Populäre Brauchbücher und Ritualseminare haben derzeit Konjunktur.[356] Gleichzeitig leben wir in einer modernen demokratisch-pluralistischen Gesellschaft, die durch Unübersichtlichkeit und Ritualarmut gekennzeichnet ist. Ein verbindlicher Sinnhintergrund, ein Mythos, aus dem sich die gesellschaftliche Wirklichkeit ableiten ließe, ist uns abhanden gekommen, so heißt es. Infolge dieser Verlusterfahrung steigt aktuell die Wertschätzung von Riten und Bräuchen. Gleichzeitig ist auf diesem Feld ein deutlicher Wandel zu bemerken.
In einem ersten Teil sollen zwei Tendenzen des gegenwärtig beobachtbaren Wandels im Bereich des gemeinhin zum Brauchtum gerechneten Verhaltens an einigen Beispielen knapp skizziert werden. Einerseits vollzieht sich bei so bekannten Brauchterminen wie dem Weihnachtsfest oder der Hochzeit eine langsame aber bestimmte Umwertung des Bedeutungsgehaltes. Es zeigte sich bei einer Allensbacher Umfrage zum Weihnachtsfest, dass die Befragten umso materieller (Geschenke, Urlaub) und religionsferner (kirchliches Fest, Krippe, Glocken, Kirchgang) eingestellt sind, je niedriger deren Alter ist. Außerdem spielen bei den Jüngeren Weihnachtslieder und -gebäck keine große Rolle mehr.[357] Ähnliches lässt sich auch für das Hochzeitsfest berichten: Ehen werden in der Gegenwart immer seltener eingegangen; viele Eheschließungen werden ohne kirchliche Trauung bzw. ohne große Feierlichkeit im traditionellen Rahmen vollzogen. Damit schwindet die bisherige Sinngebung als religiöse Feier und als Fest der Veränderung des Personenstandes sowie der neuen Familienbande.[358] Andererseits kommt die bisher gängige Brauchgestaltung vereinzelt stark in Bewegung. Hier sei auf einige Beispiele für Veränderung der Brauchvollzüge hingewiesen:
Der Martinstag (11. November) ist in den vergangenen Jahren aufgeblüht zu einem reich ausgestalteten Termin für Kinder mit abendlichem Lampionumzug, der mancherorts vom Heiligen Martin auf dem Pferd angeführt wird, anschließendem Martinsspiel und dem Entzünden eines Martinsfeuers.[359]
Im Weihnachtsfestkreis haben alte Heische- und Sammeltermine wie das Klöpfeln und das Sternsingen eine Wiederbelebung erfahren, die jetzt ganz in der Hand von jugendlichen Akteuren liegt und karitativen Zweckbestimmungen untergeordnet ist.[360] Beim Nikolaustreiben im Allgäu, beim Klöpfeln im bayerischen Oberland oder beim Neujahrsansingen freier jugendlicher Gruppen kommt es inzwischen öfter zu Alkoholmissbrauch, „grober Ruhestörung”, „Bettelei” und aggressivem Verhalten bis hin zu Körperverletzungen.[361]
Dieselben Klagen hört man über das Hochzeitsschießen[362], über kriminelle Aktionen in der Freinacht zum 1. Mai[363] und über das Maibaumstehlen. Jüngst hat der Fall eines Maibaumdiebstahls im Landkreis Günzburg aus dem Jahr 1996 einigen Staub aufgewirbelt, der am 16. Juni 1997 vor dem Jugendschöffengericht Günzburg abgeurteilt wurde. Die 7 Angeklagten im Alter zwischen 20 und 26 Jahren erhielten Geldstrafen zwischen 600 und 1800 Mark wegen Diebstahls. Die Staatsanwaltschaft klagte sie wegen „räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer” an, weil sie auf offener Straße einen sechs Meter langen Maibaum von gewalttätig vorgegangen sein sollen. Sie gaben den Maibaum nicht zurück, stifteten ihren Kontrahenten aber später einen neuen Baum und zwei Kästen Bier.[364]
Gerade um den Maibaum sind einige Neuerungen zu verzeichnen. Das zeigt, dass er als starkes Symbol aufgegriffen wird und auch Eingang in neue Trägerschichten findet. Inzwischen treten Frauenpartien als Maibaumdiebe in Aktion.[365] Fünf bis zehn Meter hohe Maibäume erfreuen sich wachsender Beliebtheit bei Kindergartenfesten.[366] Auch Dorf- und Stadtteilfeste wählen zunehmend den Maibaum als Attribut und den 1. Mai als Termin, um über diese Brauchelemente ihre lokale Eigenart besonders zu betonen.[367]
Neue Formen lösen auch den Hochzeitsbaum ab. Aus Strohballen erstellte Figuren eines Hochzeitspaares signalisieren den Wohnsitz der frischvermählten Eheleute.[368] Ähnliches ist bei der Geburt des ersten Kindes festzustellen. Ein besonderes Bedürfnis wird dabei sichtbar, den erstgeborenen weiblichen Nachwuchs durch spezielle Requisiten augenfällig zu dokumentieren. Neben der inzwischen in manchen Regionen bereits obligaten „Büchsenmacherei” trifft man auf Klapperstorch-Figuren und Mädchenbäume.[369]
