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Tradition und die Energie der Innovation (Hans Köhl)

Das Interview mit Herrn Hans Köhl, Leiter des Salzburger Heimatwerkes, wurde am 27. Mai 2004 von Ulrike Kammerhofer-Aggermann geführt.

Herr Köhl, Sie sind Leiter des Salzburger Heimatwerkes. Das Heimatwerk ist einerseits ein Wirtschaftsbetrieb, der funktionieren und Gewinne bringen muss. Andererseits stellt sich das Heimatwerk aber auch der Aufgabe, Traditionen in Stil und Handwerkstechnik zu erhalten. Welche Diskrepanzen treten dabei auf?

Dieses Salzburger Heimatwerk wurde 1946 von der Salzburger Landesregierung begründet und nach Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen 1948 zu einer Genossenschaft bäuerlicher Handwerker mit Tobi Reiser als Geschäftsführer umstrukturiert. Das Heimatwerk ist seither ein erfolgreiches Wirtschaftsunternehmen und gleichzeitig eine bedeutende Salzburger Kulturinstitution, welche keine öffentlichen Subventionen benötigt, sondern mit den erwirtschafteten Eigenmitteln zahlreiche Bereiche der Volks- und Alltagskultur unseres Landes fördert.

Das Heimatwerk ist nie dafür gestanden, nur Traditionen zu bewahren – dann wären wir heute ein Museum – ich meine, das Salzburger Heimatwerk ist ein Spiegelbild zeitgenössischen Schaffens mit starkem Traditionsbezug und damit immer „am Zahn der Zeit“.

Welche Käuferschichten zählen heute zu den Kunden des Heimatwerkes und wie werden Sie diesen Ansprüchen gerecht?

Die Käuferschichten kommen aus allen sozialen Gruppen. Wir haben sehr viele Kunden aus Salzburg und den angrenzenden Ländern, Land- sowie Stadtbevölkerung, Kunden aus niedrigen wie Kunden aus gehobenen Einkommensschichten, unsere Stammklientel zieht sich quer durch die Bevölkerungsschichten.

Natürlich findet sich bei uns nicht die Masse der 15-, 17- oder 20-Jährigen ein – obwohl wir auch Kunden aus dieser Altersgruppe haben. Die Kerngruppe unserer Kunden beginnt bei den 30- bis 40-Jährigen. Dann, wenn sich die Menschen im gesellschaftlichen Leben gefestigt und andere Wertvorstellungen als in der Jugendzeit entwickelt haben, beginnen sie sich verstärkt für das Heimatwerk zu interessieren.

Das Heimatwerk hat auch mehrere Angebotspaletten, auf der einen Seite Wohnungsausstattung, auf der anderen Seite Tracht, sowie in letzter Zeit auch diverse Produkte der Region bzw. der Jahreszeit. Gibt es da unterschiedliche Stil-Ansprüche dieser Kundenkreise?

Ansprüche gibt es unterschiedliche, wobei ich immer stolz darauf bin, dass wir für einen eigenen Heimatwerk-Stil bekannt sind. Schon die Mitarbeiter der Vergangenheit unter Tobi und Tobias Reiser haben einen eigenen Stil geprägt und wir versuchen, diesen stets im Wandel befindlichen, aber doch unverwechselbaren Heimatwerk-Stil weiter zu gestalten und heben uns somit auch von den Mitbewerbern am Markt ab. Wir versuchen also immer besondere Dinge zu präsentieren, die dann allerdings oft kopiert und nachgemacht werden. Wir sind dann aber eben doch um die berühmte Nasenlänge voraus.

Der „Heimatwerk-Stil“ ist vor allem in den 1970ern und 1980ern in der Wissenschaft Volkskunde sehr in Verruf gekommen, galt als Stil des Retrospektiven, der Vergangenheitsschau und auch als ein Weiterleben von Werten unter anderem der NS-Zeit. Heute fährt das Heimatwerk eine ganz andere Linie. Es arbeitet sehr eng mit dem internationalen modernen Kunsthandwerk zusammen und gibt den Stilen der Zeit und auch den Interpretationen der Traditionen mehr Raum. Wo liegen da für Sie die Prioritäten?

