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9.19. Sommer der Kunst (Mario Jandrokovic) - Langtext

9.19.1. Die Internationale Sommerakademie für Bildende Kunst

Internationalität ist schon im Namen der Sommerakademie festgeschrieben, der grenzüberschreitende Geist des Kosmopolitismus gehört seit ihrer Gründung im Jahr 1953 zur Programmatik und zum Selbstverständnis.[2962] Gleichzeitig ist die Sommerakademie seit einem halben Jahrhundert ein jährlich wiederkehrender, fester Bestandteil des öffentlichen Lebens in Salzburg, an dem nicht bloß Lehrende und Studierende aus aller Welt, sondern auch die StadtbewohnerInnen in richtiggehend ritualisierter Regelmäßigkeit teilhaben: als BesucherInnen von Ausstellungen, Events und Vorträgen oder einfach als PartizipatorInnen im Getriebe einer Institution, die dem Salzburger Kulturkalender im Sommer einige unvergleichliche Wochen beschert.[2963]

Obwohl internationaler Anziehungspunkt für renommierte Künstlerinnen und Künstler ist die Sommerakademie nicht nur Enklave für SpezialistInnen. Von Anfang an standen die von professionellen und renommierten Kunstschaffenden geleiteten Kurse allen Interessierten offen – unabhängig von deren künstlerischen Vorbildung. Hartwig Mülleitner, in Salzburg lebender Steinbildhauer, ist einer von zahlreichen heimischen Kunstschaffenden, für die die Internationale Sommerakademie für einige Wochen im Jahr Arbeitsstätte und vor allem auch Angelpunkt für internationale Kontakte gewesen ist. Über etliche Jahre war er als Assistent beim Steinbildhauersymposion tätig. Er beschreibt die Klientel der Sommerakademie als „einen Querschnitt von Studenten, die aus der Malerei kommen, aus der Bildhauerei, und auch Leute, die noch nie was mit Kunst zu tun gehabt haben, (...) die einfach die Idee haben, sie wollen sich kreativ beschäftigen. Und das war schon die Idee von Oskar Kokoschka, dass verschiedene Leute, Künstler und Nicht-Künstler zusammenkommen und voneinander lernen".[2964]

Der weltbekannte Maler Oskar Kokoschka (1886–1980) hat gemeinsam mit dem findigen Salzburger Kunsthändler und Galeristen Friedrich Welz diese einzigartige Form einer künstlerischen Ausbildungsstätte ins Leben gerufen, die für alle offen sein soll, unabhängig von Alter, Herkunft, Ausbildung oder Beruf. „Sein Ziel war nicht, Künstler auszubilden und heranzuziehen. Sein Ziel war zugleich weiter und bescheidener. Er wollte kunstbegeisterte Menschen aus verschiedensten Nationen und mit unterschiedlichstem Werdegang um sich versammeln und sie vor der Natur oder am Vorbild des menschlichen Modells mit dem Wunder der Sichtbarkeit vertraut machen (...). Er wollte Menschen für Kunst empfänglich machen – nicht sie zu Künstlern machen (...). In diesem Sinn hat Oskar Kokoschka seine Schüler vor allem eines gelehrt: Selbstvertrauen, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, in die eigene Spontaneität. Er ermutigte sie, aufmerksam zu beobachten und das Gesehene in spontanen, nicht korrigierbaren Aquarellen festzuhalten. Kokoschka wollte, dass die Menschen, die mit ihm arbeiteten, zu sich selber finden, in sich schlummernde Fähigkeiten entdecken und nutzen lernen”.[2965]

Heute noch steht die Internationale Sommerakademie für die Überwindung von Grenzen. Für Barbara Wally, die aktuelle Direktorin der Sommerakademie, spiegelt sich darin die Tendenz der Kunst, Grenzen zu erforschen und zu überwinden: „Und die Sommerakademie, seit 50 Jahren sozusagen ein internationaler Ort, kann neuen Grenzziehungen entgegenwirken. 1953, als überall rundherum Grenzen waren, hatte Kokoschka versucht, frischen Wind von außen nach Österreich zu bringen.”[2966] Dieses Zeichen der Internationalität wirkte vor einem halben Jahrhundert umso stärker, als der Nachhall des Zweiten Weltkrieges (1939–1945) noch deutlich den hiesigen Alltag prägte und gleichzeitig das neue Bedrohungsszenario des Kalten Krieges[2967] gerade im geteilten Österreich deutlich spürbar war. Der Salzburger Künstler Werner Otte hat das Umfeld in den Anfangstagen der Sommerakademie folgendermaßen beschrieben: „Die Menschen einer Zeit, als die letzten Kriegsgefangenen aus sowjetischen Lagern heimkehrten, hatten das lebhafte Bedürfnis, einander über Grenzen hinweg friedlich zu begegnen. O. K. und Friedrich Welz hatten dafür ein Forum geschaffen.”[2968]

