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Die schöne Leich und der Klappsarg (Günther Jontes) – Langtext

Zwei Gegensätze und ihr Hintergrund

Sterben, Tod und Begräbnis des Menschen bilden eine kulturelle Einheit, die zutiefst mit den Elementen der physischen und psychischen Situation des Sterbenden, Toten und der Trauernden verbunden ist. Das Sterben ist die letzte aktive Seinsäußerung des höheren Lebens. Pietät der Sprache hat den Begriff dem Menschen vorbehalten, ihn jedoch oft wie den des Todes aus einer tief sitzenden existenziellen Furcht heraus mit euphemistischen Synonymen belegt, auch mit grimmigem, aufs Letzte zielenden Humor umschrieben. Erleben im Wortsinn kann man nur den Tod des Anderen – der eigene bleibt das größere Rätsel.

Die ältere Sprache setzt dem Ewigen noch das Zeitliche entgegen. Die unmessbare Ewigkeit setzt mit dem Tod ein, der leibgebundene Mensch ist nicht mehr in die ihm zugemessene Zeit eingezwängt, seine Existenz kann nur mehr von den Hinterbliebenen gedacht werden, ist absolut geworden.

Was bleibt vom Menschen nach dem physischen Ende? „Ach könnt’ ich Ewigkeit verleihn uns beiden ...“, sagt Michelangelo (1475–1564) in einem Sonett an die italienische Dichterin Vittoria Colonna und besingt die Fähigkeit des Künstlers, das Vergängliche im menschlichen Leben mit den Mitteln der Kunst zu transzendieren. Damit tritt ein sehr altertümlicher Zug menschlichen Denkens um die letzten Dinge zutage. Skepsis gegenüber den Verheißungen von Religion und Philosophie sucht nach anderen Lösungen der Fragen um die eigene Existenz, sie trachtet danach, die krasse Realität des Todes mit seiner Unfassbarkeit zu verklären und sie erfindet Rituale der Täuschung und des Verdrängens. Religion kann ewige Seligkeit oder Verdammnis, Philosophie ewigen Schlaf verheißen.

Neben der individuellen Zuordnung des Denkens über Sterben und Tod gibt es die unabdingbare Bindung an die gesellschaftliche Situation, die zum Teil nicht nur durch soziokulturelle Gegebenheiten, sondern auch durch Religionen, Ideologien und zeitgeistige Gestimmtheiten vorgegeben ist. Daraus ergeben sich die Spezifika, wie sie in der Chronologie der Menschheitsgeschichte und deren geografischen und ethnischen Differenzierung beobachtet werden. Abgesehen von den Sitten der Völker lässt schon etwa ein europäisches Jahrhundert in sich den kulturellen Wandel in der Behandlung von Tod und Begräbnis, Memorial und Grabmal erkennen, wenngleich gerade hier sehr starke retardierende Elemente sichtbar werden, die von einem vielfach ängstlich gehüteten Konservatismus ausgehen, wie er in anderen Bereichen menschlicher Kultur nicht in diesem Maße zu finden ist.

Zwischen Tod und Begrabensein steht die Phase der gesellschaftlich und kulturell gesehen größten Aktivitäten, die von rationalen und ethischen Komponenten bestimmt werden. Genau genommen ist es ein Komplex von Riten, die von rationalen Vorschriften der Administration über die individuelle Betroffenheit der Hinterbliebenen bis hin zum Kulturelement der Tradition, zu Sitte und Brauch führen. Es sind Riten des Übergangs, wobei der Tote als davon Ergriffener zwar verwandelt wird, jedoch nur mehr virtuell am weiteren Geschehen teilhat, das sich als Gedenken der Nachwelt mehr oder weniger klar manifestiert.

Die Art und Weise, wie diese „rites de passage“ stattfinden, hat sicher immanent immer ein Ziel: Das Unabänderliche des Todes soll in Beziehung zum Leben gesetzt werden. Religionen sprechen vom Übergang in ein besseres Sein, ja betrachten ihn vielfach als den Beginn der eigentlichen Existenz. Sie sprechen das ewige Leben an und verheißen es demjenigen, der den Geboten der Gottheit, des Himmels gefolgt ist. Radikaler im Lebensbezug sind die Anschauungen von der Präexistenz und der Reinkarnation, wie sie vorzugsweise von Hinduismus und Buddhismus gelehrt werden. Schon die Erhaltung des irdischen Leibes als Mumie für jenseitige Ziele, wie sie im Alten Ägypten üblich war, zeigt ein bedingungsloses Anhaften am physischen Leben, dem sich selbst atheistische Ideologien nicht verschlossen haben, wie die „heiligen Leiber“ der Mausoleen in Moskau und Peking, in Hanoi und Ulan-Bator zeigen und die damit bereits formal religiöse Bezüge herstellen.

So wie das erwünschte jenseitige Leben im Christentum in Kategorien eines Paradieses gedacht wurde – es gibt ja nur ein darauf Bezug nehmendes Christuswort zum rechten Schächer am Kreuz –, so sollte auch das Begräbnis in seiner Form alles Positive aus dem Leben des Toten noch einmal zusammenfassen und es in einem reinen Licht erscheinen lassen. Festgelegte Rituale, deren Besetzung mit individuellen Zügen nur schmalen Raum lassen, eignen sich dazu am besten, zumal die Kluft zwischen Anspruch und Realität der ethisch-moralischen Ausrichtung eines abgelaufenen menschlichen Lebens oft sehr weit auseinander klafft. Lobpreis am Grabe hat oft sehr Doppelbödiges an sich. Barocke Leichpredigten waren unabdingbar in die Begräbnisriten der Oberschicht eingebunden. Sie waren umfangreiche Bilanzen, die den Wert und die Leistungen eines Toten stets überhöhten, für die Nachwelt zwar farbgebende Geschichtsquellen darstellen, im Übrigen aber als ruhmredige Elogen äußerst formale und subjektive Aussagen machen. Zur Bewertung des wahren Charakters sind sie nur beschränkt brauchbar. Ihre auf vorausschauende Erhaltung des Ruhms gerichtete Qualität zeigt sich auch in der Tatsache, dass sie oft im Druck herausgegeben wurden. Immerhin bedurften sie der Recherche des Predigers und Autors, weil sich aus jeder biografischen Einzelheit theologische Bezüge drechseln ließen. Auch die Rezeption dieser Form des Lobpreises durch Hörer und auch Leser muss differenziert gesehen werden.

Die Formalisierung des Vorganges als Teil des Totenrituals zeigt sich auch im zeitgenössischen professionellen Grabredner, wie er heute von den Bestattungsunternehmen größerer Orte, gegen Bezahlung versteht sich, bereitgestellt wird, wenn es im Umkreis des Toten niemanden gibt, der etwa für Behörde, Firma, Verein letzte lobende Abschiedsworte spricht und konfessionelle Gebundenheit nicht besteht. Dann stehen sie hinter der Aufbahrungshalle, im schwarzen Anzug, mit einer hastigen Zigarette in der einen, einem rasch mit einigen erfragten Fakten versehenen Spickzettel in der anderen Hand und warten memorierend auf ihren nächsten Auftritt. Sie gehören, wie man in Wien sagt, zum Dekorum einer „schönen Leich’“.