Wie sich ferner einige in bewusster Traditionsabsicht gepflegte Bräuche von ihren ursprünglichen Terminen lösen, lässt sich exemplarisch an den Leonhardiritten dokumentieren, die mehr und mehr vom Patronatstag des Heiligen Leonhard am 6. November entkoppelt werden, damit die Pferdeliebhaber an mehreren Brauchaktionen in einer Region teilnehmen können. Im Jahr 1994 ergab sich auf diese Weise im Landkreis Rosenheim eine Terminspreizung über drei Wochenenden (vom 22.10. bis zum 6.11.).[370]
Außerdem stößt man auf – in unseren Regionen – vollkommen neue Anlässe wie die Nacht des 31. Oktober, in der Halloween-Partys stattfinden, bei denen teuflische Maskeraden, ausgehöhlte und zu schrecklichen Fratzen hergerichtete Kürbisse, makabre Streiche und verschiedene Orakel für geisterhafte Stimmung und einen gruseligen Schauer sorgen.[371]
Angesichts solcher Befunde drängt sich manchen die bange Frage auf: Was ist los mit dem Brauchtum? Ich möchte versuchen, aus meiner Sicht in Anlehnung an die wissenschaftliche Volkskunde zu einer Klärung beizutragen. Wir treten mit dem Begriff Brauchtum allerdings nicht gleichsam in geheiligte Bezirke, sondern bleiben konsequent auf dem Boden der nüchternen gesellschaftlichen Tatsachen. Auch wenn die folgenden Überlegungen im Kreise der Heimatpflege auf den ersten Blick ungewohnt oder vielleicht sogar befremdlich wirken, möchte ich dazu ermuntern, mir auf diesem Wege einmal zu folgen.
Sicherlich sind Erklärungen für das Brauchtum und seinen Stellenwert für die gegenwärtige Gesellschaft wie die folgenden bekannt: „Wir existieren in einer sehr schnellebigen, auf Fortschritt orientierten Zeit. Da geraten traditionelle Werte nur allzu leicht in Vergessenheit. Dazu gehört auch das heimatliche Brauchtum. Es zeigt uns, wo unsere Wurzeln liegen, nämlich im Religiösen. Was wir heute weithin als Brauchtum erleben, ist lediglich eine Zurschaustellung, zum Beispiel bei diversen Umzügen. Brauchtum wird oft zum Freizeitaktivismus. Mein Buch möchte an viele Bräuche wieder erinnern, die meist nur die ältere Generation kennt.[372] Es möchte zeigen, dass Brauchtumspflege auch in unserer Zeit ein Erlebnis sein kann. Dementsprechend folgt üblicherweise auch der Hinweis, dass „alte Feste und Bräuche eine echte Alternative zu vielen anderen ‚sinnlosen Freizeitaktivitäten' sind”[373].
Sind sie das tatsächlich? Ich möchte das bezweifeln. Behauptet man das überlieferte Brauchtum als Alternative zum modernen „sinnlosen” Treiben, so hieße das doch, dass sie Sinn machen, und zwar nicht irgendeinen Sinn, sondern einen Sinn für uns heutige Benutzer mit unseren Alltagsproblemen und unserer Weltsicht, die sich doch fraglos in vielen Dingen entscheidend von der Situation in früheren Jahrhunderten unterscheidet. Es sei nur auf unsere gewandelte Einstellung zum religiösen Bereich verwiesen. Dabei kommt es mir gar nicht so sehr darauf an, das Ausmaß der Säkularisation unseres Denkens und Handelns hervorzuheben. Vielmehr hat sich der Zugang zum Numinosen in breiten Kreisen von der konfessionsgebundenen christlichen Weltsicht gelöst und verfolgt heute andere Wege der Erfahrung von Transzendenz: Sekten, Drogen, sportliche Grenzerfahrung und andere wären hier zu nennen.[374]
Grundsätzlich aber wirft die oben referierte Argumentation das Problem auf, wie sich stichhaltig erklären lassen soll, dass für unsere Bedürfnisse in der Gegenwart ein Brauchtum hilfreich sein kann, das ein möglichst hohes Alter aufweist und demzufolge die traditionellen Werte ausdrückt; ein Brauchtum, das eventuell aufgrund dieser einseitigen Vergangenheitsorientierung nicht mehr von den jüngeren Generationen übernommen wird und nur noch als Restposten bei der älteren Generation existiert. Vielmehr ist doch gerade im Gegensatz dazu beobachtbar, dass alle diejenigen Bräuche zu allen Zeiten einen schweren Stand haben, deren äußere Form und Botschaft nicht mehr aktuell sind.
