Dass zahlreiche Klischees über Salzburg eng mit der Musik dieser Stadt verbunden sind, vermag nicht zu überraschen: Salzburg ist nicht nur die Stadt Mozarts, sondern auch – bezogen auf eine außereuropäische Rezeption – die der in die USA emigrierten Trapp-Familie (die als berühmter Chor, „Trapp Familiy Singers“, Weltruhm erlangte) – eingedenk auch einer reichhaltigen Volksmusikkultur Salzburgs und des Salzburger Umlandes.
So kann es nicht verwundern, dass gerade im und durch das Medium des Spiel- bzw. Kinofilms sich klischeebeladende Darstellungen über Salzburg – auch als Synonym für Österreich insgesamt zu sehen – besonders gehäuft haben. Denn als eine Filmmetropole, gleichsam im Verborgenen, wurden in dieser Stadt in den vergangenen ca. 80 Jahren mehr als 200 Kinofilme gedreht, wobei in Hinsicht einer medialen Breitenwirkung die Verfilmungen der Biografien der Musikerfamilien Mozart und von Trapp überwiegen (sicherlich auch befördert durch das identifikationsstiftende Sujet „Familie“, das eine Klischeebildung ohnehin nahelegt).
Das in diesen Filmen gezeichnete Salzburg- bzw. Österreichbild ist zweifelsohne eine an der Wirklichkeit vorbeigehende mediale Stilisierung (Vereinfachung) – hat aber dafür bis heute einen entscheidenden Anteil an den handfesten marktwirtschaftlichen Interessen der Stadt, in Form eines deutlich gewachsenen Tourismus, wobei vor allem die Touristen aus Übersee gezielt die Drehorte in Salzburg aufsuchen und „live“ erleben möchten, wie soziologische Untersuchungen eindeutig für die Trapp-Verfilmung „The Sound of Music“ belegen.[151]
Das Leben der Familie Mozart, mit der schillernden Figur von Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791), als den personifizierten Genius Loci der Stadt schlechthin begriffen, ist in über drei Dutzend Filmen dargestellt worden. Für alle diese Filme trifft dabei die Pointe zu, dass die Stadt Salzburg zumeist nur am Rande Drehort war. „Als Drehort für einen ganzen Mozart-Film hat bisher kein einziger Film Salzburg gewählt.“[152]
Dieses hängt vielleicht auch mit dem Umstand zusammen, dass sich medial „verwertbare“ Momente im Leben Mozarts angesichts dessen ohnehin nur kurz bemessener Lebenszeit eher in seinen Wiener Jahren finden lassen.
So schildert der wohl für die Entwicklung des Mozartbildes in den letzten Jahren sicherlich wichtigste Film „Amadeus“ (1984) von Miloš Forman beispielsweise den Salzburger „Rausschmiss“ Mozarts aus einer ausschließlich Wiener Perspektive. Darüber hinaus unterscheidet sich Formans Verfilmung von den früheren Mozartfilmen vor allem dadurch, dass er sich durchgängig an die originale Musik Mozarts hält. Die süßlich-stilfremde Filmmusik der früheren Mozartfilme, die ein typisch „überzuckert“-apollinisches Mozartbild verbreitet haben, bleibt ausgespart.
In der Verfilmung der Lebensgeschichte der Trapp-Familie spielt Salzburg als zentraler Drehort eine bedeutende Rolle. Nach zwei deutschen Filmen, mit zwei der Ikonen des deutschsprachigen Heimatfilms, Ruth Leuwerik (1924–2016) und Hans Holt (1909–2001) – neben einem in der stilisierten Pater-Rolle glänzenden Josef Meinrad (1913–1996) –, von 1956 und 1958 schufen die zwei Broadway-Legenden Richard Rodgers (1902–1979) und Oscar Hammerstein II. (1895–1960) das Musical „The Sound of Music“, welches unter der Regie von Robert Wise (1914–2005) in dem gleichnamigen Film von 1965 mit Julie Andrews (geb. 1935) und Christopher Plummer (geb. 1929) in den Hauptrollen zu einem unerwarteten Welterfolg geriet.
„Welterfolg“ aber nur insofern, da dieser Film bis heute in Europa, vor allem im deutschsprachigen Raum, durchfiel, während er vor allem in Nordamerika, Australien, aber auch Japan und China das Bild Salzburgs (und auch Österreichs) entscheidend prägte.
In suggestiven wie farbbildprächtigen Inszenierungen werden dabei touristisch attraktive Orte Salzburgs wie etwa der Mirabellgarten mit der eingängigen Musik Rodgers’ kombiniert, die zum Teil geschickt Anklänge an vermeintlich spezifisch-österreichische Tanz-, Volks- und Kirchenmusik herstellt, ohne dabei in direkte Zitate zu verfallen. Eine Intention, die auch der Komponist selbst eindringlich betont hat, indem er eben keine Stil kopierende „old-fashioned dirndl-and-lederhosen Austrian operetta“[153] schreiben wollte.
Die große Popularität von „The Sound of Music“ in Nordamerika beziehungsweise im asiatischen Kulturraum ist unter anderem in dem Umstand zu sehen, dass es in Nordamerika auch heute noch alljährlich an den Highschools aufgeführt wird (mehrere Tausend Aufführungen pro Jahr), während in den asiatischen Ländern beispielsweise dessen Texte als Grundlage dienen, um die englische Sprache zu lernen.