Der hier verwendete Begriff bedarf einer näheren Betrachtung. Das Wort Leiche für einen toten menschlichen Körper ist ursprünglich nur eine sekundäre Bezeichnung, bedeutet doch im Althochdeutschen lîh den Körper, den Leib im Allgemeinen. Als Tabuwort hüllt es dann den toten Körper begrifflich ein und wird zum ausschließlichen Wort dafür. Als Kompositum heißt es „ahd. lîhhamo“, wobei der zweite Teil der Zusammensetzung zu germanisch „*hama-“ gehört, das wiederum Hülle, Haut bedeutet und im heutigen euphemistischen „sterbliche Hülle“ für Leichnam weiterlebt. Diese Hülle umgibt demnach im Leben die menschliche Seele. Wertneutral meint es in Fronleichnam nur den „Leib des Herrn“ in Gestalt der gewandelten Hostie.

In den deutschen Mundarten bedeutet „Leich(e)“ aber auch das Begräbnis, das Leichenbegängnis schlechthin und geht etwa auf ein frühneuhochdeutsches „mit der leiche gan“ zurück. Dadurch kommt es zur sprichwörtlichen Redensart von der „schönen Leich“, wie sie wohl der Wiener geprägt hat und die im Wienerlied eine gewisse sentimentale Rolle spielt, auch dann, wenn er seine vorgebliche Bescheidenheit mit den Worten besingt: „I brauch kan Glanz, i brauch kan Pflanz, i brauch ka schene Leich ...“ oder den gesellschaftlichen Wert eines Begräbnisses und des Toten damit definiert, dass der Verblichene eine „schöne Leich“ gehabt habe und „viel Leut grehrt ham“.

Dass ein feierliches und prunkvolles Begräbnis auch aus Gründen der Staatsraison wichtig war, beweisen die fürstlichen Abschiedsriten und Leichenbegängnisse, wie sie von den Habsburgern und den anderen europäischen Dynastien oder geistlichen Landesfürsten gepflogen wurden. Sie wurden großartig inszeniert, die lange Vorlaufzeit für die aufwändigen Zeremonien verlangten nach Methoden, den Zerfall des Leichnams hintanzuhalten oder auch zu verbergen. War eine offene Präsentation des Herrschers nicht mehr zu verantworten, griff man auch zum Mittel, eine wächserne Nachbildung des Toten, ein Männeken, herzustellen. Am häufigsten aber waren die Verfahren der Einbalsamierung und auch die Trennung des Körpers in Bestattungseinheiten. Die Habsburger bargen schon im Mittelalter wie bei Kaiser Friedrich III. (1415–1493) die Eingeweide am Orte des Todes – hier in Linz – oder in den Katakomben von St. Stephan zu Wien und den Leib an einer repräsentativen Stelle in einem öffentlich aufgestellten Prunksarkophag. Seit dem 17. Jahrhundert geschah dies bei den Kapuzinern in der Gruft unter der Ordenskirche am Neuen Markt. Das Herz wurde später in einen silbernen Pokal eingeschlossen und im „Herzgrüftl“ der Hofkirche bei den Augustinern in Wien beigesetzt. Die Wittelsbacher hatten dafür die Gnadenkapelle zu Altötting ausersehen.

Die Aufbahrung in einer Kirche nahe bei Hof erfolgte als „Castrum doloris“, als Trauerlager. Gewaltige theatralische Bauten, von Hunderten Kerzen erhellt und von Wache haltenden Garden umgeben, enthielten das Paradebett, auf dem der Tote, umgeben von seinen Herrschaftszeichen wie Krone, Zepter und Reichsapfel, ruhte. Seit dem Barock zierten beziehungsvolle Embleme und allegorische Figuren den Katafalk.

Oft waren aufwändige Transporte notwendig, um den hohen Leichnam an den endgültigen Ort der Bestattung zu bringen. So hatte Erzherzog Karl II. (1564–1590) von Innerösterreich für sich und seine Familie schon zu Lebzeiten ein prachtvolles Mausoleum in der Stiftskirche des obersteirischen Augustiner Chorherrenstiftes Seckau errichten lassen. Als er 1590 starb, wurde ein umfangreiches Zeremoniell in Bewegung gesetzt, das den Zeitgenossen eindringlich die Meriten des Toten und die Bedeutung seiner Dynastie vor Augen führte. Der Leichenzug von Graz dorthin dauerte mehrere Tage, denen schon eine lange Aufbahrungszeit vorangegangen war. Er wurde nicht nur grafisch als Kupferstichserie minutiös dargestellt, sondern in seinem düsteren Prunk auch von einem Gelegenheitspoeten in zahlreichen gereimten Strophen genau geschildert. Im Leichenzug mitgeführt wurden außer dem schwarz verhüllten Klagross auch die später an der Mauer des Mausoleums aufgehängten Funeralwaffen Helm, Schwert, Dolch und Sporen. Schon im Mittelalter waren auch die mit Namen und Wappen versehenen, kunstvoll geschnitzten und bemalten Totenschilde üblich, die ebenso die Stätte des Grabes zierten.

Damals überwogen die formalisierten Vorgänge um den Abschied. Das unerbittliche „Memento mori“ steht im Vordergrund und erstarrt dann zu einem bleibenden Gestus in der Aussagekraft der Symbolik eines Mausoleums, unter denen außer dem erwähnten Seckauer auch das der Fürsten Eggenberg im südsteirischen Ehrenhausen als Beispiel des Manierismus zu nennen ist. Wie der Tod alles menschliche Irren auflöst, zeigt das prominenteste Salzburger Beispiel in Gestalt des Mausoleums des Salzburger Fürsterzbischofs Wolf Dietrich von Raitenau (1587–1612) auf dem St. Sebastiansfriedhof.[1681]

Ritualisierte Trauer hat auch ihre äußeren Zeichen. Vor allem die Trauerkleidung hat – trotz Reduzierung ihres Inventars – bis heute nicht ihren soziokulturellen Stellenwert verloren. Sie schreibt bestimmte Formen, Funktionen und Weisen des Tragens vor, lässt aber einen gewissen individuellen Spielraum frei. Frühe systematische Darstellungen dieser Kleidung sind selten. Gerade für Salzburg aber haben sich schätzenswerte diesbezügliche Bildzeugnisse in der so genannten Kuenburg-Sammlung, einer Folge von Kostümbildern, die die Salzburger Landestrachten und Uniformen in der Zeit von 1773 und 1803 darstellen, erhalten. Sie lassen sowohl Schlüsse auf den Adel, als auch auf Bürger und Bauern zu. Das Bild mit der „Hauptklage der hochfürstl. Räthe“ zeigt die vorgeschriebene Trauerkleidung hoher Beamter. Schwarz ist in dieser Zeit allgemein, auffällig der flachkrempige Hut mit zwei herabhängenden Trauerflorbändern. Trauer wird auch mit Schmucklosigkeit ausgedrückt, was sich hier auch darin zeigt, dass das Haupthaar offen fallend ohne Perücke oder Haarbeutel getragen wird. Bei der „Hauptklage der Cavaliers und Land[edel]leute“ ist dies ebenso der Fall, nur hat der hier abgebildete Adelige ein Kinn und Mund bedeckendes schwarzes Trauertuch umgebunden. Beide tragen aber zum feierlichen Schwarz der Gesamtausstattung weiße Handschuhe.