9.19.2. Gründungszeit

Eine Einrichtung, die lediglich über einige Sommerwochen die Pforten geöffnet hatte – anstatt eines ganzjährigen akademischen Betriebes -, bedeutete für die Alte Welt eine ungewöhnliche und neue Form des Kunstunterrichts. Oskar Kokoschka hatte solche Sommerkurse schon Ende der vierziger Jahre in Tanglewood und Pittsfield, USA, abgehalten.[2969]

Die Besonderheit der Sommerakademie liegt zweifellos gerade in einer Offenheit, die im herkömmlichen Akademiebetrieb keinen Platz hat – dass alle Interessierten willkommen sind, unabhängig von Alter, Herkunft und Beruf. Gleichzeitig wird von KunststudentInnen immer wieder betont, dass die wenigen (für gewöhnlich fünf) Wochen Sommerakademie an Intensität und Lernerfahrung manchmal ein ganzes Jahr an der Akademie übertreffen.[2970]

Gleichzeitig war Oskar Kokoschka die gesamten zehn Jahre seines Wirkens in Salzburg darum bemüht, die sommerliche „Schule des Sehens” zu einem regulären, ganzjährigen akademischen Betrieb umzugestalten. In seinem letzten Jahr als Lehrender in Salzburg, 1963, wurde er in den „Salzburger Nachrichten” wie folgt zitiert: „1964 oder 1965 wird meine ‚Schule des Sehens' in Salzburg vielleicht eine neue, breitere Basis gewonnen haben. Sie kennen die Anregung meines Freundes Friedrich Welz, die ich für ausgezeichnet und für praktisch sehr gut durchführbar halte, die ‚Sommerakademie' in eine ständige Einrichtung mit ganzjähriger Aktivität umzuwandeln. Unterrichtsminister Dr. Drimmel und andere Herren aus Wien haben ein, wie mir scheint, echtes und starkes Interesse für diese Idee gezeigt.”[2971]

Die Sommerakademie ist letztendlich nie zu einer ganzjährigen Institution umgewandelt worden. Dass diese Einrichtung überhaupt in der Mozartstadt angesiedelt wurde, liegt nicht zuletzt am feindseligen Klima, mit dem Oskar Kokoschka wie zahlreiche andere ExilösterreicherInnen empfangen wurde, als er nach dem Zweiten Weltkrieg in die Heimat zurückkehrte. Die in der Alpenrepublik Verbliebenen, die zwischenzeitlich in den Institutionen der Bundeshauptstadt hoch gerückt waren, empfanden ihre berühmten Kolleginnen und Kollegen, die als Gegner oder Bedrohte des Nationalsozialismus das Land verlassen hatten, nunmehr als unangenehme Konkurrenz. Davon wusste auch der Maler und langjährige Sommerakademie-Professor Georg Eisler (1928 –1998) zu berichten, der Oskar Kokoschka während des Zweiten Weltkriegs im englischen Exil kennen gelernt hatte: „Kokoschkas Rückkehr nach Wien wurde verzögert und verhindert durch den Widerstand der beiden Kunstakademien und der kulturellen Autoritäten, ihm eine Stelle anzutragen. (...) Kokoschkas Kollegen an der Akademie waren nicht interessiert daran, den weltberühmten Maler nach Wien zurückzubringen; alte Rivalitäten und Eifersüchte waren offenbar unvergessen. Es war nicht die einzige Heimkehr, die hintertrieben werden sollte. Arnold Schönberg ist der erste von nicht wenigen Namen, die einem in den Sinn kommen. Rote Teppiche waren rar im Wien der Nachkriegszeit. Die beschädigte und besetzte Stadt rief ihre exilierten Söhne und Töchter nicht zurück; viele Emigranten kehrten nicht heim.”[2972]

