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Soziale Ästhetik, „Musts“ und Designkultur (Michael Weese)

Lifestyle, Look und Lebensstil

In Design und Mode verraten sich ästhetische Neigungen, die unsere gesamte Alltagskultur prägen. Noch bevor Menschen ihre tatsächliche Lebensweise ändern, drücken sie ihre veränderten Einstellungen oft sehr viel früher in einem neuen Modestil oder einer populären Ästhetik aus. Mit „Design“ ist somit nicht nur die Gestaltung von industriell gefertigten Produkten gemeint, sondern auch die Gestaltung von Lebensformen, von Beziehungen und Wertvorstellungen. Design lebt so nicht nur von Funktionalität und Oberflächenreiz, sondern bezieht die symbolische Qualität für das persönliche oder kollektive Bewusstsein mit ein.

Unser moderner Lebensstil[423] existiert heute als Inszenierung von Wirklichkeit und Selbst. Er ist von Prozessen einer Ästhetisierung des Alltagslebens[424] geprägt und findet durch die Wahl eines bestimmten „Lifestyle“ seine Bestätigung. Definierten sich Menschen früher sehr viel stärker durch ihre Herkunft, Konfession oder Bildung, so drücken sie heute sich selbst und ihr „eigenes Leben“[425] in der Wahl ihrer Kleidung, ihrer Einrichtungsgegenstände oder ihres Autos aus – selbst Turnschuhe, Handys und Armbanduhren werden zu Accessoires der Selbstdarstellung oder zu „Musts“ verschiedener Gruppen.

Der in diesem Zusammenhang verwendete Begriff der „Sozialen Ästhetik“ verdeutlicht die engen Verflechtungen von Produkt, Konsument und Gesellschaft. Die Wahl eines bestimmten „Looks“ steuert unsere gesellschaftlichen Beziehungen. Für jeden Einzelnen wird damit aber auch eine „ästhetische Kompetenz“ zur notwendigen Voraussetzung – erst diese ermöglicht das Verstehen und Gestalten von bestimmten Stilen und Moden.

Trends als Ausdruck des Wandels der Zeit

Welche „Mythen des Alltags“[426] bestimmen und verändern heute die Produktkonzepte? Welche Kulturgeschichte(n) steuert und steuern die Entscheidung der Konsumenten, einem bestimmten Trend zu folgen? Designkonzepte liefern manchmal selbst schon eine mögliche Antwort – sie entwickeln nie bloß ein Produkt, sie nehmen soziale, technologische und ökonomische Veränderungsprozesse wahr und gießen sie in attraktive Formen, Farben und Modelle.

Jede Zeit kennt Produkte mit besonderer „Zeitgeist“-Qualität wie die „Swatch“-Uhren der 1980er-Jahre. Ein Ziffernblatt sollte nicht mehr länger sachlich, sondern auffällig sichtbar sein und Spaß machen. Die vielleicht erfolgreichste Neudefinition eines Produkts am Ende des vorigen Jahrhunderts musste geradezu für eine Generation gelingen, die Persönlichkeit nun als „Patchwork-Identität“[427] empfand und mit der persönlichen Uhr höchst abwechslungsreich „Eigenzeit“ und persönliches Zeitmanagement bezeugte. Dieser kreative Prozess der Selbstorganisation wollte auch vorgezeigt werden: die Uhren wurden in ständig neuen Kollektionen angeboten und veränderten die privaten Nachtkästchen zu Schausammlungen.

Am Beispiel der Swatch-Uhr wird deutlich, wie die funktionellen Elemente eines Alltagsgegenstandes in einen gänzlich neuen Kontext gelangen können – ohne jede Rücksicht auf den ursprünglichen Zweck. Vor allem für eine junge Käuferschicht sollen Trends bunte Ideenvielfalt und individuelle Besonderheit sichern. Aber auch das gilt: Viele Konsumenten verwirrt solche Vielfalt, sie sehnen sich zurück nach einfachen und bewährten Produkten. Jeder Trend bewirkt einen Gegentrend, jede Mode fordert das Langlebige aufs Neue heraus.

Jeder Trend bewirkt einen Gegentrend

Der Kulturwissenschaftler Bernhard Tschofen erinnert in einem Essay über die Tracht, dass „Erzherzog Johanns ‚Graugrüner’ keine alte ‚vormoderne’ Tracht (...), sondern eine moderne Innovation (ist).“[428] Folgt man seinem Gedanken, dann gehört gerade jene Dialektik zu den Kennzeichen der Moderne, die sich zwischen Innovation und Konvention verwirklicht. Mode als Teil von gesellschaftlichen Wandlungsprozessen steht mit einem anderen Wertungswandel-Prozess in Zusammenhang – der Tradition. Der Veränderung aufgrund wechselnder Stile steht eine Veränderung aufgrund langlebiger und gültiger Vorstellungen gegenüber.

Der Trachtenproduzent Gössl, in dessen Katalog sich der oben genannte Essay findet, erzeugt Modelle, die so oder so ähnlich einmal getragen wurden. Um die Wurzeln im einfachen Leben, um Authentizität, Natürlichkeit und Qualität geht es dem Hersteller.[429] „Authentic“-Jacken und Hosen sollen den Verbrauchern die Entscheidungsschwierigkeit vor neuen, modischen Warenangeboten abnehmen. Dabei wird auch der Patina[430] ein besonderer Wert zugemessen – die Spuren der Abnutzung und des Gealterten erscheinen als die „echtere“ Alternative zum Neukauf in der Wegwerfgesellschaft.

Dieses Spiel aus Trend und Gegentrend gilt nicht nur für die Mode. Längst hat es sämtliche Lebensbereiche erfasst: der Beschleunigung folgt die Entschleunigung, Slow Food gilt als Antwort auf Fast Food, nach den Halogenspots kommt die Wiederkehr des Lampenschirms, High-Touch ist die Antwort der Designer auf High-Tech. Selbst der männliche Dreitagesbart stellt sich irgendwie den Geschwindigkeitsvorgaben der Rasierklingen-Erzeuger entgegen, die derzeit mit „Mach 3“ eine schnellere und gründlichere Rasur versprechen.



[424] [Schulze 1996], S. 33ff.

[427] [Keupp 1988]. Heiner Keupps psychologische Analyse liest sich stellenweise wie eine Anleitung für Produktdesigner: „Die klassischen Patchworkmuster (...) sind geometrische Muster in einer sich wiederholenden Gleichförmigkeit (...). Sie gewinnen eine Geschlossenheit in diesem Moment der durchstrukturierten Harmonie, in einem Gleichgewichtszustand von Form- und Farbelementen. Der „Crazy Quilt“ hingegen lebt von seiner überraschenden, oft wilden Verknüpfung von Formen und Farben, zielt selten auf bekannte Symbole und Gegenstände “ (S. 432).

[430] „Patina – Die Zeichen der Zeit“ war das Motto des Herstellers Gössl im Produktkatalog Nr. 62/2003.

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