Meist denkt man jedoch bei der Beschwörung des „ehrwürdigen traditionsbeladenen Brauchtums” nicht an solche Schlussfolgerungen. Leitet man doch gemeinhin aus dem hohen Alter einen Wert an sich ab, der solches Handeln für sich genommen mit einer besonderen Weihe erfüllt, ohne auch nur an seine konkreten Bezüge für die Brauchhandelnden und ihre Umgebung zu denken. Sitte und Brauch gelten dann als umso wertvoller, je weiter sie in der Geschichte zurückreichen und je näher sie vermeintlich einem naturhaften Menschentum fern von seinem zivilisatorischen Abgleiten stehen. Überzeugungen wie die, dass „Sitte und Brauchtum ... älter seien als das Gesetz”[375], haben diesen Gegensatz zwischen einer sinnentlehrten, kalt formalisierten Moderne (deren Ausdruck die geschriebenen Gesetze sind) und einer sinndurchpulsten, den wahren menschlichen Bedürfnissen entsprechenden, fernen Vergangenheit im Auge. Hier fassen wir zugleich die Grundüberzeugung der älteren Volkskunde zum Brauch, wonach im deutschen Volksbrauch bis zur Gegenwart uraltes vorchristliches Glaubensgut fortlebt.[376]
Bevor ich demgegenüber mit einigen Überlegungen vertraut machen möchte, wie sie sich aus der volkskundlichen Diskussion der letzten Jahre ableiten lassen, gehe ich kurz auf den Aspekt der Erlebnisqualität des Brauchtums ein. Bräuche können fraglos Erlebnisse sein. Wer jemals als Kind näher mit dem Nikolaus und dem Kramperl zu tun hatte, wird dies bestätigen können. Dasselbe gilt für viele Brauchanlässe im Jahreslauf und Lebenslauf: Weihnachten und Ostern, Taufe, Geburtstag und Hochzeit, um nur die gängigsten Termine zu nennen. Die brauchmäßige Ausgestaltung solcher Anlässe dient gerade dazu, diese Situationen besonders zu akzentuieren, sie für uns interessanter und bemerkenswerter zu machen. Sie geben dem Leben damit ein „Relief”, wie das Cees Nooteboom formuliert.[377] Indem sie aber für solch ein Relief sorgen, betreffen sie uns direkt und greifen sozusagen konkret in unseren Alltag ein. Sie werden uns damit substantiell zu Ereignissen. Davon sind solche Ereignisse zu scheiden, die wir heute massenhaft in der Freizeitkultur angeboten bekommen. Diese wollen uns meist nur oberflächlich unterhalten, uns zerstreuen, zum Staunen bringen und oft mit schrillen, skurrilen und exotischen Reizen für Abwechslung sorgen. Auf dieser Ebene bewegen sich allerdings auch einige Brauchtumsveranstaltungen, die das reizvolle Flair alter Brauchvollzüge inklusive der bunten Trachten zu einem Schauspiel stilisieren, bei dem wir zwar gerne zusehen oder selbst mitmachen, das uns aber persönlich nicht so intensiv betrifft.[378] Es ist mehr ein harmloses Spiel, ein Streifen bunter Tapete an den grauen Wänden unserer Alltagsverhältnisse.
Während also auf dem Buchmarkt und bei sozialpsychologisch orientierten Seminaren Bräuche und Riten zusehends Beachtung finden, distanziert sich die Volkskunde in den letzten Jahren mehr und mehr vom Begriff „Brauch” und seiner in den 1960er und 1970er Jahren getroffenen Definition. Diese bestimmte als Brauch ein gemeinschaftliches – soziales – Handeln in einer Gruppe, das einen deutlich formalisierten Gestaltungsablauf mit festem Anfang und Ende sowie markanter Formgebung kennzeichnet. Entscheidend war ferner, dass solches Handeln regelmäßig durchgeführt wird und sich in seiner Formgebung wiederholt. Den Brauchausübenden muss die dieses Handlungsmuster überwölbende Bedeutung bekannt sein. Der Sinngehalt von Brauchaktionen äußert sich in der formalen und zeichenhaften Sprache seiner Gestaltungselemente, womit Brauchhandeln auch als eine Kommunikationsform betrachtet werden konnte. Brauch sozusagen als Bildsprache, als gespielte Denkform und Rede.[379]