Der Weggang von Oskar Kokoschka, der charismatischen Gründerfigur der Sommerakademie, bedeutete nur einen kurzfristigen Einbruch bei der Anzahl der Teilnehmer. Hatten 1963, im letzten Sommer unter Kokoschka, 326 Studierende teilgenommen, so waren es im ersten Jahr danach lediglich 179. Drei Jahre danach hatte deren Zahl wiederum über 300 erreicht. Heute hat sich die Anzahl der Studierenden bei über 400 eingependelt.[2973]

Im ersten Jahr der Sommerakademie, 1953, nahmen bloß 38 Studierende teil, allerdings waren sieben Nationen vertreten; eine Teilnehmerin kam sogar aus Übersee. Im Jahr darauf waren es bereits 72 Studierende, 1955 nahmen erstmals mehr als hundert Kunstinteressierte teil. Gleichzeitig weitete sich das Einzugsgebiet der Studierenden ständig aus, beschränkte sich die Internationalität nicht bloß auf die damaligen Grenzen der „Freien Welt”: 1955 kam erstmals ein Teilnehmer aus Ägypten, 1956 zwei Studierende aus der Tschechoslowakei, 1958 eine Staatsbürgerin der DDR. Die Türkei, Iran, Irak, Polen, die Volksrepublik China, Guatemala und zahllose andere Staatszugehörigkeiten sind schon in der Nationenstatistik aufgeschienen, als die Grenzen zu den betreffenden Staaten noch als kaum überwindbar galten. Nicht erst mit dem Fall des Eisernen Vorhangs ist die Sommerakademie zu einer Wegbereiterin für künstlerische Kontakte nach Mittel- und Osteuropa und andere Gebiete außerhalb der „Festung Europa” geworden.[2974]

9.19.3. Zentrum und Peripherien: Die Festung und andere Kursstätten

Auch wenn Oskar Kokoschka für ein Jahrzehnt Integrationsfigur der Akademie gewesen ist, so hat es seit dem Gründungsjahr ein breiteres Angebot als nur Malerei gegeben: Eine Architekturklasse und einen Kurs für Bildhauerei, der ab 1954 vom bekannten Italiener Giacomo Manzu (1908–1991) geleitet worden ist. Mit der Lithografieklasse entstand 1955 der erste Außenposten, räumlich getrennt vom Zentrum der Sommerakademie, der Festung Hohensalzburg. Auch die lithografische Werkstatt hatte sich 1953 auf historischem Boden niedergelassen. Gemeinsam mit der „Gesellschaft für Moderne Kunst” und der „Galerie Kunst der Gegenwart” hatte sie ihre Räumlichkeiten im Souterrain der erzbischöflichen Residenz.[2975]

Seit damals hat die Sommerakademie an zahlreichen symbolträchtigen Orten in Salzburg Quartier bezogen. Mit der Revitalisierung und Neubelegung brachliegender innerstädtischer Gebäude gingen zahlreiche dieser temporär genutzten Objekte der Sommerakademie wieder verloren: Der Meierhof von Schloss Leopoldskron diente gut ein Jahrzehnt als Standort für Fotoklassen, später wurde er wieder vom Vermieter, dem „Salzburg Seminar”, übernommen. Das Firmian-Salm-Haus in der Kapitelgasse stand für vier Jahre der Sommerakademie zur Verfügung, nachdem das Finanzamt diesen Standort verlassen hatte. Danach wurde es für die juridische Fakultät adaptiert. Der Lehrbauhof am Ende der Moosstraße bot gut sechs Klassen Platz, ehe die Ausbildungsstätte am südwestlichen Stadtrand von den Salzburger Festspielen einverleibt wurde.[2976]