Im Rahmen dieser kulturellen Überschneidungen und Stilisierungen eines Österreichbildes im Ausland besticht zudem auch die Pointe, dass das wohl berühmteste Lied „Edelweiß“ aus „The Sound of Music“ bis in die heutige Zeit hinein häufig von Nordamerikanern noch immer für die österreichische Bundeshymne gehalten wird![154]
In dieser Projektion von Mythen werden somit eine ganze Reihe nicht nur amerikanischer, sondern generell „populäre Mythen des Westens“ bedient: „Familie als nicht korrumpierbare Schicksalsgemeinschaft“,[155] die Not der Emigration in Verbindung zu dem kommerziellen Erfolg in Amerika etc.
Neben den Mozartfilmen und dem Sonderfall von „The Sound of Music“ hat es zahlreiche weitere Musikfilme gegeben, in denen die Verbindung einer genrehaften Überzeichnung von Salzburger Örtlichkeiten zu vermeintlich österreich-typischen Musikformen ein zentrales Sujet der Handlung war.
Vor allem der Heimatfilm-Boom der 1950er-Jahre hat dabei Salzburg die Rolle einer „Heimatfilm-Hochburg“[156] zugewiesen – auch in Verbindung zum Salzburger Umland wie dem Wallfahrtsort St. Wolfgang am Wolfgangsee, der als Drehort für die Revueoperette „Im weißen Rößl“ (1930) von Ralph Benatzky (1884–1957) diente und in diversen Lustspiel- beziehungsweise Musikfilmen aufgegriffen wurde.
Dabei ist die im deutschen Sprachraum vielleicht bekannteste Verfilmung jene von 1960, mit dem bewährten, auf Situationskomik setzenden Duo Peter Alexander (1926–2011) – als „unbeholfener Held“ – und Gunther Philipp (1918–2003) – als „Trottel vom Dienst“, der seinerzeit durch einen äußerst aufwendig zu inszenierenden Hubschrauberflug für ein spektakuläres Aufsehen sorgte.
Die Verwendung von Musik als Mittel einer klischeehaften Österreichdarstellung war neben den Lustspiel-„Klamotten“ auch in anderen Filmsujets von besonderer Bedeutung, wobei die Reihe von „Kaprun“-Filmen Anfang bis Mitte der 1950er-Jahre hervorsticht, die sich der mühevollen Errichtung des Kraftwerkes in Kaprun widmeten.
Kaprun, als ein im Österreich der Nachkriegsjahre vielfach beschworenes „Wiederaufbau-Symbol im Film“,[157] geriet in Anton Kutters (1903–1985) wohl bekanntester Verfilmung „Das Lied von Kaprun“ (1954) zum wahrhaft filmischen Epos, an dem Walter Brandins (1920–1995) heroisches „Lied von Kaprun“ einen großen Anteil besaß. Ein politisch brisanter Stoff wie dieser stellte zweifelsohne die Ausnahme der Filmproduktion dieser Zeit dar, von einigen weiteren Ausnahmen abgesehen wie etwa der kurios anmutende Film „The Devil makes Three“ (1952): Hier drehte der amerikanische Tanzstar Gene Kelly (1912–1996) nach seinem Welterfolg „Singin’ in the Rain“ nur wenige Monate später einen die NS-Zeit aufarbeitenden Kinofilm, wobei es auch zu Tanzszenen mit Salzburger Schuhplattlern (!) kam.[158]
Abschließend sei noch ein für Salzburg spezifischer Bereich genannt – nämlich solche Filme, die im Künstlerumfeld der „Salzburger Festspiele“ agieren und sich schon in der Titelgebung als musikalisch ausweisen wie etwa „Interlude“ (1957) oder „Schlußakkord“(1959).
Literatur
[Kammerhofer-Aggermann/Keul 2000a] Kammerhofer-Aggermann, Ulrike; Keul, Alexander G. (Hg.): „The Sound of Music“ – zwischen Mythos und Marketing. Salzburg 2000 (Salzburger Beiträge zur Volkskunde 11).
[Strasser 1993] Strasser, Christian: The Sound of Klein-Hollywood. Filmproduktion in Salzburg – Salzburg im Film. Wien [u. a.] 1993 (Neue Aspekte in Kultur- und Kommunikationswissenschaft 3).
[Szabo-Knotik 1991] Szabo-Knotik, Cornelia: Mozart und seine Musik im Amadeus-Film. In: Csobádi, Peter [u. a.] (Hg.): Das Phänomen Mozart im 20. Jahrhundert. Wirkung, Verarbeitung und Vermarktung in Literatur, bildender Kunst und in den Medien. Gesammelte Vorträge des Salzburger Symposions 1990. Salzburg 1991 (Wort und Musik 10), S. 455–477.
[151] Vgl. dazu vor allem das IV. Kapitel von [Kammerhofer-Aggermann/Keul 2000a], S. 303–378.
[152] [Strasser 1993], S. 477.
[153] [Rodgers 1975], S. 301.
[154] [Strasser 2000], S. 291: nennt das prominente Beispiel des amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan, der „Edelweiss“ für die österreichische Bundeshymne hielt.
[155] Vgl.[Strasser 2000], hier S. 289.
[156] [Strasser 1993], S. 123 ff.
[157] Vgl.[Strasser 1993], S. 177 ff.
[158] Vgl.[Strasser 1993], S. 205 ff.