Gegenüber dieser Konzeption von Brauch geht nun die Tendenz dahin, den Brauchbegriff zu erweitern. Er soll auf die Regelmäßigkeiten im Arbeits- und Freizeitleben der gegenwärtigen Industriegesellschaften Anwendung finden (Tagesabläufe, Arbeitsteilung, familieneigene Gewohnheiten). Es wird vorgeschlagen, auch die nur bedingt verbindlichen Spiel- und Veranstaltungsformen hierunter zu fassen. Insbesondere wird die strikte Gruppenbindung von Brauch zugunsten einer stärkeren Berücksichtigung individueller Verhaltensformen fallen gelassen. Damit wird der Brauch in der modernen Sichtweise in eine neue Beziehung zu Öffentlichkeit und Privatheit gestellt, während vorher zu einseitig der Aspekt gemeinschaftlichen Tuns im öffentlichen Raum vorherrschte. Die Grenzen zum Bereich der Gewohnheiten – der Konventionen – und des habitualisierten Sozialverhaltens wird mit dieser weicheren Auffassung zum Brauch durchlässiger. Gleichzeitig wird nun konsequenter auf die Unterschiede zwischen solchen unspektakulären Alltagsverhaltensformen und der Brauchtumspflege geachtet.[380] Es lässt sich leicht denken, dass es in Anbetracht dieser Entwicklungen nur noch ein relativ kleiner Schritt ist, dafür zu plädieren, das Konzept Brauch in der Volkskunde generell abzuschaffen. Diesen Standpunkt möchte ich nicht vertreten. Um die spezifischen Merkmale und Potentiale dessen, was bislang unter Brauch verstanden worden ist, aufzuzeigen, möchte ich gleichwohl bei den allgemeinen Grundlagen beginnen und hierzu zunächst beim menschlichen Verhalten ganz allgemein ansetzen. Brauch ist eine Variante des sozialen Verhaltens und folgt deswegen prinzipiell denselben Voraussetzungen.[381]
Das menschliche Verhalten ergibt sich nur zu einem kleinen Teil unvermittelt aus individuellen Antrieben, Gefühlsregungen und momentanen Wünschen. In aller Regel hat es der sozialisierte Mensch gelernt, seine Gefühle nicht spontan auszuleben und rücksichtslos gegenüber seinen Mitmenschen zu agieren. Ganz im Gegenteil. Erstens ergibt sich das Verhalten weitestgehend aus der Rolle und den Funktionen, die die Einzelnen im Sozialraum einnehmen. So liefern etwa die familiären Rollen – Vater, Mutter, Kind – bereits konkrete Vorgaben, die das mögliche Verhaltensrepertoire auf einen bestimmten Rahmen beschränken. Zweitens stellen sich bei jedem Individuum Denkgewohnheiten und Verhaltensgewohnheiten ein, die sich mitunter so tief einschleifen können, dass sie als unentbehrlich empfunden werden und somit Zwangscharakter erhalten, ja sich der Sucht annähern. Damit sind wir bereits bei den psychopathologischen Dimensionen des Verhaltens. Wie aber ergeben sich solche Gewohnheiten? An erster Stelle ist dies auf den Sozialisierungsprozess zurückzuführen, den jeder Mensch von frühester Kindheit an mitmacht. Dieser umfassende Prozess der Enkulturation bewirkt in Verbindung mit der sozialen Kontrolle eine Regulierung und Standardisierung des menschlichen Verhaltens, die das gesellschaftliche Zusammenleben erst möglich machen. Kultur ist also das Ergebnis eines Disziplinierungsvorganges.
Der Einzelne überlegt sich in den seltensten Fällen, ob er nun eine allgemein geteilte Handlungsgewohnheit befolgen soll (etwa die, mit Messer und Gabel zu essen) oder besser individuelles Handeln anwendet. Das hat einmal damit zu tun, dass jene durch die Kultur vorstrukturierten Verhaltensweisen dem Einzelnen eine Außenstabilisierung seines Handelns gewähren, ohne die er sich selbst erst zu einer bestimmten Gestaltungsart entscheiden müsste. Das kann durchaus ein schwieriges Unterfangen sein, wenn die Wahl aufgrund von Motivkonflikten und Bedürfnisspannungen problematisch erscheint. Außerdem bleibt es dann ungewiss, wie dieses frei gewählte Verhalten auf die übrigen Mitglieder im sozialen Feld wirkt. Das Befolgen einer Verhaltensvorgabe dagegen sichert die Soziabilität des Einzelnen und den Zusammenhalt der Gruppe. Konventionen ermöglichen dem Einzelnen eine grundsätzlich unproblematische Teilhabe in seinem sozialen Umfeld und garantieren die Festigkeit von Gruppen, indem das wechselseitige Verhalten für gleichgeordnete Handlungsabläufe sorgt. Da in den Verhaltensvorgaben neben dem Rahmen für die Handlungsschritte auch die zugehörigen Empfindungen und Einstellungen eingelagert sind, stellen sich auch gleichgeordnete Empfindungen ein, was die Verhaltenssicherheit für den Einzelnen weiter erhöht. Nach diesem Mechanismus regulieren die verschiedenen soziokulturellen Verhaltensnormierungen (Brauch, Ritus, Etikette, Zeremoniell) die individuellen Impulse. Sie sind dem Einzelnen vorgegeben und setzen sich großenteils über anonyme Selbstregulierung durch, das heißt, es bestehen keine Instanzen, die darüber wachen, sondern die Menschen kontrollieren dies selbst. Damit aber unterscheiden derartige Normierungen sich von Gesetzen, die von zentralen Regulierungsinstanzen (wie Recht, Staat, Religion) gesteuert werden.
