ unmittelbar an die Menschen wendet. Die Vorläufer, wie immer sie auch jeweils heißen, sind in vielen Bräuchen und Maskenaufzügen als Ankünder enthalten.

Der Tod – Zentralfigur der „Wilden Jagd vom Untersberg“, eigentlicher Anführer des unheimlichen Zuges. Er markiert mit seinem Trommelschlag den Rhythmus und bestimmt damit den Ablauf des Geschehens.

Der Rabe – dieser Vogel gilt als Sturm- und Götterbote. Im Naturglauben vieler Völker gilt der Rabe wegen seiner schwarzen Farbe, seines unheimlichen Krähens und seiner Frechheit als Unglücks- oder Seelenvogel, andererseits aber auch als kluger und beratender Begleiter des Menschen. Sein Bezug zum Untersberg entstammt der Sage vom schlafenden Kaiser im Berg.

Das Moosweiberl – eine der „schiachen“ Figuren, die gedankliche Verbindungen zu den Baumwerchern und Hexen in den Maskenaufzügen zulässt, aber ebenfalls zum Moor, das an den Untersberg angrenzt.

Der Baumwercher – Baumwercher und Moosweiberl zählen zu den Waldgeistern und bilden den Übergang zu den Zwergen, die im Berg hausen, während Moos- und Holzleute in den dem Untersberg vorgelagerten Wäldern und Mooren wohnen. Baumwercher und ihre in andere Naturmaterialien gekleideten „schiachen“ Verwandten zählen zur Gruppe der „hässlichen“ Masken, die in vielen europäischen Maskenaufzügen zu finden sind.

Der Hahnengickerl – in der Volksmeinung gilt der Hahn als Symbol der Wachsamkeit und der Fruchtbarkeit. Sein Schrei verscheucht den Teufel und verkündet das Nahen der Sonne, das Ende der Finsternis.

Der Riese Abfalter – der Riese des Untersberges – eine der typischen lokalen Sagengestalten – wird als menschenfreundlich und gutmütig geschildert. Als Vertreter seiner Schar sprach er friedlich mit den Bewohnern des Dorfes Grödig und ermahnte sie, ein frommes und ehrbares Leben zu führen.

Der Saurüssel – im keltischen Mythenkreis galt das Schwein bzw. der Eber als heiliges Tier der großen Göttin (und in der Antike als Symbol der Fülle und damit als Monatszeichen des Jänner und glückliches Vorzeichen für den Jahresbeginn); steht in der Wilden Jagd für die „schiache Percht“ schlechthin.

Der Bär – Sinnbild der Kraft und Tapferkeit; die Kraft des Bären wird auch als Frühlingskraft gedeutet, die schließlich den Winter besiegt, gilt aber ebenso als Symbol der Güte gegenüber dem Schwachen. Diese Figur wird geführt vom Bärentreiber.

Der Bärentreiber – Bär und Bärentreiber sind vom ausgehenden Mittelalter weg auch typische Akteure auf Jahrmärkten und im Faschingstreiben. So wurden sie Bestandteile vieler volkstümlicher Aufzüge.

Die Hexe – ist eigentlich dem „hässlichen“ Figurentypus zuzuordnen, steht aber für Kuno Brandauer im Kontakt zum Sagenkreis der „Wilden Frauen vom Untersberg“. Das ist allerdings ein Widerspruch, denn die Wildfrauen werden immer nur als „holdselig“, „schön“, „lieblich“, „überirdisch schön“ etc. bezeichnet. Darüber hinaus sind Hexen fixer Bestandteil von Aufzügen weit über den Alpenbogen hinaus.

Die Habergeiß – Spukgestalt, die oftmals als Monstrum mit Ziegenkopf und dreibeinigem Vogelkörper dargestellt wird (der Vordermann trägt den Kopf, während sich der zweite Mann „blind“, weil die ganze Zeit gebückt unter der Rückendecke versteckt, auf seinen Gefährten verlassen muss). Auch sie hat ihre Verwandten in Perchten- und Nikolausaufzügen im Alpenbereich.