„In der Klag“ kann man auch Bürger und Bürgerin sehen. Diese haben einen Rosenkranz in Händen. Beide haben schwarze Handschuhe, die Frau auch ein weißes Trauertuch, das Schultern und Oberarme bedeckt und auch bis über Hals, Kinn und Mund reicht. Ein schwarzer, „Nebelstecher“ genannter Hut vervollständigt das Gewand dieser Frau. Ihm ähnelt das einer Frau aus Werfen („Ein Weib in der Hauptklag“), das ebenfalls diese Hutform und ein weißes Trauertuch aufweist.

Die Zusammensetzung solcher Kleidungstypen zeigt offensichtlich egalitäre Tendenzen. Der Tod macht nicht nur alle Toten gleich, er wirkt auch auf die Trauernden, die alle gleich im Sinne gesellschaftlicher Ordnung werden, wenn sie gemeinschaftlich in den Verlauf einer Trauerhandlung eingebunden sind. Dazu kommt noch eine durch obrigkeitliche Kleiderordnungen erzwungene Differenzierung der Stände und gesellschaftlichen Gruppierungen, wie sie seit der frühen Neuzeit immer häufiger wurden und auch in brauchgebundene Abläufe eingriffen. Ebenso ist die Zurückdrängung des Prunkes bei solchen Anlässen aus Gründen der „Vernunft“ im Zeitalter der Aufklärung und des absolutistischen Zentralismus zu sehen.

Waren solche Begräbnisse eine „schöne Leich“ im späteren oder heutigen Sinn? Kaum. Sie waren prunkvoll, symbolgeschwängert, pure Repräsentation, bei denen echtes Leid und echte Trauer, aber auch falsche oder nicht vorhandene Gefühle der Trauergäste sich hinter einem Visier genannten schwarzen Schleier verbargen, der das Gesicht verhüllte und nur die Augen freiließ. Sie gehörten einfach dazu, waren Teil der fürstlichen Welt wie prunkvolle Taufzeremonien oder Hochzeiten mit ihrem oft ungeheuerlichen Aufwand. Zur „schönen Leich“ aber gehören Gefühl, Sentimentalität und Empfindsamkeit, dazu auch zum Teil verklärender, sogar grimmiger Humor. Dies nur den Wienern zuzugestehen, von denen der Begriff von der „schönen Leich“ anscheinend in die Welt gesetzt wurde, würde sicherlich eine Einengung bedeuten, denn die ganz bestimmte Assoziationen weckende Redensart hat sich ja weiträumig ausgebreitet und kann ruhig allen zugesprochen werden, die heute noch Wert auf eine schöne Leich legen, seien dies die trauernden Nachkommen oder der sich testamentarisch eines stimmungsvollen Abschiedes von der Welt versichernde Tote. Die große Zeit dieser Institution ist heute natürlich vorbei, die Grabsteine, die einst so erzählfreudig und ruhmredig waren, werden immer einsilbiger.

Die „schöne Leich“ ist ihrer Entstehung und Ausprägungsart nach eine Besonderheit des gesellschaftlichen Mittelstandes einer Epoche, die man grob als die Gründerzeit oder die franziskojosephinische Epoche umschreiben kann. Sie ist am deutlichsten natürlich im Zentrum der Donaumonarchie, in Wien zu beobachten. Bis es aber soweit war, hatte die Funeralkultur einige wichtige Schritte zu tun, die sich nicht nur im langsamen kulturellen Wandel einer an sich sehr konservativen sittlichen Haltung zeigte.

Städtische Leichenzüge waren schon lange vorher dokumentarisch im Bild dargestellt worden und vermögen einen Eindruck von den Begräbnissitten etwa im barocken Wien geben. Die famosen Kupferstiche, die Salomon Kleiner 1724–1737 für das Tafelwerk „Das florierende Wien“ schuf, zeigen als Staffage zu den Darstellungen von Palazzi und Kirchen auch minutiöse Szenen am Rande – wie den Tischler, der mit seinem Lehrling einen Sarg liefert, bis zum Kondukt auf dem Wege zum Friedhof.

Zu dieser Zeit war eine Bestattung noch nicht kommerzialisiert. Im Todesfall erging die Meldung an die zuständige Pfarrkirche, auf deren zugehörigen Friedhof der Totengräber das Grab aushob. Die Festsetzung des Konduktes und der Einsegnung, die Bestimmung, wer gegen Erlag der Stolgebühr die kirchlichen Zeremonien auszuführen hatte und die Abhaltung der Seelenmesse waren Sache des Pfarrers. Beim Tischler, für den die Herstellung eines Sarges zur Routine gehörte, wurde eine solche Totentruhe nach Maß des Verstorbenen bestellt und rechtzeitig geliefert, damit die Einsargung erfolgen konnte. Drei Tage lang lag der Verblichene in seiner Wohnung auf der Bahre. Schon im Mittelalter hatte es Tendenzen gegeben, auch für einfache Menschen ein würdiges Begräbnis zu gestalten. Die zahlreichen religiösen Bruderschaften waren auch dafür da, ihren Mitgliedern den letzten Weg durch ein schmückendes Bahrtuch, das den vielleicht allzu schlichten Sarg verhüllte, durch Anzünden von Kerzen, durch Geleit der Brüder und Schwestern dieser Gebetsvereinigungen und durch Totenmessen zu verschönern.

Im Zeitalter der Aufklärung haben wir für Wien und die habsburgischen Erblande zahlreiche obrigkeitliche Eingriffe zu beobachten, die allgemein auf die aufklärerischen Tendenzen dieser Epoche zurückgehen. Bekanntlich konnten sich nicht einmal souveräne geistliche Fürsten innerhalb des römisch-deutschen Reiches wie der Erzbischof von Salzburg als Landesherr diesen Tendenzen verschließen. Staatlicher Ordnungswille wird deutlich, wenn Kaiserin Maria Theresia 1743 mit ihrer „Funeral Spezification in denen Kirchen Grüfften zu St. Stephan“ erstmals ein Dreiklassensystem bei Begräbnissen festsetzt, dessen Riten sich nach den finanziellen Möglichkeiten der Familie des Toten richten. Ein Indikator dafür ist der Preis für das damals sehr wichtige Glockengeläut, das von oben nach unten gestaffelt ist und beträchtliche Kosten sichtbar macht, die von 171, 92 bis 39 Gulden ausmachen, wobei Dauer, Art und Zahl der Glocken ins Treffen zu führen sind.