Wenn die Darstellung bislang mehr den normativen Charakter herausgekehrt hat und dabei die Stabilität wie den Geltungsanspruch dieser Vorgaben betonte, so muss dies im Folgenden etwas korrigiert werden. Denn grundsätzlich zeigen sich alle diese Verhaltensnormierungen variabel und offen für dynamische Veränderungen, da ihnen die detailversessene Tiefenschärfe fehlt. Sie geben zum Beispiel vor, dass man die Gäste, die man zu sich nach Hause eingeladen hat, freundlich empfängt, ihnen zumindest einen kleinen Imbiss und Getränke vorsetzt, sie weder in unangenehme Gespräche verwickelt noch sonst wie bedrängt und schließlich nach angemessener Zeit den Besuchern den Aufbruch nach Hause ermöglicht. Doch wie man innerhalb dieses abgesteckten Rahmens konkret verfährt, ist der individuellen Ausgestaltung überlassen. Überhaupt steht am Anfang jeder Verhaltensnormierung die Freiheit der willkürlichen Wahl aus verschiedenen Möglichkeiten. So gibt es viele verschiedene Möglichkeiten, einen Mitmenschen zu begrüßen. Wir kennen aus den verschiedenen Kulturkreisen auch eine ganze Reihe von Varianten: neben dem Händeschütteln, dem Zunicken und Lächeln das Kopfbeugen, das Ziehen des Hutes, den sozialistischen Bruderkuss, den Handkuss für die Dame usw. Und es lassen sich theoretisch auf Anhieb weitere Gestaltungsformen ausdenken. Nachdem allerdings einmal die Entscheidung für eine bestimmte Variante gefallen ist, „bildet die neue Norm eine soziale Tatsache, über die sich die Einzelnen nicht so ohne weiteres hinwegsetzen können.” Damit tragen Verhaltensnormierungen eine ambivalente Struktur, die sie einerseits als Notwendigkeiten präsentiert und andererseits als zufällig und willkürlich charakterisiert.[382]
Infolgedessen liegt in sämtlichen Regulationsformen von den Konventionen über Etikette, Brauch, Zeremoniell und Ritual eine zweipolige Energie vor, die den jeweiligen Bedürfnissen der Gesellschaft gemäß angepasst werden kann, wenn die Mehrheit dies zulässt. Für das Brauchtum heißt dies explizit, dass je nach den Umständen die Spannbreite zwischen Freiheit und dynamischer Weiterentwicklung einerseits und Starrheit und Zwang andererseits schwanken kann. Es ist sinnvoll, wenn wir uns jetzt ein wenig mit den Differenzen der verschiedenen Gewohnheitsformen auseinander setzen. Hier lässt sich eine Abstufung in Bezug auf den Verpflichtungsgrad treffen: mit relativ wenig Verpflichtung ist der Bereich der Verhaltenssteuerung auf dem Feld der Alltagsroutinen und ihren Konventionen versehen. Stärkeren Verpflichtungsgrad weist die Etikette auf, im Mittelfeld dieser Verpflichtungsskala liegt der Brauch, ihm folgt das Zeremoniell und schließlich mit schon starkem Verbindlichkeitsgrad das Ritual. Die Spitze der Stufenleiter bildet das Gesetz.
Die Eigenart der Kategorie Brauch lässt sich noch deutlicher fassen, wenn man eine zweite Koordinate anlegt. Sie soll den Grad der Transzendenz ausdrücken, auf die eine Verhaltensnormierung ausgerichtet ist. Damit ist Folgendes gemeint: Das Ritual ist der typische Vertreter einer Verhaltensnormierung, die sich in symbolischen Handlungen vollzieht, „in denen Menschen etwas über sich selbst und ihre Stellung zueinander sowie zum Weltganzen ausdrücken”. Die Objekte dieser symbolischen Handlungen bilden, wie Justin Stagl formuliert, „unglücksdrohende und zugleich glücksverheißende Mächte”.[383] Im Falle des Rituals zielen die symbolischen Handlungen auf transzendente Mächte, also für die logische Rationalität und den so genannten „normalen” Menschenverstand unfassbare Mächte mit allumfassender Wirkkraft, die sich vom kosmischen Bereich bis hin zur konkreten Realsituation der Menschen erstreckt. Im völkerkundlichen Rahmen zählen dazu Gottheiten, Totems, die Ahnen, Naturkräfte und das „Schicksal”.
Für unseren mitteleuropäischen Raum können wir die Palette der Verhaltensnormierungen grob in zwei Bereiche trennen: In einen Bereich mit Orientierung auf das soziale Gefüge innerhalb konkreter Gesellschaftsstrukturen, und in einen Bereich, der sich über diese sozialen Gegebenheiten erhebt. Mittelpunkt dieser Transzendenz war bzw. ist die Gottheit im Sinne der christlichen Religiosität. Ferner ist unter anderem an diverse politische Ideologien, an Nationalismen und schließlich an zivilisationskritische Vorstellungen eines wahren Menschentums in unverdorbener Natürlichkeit und Einfachheit zu denken. Gerade die letztgenannte Variante der Transzendenz spielt eine zunehmende Rolle in der gegenwärtigen Brauchtumspflege, wo argwöhnisch reglementiertes Verhalten als symbolische Zelebration einer zivilisationsfernen vergangenen Lebenswelt dargeboten wird. Solchen Brauchtumsanlässen haftet mitunter der Charakter kultischer Vollzüge an, in denen das Ideal einer Natürlichkeit als Gegenentwurf zur industriellen Moderne beschworen wird.
Allerdings, wie man aus dem bereits Gesagten schließen kann, trifft dies so nicht rundweg auf den Brauch zu, wie ihn die moderne Volkskunde definiert. Steht doch dabei die Ebene der sozialen Bezüge im Vordergrund. Wieder in eine Rangfolge gebracht, weisen die alltagsrelevanten Gewohnheiten den niedrigsten Grad an Transzendenz auf, im Mittelfeld liegt der Brauch, das Ritual ist durch hohe Transzendenz ausgewiesen. Der Brauch liegt somit in einem Übergangsbereich, in dem sowohl die sozialen Komponenten wie auch die transzendente Orientierung eine wichtige Rolle ausüben. Das Charakteristikum des Brauches ist solchen Überlegungen zufolge gerade diese Verschränkung beider Bereiche. Freilich sind die Bereiche von Fall zu Fall je unterschiedlich stark ausgeprägt, ja bisweilen scheint ein Bereich ganz in den Hintergrund zu treten.