Der Brauch der Wilden Jagd wird von den Ausführenden als „Vor-Raunachtsbrauch“ bewertet und immer am zweiten Donnerstag im Dezember durchgeführt. Von kirchlicher Seite gesehen, gelten seit dem frühen Mittelalter diese Donnerstage des Advent als „Klöpfelnächte“, in denen die Ankunft des Erlösers angekündigt wird. Der Donnerstag hat über das „Letzte Abendmahl“ einen besonderen eucharistischen und christologischen Bezug. Dagegen wurde seit dem 19. Jahrhundert und besonders im Nationalsozialismus der Wotansbezug des Tages hervorgehoben. Früher hat die Wahl des Tages des Öfteren zu grundlegenden Diskussionen geführt, ob dieser Wochentag nicht infrage zu stellen sei, wenn der hohe kirchliche Feiertag „Mariä Empfängnis“ auf diesen Tag fällt. Nach einer nicht nachweisbaren und von außerhalb der Gruppe zugetragenen Information wäre dann nämlich eine Verschiebung auf den nächsten Werktag angemessen und erforderlich. Nach alter Überlieferung hat aber jeder Werktag seine ganz besondere Bedeutung, weshalb ein Ausweichen von Jung Alpenland als nicht statthaft empfunden wird. Diese Verunsicherung ist aber heute kein Thema mehr, weil es keine fundierten Aufzeichnungen gibt, welche eine Verschiebung gerechtfertigt erscheinen ließen.

„Durch Lärmen die bösen Geister zu vertreiben oder abzuwehren“, ein Aspekt, der im Zuge der nationalen Wurzelsuche besonders betont wurde, „war sowohl in der Antike als auch im deutschen Volksglauben aller Zeiten überaus verbreitet“.[1580] So ist es also dann am zweiten Donnerstag im Dezember soweit, dass unheimliche Gesellen am Fuße des Untersberges ihr Unwesen treiben. Möglichkeiten dazu gibt es von Großgmain bis Marktschellenberg und sogar noch jenseits der Salzach in Aigen, Elsbethen-Glasenbach, St. Jakob am Thurn oder Puch und Oberalm zur Genüge, aber ausdrücklich immer im Weichbild des Salzburger Hausberges. Die Frage nach der Definition des Raumes „Weichbild des Untersberges“[1581] stellte und stellt eine wichtige Frage für die Mitwirkenden dar. Die Definition im Brockhaus, die das Weichbild auf ein gewisses Ortsgebiet oder einen Gerichtsbezirk beschränkt, lässt kaum eine größere räumliche Ausdehnung zu. Insgesamt fühlt sich Jung Alpenland als Gruppe von „Brauchträgern“, deren Bemühen es ist, Traditionen „unverfälscht“ weiterzugeben. Aus diesem Grunde wird auch innerhalb der Gruppe immer wieder nach Belegen zu und historischen Dokumenten für die weitergeführten Bräuche gesucht.

Um diese „Brauchtumsrarität“ so unverfälscht wie möglich zu erhalten, wird der Ort des Treibens Jahr für Jahr so geheim wie möglich gehalten. In den Aufzeichnungen des Vereines ist immer wieder die Rede davon, dass früher die Bewohner der einzelnen Höfe und Häuser überhaupt nicht verständigt wurden. Die „Wilde Jagd“ ist einfach erschienen und wieder verschwunden. Dieses spukhafte Vorgehen ist heute leider nicht mehr möglich, weil einerseits vielerorts das grundlegende Verständnis dafür vollkommen verloren gegangen ist und andererseits die Mobilität einer nicht mehr vorwiegend bäuerlichen Bevölkerung dazu zwingt.

In unserer modernen Zeit sind auch von den Perchten einige Vorschriften einzuhalten. Ohne Anmeldung bei Polizei oder Gendarmerie geht es auch hier nicht ab. Wiewohl diese Vorgaben dem Bestreben nach Geheimhaltung zuwiderlaufen, ist es aber mit ganz wenigen Ausnahmen bis jetzt gelungen, das Ausarten in eine Massenveranstaltung vor mehreren tausend Zuschauern zu vermeiden. Zugeständnisse an die Medien, gemeint sind Fernsehaufnahmen oder Pressefotografen, sind zwar auch im Interesse der Sache, aber die Zustimmung dazu wird von Jung Alpenland immer nur mit einigen Auflagen erteilt und sehr genau kontrolliert. Vor den Tagen der „Wilden Jagd“ laufen die Telefone vor allem bei den wenigen Hauptverantwortlichen heiß, da es für viele Salzburger und für die Medien zum „Sport“ geworden ist, den Ort des Laufes zu erfahren.