Das ist auch die Zeit, in der der Staat sich Gedanken über die hygienischen Konsequenzen von Friedhöfen und Kirchengrüften innerhalb der Stadtmauern macht, mit der Schaffung von „Einsetzkammern“ auf den Friedhöfen Aufbahrungen auch außerhalb der Wohnsphäre der Bürger ermöglicht und die Dauer der Aufbahrung so ansetzt, dass deutliche Zeichen des Todes an der Leiche die Furcht vor Scheintod herabsetzen, dem bis ins 19. Jahrhundert hinein die europäische Menschheit fast als Massenhysterie ausgesetzt war.

Wie weit sich die erbarmungslose Vernunfthaltung eines Reformherrschers wie Kaiser Joseph II. (Kaiser seit 1765) von gängiger Sitte und tief empfundenem Anstand entfernt hatte, zeigt die schonungslose Konsequenz, mit der er versuchte, die übliche Beisetzung im hölzernen Sarg durch eine Bestattung im Sack zu ersetzen. Berühmt-berüchtigt ist sein Hofdekret vom 23. August 1784, mittels dessen er anordnet, dass in Zukunft die Leiche in einen Sack einzunähen und ohne Sarg im Grabe beizusetzen sei. Das Edikt verdient es, im Auszuge wörtlich mitgeteilt zu werden:

„Da bei der Begrabung kein anderes Absehen sein könne, als die Verwesung so bald als möglich zu befördern, und solcher nichts hinderlicher wäre, als die Eingrabung der Leichen in Todtentruhen, so wird für gegenwärtig geboten, daß alle Leichen in einem leinernen Sacke ganz blos ohne Kleidungsstücke eingenähet, sodann in die Todtentruhe gelegt und in solcher auf den Gottesacker gebracht werden soll. Solle bei diesen Kirchhöfen jederzeit ein Graben von sechs Schuh tief und vier Schuh breit, die dahingebrachten Leichen aus der Truhe allezeit herausgenommen, und wie sie in den leinernen Sack eingenäht sind, in diese Grube gelegt, mit ungelöschtem Kalk überworfen, und gleich mit Erde zugedeckt werden. Sollten zu gleicher Zeit mehrere Leichen ankommen, so könnten mehrere in die nämliche Grube gelegt werden ... Zur Ersparung der Kosten wäre die Veranlassung zu treffen, daß jede Pfarre eine ihrer Volksmenge angemessene Anzahl gutgemachter Todtentruhen von verschiedener Größe sich beischaffe, welche jedem unentgeltlich darzugeben sei. Jedoch könnten die Leichen nicht mit der Truhe unter die Erde gebracht werden, sondern müssen aus solchen wieder herausgenommen und diese zu anderen Leichen gebraucht werden.“

Es ging also darum, eine möglichst schnelle Verwesung der Leiche zu gewährleisten und dadurch eine Frequenzsteigerung der Belegdauer von Grab und Friedhof zu erreichen, was auch in der Erwähnung einer Mehrfachbelegung von Schachtgräbern deutlich gemacht wird. Gedanken über Holzverschwendung scheinen nach Aussage des Dokumentes gar nicht im Vordergrund gestanden zu sein. Der immer wieder verwendbare Sarg war trotzdem ein Sparsarg.

Pietätgründe waren dafür maßgeblich, dass das umständliche Herausnehmen der eingenähten Sackleiche und deren Hinunterbeförderung ins Grab unterbleiben konnten. Ein Mechanismus mit Sperre und Zugleine ermöglichte das Aufklappen des Sargbodens.

Nur ganz wenige Beispiele dieser Vorrichtung haben sich bis heute erhalten, wenngleich anzunehmen ist, dass josephinisch gesinnte Pfarrer sogleich an die Umsetzung der erlassenen Verordnung gegangen waren. Ein solcher Sparsarg befindet sich in der Leobener Stadtpfarre Göß im dortigen Stiftsmuseum, ein anderer in der Pfarrkirche St. Michael bei Vösendorf in der Wachau. Der Gösser Sarg trägt eine Deckelbemalung mit Kruzifixus und Zeichen des Todes, der in St. Michael ein einfaches Kreuz. Letzterer ist als Kopie auch im „Wiener Bestattungsmuseum“ zu sehen.

In der Josephinischen Zeit erreichte also die Versachlichung der letzten Handlungen für einen toten Menschen einen Höhepunkt, wie er derart rigoros erst wieder im ausgehenden 20. Jahrhundert zu beobachten ist. Zumindest im städtischen Bereich entfallen unter Joseph II. nach der Einsegnung der sterblichen Überreste Leichenzug, Begleitung zum Grab, letzte Riten dortselbst, in vielen Fällen selbst ein individuelles Grab, wie die Diskussion um Tod und letzte Ruhestätte Wolfgang Amadeus Mozarts[1682] gezeigt hatte, die erst im Laufe von Forschungen im Umfeld seines 200. Todestages 1991 wissenschaftlich halbwegs klare Fakten ans Licht und althergebrachte Klischees zum Verstummen brachte. So ist das „Grab“ Mozarts am Marxer Friedhof in Wien ein Rekonstrukt des 19. Jahrhunderts.

Die krampfhafte Suche nach materiellen Spuren des Verbleibs seines Leibes erinnert noch an die Reliquiensucht des Mittelalters, was sich ja auch an der Interpretation des Schädels zeigt, der getrennt vom übrigen Skelett für Mozarts Cranium gehalten wird und nach dem Anthropologen und Anatomen versucht haben, das „wahre Antlitz“ des Meisters für die Nachwelt sichtbar zu machen. Auch Joseph Haydns Schädel[1683] wurde erst mehr als ein Jahrhundert nach Begräbnis, Grabraub und Wiederfindung mit den übrigen Resten in einem theatralischen Akt in der Eisenstädter Haydn-Kirche vereinigt. Der Totenkopf als gedachter Sitz der Identität eines Menschen wurde auch zum bezeichnendsten nichtreligiösen Symbol des Todes und der Vergänglichkeit. Unausweichlich steht das entfleischte Haupt nach dem Absterben des Menschen als sein respektabelster Rest den noch Lebenden zur Mahnung vor Augen. Die Piratenflagge ziert er ebenso wie die Kronen Furcht erregender tibetischer Schutzgötter. Im mittelalterlichen Totentanz wird er grinsende Realität und tritt auch noch als ein später Nachzügler beiJedermanns Tod auf dem Salzburger Domplatz auf. Warnend bezeichnet er giftige Substanzen und Zonen physischer Gefahr. Mit gekreuztem Totengebein ist er ein Element der Symbolkunst auf kirchlichen Paramenten der Totenriten. Von Grabsteinen verkündet er das „Memento mori“ („Gedenke deines/des Todes“). Ein unscheinbarer Totenkopf zu Füßen von Christi Kruzifix verkörpert das legendenhafte Grab des Stammvaters Adam auf Golgatha und fasst damit in sich den Begriff der Sterblichkeit, der alle Menschen von Geburt an verfallen sind.