Ein drittes wichtiges Charakteristikum von Brauchhandlungen (das sie mit den Riten, Zeremonien und der Etikette gemein haben) ist, dass solche Handlungen nicht wie technische Arbeitsvorgänge darauf gerichtet sind, einen Gegenstand oder Sachverhalt zu bearbeiten und damit zu verändern. Die Feier des Ernteabschlusses steht am Schluss der praktischen Arbeitsvorgänge zur Sicherung der Feldfrüchte, weder unterstützt sie diese real, noch kann sie das Ergebnis und die nachfolgenden Arbeitsschritte in irgendeiner Weise faktisch beeinflussen. Schlechte Witterung, Verderb, Absatzprobleme und sonstige Unbill kann sie nicht abwehren, im eigentlichen Sinne beabsichtigt sie dies auch gar nicht. Ihr Ziel ist es hingegen, den Erntevorgang mit seinen Problemen und Unwägbarkeiten wie auch seinen erfreulichen Aspekten darzustellen. Für diese Darstellung bedient man sich symbolischer Formen, die jene substantiellen Gefühle und Affekte bildlich zum Ausdruck bringen, die die Brauchträger in Bezug auf den Erntevorgang ängstigen oder begehrlich machen. Hierüber werden die zentralen Fragen unseres Daseins berührt: wie sehen wir uns selbst, wie beurteilen wir unser soziales Miteinander und welche Einstellung nehmen wir unserer gesamten Umwelt und dem Jenseits gegenüber ein?
Über Bräuche stellt sich eine Gesellschaft selbst dar. Sie führt eine bildliche Rede in sinnlich fassbaren Formen und „überprägnanten Modellen” (Justin Stagl). Solchermaßen werden über Bewegungs- und Bildgestalten Sinnstrukturen und Ordnungsmuster verdeutlicht, was die Gesellschaft in die Lage versetzt, sich selbst zu vergewissern und miteinander zu kommunizieren. Bräuche schaffen Entfaltungsräume, die von den Leistungsanforderungen und Zweckorientierungen des Alltags befreit sind. Sie produzieren damit einen Raum eigener Qualität, in dem es möglich ist, innezuhalten, sich zu besinnen, sich innerlich zu sammeln und mit anderen gemeinsam Einkehr zu halten. Sie kommen dem Wunsch nach symbolischer Verbindlichkeit nach, geben dem Lebensvollzug Gestalt, Relief und Rhythmisierung. Sie bieten sinnlich vorfindbare Ordnungsmuster und unterstützen die Ausbildung von Identität. Die Funktion von Brauch kann in diesem Sinne umschrieben werden als die eines Stützbalkens, der auch einmal kritisch überdacht und geändert werden kann, um ihn gewandelten Situationen und Bedürfnissen anzupassen. Brauch bedeutet somit nicht starre Festlegung, sondern Spielraum, das heißt prinzipielle Beweglichkeit und Offenheit, um auf mögliche Unzufriedenheiten und Reibungsprozesse reagieren zu können.
Es ist dabei nicht so, dass die realen Auswirkungen von Bräuchen für den Einzelnen eindeutig feststehen würden. Bräuche können sowohl psychische und soziale Belastungen bringen (etwa Rügebräuche) wie auch psychische und soziale Entlastung und Sicherheit (z. B. Bräuche um Sterben, Tod und Trauer). Sie können einerseits die Einzelnen zu einer Gemeinschaft und Ordnung zusammenführen und andererseits bestimmte Personen davon explizit ausschließen. Sie können den Menschen einerseits Grenzen aufzeigen und in verbindliche Ordnungen einbinden (Hochzeit), andererseits gerade solche Grenzen überschreiten (Karneval). Sie können sich entweder mit der soziokulturellen Realität auseinander setzen oder aber diese Realität verlassen und zu einer Form der säkularen Magie werden. Immer aber funktionieren sie gewissermaßen als Spiel, das bestimmten Spielregeln folgt. Erst in ihrer einseitigen Übertreibung bekommen sie einen fundamentalistischen Zug, dem es nur noch um die „richtige, wahre und echte” Form zu tun ist und durch den es schließlich zur Erstarrung kommt, weil die Ausrichtung an den jeweiligen Bedürfnissen ignoriert wird zugunsten einer möglichst werkgerechten Konservierung in rituell-zeremonieller Verkrustung.
Bei einem aktuellen Rundblick ist in mancherlei Hinsicht bei Teilen der Brauchtumspflege solch eine Tendenz zur rituellen Erstarrung erkennbar, weil es offensichtlich als wichtiger erachtet wird, bestimmte „altehrwürdige Brauchgestaltungen” möglichst unverändert zu erhalten, als die lebendigen Menschen mit ihren sich verändernden Bedürfnissen zum Maßstab der Brauchanpassung zu machen. Diese Haltung kann man zwar im Einzelfall durchaus akzeptieren, doch als grundsätzlicher Ansatz einer verantwortungsvollen sozialbezogenen Kulturarbeit kann sie kaum sinnvoll sein. Vor dem Hintergrund der vorstehenden Überlegungen erscheint es kaum verantwortbar, neue Brauchentwicklungen zu diffamieren und der nachwachsenden Jugend die Optionen auf Neuinterpretationen brauchtümlicher Verhaltenszüge rundweg vorzuenthalten.