Bei Einbruch der Dunkelheit treffen sich in einem vorher ausgemachten Ort – ohne großes Aufsehen – die Perchten und die erforderlichen Begleitpersonen (Schwegler, Kraxenträger, Fackelträgerinnen). Der Transport der Masken in Fahrzeugen gehört zu den Erleichterungen der Gegenwart. Während die Burschen in ihre mehr oder weniger gewichtigen Perchtenmasken[1582] und -gewänder (allein die Masken wiegen zwischen drei und fünfzehn Kilogramm) schlüpfen, die Schellen und Roller umhängen und Stecken oder Haken ergreifen, werden noch kurz letzte Details über den Tanzablauf vor Ort und die vorgesehene Strecke besprochen.

Wenn diese Vorbereitungen abgeschlossen sind, zerreißt ein Scheppern, Brüllen und Läuten die angespannte Stille. „’s Wilde Gjoad“ ist los und beginnt im flackernden Fackelschein seinen alljährlichen Lauf. Wo Station gemacht wird, erfolgt mit großem Getöse die eigentliche Ankündigung. Nach drei Trommelschlägen des Todes und einem anschließenden Hahnenschrei formieren sich alle zwölf Perchten in einem Halbkreis vor den Hausleuten. Zuvor hat die Hexe mit ihrem riesigen Besen den Tanzplatz ausgekehrt, dabei ein Kreuz angedeutet und damit diesen Platz ausgezeichnet. Darauf folgt der Spruch der Vorgeherpercht: „Glück hinein, Unglück heraus, / es zieht das Wilde Gjoad um’s Haus!“

Ein Trommelwirbel bringt noch einmal ein kurzes Durcheinander der unheimlichen Zwölf, das aber wieder mit drei Trommelschlägen des Todes und dem Hahnenschrei beendet wird. Dann müssen alle neun tanzenden Perchten (Tod, Hexe und Habergoaß sind ausgenommen) in einem Kreis Aufstellung zum „Trestern“ genommen haben. Musikalisch begleitet wird dieser Stampftanz von einer mehrköpfigen Schwegelpfeifergruppe, wozu noch die Schellen und Roller der Perchten das Tempo angeben.

Aus der Kreisbewegung heraus werden Achter gezogen und wieder aufgelöst. Während des Tanzes sollen sich die Perchten nicht nur im vorgegebenen Kreis bewegen, sondern auch Drehungen um die eigene Achse machen – je mehr Drehungen, desto fruchtbarer soll das kommende Jahr für das besuchte Haus und seine Bewohner ausfallen. Aufgrund der relativ schwachen Lichtverhältnisse vor Ort und den sehr begrenzten Sichtverhältnissen aus den einzelnen Masken heraus, bedarf das aber einiger Übung und Geschicklichkeit der Tänzer, weil ein falscher Schritt sofort Unordnung in den Tanz bringen könnte. Etwa ein Monat vor der Wilden Jagd wird mit den wöchentlichen Proben begonnen. Dabei bleibt es der Beurteilung jedes einzelnen Mitwirkenden überlassen, ob er ohne besonderes Konditionstraining fit genug ist für den Perchtenlauf.

Nach Abschluss des „Tresterers“[1583] toben die wilden Gesellen noch einmal um das Haus. Trommelwirbel, Hahnenschrei und ein Krähen des Raben sind das Zeichen für die Reverenz, wozu sich alle zwölf Perchten wiederum im Halbkreis vor den Hausbewohnern auf den Boden werfen und dabei symbolisch die Erde küssen. Dieser Abschluss ist aber nicht nur für die Wilde Jagd, sondern auch für andere Perchtenläufe eigentlich ein unbekanntes Element. Die Hausleute bedanken sich für den Besuch mit einer Wegzehrung, die beim abschließenden gemütlichen Beisammensein von allen Mitwirkenden genossen wird. (Bare Münze gilt als verpönt, aber in ganz seltenen Ausnahmefällen wird auch dieser Dank akzeptiert.)