Als Kaiser Joseph II. Anfang 1785 auch noch die Leichenreden am Grab verbot, begann es im Volk zu rumoren. Pamphlete und offene Demonstrationen fingen an, am Sinn der Reformen des Kaisers überhaupt Kritik zu üben. Eine Flugschrift mit dem Titel „Warum wird der Kaiser Joseph von seinem Volke nicht geliebet?“ brachte wohl den Unmut breitester Kreise zum Ausdruck. Ein erstes Einlenken in Bezug auf das Sargbegräbnis sprach der Monarch – sehr ironisch, aber auch bereits resignativ – in einem eher informellen Handbillet aus, in dem er mitteilte: „Da ich sehe und täglich erfahre, daß die Begriffe der lebenden Leute noch so materialistisch sind, daß sie einen unendlichen Preis darauf setzen, daß ihr Körper langsamer faule und länger ein stinkendes Aas bleibe, so ist mit wenig daran gelegen, wie sich die Leute wollen begraben lassen, und werden sie also durchaus erklären, daß, nachdem ich die vernünftigen Ursachen, die Nutzbarkeit und Möglichkeit dieser Art Begräbnisse gezeigt hatte, ich keinen Menschen, der nicht davon überzeugt ist, zwingen will, vernünftig zu sein, und daß ein jeder, was die Truhe anlangt, frey thun kann, was er für seinen toten Körper im voraus für das Angenehmste hält.“

Offiziell erfolgte die Rücknahme der die Gemüter und Seelen der Untertanen erregenden Verordnung durch das offizielle Hofdekret vom 20. Jänner 1785, in dem der Kaiser nicht mehr selbst redet, sondern seine Bürokraten sprechen lässt:

„Da aber Seine Majestät einerseits aus täglicher Erfahrung hat wahrnehmen müssen, daß von diesen Ihren heilsamen Absichten sich Einige ganz andere Begriffe gemacht, die Eingrabung der Körper sammt der Truhe unerachtet der sich dadurch verlängernden Fäulung und anderen Ungemächlichkeiten der oberwähnten, weit nützlicheren Beerdigungsart aus verschiedenen Vorurtheilen vorgezogen werde und die hierüber vorgefaßten Meinungen zeu so stark und allgemein sind, daß sie die Gemüther vieler Dero Unterthanen beunruhigen, Allerhöchst Dieselben aber andererseits in diesem an sich minder bedeutenden und dem allgemeinen Besten gleichgiltigen Gegenstand den Willen Ihrer Unterthanen mit Zwangsmitteln zu beugen nicht gesonnen sind, so haben Seine Majestät mittels Hofdecretes vom 20. Jänner d. J. hiemit erklären lassen, daß Allerhöchst Dieselben zu dieser obgedachten Beerdigungsart keinen Menschen, der nicht von dem Vorzug derselben überzeugt wäre, zu zwingen gemeint sein, sondern einem jeden, was er für seinen todten Körper im Voraus für das Angenehmste hält, zu belassen.“

Nachsatz: Der Sarg von Kaiser Joseph II. in der Wiener Kapuzinergruft ist wohl mit Abstand der schlichteste in dieser prunkenden Schaustellung der Größe, aber auch Vergänglichkeit menschlichen Lebens und Strebens.

Bei der „schönen Leich“ haben solche makabren Utensilien nichts mehr verloren, wenngleich die krasse Teilung der Gesellschaft sich bei den in Armut und Elend dahinvegetierenden Volksmassen auch im Funeralwesen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zeigt, wo noch Bestattungen in anonymen Schachtgräbern wie zu Josephs Zeiten an der Tagesordnung sind. Nun soll der Tod seinen Schrecken verlieren. Physischer Verfall wird versteckt. Der Tote soll wie ein Lebender wirken, der eben einen Schlaf hält. Das Totenhemd – als Rudiment irdischer Kleidung ebenso ein Todessymbol – wird durch repräsentative Kleidung, Uniform, Standesgewand auch beim Bürger ersetzt. Die Bahre wird zum Paradebett. Im Sprachgebrauch um Absterben und Begräbnis wird die Furcht erweckend Realität nackter Wörter umschrieben. „Sterben“ und „Tod“ werden in der Hochsprache der Partezettel und Sterbeanzeigen der Zeitungen zu „entschlafen“, „entschlummern“, „verbleichen“, „den Geist aufgeben“, „heimgehen“, „die Augen für immer schließen“, „sein Dasein vollenden“, „das Zeitliche segnen“, „verlassen“. Standessprachen, Volksmund und Jargon sprechen von „in die ewigen Jagdgründe eingehen“, „zur Großen Armee einrücken“, „die letzte Grubenfahrt antreten“, wohl auch von „abkratzen“, „die Erdäpfel von unten anschauen“, „den Löffel abgeben“, „verrecken“, „umstehen“, „krepieren“, zum Teil also auch Wörter, die man sonst nur dem Tod von Tieren zubilligt. Das Grab gerät zur „letzten Ruhestätte“. Im Barock war es auch das „Schlafkämmerlein“. Im Übrigen hat der amerikanische Autor Evelyn Waugh in seinem satirischen Roman „Der Tod in Hollywood“ (1948), der auch verfilmt wurde, ein treffendes Bild von der Kommerzialisierung des Lebensendes in den USA gezeichnet, in dem die Ausblendung der furchtbaren Realität des Endes zur Perfektion gediehen ist.

Ein Charakteristikum der „schönen Leich“ ist also die Verbrämung des Todes und seiner Umstände. Schon die Romantik des Vormärzes hatte die „Schönheit“ der Gefühle um Tod und Begräbnis zelebriert. Die Bestattung im Mönchsgewand wird zeitweise Mode. Freunde tragen den Sarg: Man denke an Ludwig van Beethovens Begräbnis (1827), wo Franz Peter Schubert, der ihm bald folgen sollte, unter den Sargträgern zu finden ist und etwa 20.000 Menschen teilnahmen. Leichenreden werden wie bei Grillparzer zu Dichtungen und poetischen Meisterwerken (Leichenrede für Beethoven). Begräbnisse finden nächtlicher Weile bei Fackelschein statt. Spuren dieser Theatralik finden sich bis ins späte 20. Jahrhundert, wo beim Hinuntersenken des Sarges des Schauspielers Werner Krauss (1884–1959) nur eine schlanke Flöte diesen letzten Akt begleitet oder der Schauspieler Curd Jürgens (1915–1982) um Mitternacht zu Grabe getragen wird.