Bei dem Versuch, den Gesetzmäßigkeiten von Brauch nachzugehen, stand das Bemühen um eine Differenzierung zwischen den verschiedenen Verhaltenskategorien im Vordergrund. Ebendiese Besonderheit brauchtümlichen Verhaltens gegenüber anderen Verhaltensmustern gab ursprünglich auch den Antrieb zu spezieller volkskundlicher Erforschung dieses Bereiches. Freilich operierte die ältere Volkskunde mit anderen Bezugssystemen und Schlussfolgerungen. Diesem Umstand entspringt auch die berechtigte Skepsis heutiger Forschung gegenüber dieser Thematik. Allerdings ist zu bedenken, ob es wirklich hilfreich sein kann, sich deshalb ganz von dem Begriff und der damit umschriebenen Sache zu distanzieren. Auch bei den aktuellen Bemühungen um eine Erweiterung des Brauchbegriffes wäre zu überlegen, ob es nicht auch im Hinblick auf präzise volkskundliche Verhaltensstudien durchaus Sinn macht, in mehrere voneinander unterscheidbare Typen menschlichen Verhaltens zu differenzieren und dafür entsprechende Begriffe zur Verfügung zu haben. Jedenfalls kann es sicher nicht Ziel einer detaillierten volkskundlichen Verhaltensforschung sein, ihrem Forschungsfeld ausschließlich einen eher schwach strukturierten Analyserahmen unter dem Typenschild von Konventionen und Alltagsgewohnheiten anzulegen.
Fraglos ist es dabei eher nebensächlich, ob man am Begriff „Brauch” festhalten sollte oder nicht. Vielmehr muss es um die damit apostrophierte Sache gehen und um die Frage, ob diese Kategorie, wenn sie in ihrer zentralen Tendenz erfasst und auf eine neue Basis gestellt ist, nicht zu einem schärferen Verständnis unserer gegenwärtigen Formen und Möglichkeiten des zwischenmenschlichen Umgangs wie auch individueller Handlungsmuster beitragen kann. Offensichtlich sind die derzeit verbreiteten Diskussionen um Sinn und Zweck von Ritualen auch ein derartiger Reflex auf Empfindungen von Defiziten in der Verhaltenspalette der Moderne. Wenn sich solche Überlegungen auch auf den exotischer anmutenden Begriff des Rituals konzentrieren, so behandeln sie doch in starkem Maße Aspekte, die eher dem Brauch zuzuordnen wären.[384] Wenn sich nun also einige Jahre nach dem Märchen-Revival[385] ein Brauch- und Ritual-Revival ankündigt, so kann dies auch als Sichtmarke einer sensibleren Wahrnehmung der Grenzen und Möglichkeiten bei der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse unter den Rahmenbedingungen der modernen Industriegesellschaften verstanden werden. Damit aber sind Kernfragen volkskundlicher Arbeit angesprochen.
Verwendete Literatur
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[WernerE 1991] Werner, Elyane: Bayerisches Hochzeitsbuch. München 1991.
[WolfHM 1992] Wolf, Helga Maria: Das BrauchBuch. Alte Bräuche, neue Bräuche, Antibräuche. Freiburg im Breisgau [u. a.] 1992.
[355] Erstveröffentlicht in: [SeifertM 1998a].
[356] Ich verweise hier lediglich auf die 5. Oberndorfer Begegnung (13. –15. Juni 1997) zum Thema „Brauchtumspfle und Folklore, sozialpsychologische Grundlegungen zum besseren Verständnis der konkreten Praxis”, zu der es im Einladungsschreiben unter anderem heißt: „An einigen Beispielen aus der ethnologischen Forschung, die sich an sozialpsychologische Grundaussagen anknüpfen lassen, soll der Wert des Brauchtums grundsätzlich erarbeitet werden. Von da aus ist dann an Beispielen der unmittelbaren Praxis die Frage zu stellen, wie wir heute damit umgehen und wie wir unsere Arbeit kulturpolitisch begründen.” – Aus der Fülle der aktuellen Brauchbücher nur Beispiele: [Bichler 1994]; [BinderEM 1994]; [WolfHM 1992].
[358] Bezeichnenderweise bietet der Buchmarkt neben zahlreichen Anleitungen zu Partnerschaft und Ehe sowie Ratgebern zur Gestaltung des Hochzeitsfestes auch Publikationen mit brauchtümlich-heimattümelnden Bezüge etwa [WernerE 1991].
[359] Exemplarisch ausgewertet habe ich das Martinsbrauchtum im Landkreis Rosenheim für das Jahr 1994 anhand Berichterstattung in der regionalen Tageszeitung Oberbayerisches Volksblatt. Demnach werden in neun Meldungen Aktivitäten der Kindergärten aus 13 Orten geschildert. Mit einer Ausnahme (Bericht vom 30.11.) gruppieren sie sich um den Tag des Heiligen Martin, den 11. November. In einem weiteren Fall wird der Lampionumzug von der Erzählung des Kindergartens auch auf den „Adventsspaziergang” am Nikolausabend übertragen. ([Nikolaus 1994]). Auch für die im Folgenden angesprochenen Brauchformen wähle ich jeweils einige wenige exemplarische Belege aus dem Landkreis Rosenheim.
[360] Zum Klöpfeln siehe: [Tausend Mark 1994]; [Klöpfeln 1994].