Mit Geschrei und Gelärm entfernt sich der „dämonische Besuch“ und verschwindet in der Dunkelheit zum nächsten Haus oder Bauernhof. Die im Laufe des Abends schnellen Schrittes zurückgelegte Wegstrecke bewegt sich im Schnitt zwischen drei und fünf Kilometer, was eigentlich nicht sehr lang ist. Die Unterbrechungen bei den einzelnen Stationen, die in manchen Orten sich ergebenden Höhenunterschiede sowie natürlich die Verkleidung der Perchten oder witterungsbedingte Umstände erschweren allerdings den Lauf insgesamt. Zum gemütlichen Abschluss werden alljährlich auch einige Honoratioren und Gäste eingeladen, was als große Ehre gilt.

Über die ersten Jahre der von Kuno Brandauer stets betonten „Wiedereinführung“ des Brauches, die von einigen Wissenschaftlern als Innovation aus Elementen der Sage und anderer Bräuche bezeichnet wird, gibt es kaum mehr Aufzeichnungen. Den Mitgliedern der Gruppe allerdings sind diese Zweifel an einer alten Tradition schwer verständlich und sie schrecken vor diesen Meinungen zurück. Für viele ist es kaum zu akzeptieren, dass Meinungen, Deutungen und auch Begriffe, die ihnen von Kindheit an als „wichtig“ mitgegeben wurden, heute von den Wissenschaften hinterfragt oder kritisiert werden. Menschen, für die Bräuche sowohl heimatliche Traditionen wie auch persönliche Identifikationsmaßstäbe sind, werden mit der Tatsache konfrontiert, dass ihr Tun einer kritischen Aufarbeitung der Zeitgeschichte unterzogen werden muss. So sind einige wenige Mitglieder des Vereines auch stets bemüht, im Kontakt zu neueren wissenschaftlichen Interpretationen zu bleiben, historische Dokumente und Aussagen älterer Personen zu sammeln und so ein immer wieder neues kritisches Bild dieses Brauches zu entwickeln. Im Vordergrund des Interesses steht aber das Tun selbst und der Stolz darauf, dabei sein und eine Maske, eine Figur im Lauf verkörpern zu dürfen. Mit der ideologischen Vereinnahmung der Perchtenbräuche wie der Wilden Jagd hat sich Richard Faber[1584] beschäftigt.

Es ist in den seit 1960 handschriftlich geführten Blättern des Vereinsobmannes Michael Nußdorfer sen. (von 1960 bis 2001) vorerst nur festgehalten, wo das „Wilde Gjoad“ unterwegs war. Trotzdem sind diese Aufzeichnungen von großer Bedeutung, schildern sie doch eine ununterbrochene Entwicklung über jetzt mehr als fünfzig Jahre, wie sie sonst kaum im Salzburger Brauchtumsgeschehen festgehalten wurde.

Die jährliche Abfolge sieht folgendermaßen aus: 1949 – Anif/Morzg, 1949 – Oberalm, 1950 – Niederalm, 1951 – Kleingmain, 1952 – Glas bei Aigen, 1953 – Moos, 1954 – Grödig, 1955 – Maxglan, 1956 – St. Jakob am Thurn, 1957 – Lengfelden, 1958 – (entfallen), 1959 – Plainberg, 1960 – Morzg, 1961 – Bergheim, 1962 – St. Jakob am Thurn, 1963 – Maxglan, 1964 – Oberalm, 1965 – Elsbethen, 1966 – Gois, 1967 – Anif, 1968 – Grödig, 1969 – St. Leonhard, 1970 – Wals, 1971 – Moos und Gneis, 1972 – Großgmain, 1973 – Aigen/Glas und Oberau, 1974 – Siezenheim und Bergheim, 1975 – Grödig, 1976 – Großgmain, 1977 – Bergheim, 1978 – Gneis und Oberau, 1979 – Anif, 1980 – St. Leonhard, 1981 – Viehhausen, 1982 – Eichet bei Grödig, 1983 – Liefering, 1984 – Gois, 1985 – Großgmain, 1986 – Fürstenbrunn, 1987 – Elsbethen, 1988 – Moos (unterer Teil der Moosstraße bis Marienbad), 1989 – Morzg, 1990 – Grödig, 1991 – Marktschellenberg, 1992 – St. Leonhard, 1993 – Siezenheim, 1994 – Großgmain, 1995 – Elsbethen/Höhenwald, 1996 – Walserberg/Gois, 1997 – Anthering, 1998 – 50. Lauf in Morzg, 1999 – Bergheim, 2000 – Oberalm, 2001 – Eichet.