Der Salzburger Georg Trakl (1887–1914) hat trotz seiner tief pessimistischen und depressiven Grundhaltung zur Welt dem Tod, wie er sich etwa in der Sphäre eines Friedhofes offenbart, eine morbide Schönheit zugestanden. Sein berühmtes Gedicht über den Friedhof zu St. Peter in Salzburg singt davon:


      
„Ringsum ist Felseneinsamkeit.
Des Todes bleiche Blumen schauern
Auf Gräbern, die im Dunkel trauern;
Doch diese Trauer hat kein Leid.

Der Himmel lächelt still herab
In diesen traumverschlossenen Garten,
Wo stille Pilger seiner warten.
Es wacht das Kreuz auf jedem Grab.

Die Kirche ragt wie ein Geber
Vor einem Bilde ewiger Gnaden, 
Manch Licht brennt unter den Arkaden,
Das stumm für arme Seelen fleht –

Indes die Bäume blühn zur Nacht,
Daß sich des Todes Antlitz hülle
In ihrer Schönheit schimmernde Fülle,
Die Tote tiefer träumen macht.“
      

    

Zwar bestimmt in gewissem Sinn die Sitte das Verhalten der Trauernden. Dieses jedoch in einen größeren theatralischen Rahmen einzubinden und zur gesellschaftlichen Überhöhung bzw. zur Bestätigung des Familienstatus zu führen, ist Aufgabe eines kommerziellen Unternehmens, das erst im 19. Jahrhundert Gestalt annimmt: Das des Leichenbestatters, dessen Stand erst seit der Österreichischen Gewerbeordnung von 1859 die spätere Gestalt annehmen konnte. Wien ist als damalige Weltstadt Vorreiter, wo 1867 der Händler mit Trauerartikeln, Franz Grill die Begriff gebende „Entreprises des Pompes Funèbres“ gründete, die – obwohl längst nicht mehr existent – den Bediensteten dieses Unternehmens den bis heute verwendeten Namen „Pompfüneberer“ in jargonhafter Umformung des französischen Wortes verleiht. Konkurrenz war bald auf dem Plan. Bezeichnende Namen wie „Pietät“, „Concordia“, „Union“ markierten die führenden Bestattungsinstitute, die sich im boomenden gründerzeitlichen Wien an die Spitze setzten. In den Vorstädten mit ihren Kleingewerben und dem rasant anwachsenden Industrieproletariat gab es um 1900 noch an die 80 kleine und kleinste Bestattungsunternehmer, die gezwungen waren, durch Mittel wie die Bestechung von Hausmeistern und Ordnungshütern zwecks Meldung von Todesfällen an die Aufträge heranzukommen. 1907 schaltete sich auch noch die Stadt Wien mit der Gründung der „Städtischen Bestattung“ in das Geschäft ein, kaufte die „Entreprise“, die „Concordia“ und zahlreiche kleinere Unternehmen auf und hatte nun 278 Mitarbeiter in 21 Zweigstellen. Damals gab es mehrere Bestattungsklassen, die von der „Pracht-Classe“ um 4.800 Kronen hinunter bis zur 6. Klasse um 60 Kronen reichten. Zum Vergleich: Das Monatssalär eines Angestellten betrug damals 90 Kronen. Man sieht also, dass die „schöne Leich“ ein Vorrecht des oberen Mittelstandes und der oberen Zehntausend war.

Die Struktur der damaligen Begräbnisse bestand in Hausaufbahrung, Aussegnung in der Kirche, Leichenzug, Grabzeremonien und Nachfeiern wie Totenmessen und Leichenschmaus. Besonders Aufbahrung und Leichenzug boten alle Möglichkeiten der gesellschaftlich erwünschten Repräsentation. Da die Friedhöfe im Zuge des Wachsens der Städte bereits weit draußen vor den Siedlungen als Zentralfriedhöfe angelegt wurden, wurden die Leichenzüge dorthin bald zu einem Problem. Damals entstanden die prachtvollen Leichenwägen mit Pferdebespannung, denen in Kutschen die Trauergemeinde von der Kirche der Einsegnung zum Orte der Beisetzung folgte. Noch 1929, als die Motorisierung längst eingesetzt hatte und die „Wiener Bestattung“ bereits über 22 Automobile verschiedener Funktion verfügte, standen noch 100 Pferdefuhrwerke im Dienst.

Im Jahre 1907 wird ein Begräbnis der „Pracht-Classe“ laut Prospekt der „Wiener Städtischen Bestattung“ in folgender Weise – man muss sagen – „aufgeführt“:

„Aufbahrung der Leiche

Der zur Aufbahrung bestimmte Paradesaal wird durchgehends mit schwarzem Tuch ausgeschlagen, der Plafond schwarz drapiert, der Fußboden mit Teppichen belegt und der Sarg auf einen Katafalk unter einen Baldachin gestellt. Sowohl der Baldachin als Katafalk sind von schwarzem Samt, reich in Silber gestickt. Auch der Vorsaal ist mit schwarzem Tuch vollständig ausspaliert. Zu beiden Seiten des Baldachins stehen 2 silberne Engel, welche Opferschalen tragen, in welchen färbige Flammen brennen. Ferner umgeben den Katafalk 8 silberne, hohe, siebenarmige Girandols, ferner 24 prachtvolle, reich in Gold verzierte, silberne Leuchter. Sämtlich Kerzen werden, nachdem sie verbrannt, durch neue ersetzt. Summe der Kerzen: 160 Stück.

Auf einen mit schwarzem reich in Silber gestickten Betschemel kommen 2 silberne Leuchter, Christus und Weihbrunnkessel zu stehen. Ein Portier in reichster Trauer-Livrée wird beim Haustore durch 2 Tage postiert, an welch letzterem die große Trauer-Tordekoration angebracht wird. 2 Hausoffiziere in Trauer-Staatskleidern halten bei Tag und bei Nacht Wache. Bei Verstorbenen ledigen Standes ist die gesamte Drapierung blau mit Silber. Überdies ruht auf einem mit Silber verzierten Piedestal ein weißes mit Gold bordiertes Atlaskissen mit einem Myrthenkranz zu Häupten des Verstorbenen. Verstorbene, welche einem hohen Adel angehörten, erhalten zu Häupten links die ihnen nach ihrem Adelsgrade gebührende vergoldete Krone, k.k. Kammerherren den goldenen Schlüssel auf rotsamtem mit Gold bordiertem Kissen. Ordensdekorationen, welche im Besitze des Verstorbenen waren, werden ihm zur Linken auf schwarzem mit Gold bordiertem Kissen gruppiert. Am Tage des Leichenbegängnisses wird zwischen 12 und 1 Uhr mittags in der betreffenden Pfarrkirche mit sämtlichen Glocken geläutet.