Die Akademie nutzt auf der Festung Hohensalzburg Räumlichkeiten aus, die mangels Heizung das halbe Jahr ohnehin nicht nutzbar sind. Dass die Sommerakademie nach und nach auch andere Standorte belegt hat, liegt zum ersten daran, dass Räumlichkeiten seit den Achtzigern sukzessive umgewidmet worden sind: Drei Räume im Hohen Stock beherbergen nunmehr das Burgmuseum, die ehemalige Schmuckklasse im Burghof ist heute Touristenshop.[2977] Vor allem haben auch verschärfte Sicherheitsauflagen im Laufe der Jahrzehnte den Aktionsradius auf der Festung rigoros eingeschränkt. Malen mit Ölfarben ist aufgrund der giftigen Dämpfe streng verboten, in den Malklassen wird nur mit Acryl gearbeitet. In früheren Jahren wurde etwa sogar Bronze gegossen, doch sind solche Aktivitäten zwischenzeitlich von der Burg verbannt. Abgesehen von den verschärften Brandschutzbestimmungen[2978] ist das Herbeischaffen von Materialien wie Sand, Ton und Bronze auf den Festungsberg äußerst schwierig. Außerdem erforderte das Gussverfahren Nachtschichten und die sind mit den strengeren zeitlichen Reglements auf der Festung nicht vereinbar.

In den fünfziger Jahren waren die Möglichkeiten größer und die Ansprüche gleichzeitig kleiner. Roland Ladwig, Student der Jahre 1958 und 1959, erinnert sich an den Alltag in der Kokoschka-Klasse: „Ich malte in einem riesigen Saal mit etwa 250 Schülern Aquarell, nach einem sich bewegenden Modell.”[2979] Zahlreiche Studierende haben in jenen Tagen auch auf der Festung gewohnt. Einige haben auch gezeltet, wie sich Wolfgang Günther, Student im Sommer 2000, an seinen ersten Akademiebesuch in der späten Ära Kokoschka erinnert.[2980] Zahlreiche Studierende sollen damals in einem offenen Saal auf der Festung untergebracht worden sein, anscheinend sogar ohne Geschlechtertrennung.[2981] Studierende jener Tage wussten auch von einem Massenquartier beim Schloss Leopoldskron zu berichten,[2982] vor allem waren Unterkünfte bei Familien die Regel. Heute nehmen die Studierenden vor allem Studentenheime in Anspruch. In Salzburg nächtigen auch viele Studierende, die in den Klassen auf der Pernerinsel in Hallein arbeiten.

9.19.4. Saline, Galerien und andere Außenposten

Seit 1995 ist die Alte Saline in Hallein ein zweiter zentraler Standort. Das zuvor für die Landesausstellung „Salz” adaptierte, etwas ramponierte ehemalige Industriegebäude hat die eklatante Raumnot der Sommerakademie gut lindern können. In der Kleinstadt südlich von Salzburg ist auch deutlich die Dynamik im öffentlichen Leben zu beobachten, die mit der Sommerakademie gekommen war. Im Sommer 2001 waren etwa 12 Klassen in der Saline untergebracht. Das bringt nicht nur positive Nebeneffekte für Quartierinhaber und Gastronomie. Die Sommerakademie setzt mit ihrem Begleitprogramm auch deutliche Zeichen für die Öffentlichkeit: Zwei Galerien in Hallein, das „Kunstforum” und die Galerie „Pro Arte”, profitieren durch die sommerlichen Gäste: Ausstellungen international anerkannter Kunstschaffender, die bei der Akademie unterrichten, werden so auch für kleinere, wenig finanzkräftige Institutionen leistbar.[2983]

Auch in Salzburg wird durch die hochkarätigen Gäste der Sommerakademie das Ausstellungsprogramm entscheidend aufgewertet. Neben initiativen Orten wie etwa der Galerie „Eboran”, der „Galerie 5020” oder dem „Fotohof” profitieren auch altehrwürdige Institutionen vom Programm: Beispielsweise war die große Einzelausstellung „Der Himmel senkte sich” des weltbekannten venezolanischen Malers Jacobo Borges, der seit 1995 immer wieder in Salzburg unterrichtet, erstmals in der Residenzgalerie Salzburg zu sehen (1996), zwei Jahre später erst in Caracas und Berlin.[2984] Insgesamt 14 Ausstellungen und ebenso viele Vorträge oder Diskussionen begleiteten zum Beispiel das Programm 2002. Die kunstinteressierte Klientel der Sommerakademie einerseits und die „Stammkundschaft” der jeweiligen Institutionen andererseits sorgen für positive Synergieeffekte. Die internationalen Bande, die im Rahmen der Sommerakademie geknüpft werden, haben auch bei zahlreichen Lehrenden, AssistentInnen und Studierenden nachhaltige Spuren hinterlassen.