Man muss dazu sagen, dass das Ganze unter anderem eine Generationenfrage ist. Die Heimatwerk-Gründergeneration, die unter anderem von den Heimatschutz- und Kunsthandwerksideen Viktor von Gerambs, zum Teil auch vom Missbrauch des Nationalsozialismus geprägt war, ist heute nicht mehr aktiv und vielfach nicht mehr am Leben. Heute ist eine Generation am Werk, die durch eine kritische Aufarbeitung aus der Geschichte – so hoffe ich – gelernt hat.

Wir versuchen heute, Kulturen zueinander und in einen kreativen Dialog zu bringen, wir versuchen Zeitgenössisches und Traditionelles zu verbinden und überall einen Bogen, eine Verbindung zu schaffen. Wir suchen das Gemeinsame und nicht das Trennende. Das betrifft sowohl das gesamte kulturelle Schaffen innerhalb Österreichs als auch das gesamte Kulturleben weit über unsere Grenzen hinaus.

Es heißt auch – mit einem oft gehörten Werbeslogan gesprochen – Sie schaffen so eine Art „Lebensgefühl Tracht“? Könnte man sagen, dass Produkte aus dem Heimatwerk, auch für einen bestimmten Lebensstil, ein bestimmtes Lebensgefühl stehen?

Schon, ja – bezeichnen wir es als „typisch österreichisch“. Das was Einheimische als gemütlich und schön empfinden, womit sie sich identifizieren können, was dann auch den Gästen gefällt, wenn sie „typisch Österreichisches“ suchen, steht schon für ein bestimmtes Lebensgefühl. Dieses spiegelt sich in vielen Bereichen des Heimatwerkes wider.

Dazu gehört auch die Tracht. Im Trachtenbereich hatte das Heimatwerk immer eine große Bedeutung. Auch heute zeigen wir sehr gut, dass wir Kompetenz bei Tracht in Verbindung von Tradition und Innovation haben. Die historischen Trachten sind durchaus wichtig und sollen in ihrer unveränderten Art auch weiter tradiert werden. Aber für eine lebendige Tracht der Gegenwart ist es wichtig, dass sie sich weiterentwickelt, wie sich auch in der Vergangenheit ein ständiger Wandel unter Einfluss von Mode und Zeitgeschmack vollzog. Wir setzen uns kreativ mit historischen Trachten und Kostümen auseinander und verändern sie für den heutigen Zeitgeschmack. Unsere Modellvorschläge sollen den Leuten Freude machen sowie Qualität und guten Geschmack vereinen.

Eine wichtige Grundlage zur Erneuerung sind neben den alten Trachten auch die Trachtenmappen und wissenschaftliche Unterlagen, die uns zur Verfügung stehen. Das Typische, das Charakteristische der jeweiligen Tracht soll erkennbar bleiben, aber die Gestaltung soll kreativ und vielfältig, nicht uniformierend sein. Es gab ja in der Vergangenheit eine Zeit, wo Trachten „von oben“ festgesetzt worden sind, in der ganze Regionen über die „Alltagstracht“ uniformiert worden sind. Heute motivieren wir die Leute, selbst kreativ zu sein und Freude am Zusammenstellen der persönlichen Tracht zu entwickeln. Dabei sind die Geschmäcker natürlich unterschiedlich, das Wichtigste ist dabei aber, dass sich die Träger darin wohl fühlen, es muss ihnen Spaß machen, Tracht zu tragen. So können wir diesem außergewöhnlichen, schönen Kleidungstypus, der sich hier in Österreich bzw. im Alpenraum erhalten halt, auch eine erfolgreiche Zukunft bescheren.

Salzburger Tracht und Salzburger Kunstgegenstände waren in den 1920er- und 1930er-Jahren – also lange vor der Gründung des Heimatwerkes – wichtige Ausstattungsstücke und bedeutende Reiseandenken für die frühen internationalen Festspielgäste. Haben Sie auch heute unter den Touristen und speziell unter den Festspielgästen Ihre fixen Kunden?

Ja, das sind Kunden, die nicht kommen, um ein Souvenir im herkömmlichen Sinn zu kaufen, sondern sie suchen schöne Dinge des täglichen Bedarfs, eben Gebrauchsgüter. Wir sind ja kein Souvenirladen und haben auch nicht diese typischen Reiseandenken, meist „Made in Fernost“ im Sortiment, sondern wir führen Dinge, welche die Einheimischen, die Menschen unseres Kulturraumes mögen und gerne haben. Wir haben auch viele Gäste, die immer wieder kommen und sagen: „Wir kaufen hier etwas typisch Österreichisches von guter Qualität, das wir dann mit nach Hause nehmen, um uns lange daran zu erfreuen“.