Einsargung der Leiche

Der Verblichene wird gewaschen und angekleidet und ruht in einem Prachtsarg reichster Art mit vergoldeter und versilberter Ornamentik, nach Wahl auch kupferbronziert und oxydierter Ornamentik. Eine weiße Atlasmatratze oder solche aus schwarzem Samt reich mit Spitzen, Bouquets und Schleifen geputzt. Ein Sargkissen von weißem Atlas oder schwarzem Samt ebenfalls mit Spitzen, Bouquets und Schleifen aufgeputzt. Ein Sargschleier (Überthan) von schwerstem weißen Atlas mit Volants, Spitzen, Bouquet- und Schleifen-Aufputz. Ein feinstes Ebenholz-Sargkreuz mit Silber eingelegt, mit Bouquet und Schleife geputzt. Eine Garnitur feinste französische Sargblumen, schwarz oder färbig. Endlich ein Maroquin-Etui mit Atlas gefüttert, darin ein echt vergoldeter Sargschlüssel mit dem Namen, Charakter, Geburts- und Sterbedatum des Verstorbenen in echtem Golddruck.

Überführung und Übertragung nach der Kirche

Der Sarg wird versperrt und der Schlüssel samt Etui den Hinterbliebenen eingehändigt. Sämtliche Funktionäre, Dienerschaften und Mannschaften erscheinen in spanischer Tracht, ganz schwarz. Der sehr reich mit Bildhauer-Arbeiten geschnitzte Pracht-Glas-Leichenwagen samt Gala-Geschirren ist dem Akte entsprechend künstlerisch durchgeführt, vollkommen schwarz, von imposanter Pracht.

Der Zug entwickelt sich, nachdem der Sarg gehoben ist, in folgender Reihenfolge:
Der Bannerträger, beritten.
2 Vorreiter mit Laternen.
Die komplette Musikkapelle, bestehend aus einem Kapellmeister und 35 Musiker.
Die Geistlichkeit, die Kirchen-Musiker und Sänger vom Trauerhause bis zur Kirche, falls die Leiche diese Strecke getragen wird.
Der Pracht-Glas-Leichenwagen, ganz schwarz mit gestickten Drapierungen, bespannt mit 8 Rappen in den Prachtgeschirren. Die Pferde werden von 8 in spanischer Tracht gekleideten Stallmeistern geführt.
Das Pracht-Bahrtuch, Schwarz in Schwarz gestickt.
Die Paramente der Pracht-Klasse.
8 Sargträger.
20 Fackelträger.
12 Wappenträger.
Hausoffiziere und Arrangeure nach Erfordernis.
6 Trauerkutschen mit Rappen bespannt und mit Bedienten versehen.

Feierliche Einsegnung in der Kirche

Größtes Geläute der betreffenden Pfarrkirche. Beleuchtung des Hochaltars mit 30 Kerzen, sämtlicher Seitenaltäre mit je 6 Kerzen, Beleuchtung der Luster und wenn vorhanden, auch die Gasbeleuchtung. Ausspalierung des Presbyteriums, Antependium und großes Kreuztuch auf dem Hochaltare, dann Kreuztücher auf sämtlichen Seitenaltären. Neun Priester in großem Ornate, Kreuzträger mit dem silbernen Pfarrkreuze, 2 Leuchterknaben, verstärkter Kirchensängerchor, 8 Posaunisten, 4 Konduktführer, sämtliche mit Kerzen. 24 Betstühle sind schwarz behängt. Feierlicher Umzug in der Kirche, Miserere, großes Libera, deutsches Doppel-Quartett. Die Motetten mit größter Besetzung am Chore. Beten und Abdanken in der Kirche.

Auf Wunsch Abholung des Verstorbenen vom Sterbehause im Geleite der Geistlichkeit, Kreuzträger, Leuchterknaben, Kirchensängern, Posaunisten, Konduktführer und Vorbeter. Dekorierung des Kirchenportals. Nachdem die Reihenfolge dieser religiösen Handlungen unter dem ausgeführten großen kirchlichen Pompe geschlossen ist, erfolgt die Überführung der Leiche unter großem Glockengeläute und ordnet sich der Zug genau so, wie bei der Überführung zur Kirche.

Am Friedhofe

Bei Versenkung der Leiche in die Gruft wird ein Männerquartett gesungen. Endlich werden am darauffolgenden Tage in der betreffenden Pfarrkirche zu gleicher Zeit 3 heilige Messen gelesen, wobei ein von 6 Kerzen umgebener kleiner Katafalk aufgestellt wird. Hiebei sind 12 Betstühle schwarz behängt.“

Diesem Prunk, der in den Zeiten der Konjunktur des Fin de Siècle nicht nur vom „hohen Adel“, sondern auch von so manchem reich gewordenen Parvenü in Anspruch genommen wurde, stand das im wahrsten Sinne des Wortes „letztklassige“ Begräbnis zu 60 Kronen gegenüber.

Nach dem Zweiten Weltkrieg vollzog sich ein bis heute andauernder Wandel solcher Bestattungssitten. Zum einen brachten der an der Tagesordnung liegende Tod im Krankenhaus und die Gesetzgebung, die Hausaufbahrungen untersagte, das Ende eines kommerziell inszenierten Abschiednehmens im Hause eines Verstorbenen. Zum anderen vollziehen sich Riten des Abschieds heute innerhalb weniger Stunden nur mehr in den Aufbahrungs- und Zeremonienhallen der immer zweckmäßiger ausgestatteten Friedhöfe. Dadurch sind in den Städten – noch nicht am Lande – Hausaufbahrungen und Leichenzüge Vergangenheit. Spargesinnung und ein Gesinnungswandel drücken sich auch noch auf andere Weise aus. Schwarze Trauerkleidung bis hin zur tiefen Verschleierung der weiblichen Angehörigen, Einhaltung von Trauerfristen in der Kleidung sind heute fast unbekannt. Nicht einmal der Trauerflor am Arm oder am Revers existiert mehr. Die individuelle Verdrängung des Todes – zumindest im Alltag – wird dadurch deutlich. Die neueren Grabsteine erzählen kaum mehr etwas von der darunter bestatteten Person. Eine Kostenfrage! Nur mehr die Todesanzeigen und ausgeschickten Parten haben etwas davon bewahrt, was einst das Formelle einer schönen Leich ausmachte: Die Möglichkeit, sich selbst als Hinterbliebener im Gefolge des Toten ins rechte Licht zu rücken. Doch hat sich am anderen Ende der Gesellschaft Pietätvolleres getan, denn die Gemeinde Wien gesteht seit geraumer Zeit auch den so genannten „Armenleichen“ Kranz und Geleit zu.

Kritische Geister hat es immer gegeben. Sympathisch berührt uns heute wieder das für den eigenen Grabstein bestimmte Gedicht des 1804 im salzburgischen Werfen geborenen und 1854 in Wien verstorbenen Poeten Ferdinand Sauter, das etwas zum Ausdruck bringt, was oft auch Inhalt der Wienerlieder war, deren Gefühlshorizont ja trefflich den einer „schönen Leich“ erreicht, aber doch auch etwas von der menschlichen Unerfahrbarkeit der letzten Dinge zu sagen weiß:

„Viel genossen, viel gelitten,
Und das Glück lag in der Mitten.
Viel empfunden, nichts erworben,
Froh gelebt und leicht gestorben.
Fragt nicht nach der Zahl der Jahre.
Kein Kalender ist die Bahre,
Und der Mensch im Leichentuch
Bleibt ein zugeklapptes Buch.
Deshalb Wanderer, zieh doch weiter,
Denn Verwesung stimmt nicht heiter!“

Weiterführende Literatur

[Andree-Eysn 1910] Andree-Eysn, Marie: Volkskundliches. Aus dem bayrisch-österreichischen Alpengebiete. Braunschweig 1910.