9.19.5. Alle willkommen?

Dara Ola, Kurde aus dem Irak, lebt seit 1987 in Wien. Ein reguläres Kunststudium konnte er sich nicht leisten, also besuchte er 1998 die Klasse der Zhou Brothers, eines aus der Volksrepublik China stammenden, nun in den USA lebenden Malerduos. Dara Ola, inzwischen regelmäßig Assistent an der Sommerakademie, zu seinen Erfahrungen: „Ich hab gute Kontakte für meine Malerei bekommen, zum Beispiel durch eine Studentin, die in einem Museum in Heidelberg arbeitet. Dort habe ich nächstes Jahr eine Ausstellung. Diese Möglichkeit haben viele Studenten zu Hause nicht. Sie sind beschäftigt mit ihrer Arbeit und können nicht auf einmal so viele Künstler treffen.”[2985]

Hartwig Mülleitner beschreibt das besondere Klima folgendermaßen: „Es ist völlig egal, ob man einen Künstler aus China trifft, aus Südafrika oder Amerika: Auch wenn man nicht richtig die Sprache spricht, mit Händen und Füßen, kommt man ziemlich schnell auf einen Konsens, und es hat etwas von einer großen Familie. Diese Familie besteht nicht nur während der Unterrichtszeit, diese Kontakte bestehen auch übers Jahr."[2986] Hartwig Mülleitner hat Erfahrungen als langjähriger Assistent beim Steinbildhauersymposion gesammelt. Seit 1986 findet in Fürstenbrunn bei Salzburg dieses Symposion statt. Lehrende wie Studierende arbeiten und leben für mehrere Wochen gemeinsam im Steinbruch Kiefer am Fuße des Untersbergs, der als dritter Standort der Sommerakademie fungiert.[2987]

Konrad Winter, Salzburger Künstler und mehrere Saisonen hindurch Lehrender an der Sommerakademie, sieht die Wochen der Akademie als einen „Lichtblick” in der Mozartstadt: „So viele hochkarätige Künstler, Freunde, Menschen, die mit Kunst zu tun haben sind sonst nie hier, das ist wirklich ein genialer Ausnahmezustand."[2988]

Die Klientel, die sich alljährlich bei der Sommerakademie einfindet, hat sich im Laufe des letzten halben Jahrhunderts vielleicht gar nicht so grundlegend gewandelt. Schon in den ersten Jahren reichte das Einzugsgebiet der Sommerakademie über mehrere Kontinente. Ebenfalls geblieben ist breite Streuung unterschiedlicher Milieus und Berufsgruppen: Studentinnen und Schüler gehören ebenso zur Klientel wie etwa Ärztinnen und Lehrer, Hausfrauen und Rentner. 60 % der Studierenden des Jahres 2002 waren hauptberuflich im künstlerischen Bereich tätig. Ebenso weit gefächert ist die Altersstatistik. Das Mindestalter für die Teilnahme ist 17 Jahre. Die Gruppe der unter 20-Jährigen machte 2002 rund 10 Prozent der Studierenden aus; am stärksten war die Gruppe der 21- bis 30-Jährigen mit gut 33 Prozent repräsentiert, und Studierende über 70 Jahre waren immerhin mit knapp drei Prozent vertreten.[2989]

Über die Jahrzehnte zeichnet sich allerdings eine deutliche Verschiebung zugunsten des Frauenanteils ab. Gegenwärtig hat er sich bei knapp über 70 Prozent der Studierenden eingependelt, während er in den allerersten Jahren der Sommerakademie kaum mehr als die Hälfte betrug. 1963, im letzten Jahr der Ära Kokoschka, war der Anteil weiblicher Studierender schon auf 60 Prozent gestiegen.[2990] Die hohe Akzeptanz weiblicher Kunstinteressierter für diesen „zweiten Bildungsweg” hängt vor allem auch damit zusammen, dass der reguläre Akademiebetrieb auch heute noch männliche Domäne ist. In besonderem Maße zeichnet sich dies bei den Professuren ab: Noch zu Beginn der Neunziger waren etwa von den rund 180 Lehrstühlen an öffentlichen Kunsthochschulen und -akademien der „alten” deutschen Bundesländer nur ein knappes Dutzend von Frauen besetzt. Die Sommerakademie hat seit den achtziger Jahren auch sukzessive den Anteil weiblicher Lehrender erhöht.[2991] Im Jahre 2001 betrug er gut 57 Prozent, 2002 machte er rund die Hälfte aus.