Allein schon aus dieser Auflistung lässt sich herauslesen, dass es keine regelmäßige Abfolge für die „Heimsuchung“ der einzelnen Orte durch die Wilde Jagd gibt, sondern sich die Reihenfolge individuell – je nach Vorlage einer Einladung oder nach eigener Entscheidung – ergibt.

Zur Abrundung der Darstellung dieses Perchtenlaufes aus der Sicht eines Mitwirkenden wird abschließend die Perchtenchronik zum Jubiläumslauf 1998 in Morzg zitiert, obwohl es an sich nicht üblich ist, die Besetzung der einzelnen Masken einer großen Öffentlichkeit preiszugeben. Fast jedes Jahr ist mit gewissen Änderungen zu rechnen, weshalb damit kein allzu großes Geheimnis verraten wird, noch dazu, da diese Aufstellung ja bereits wiederum Geschichte ist. Heute sind die Läufer, im Gegensatz zu vielen überlieferten Bräuchen, weder Unverheiratete noch Zugehörige einer bestimmten Zunft, sie setzen sich aus verschiedenen Alters-, Berufs-, und Familienstandsgruppen zusammen. Für sie ist heute der Verein „Brauchtumsgruppe Jung Alpenland“ und ihre jeweilige Maske das verbindende Element. Viele der Mitwirkenden sind in diesem Verein bereits aufgewachsen und haben die Meinungen, Ausdeutungen und Traditionen des Brauches von den älteren Mitgliedern übernommen. Gleichwohl ist man sich dessen bewusst, dass man sich auch kritisch mit dieser Materie auseinandersetzen muss.

Unter der Leitung von Rudi Herzog und Peter Steiner wurde der Lauf 1998 abgewickelt:

Vorgeher Peter Nußdorfer
Tod Wolfram Weber
Riese Abfalter Alex Wieland
Hahnengickerl Werner Weber
Rabe Thomas Fercher
Baumwercher Harald Schumacher
Bär Wolfgang Urban
Bärentreiber Bernhard Herzog
Saubär Adolf Freudl (der Autor dieses Beitrages)
Moosweiberl Werner Schintlmeister
Hexe Reinhard Aigner
Habergoaß Stephan Berger, Toni Polivka
Reserven Manfred Karlowitsch, Felix Mühlbacher, Franz Göllner, Manfred Haderer
Kraxenträger Roland Schumacher, Werner Schumacher, Hans Benedik
Schwegler Irmi Nußdorfer, Ursula Schumacher, Michaela Zoth, Britt Justa, Annemarie Renz, Susi Scheierl, Gertraud Herzog, Ingeborg Weber, Markus Helminger

Vertreten sind bei den Mitwirkenden eigentlich alle möglichen Berufsgruppen – Landwirte, Tischlermeister, technische Angestellte, Lehrer, höhere Beamte, Gendarmen, Bankangestellte u. a. m. Dazu kommt auch, dass man als männliches Mitglied eines Vereines, der sich noch dazu die Erhaltung des Jahresbrauchtums zur Aufgabe gemacht hat, an den zusätzlich im Verein gepflegten Bräuchen nicht vorbei kommt. Vielmehr haben gerade diese besonderen Aktivitäten bei vielen Mitgliedern dazu beigetragen, diesem Verein beizutreten.

[Chronist Peter Steiner] „Im Jahr 1949, also vor 50 Jahren, begann unsere Wilde Jagd in Morzg. Zu unserem Jubiläum wollten wir wieder hier laufen und so wurde einstimmig für Morzg votiert. Am Sonntag vor der Wilden Jagd wurde von Rudi Herzog, Heinz Aschauer (Obmann vom Turnverein) und mir zwölf Tanzplätze ausgemacht und die Route festgelegt. Wie bestellt gab es den totalen Wintereinbruch und so stand einem schönen Lauf nichts mehr im Weg. Treffpunkt war die Turnhalle von Morzg, wo wir genügend Platz zum Umziehen und nachher zum Kultivieren hatten. Nachdem die Perchten alle ihr Gewand angelegt hatten und die Fackeln verteilt waren, ging es mit dem traditionellen Startzeichen von Rudi ‚San alle g’schickt – auf geht’s, Perchten‘ los.

Bei den Familien Baumgartner und Frohner war unsere erste Station. Der Tresterer wurde auf dem Feld vor den Häusern getanzt und die Referenz zu beiden Objekten gemacht. Obwohl zu befürchten war, daß wieder sehr viele Zuschauer da waren, hielt sich das ganz in Grenzen und es waren eher die Morzger, die mit der Wilden Jagd mitzogen.