[Ariès 1984] Ariès, Philippe: Bilder zur Geschichte des Todes. München, Wien 1984.

[Ariès 1999b] Ariès, Philippe: Geschichte des Todes. 9. Aufl. München 1999.

[BauerW 1988] Bauer, Werner T.: Wiener Friedhofsführer. Genaue Beschreibung sämtlicher Begräbnisstätten nebst einer Geschichte des Wiener Bestattungswesens. Wien 1988.

[BergerR 1984] Berger, Rupert: Vom geschichtlichen Werden der christlichen Sterbe- und Begräbnisliturgie. In: Ausstellungskatalog „Die letzte Reise. Sterben, Tod und Trauersitten in Oberbayern“. München 1984, S. 239–242.

[Brix 1971] Brix, Michael: Die Trauerdekoration für die Habsburger in den Erblanden. Studien zur ephemeren Architektur des 16. bis 18. Jahrhunderts. Phil.-Diss. Kiel 1971.

[Choron 1967] Choron, Jacques: Der Tod im abendländischen Denken. Stuttgart 1967.

[Dorn/Lindethaler 1982] Dorn, Conrad; Andreas Lindenthaler: Der Friedhof zu St. Peter in Salzburg. Salzburg 1982.

[Friedländer 1980] Friedländer, Otto: Der Tod. In: Ders.: Letzter Glanz der Märchenstadt. (= Goldmann Austriaca 26.702). Wien, München, Zürich 1980, S. 229–239.

[Hawlik-van der Water 1989] Hawlik-van de Water, Magdalena: Der schöne Tod. Zeremonialstrukturen des Wiener Hofes bei Tod und Begräbnis zwischen 1640 und 1740. Wien, Freiburg, Basel 1989.

[Illi 1992] Illi, Martin: Wohin die Toten gingen. Begräbnis und Kirchhof in der vorindustriellen Stadt. Zürich 1992.

[Jones 1999] Jones, Constance: Die letzte Reise. Eine Kulturgeschichte des Todes. München, Zürich 1999.

[Knispel 1997] Knispel, Franz: Bestattungsmuseum Wien. Führer durch die Sammlung. Wien 1997.

[Knispel 2000] Knispel, Franz: Die Bestattungskultur Österreichs im Wandel. In: Tod, Trauer, Abschied. Bestattungskultur im Wandel. Vorträge anläßlich des 1. und 2. SBL-Bestattungs-Symposiums in Linz. November 2000, S. 24–34.

[Lau 1974] Lau, E.: Die Riten um Sterben und Tod in soziologischer Perspektive. In: Liturgisches Jahrbuch 24 (1974), S. 1–13.

[Locicnik 1987] Locicnik, Raimund: Wolf-Dietrich-Mausoleum, Sebastiansfriedhof und Sebastianskirche in Salzburg. (= Christliche Kunststätten, Bd. 151). Salzburg 1987.

[Mattl-Wurm 1992] Mattl-Wurm, Sylvia (Hg.): Ausstellungskatalog 168. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien „Bilder vom Tod“. Wien 1992.

[Mayer 1994] Mayer, Susanne: Das Friedhofs- und Bestattungsrecht in Österreich bis 1938. Rechtswiss.-Diss. Graz 1994.

[Metken 1984] Metken, Sigrid (Hg.): Die letzte Reise. Sterben, Tod und Trauersitten in Oberbayern. Ausstellungskatalog. München 1984.

[Patzer 1986] Patzer, Franz (Hg.): Ausstellungskatalog 205. Wechselausstellung der Wiener Stadt- und Landesbibliothek „Die schöne Leich“. Tod, Begräbnis und Totengedenken in Wien. Wien 1986.

[Prodinger/Heinisch 1983] Prodinger, Friederike; Reinhard R. Heinisch: Gewand und Stand. Kostüm- und Trachtenbilder der Kuenburg-Sammlung. Salzburg, Wien 1983.

[Rosegger 1878] Rosegger, Peter: Leichbretter. Eine Volkssitte aus dem Salzburgischen. In: Heimgarten 3 (1878/79), S. 716.

[Schmölzer 1980] Schmölzer, Hilde: A schöne Leich. Der Wiener und sein Tod. Wien 1980.

[Spitzer 1880] Spitzer, Daniel: Die Entreprise des pompes funèbres. April 1867. In: Ders.: Wiener Spaziergänge 1. Erste Sammlung. Wien, Leipzig 1880, S. 50–52.

[Tschallener 1992] Tschallener, Gabriele: Sterben und Tod in Kult und Brauchtum. Rankweil 1992.

[Wirth 1968] Wirth, Friederike: Die „Leichbretter“. Ein absterbendes Brauchtum im Pinzgau. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde Neue Folge 22 (1968), S. 8–104.

[Wurm 1985] Wurm, Sylvia: Reform des Bestattungswesens unter Joseph II. In: Katalog 92. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien. Wien 1985, S. 142–150.



[1681] Am 29. September 1603 wurde die neue Gabrielskapelle (erbaut von Elia Castello) im völlig umgestalteten Sebastiansfriedhof (Anfang des 16. Jahrhunderts entstanden und 1595–1600 von Andrea Bertoletto als Campo Santo italienischer Manier umgestaltet) vom Erbauer, Erzbischof Wolf Dietrich, selbst eingeweiht und zu seinem Mausoleum bestimmt. Der Friedhof selbst löste als Stadtfriedhof den Domfriedhof ab und wurde bis 1888, bis zur Eröffnung des Kommunalfriedhofes, belegt.

[1682] 1855 wurde das Mozartgrab gesucht, 1859 ein Ehrengrab auf dem Friedhof St. Marx in Wien errichtet. Siehe dazu im Internet: https://www.wien.gv.at/umwelt/parks/anlagen/friedhof-st-marx.html

[1683] Haydn starb mit 77 Jahren 1809 in der heutigen Haydngasse, 1060 Wien; er wurde am Hundsturmer Friedhof begraben, heute Haydn-Park. Haydns Schädel wurde drei Tage nach dem Begräbnis geraubt, der Raub am 31. Oktober 1820 entdeckt, als Fürst Nikolaus Esterhazy den Leichnam nach Eisenstadt überführen ließ. Der Schädel Haydns gelangt 1895 in den Besitz der Wiener Musikfreunde und ist seit 1952 ebenfalls im Haydnmausoleum in Eisenstadt beigesetzt. Vgl.: https://austria-forum.org/af/AEIOU/Haydn-_Grab_ohne_Sch%;C3%A4del

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