Im ersten Jahr der Ära Kokoschka stand „Internationalität” gleichsam für die damalige „freie Welt”: Unter den 38 Studierenden kamen fünf aus Deutschland, zwei aus der Schweiz und jeweils eine Person aus Belgien, den Niederlanden, Großbritannien und den USA. Zwei Jahre später stieg der Anteil italienischer Studierender sprunghaft auf 15 an, nachdem ihr berühmter Landsmann Giacomo Manzu seit 1954 eine Klasse für Bildhauerei leitete. Gleichzeitig waren im Rahmen der Akademie schon sehr bald die damaligen rigorosen Grenzen der „westlichen Welt” überwunden: Die Festung wurde zum „globalen Dorf”.

2002 waren 39 Nationen bei der Sommerakademie vertreten. Gerade seit 1989, nach der Öffnung der ehemaligen Ostblockländer, haben hochkarätige Kunstschaffende aus Staaten wie Albanien, Aserbeidschan, Georgien oder der Ukraine großes Interesse, in Salzburg ihr Schaffen um neue Perspektiven zu erweitern.

Die Sommerakademie hat allerdings seit Anfang der achtziger Jahre auf vermehrten künstlerischen Austausch über den damals noch recht undurchlässigen „Eisernen Vorhang” gesetzt. Für Studierende bestand kaum eine Chance, nach Österreich zu kommen, doch wurden Lehrende verpflichtet: Werner Tübke aus der DDR etwa, aus Prag der Steinbildhauer Milos Chlupac, der Fluxus-Künstler und spätere Hochschulrektor Milan Knizak oder die Grafikerin Adriena Simotova. Noch ehe die Kunstszene der Metropolen des Ostens in aller Munde war, hatte die Sommerakademie ihre Bande geknüpft. In den Achtzigern seien im Speziellen die offiziellen Besuche in Prag abenteuerlich gewesen, erinnert sich Direktorin Barbara Wally: „In Ungarn, Polen oder der DDR war die Situation damals schon politisch aufgeweicht.”[2992]

Heute bringt das Überwinden von Grenzen neue Herausforderungen: Irina Nakhova zum Beispiel, in New York lebende russische Staatsbürgerin, hatte enorme Schwierigkeiten, ihre Professur bei der Sommerakademie anzutreten: „Menschen aus ‚Drittländern' werden drittklassig behandelt”.[2993] Beinahe unmöglich gestaltet sich die Einreise für afrikanische Studierende. Der Aufenthalt einer Gruppe von Künstlern aus einer Partnerstadt Salzburgs in Tansania war im Laufe der Jahre schon zur Tradition geworden, im Jahr 2000 waren drei Studierende trotz Anmeldung nicht gekommen: „Hochkarätige Künstler, die nicht nur in Tansania bekannt sind, sondern auch am deutschen Markt vertreten. Aber selber dürfen sie halt nicht einreisen ”, meinte damals Konrad Winter.[2994] Diese langjährigen Gäste Salzburgs hätten durchaus ein Schengen-Visum bekommen können, hätten sie 20.000 Dollar in bar in der Botschaft deponiert; diese finanziell nicht überwindbare Hürde heißt dann „Garantie im Krankheitsfall”.[2995]

Es scheint sich heute nicht unbedingt leichter als vor fünfzig Jahren zu gestalten, für eine Form der Internationalität einzustehen, die nicht an den Grenzen des eigenen Binnenmarktes halt macht. Wie in ihren Anfangstagen ist es für die Sommerakademie auch heute noch eine Aufgabe geblieben, mit ihrer Arbeit die Barrieren einer aufs neue polarisierten Welt aufzuzeigen und zu überwinden.



[2962] Salzburg hat zwei Sommerakademien, die gleichermaßen international ausgerichtet sind. Auf die Sommerakademie für Musik an der Hochschule Mozarteum wird in diesem Text nicht eingegangen, sondern lediglich auf diejenige Bildende Kunst.

[2963] Vgl. [Schmied 1993b], S. 7f.