Der Heimatwerkgedanke wie der Heimatschutzgedanke sind historisch gesehen Nachläufer des Historismus und der Kunstgewerbebewegung des 19. Jahrhunderts. Darin wird Handgearbeitetes von vorneherein höher bewertet, als ein Industrieprodukt, ohne Berücksichtigung der Qualität und der Entwürfe. Welche Ansprüche stellen Sie heute an Laienkunst, Volkskunst und Kunstgewerbe?

Wenn man den ganzen Bereich gestaltendes Handwerk betrachtet, ist es dringend notwendig, dass wir in Österreich verstärkt eine Plattform für die bildende Kunst und das gestaltende Handwerk schaffen. Zurzeit herrscht gerade in Österreich eine große Inflation an Kunsthandwerksmärkten und es ist absehbar, dass da irgendwann eine Sättigung eintritt. Ich denke vor allem, dass man dem guten Kunsthandwerk helfen muss, die Handwerker und Künstler unterstützen muss, die qualitativ hochwertig arbeiten. Diesen muss man hier im Heimatwerk – und auch in anderen Heimatwerken in Österreich – eine Plattform bieten, denn sie werden sonst wenige Chancen haben zu überleben. Es kommt derzeit auch sehr gutes Kunsthandwerk aus den neuen EU-Mitgliedsländern zu verständlicherweise niedrigeren Preisen dazu. In dieser schwierigen Situation wird es spürbar, dass Kunsthandwerk in Österreich leider keine Lobby hat. Die Designer-Preise etwa werden nur für Industriedesign vergeben, aber es gibt immer noch keinen Design-Preis für gestaltendes Handwerk. Andere Länder sind uns da um vieles voraus, wie etwa Deutschland, Schweiz, die skandinavischen Länder. An dieser Plattform arbeiten wir derzeit und das ist auch wieder eine Aufgabe, für die das Heimatwerk Motor sein will. Wir wollen Leute zusammen bringen, um eine Initiative zu starten, die dem Kunsthandwerk eine zukunftsfähige Plattform bieten kann. Im Heimatwerk bieten wir ein entsprechendes Ambiente und legen Wert auf hohe Qualitätskriterien.

Wir arbeiten zusammen mit der „Art Austria“, mit Kunsthandwerkerinitiativen in Österreich und ganz Europa, es besteht also bereits ein gutes Netzwerk. Bei uns im Heimatwerk gibt es schon seit vielen Jahren den Ausstellungszyklus „Kulturwege“, in dem wir immer wieder zeitgenössisches Kunsthandwerk zeigen, nicht nur österreichische Kultur, sondern, wie schon erwähnt, auch Kultur aus anderen Ländern. Damit wollen wir für das Verbindende der Menschen und deren Kulturen plädieren. Heimatwerke oder ähnliche Einrichtungen gibt es auch weit über Österreich hinaus in ganz Europa. Diesen europäischen Gedanken pflegen wir ja schon seit vielen Jahren im Verband der europäischen Heimatwerke und unternehmen hier viel Gemeinsames. Wir wollen möglichst viele Menschen zusammen bringen, eben alle die im Bereich Kunsthandwerk etwas bewegen möchten. Können wir von Salzburg aus Beispiel gebend vorangehen und zeigen, dass es funktioniert – so wird es auch Schule machen in anderen Ländern.

In allen unseren Tätigkeitsbereichen ist – und das gilt eben genauso für unser erfolgreiches Salzburger Adventsingen, für die Tracht, für Handwerk und Brauch – die Verbindung von Innovation und Tradition unser Streben. Der Kontakt zur Avantgarde, zu kreativen und innovativen Zeitgeistern ist uns da genauso wichtig wie die Beachtung und Wahrung überlieferter traditioneller Werte. Wir brauchen beides, um den Bedürfnissen der Gegenwart gerecht zu werden. Tradition kann nur weiterleben, wenn die Energie der Innovation stets mit dabei ist.

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