Das Seminar „Das Weihnachtsfest im gesellschaftlichen Wandel seit 1800“ fand im Wintersemester 2001/02 in Kooperation zwischen dem Institut für Geschichte (heute Fachbereich Geschichte) der Universität Salzburg sowie dem Salzburger Landesinstitut für Volkskunde (SLIVK) statt (Lehrveranstaltungsleiter Ao. Univ.-Prof. Dr. Robert Hoffmann, volkskundliche Beratung Dr. Ulrike Kammerhofer-Aggermann). Aus dieser Zusammenarbeit – die hoffentlich eine Fortsetzung finden wird – ergaben sich vielfältige Möglichkeiten:
Für Studierende der Universität Salzburg (Studienrichtung Geschichte und/oder Kultursoziologie) eröffneten sich Einblicke in Methoden und Ansätze eines sozialwissenschaftlichen Fachgebietes, das in Salzburg nicht gelehrt wird.
Das SLIVK erhielt die Chance, Themen und Methoden der Europäischen Ethnologie in die Lehre der Universität Salzburg zu integrieren, und
im Rahmen der Lehrveranstaltung wurden Bestände des SLIVK bearbeitet (Nachlass Richard Wolfram, Archiv Österreichischer Volkskundeatlas, Nachlass Richard Treuer).
Weitere Salzburger Quellen- und Literaturbestände sowie Oral History in lebensgeschichtlichen Interviews wurden konkret und neu für das laufende Projekt „Bräuche im Salzburger Land“ erhoben und kritisch bearbeitet.
Unter dem Seminartitel „Das Weihnachtsfest im gesellschaftlichen Wandel seit 1800“ wurde die Entwicklung des gegenwärtigen Weihnachtsfestes mit Schwerpunkt im Land Salzburg und im angrenzenden Oberösterreich erarbeitet. Dabei wurden die einzelnen Seminararbeiten gesellschafts- und zeitspezifisch angesetzt, um die Überschneidungen, Innovationen (Neueinführungen) und Akkulturationen (Übertragungen) im Weihnachtsbrauch darzustellen. Neben den prägenden Handlungsrahmen der bäuerlichen, bürgerlichen wie Arbeitergesellschaft wurden literarische, mediale und Public Relations-Einflüsse erarbeitet.
Jene Seminararbeiten, die von den Autorinnen und Autoren zur Verfügung gestellt wurden, sind in Einzeltexten „Die Klassiker der Weihnachtsliteratur“, „Weihnachtsanthologien“, „Fragebögen und Interviews zum Weihnachtsfest“, „Fragebögen, ‚Brauchtumspflege‘, Erinnerungen“, „Das Weihnachtsfest im bäuerlichen Milieu“, „Autobiografische Literatur“, „Weihnachten in der Arbeiterschaft“, „Das Weihnachtsfest in Salzburger Tageszeitungen 1“, „Das Weihnachtsfest in Salzburger Tageszeitungen 2“, „Das Weihnachtsfest in Salzburger Tageszeitungen 3“, „Weihnachten in Gastein“, „Weihnachten im Seniorenheim“, „A ‚Christmas Carol‘ im Film“ zugänglich. Besonders zu betonen ist, dass viele dieser Arbeiten von Studierenden im ersten Studienabschnitt mit großem Fleiß und Bemühen erstellt wurden. Allen an diesem Projekt beteiligten Damen und Herren danken wir herzlich für ihre engagierte Mitarbeit.
Im Sinne der Kulturwissenschaften wurde in der Lehrveranstaltung „Das Weihnachtsfest im gesellschaftlichen Wandel seit 1800“ ein multimethodischer Ansatz gewählt, der aus einer Kombination von Methoden zu einem möglichst vielschichtigen Ergebnis führen sollte. Dazu wurden im Seminar vier wesentliche Methoden vorgestellt, erlernt und in den schriftlichen Arbeiten teilweise miteinander verknüpft:
die Quellenanalyse und Kritik,
die Literaturanalyse und Kritik,
die Fragebogenerhebung und
das lebensgeschichtliche Interview.
Durch die thematische, zeitliche, regionale und soziale Streuung der Einzelthemen der Seminararbeiten zum Weihnachtsfest wurde auf synchrone Abläufe in unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen, die „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“, auf Kulturkontakte und -konflikte, Innovationen (Neueinführungen) und Akkulturationen (Übertragungen) kultureller Entwicklungen und Ausbildungen verwiesen.
In der Lehrveranstaltung „Das Weihnachtsfest im gesellschaftlichen Wandel seit 1800“ wurden die Vor- und Nachteile von Methoden [265] erläutert und am Beispiel der schriftlichen Arbeiten eingeübt. Was muss ich über die Quelle, den Entstehungszeitraum und Umkreis bzw. über die Gewährsperson, das Lebensumfeld, die individuellen Erfahrungen etc. wissen, um die Quelle einschätzen und verwenden zu können? Über die Beteiligung des SLIVK an diesem Seminar kamen Fragen volkskundlicher Theorien- und Methoden-Kritik verstärkt zum Tragen:
Bewertung und Definition von Handlungen als „Bräuche“, Literatur und Umfragen der NS-Zeit, Fortwirken von Kanon und Methoden der NS-Zeit in der Volkskunde;
der Österreichische Volkskundeatlas (ÖVA) als Beispiel von quantitativer Erfassung und Kartierung von Lebensäußerungen und Verhaltensweisen, die Problematik quantitativer statt qualitativer Erfassung, der Umgang mit vorbewerteten Fragen und Auswahlsystemen sowie mit lenkenden und geschlossenen Fragen;
Bedeutung der Multimethodik in der Europäischen Ethnologie;
Umgang mit Werten der Reflexion in den Kulturwissenschaften;
Einführung in die gegenwärtige Brauchforschung als Erforschung von ritualisierten, kommunikativen, sozialisierten und emotionalisierten Handlungen und Werten.