[2964] Interview mit dem Bildhauer Hartwig Mülleitner. In: Summer of Art. Dokumentarfilm über die Sommerakademie 2000. Nicole Baïer und Mario Jandrokovic. 37 min, 2001.

[2965] [Schmied 1993], S. 8.

[2966] Interview mit der Direktorin der Sommerakademie, Barbara Wally. In: Summer of Art. Dokumentarfilm über die Sommerakademie 2000. Nicole Baïer und Mario Jandrokovic. 37 min, 2001.

[2967] Vgl. auch Brief von Oskar Kokoschka an Friedrich Welz vom 11.2.1951. In: [Wally 1993], S. 16.

[2968] [OtteW 1993], hier S. 46.

[2969] Olda Kokoschka im Gespräch mit Barbara Wally, Villeneuve, 15.1.1993. In: [Wally 1993], S. 146.

[2970] Vgl. auch [Schmied 1993], S. 7. Podiumsdiskussion Wieland Schmied, Barbara Wally, Leon Golub und Nancy Spero im Rahmen der Sommerakademie 2000.

[2972] [Eisler 1993], hier S. 12f.

[2973] Statistische Daten: Archiv der Internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst in Salzburg.

[2974] Schriftliches Interview mit der Direktorin der Sommerakademie, Barbara Wally, am 3. November 2002.

[2975] [OtteW 1993], hier S. 48.

[2976] Schriftliches Interview mit der Direktorin der Sommerakademie, Barbara Wally, am 3. November 2002.

[2977] Schriftliches Interview mit der Direktorin der Sommerakademie, Barbara Wally, am 3. November 2002.

[2978] Vgl. auch [Schmied 1993], S. 7. Der erwähnte Brand der Wiener Hofburg hat gerade auf der Festung zu einer besonderen Sensibilisierung für Brandschutz geführt, nachdem sich der damalige Vizebürgermeister Heinz Schaden medienwirksam beim besorgten Erklimmen einer Feuerleiter auf Hohensalzburg ablichten ließ.

[2979] Brief von Roland Ladwig vom 30.4.1993. In: [Wally 1993], S. 76.

[2980] Interview mit Wolfgang Günther. In: Summer of Art. Dokumentarfilm über die Sommerakademie 2000. Nicole Baïer und Mario Jandrokovic. 37 min, 2001.

[2981] Schriftliches Interview mit der Direktorin der Sommerakademie, Barbara Wally, am 3. November 2002.

[2982] Johannes Grützke, Leiter der Klasse Malerei 1987 und Teilnehmer an Oskar Kokoschkas „Schule des Sehens” 1962, in einem Brief vom 1.4.1993. In: [Wally 1993], S. 100.

[2983] Vgl. auch schriftliches Interview mit der Direktorin der Sommerakademie, Barbara Wally, am 3. November 2002.

[2985] Interview mit Dara Ola, Sommer 2000. In: Summer of Art. Dokumentarfilm über die Sommerakademie 2000. Nicole Baïer und Mario Jandrokovic. 37 min, 2001.

[2986] Interview mit Hartwig Mülleitner. In: Summer of Art. Dokumentarfilm über die Sommerakademie 2000. Nicole Baïer und Mario Jandrokovic. 37 min, 2001.

[2987] Vgl. auch: [Wally 1988].

[2988] Interview mit Konrad Winter. In: Summer of Art. Dokumentarfilm über die Sommerakademie 2000. Nicole Baïer und Mario Jandrokovic. 37 min, 2001.

[2989] Alle Daten aus der Medieninformation zur Pressekonferenz der Internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst in Salzburg, am 20.8.2002, auf der Festung Hohensalzburg.

[2990] Statistische Daten: Archiv der Internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst in Salzburg.

[2991] [Schmied 1993], S. 10.

[2992] Schriftliches Interview mit der Direktorin der Sommerakademie, Barbara Wally, am 3. November 2002.

[2993] Schriftliches Interview mit der Direktorin der Sommerakademie, Barbara Wally, am 3. November 2002.

[2994] Interview mit Konrad Winter. In: Summer of Art. Dokumentarfilm über die Sommerakademie 2000. Nicole Baïer und Mario Jandrokovic. 37 min, 2001.

[2995] Schriftliches Interview mit der Direktorin der Sommerakademie, Barbara Wally, am 3. November 2002.

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