Weiter ging es über eine tiefverschneite Wiese zum Schwarz Walter. Der hatte extra seinen Hof frei geschaufelt, damit die Perchten nur ja einen guten Tanzplatz haben. Die dritte Station war beim Arzt von Morzg. Gundi und Peter Gräff freuten sich ganz besonders, dass die Perchten ihr neues Haus aufsuchten. Rudi und ich teilten uns das Vorangehen ganz gut. Während er immer zu den Hausleuten ging und diesen den Tanz und die Perchtenfiguren erklärte, wartete ich bereits in Richtung der nächsten Station. Dadurch hatten es die Perchten, vor allem der Tod, etwas leichter, zum nächsten Tanzplatz weiterzulaufen. Dem dumpfen Trommelschlag folgend ging es zum Obmann des Turnvereines und seiner Frau, Christl und Heinz Aschauer. Die fünfte Station war wieder mitten im Ort bei der Zimmerei Geissler.

Die Perchten ließen sich von der traumhaften Stimmung mit dem vielen Schnee anstecken und waren alle gut drauf. So mancher Zuschauer machte Bekanntschaft mit dem ‚kühlen Weiß‘. Unser Bärentreiber hatte seine Hände immer voll Ruß und bald gab es immer mehr Leute mit geschwärzten Gesichtern.

Die nächsten Stationen waren die Familie Knoll und der Mirtlbauer. Die Kraxenträger hatten schon ganz schön zu schleppen. Die Morzger meinten es mit ihren Gaben recht gut. Zur achten Station, dem Bliemhof, mußten wir die Hauptstraße queren. Durch die Polizei war aber alles gut abgesichert. Weiter ging es zum Bachingerbauern. Die Perchten konnten sich auf der längeren Wegstrecke wieder erholen. Nach dem Tresterer und der Referenz ging es auf der gleichen Strecke zurück in den Ort zum Morzgerhof. Die elfte Station war dann bei den Familien Pletschacher und Gräff. Hier merkte man schön langsam die Anstrengungen dieser Wilden Jagd. Die letzte Station war dann beim Pfarrer, der sich über den Besuch der Perchten sehr erfreut zeigte. Endpunkt war dann wieder die Turnhalle und alle waren begeistert über diese schöne Wilde Jagd.

Die anschließende Perchtenfeier fand dann im Vereinsheim in Kleingmain statt (trotz vorheriger Einwände, aber wir hatten hier einfach mehr Platz). Michi Nußdorfer konnte dabei nicht nur ehemalige Perchten und Gruppenmitglieder begrüßen, sondern auch etliche Morzger. Auch der Herr Pfarrer war mit dabei. Die Stimmung war bestens, die Perchtenjause sehr ausgiebig und die Morzger spendeten vier Fässer Bier (auch nicht schlecht!). Einem netten und gemütlichen Perchtenausklang stand also nichts mehr im Wege.“

Zu diesem Perchtenausklang sind zwei grundsätzliche Anmerkungen anzubringen: Entgegen den sonst üblichen Gepflogenheiten ist es dabei den Perchten nämlich ausnahmsweise gestattet, sich nochmals dem an sich in der Adventzeit nicht erlaubten Tanz hingeben zu dürfen. Außerdem war es früher üblich, sich beim letzten besuchten Bauern in dessen Stube zusammenzusetzen. Weil aber in der Gegenwart die Größe des Trosses dies nicht mehr zulässt, muss auf Gasthäuser ausgewichen werden.

In dem 1991 erschienenen Buch von Marianne Rumpf[1585] steht ein Satz, mit dem ich diese Ausführungen beschließen möchte: „Trotz dieser körperlichen Kraftanstrengungen finden sich [...] Teilnehmer, die Spaß an der Sache haben. Sie tragen somit dazu bei, dass die Perchtenläufe ein lebendiger Brauch bleiben, eben weil sie lebendig sind und die auch Wandlungen und Wiederbelebungen vertragen können, die von den Volkskundlern respektiert werden müssen.“



[1574] Bis 1938 Abteilung der Staatsgewerbeschule, 1942–45 Meisterschule. Vgl. [Kerschbaumer 1996a].

[1575] Vgl. z. B. [HuberN 1904].

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