[362] [Sitten 1983]. Eine Leserbriefkontroverse zu diesem Thema in: Oberbayerisches Volksblatt vom 1984-12-20, 1985-01-09 und 1985-01-25. [Hochzeitsschießen 1994]. Als Beleg für die gängige Praxis: [Böller 1993].
[363] [Freinacht 1997]. In diesem Beitrag wird berichtet von Gullydeckeln, die aus der Fahrbahndecke gehoben wurden, von lahmgelegten Bahnschranken, entflammten Wertstoffcontainern, von in Kniehöhe über Straßen gespannten Nylonschnüren, von öffentlichen Springbrunnen, die mit Waschpulver zum Überschäumen gebracht wurden, sowie von einer mit Ziegelsteinen zugemauerten Zufahrtsstraße.
[364] [Maibaum-Diebe 1997]; [Maibaumklau 1997]; [Maibaum-Urteil 1997]. Den Vorwurf des „Rowdytums” handelten sich 1994 Diebe aus dem Landkreis Starnberg ein, die den 37 Meter langen Maibaum-Rohling unsachgemäß am Traktor hängend bis in den Nachbarort am Boden schleiften. Auf diese Weise brach nicht nur die Baumspitze ab und wurde der restliche Stamm stark abgeschliffen, sondern es wurden entlang des Fluchtweges mehrere Weidezäune zerstört. Siehe hierzu: [Maibaum Diebstahl 1994]. Vgl. auch: [Maibaum 1986].
[365] [Maibaum 1992]; vgl. auch [Maibaum-Diebinnen 1994].
[367] [Happings Geschichte 1997]; [Happinger 1997]. Vgl. hierzu auch die Pflanzung einer jungen Eiche als „geistiger Dorfmittelpunkt”: [Historische Stätte 1993]; [Eiche 1997].
[368] [Strohmanderl 1995]. In dem Artikel wird berichte, dass sich zu dieser neuen Form eine Frau aus Flintsbach im bayerischen Inntal bei Rosenheim ihre Anregung aus dem Schwarzwald holte, wo „solche Figuren den Getreidebauern aufgestellt werden”.
[369] Wiederum lediglich exemplarisch: [Bayerntum 1992]; [Storch 1996] sowie eigene Beobachtungen in Rosenheim-Aisingerwies und im Raum Altötting-Mühldorf für die Jahr 1996/97. In dem Artikel [Brüder 1992] wird von einem Mädchenbaum für das siebte Kind – eine Tochter – berichtet, den die Freundinnen der Mutter vor dem Haus aufstellten.
[370] Eine Auswertung des Oberbayerischen Volksblattes ergab folgendes Bild: Von insgesamt neun gemeldeten Leonhardiritten im Landkreis Rosenheim fanden jeweils ein Ritt am 22. (Samstag), 23. (Sonntag), 29. (Samstag) und 30.10. (Sonntag) sowie am 5.11. (Samstag) statt. Am eigentlichen Termin 6.11. zählt man demgegenüber nur vier Ritte.
[374] [GrossW 1996]; [Klosinski 1996]; [Leippe 1997]; [SiegelR 1995]; [Prosser 1996] sowie exemplarisch hierzu [Messner 1990].
[376] Als Standardwerke der älteren Forschung, die inzwischen massiver Kritik unterzogen worden ist, seien lediglich genannt [GrimmJ 1968] (besonders Band 1 Einleitung, S. 1–10); [Mannhardt 1875]; [Sartori 1910]. Einen kritischen Überblick über die Kernaussagen der älteren volkskundlichen Brauchforschung liefert [Hartinger 1992], S. 5 –72.
[377] [Nooteboom 1995], S. 208.
[378] Vgl. hierzu den Slogan „Festefeiern weckt Heimatgefühle in der oft so gleichförmigen Welt von heute”, Werbung der Concorde Verlag GmbH in Waldkirchen für die Publikation von [BinderEM 1994].
[379] Einen guten Überblick zur volkskundlichen Brauchforschung gibt [Bimmer 1994], S. 375–395. Siehe auch [Scharfe 1991] und mit speziellem Blick auf Bayern [Harvolk 1987b]. Exemplarische Zugänge präsentieren ferner [Weber-Kellermann 1985]; [SchwedtH/SchwedtE 1984]; [MezgerW 1993].
[380] Zur aktuellen Diskussion über die Brauchforschung siehe etwa [Bimmer 1994], S. 390–395 und [Scharfe 1991]: Einleitung, S. 1–26 oder auch [Harvolk 1987a], hier S. 335.
[381] Zu den Ausführungen über das menschliche Verhalten im Folgenden vgl. [Gehlen 1977]. Einen Abriss aus volkskundlicher Sicht bietet [Bringéus 1990], S. 165–188. Für den kulturanthropologischen Blickwinkel siehe [Greverus 1978a]; vgl. auch [Hansen 1995].
[382] Hierzu und im Folgenden [Stagl 1990], Zitat S. 10. Vgl. auch [Bringéus 1990], S. 165–188.
[383] [Stagl 1990], Zitate S. 11 und 13.
[385] [Kaufmann-Huber 1995]; [Bettelheim 1980]. Siehe auch [Bühler/Bilz 1958]. Über die veränderte Einstellung gegenüber Märchen in der deutschen Bevölkerung zwischen 1973 und 1996 gibt eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach vom April 1996 Aufschluss: [Märchen-Umfrage 1996].