Die Behandlung des Weihnachtsfestes als Untersuchungsthema[266] zeigte, dass sowohl bei den Lehrenden wie bei den Studierenden gleichermaßen präformierte Bilder im Kopf und sozialisierte sowie erfahrene Gefühlsmuster vorhanden waren. Um diese sichtbar zu machen und zu reflektieren, wurden zu Beginn des Seminars mit einem Mindmapping [267] Konnotationen zum Weihnachtsfest gesammelt und in Clustern dargestellt.
Ergebnis des Mindmappings vom 4. Oktober 2001
Teilnehmer/-innen: 18 Studierende und zwei Vortragende = 20 Personen, je Person drei abgegebene Assoziationen (schnelle, erste Konnotationen) zum Weihnachtsfest. Aus den 54 (!) abgegebenen Zetteln wurden letztendlich neun Cluster gebildet.
Cluster 1: Religion 4 Nennungen: Christkind, Kirche (2), Mette
Cluster 2: Vergesellschaftung, Kommunikation 2a: 1 Nennung: Gemeinschaft 2b: 10 Nennungen: Familie (6, davon eine negativ bewertet), Familienfeier, Familienfest, Familie/Freunde, Verwandte
Cluster 3: Sitten, Bräuche („Tradition“) 8 Nennungen: Rauchengehen, Rauchen-/Räucherngehen, Ruhe nach dem vorweihnachtlichen Stress, Schnee, Stille Zeit, Tradition (3)
Cluster 4: Symbole, Zeichen 13 Nennungen: Adventkalender, Christbaum (8), Kerze, Stille Nacht, viele Kerzen, Weihnachtsbaum
Cluster 5: Essen, Trinken 3 Nennungen: Glühwein, Kekse, Lebkuchen
Cluster 6: Konsum, Geschenk, Werbung (identifikatorische, distinguierende Zeichen) 6 Nennungen: Christkindlmarkt, Geschenke (2), gut für Wirtschaft, Konsum, Schenken
Cluster 7: Erwartungshaltungen, Emotionale Befindlichkeiten 8 Nennungen: Besinnlichkeit, Düfte, Emotionalität, Erwartung, Freude, Friede, Harmonie, Liebe
Cluster 8: Individuelle Erlebnisse und Konnotationen 6 Nennungen: Bruder hat Geburtstag, „Owi“ lacht, Stress (2), Stress-Feiern, Traurigkeit
Cluster 9: Bewusste Brüche (Assimilation/Dissimilation) 1 Nennung: Schön, aber gestellt
Ziel des Seminars „Das Weihnachtsfest im gesellschaftlichen Wandel seit 1800“ war es, persönliche Erfahrung zu den „Kulturdimensionen“ (Sigurd Erixon 1942) – Zeit, Ort/Raum, soziale Gruppe sowie aus heutiger Sicht: Individuum –, die das Netzwerk der Kultur bestimmen, zu sammeln. In diesem Netzwerk entstehen Normen, Symbole, symbolhafte, ritualisierte Handlungen und Handlungsmuster aus Sozialisation, Erziehung, Einübung, persönlicher Bewertung und Gruppendynamik, die jeweils nur für einen Knotenpunkt (systemimmanente Werte) in diesem Netzwerk Gültigkeit haben und nicht absolut messbar sind. Bewertungen wie „gut“, „richtig“, „echt“, „authentisch“ sind jeweils Begriffe der Reflexion.
Hans-Georg Soeffner setzt für Kultur den Begriff „Handlungsrahmen“, in welchem sich Handlungsanleitungen (normierte komplexe Denkmodelle und Verhaltensmuster), normierte ritualisierte Handlungsformen (Bräuche), Rituale, Symbole etc. entwickeln. Somit ist nach Soeffner auch das Weihnachtsfest eine komplexe Handlungsanleitung.
[265] In der Lehrveranstaltung „Das Weihnachtsfest im gesellschaftlichen Wandel seit 1800“ wurden folgende Methoden angewendet: 1. Quellenanalyse und Kritik; 2. Literaturanalyse und Kritik; 3. Fragebogenerhebung; 4. lebensgeschichtliches Interview.
[266] Das Seminar „Das Weihnachtsfest im gesellschaftlichen Wandel seit 1800“ fand im Wintersemester 2001/02 in Kooperation zwischen dem Institut für Geschichte der Universität Salzburg sowie dem Salzburger Landesinstitut für Volkskunde (SLIVK) statt. (Lehrveranstaltungsleiter Ao. Univ.-Prof. Dr. Robert Hoffmann, volkskundliche Beratung Dr. Ulrike Kammerhofer-Aggermann).
[267] Mindmapping ist eine Form des assoziativen Erfassens, die im Gegensatz zum Brainstorming (einer schreibt mit oder auch nicht) die Assoziationen sofort auf Zetteln oder einer Tafel erfasst und sichtbar macht. Das beschleunigt und erweitert den Prozess. Beim Mindmapping kann in Verbindung mit dem Clustern (Bildung von Überbegriffen bzw. Rubriken) sofort ein sichtbares Ergebnis erzielt und während des Clusterns diskutiert werden.