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... Schwimmen, Inlineskating, Tai-Chi; die Liste könnte um weitere Trendsportarten erweitert werden. Die neue Wohlfühl-Fitness oder auch Wellness kennt da kaum noch Hindernisse. Der Körper boomt, seine Grenzen werden ausgetestet, im Studio, im Wald, an Bergen, in der Wüste oder auf wilden Flüssen. Die Tourismusindustrie hat die Zeichen der Zeit erkannt, entsprechende Angebote werden mundgerecht präsentiert: Wellness-Wochenenden auf der Wellnessfarm, Fitnessangebote rund um die Uhr, Sportreiseangebote in allen Schattierungen und für alle Geldbeutelklassen.
Doch es sind Zweifel angesagt: Inwieweit ist in dieser Betonung des Körpers und der Suche nach Fitness ein Zwang enthalten? Ist diese permanente Bewegung von der Vorstellung eines idealen Körpers geprägt? Führt das Streben nach Fitness zu einer rasanten Disziplinierung des Körpers und wird letztendlich zu einer körperlichen Bedrohung? Es gibt vielerlei Hinweise darauf, dass im Spaß, den Sport und Bewegung versprechen, auch eine Menge an Disziplin und Fleiß, Schweiß und Ärger liegen.
Der Fitness- und Wellnessboom bewegt sich zwischen den Polen Körperaufwertung und neue Körperzwänge. Es gibt durchaus eine Fülle von Erlebnisqualitäten, die im Sport liegen und zur Fitness des Einzelnen beitragen können. Bewegung kann zu einer Bereicherung des Alltags werden, sofern sie spielerisch bleibt, in den Alltag integrierbar ist und Erfahrungen öffnet. Diese Möglichkeiten bietet die Laufbewegung bis heute am deutlichsten.
Auch im Internet tobt die Fitness, einige illustrative Beispiele zeigen es. Speziell für Frauen ist die Website des Magazins „Shape“ gedacht und gibt Anweisungen zum Muskeltraining, Tricks wie man Geist und Seele mit einer Musiktherapie in gute Verfassung bringt. Erst lesen, dann ran an den Speck: Das amerikanische Magazin „Menʼs Fitness“ bietet jede Menge Trainingsanleitungen, Ernährungsvorschläge und Tipps zur Verbesserung der männlichen Libido. Wer regelmäßig in die Sauna geht, wird selten krank. Laut Statistik haben 76 Prozent der Saunagänger fast nie mit Virusinfekten zu kämpfen. Die Sauna stärkt die Abwehrkräfte und trainiert die Anpassung des Körpers an wechselnde Temperaturen. Wer Körperkult zum Lebenselixier erkoren hat, sollte auf der Website „Fitness Online“ vorbeischauen. Und wer trotzdem noch Fragen hat, dem stehen die Damen und Herren via E-Mail mit medizinischem und sportlichem Rat zur Verfügung. Ob Ballett, Yoga oder hartes Workout: Bei Fitnesstotal geht es um Sport und Entspannung in allen Spielarten. Wellness- und Fitness-Begeisterte finden hier Tipps und mehr als 600 Workshop-Termine. In der „Interaktiven Rückenschule“ kann man entspannen lernen. Das Rückenleiden gehört zu den weitest verbreiteten Volkskrankheiten. Der Schmerz entsteht oft durch falsche Haltung z. B. am Computer oder im Büro. Das Lockern der Muskulatur, die Verbesserung der Koordination und ein spezielles Programm für „Bürorücken“ versprechen Abhilfe.
Laufen ist ein Abenteuer, das im Alltag Grenzerfahrungen ermöglicht und Erlebnisräume formt. Es ist ein Werkzeug, um Sinn und Orientierung, Ruhe und Ordnung in den Alltag zu bringen. Laufen bestätigt die Identität, fördert Kompetenzen, stiftet Freundschaften und kann therapeutische Züge annehmen. Das Lauferlebnis vermittelt in unserer verworrenen Zeit durch Haltepunkte das Gefühl von Heimat.
Darüber hinaus verändert sich durch die Schärfung der Sinne die Beziehung zu Natur und Landschaft. Man erfährt die natürlichen und künstlichen Grenzen unserer Lebensräume. Zeit und Raum relativieren sich. Man nimmt Entfernungen, die man selber bewältigt, völlig anders wahr als im Auto, Zug oder Flugzeug zurückgelegte Distanzen. Durch das Laufen werden Weite und Enge des Raumes auf menschliche Maße zurückgeführt und damit wieder lebbar. Nicht nur den Raum, auch die Zeit erfährt man neu, indem sich Sekunden und Minuten in ihrer relativen Länge und Wichtigkeit neu zeigen. Daraus formt sich eine neue Lust an Geschwindigkeit und Langsamkeit.
Der „Körper“ wird in seinen Möglichkeiten und Grenzen immer wieder neu erfahren. Die Ernährung wird in ihrer Wichtigkeit erlebbar, und sie wird allmählich körpergerechter und somit auch umweltgerechter. Schmerzen werden in ihrer Bedeutsamkeit für das menschliche Leben erfühlbar. Man verabschiedet sich vom zivilisatorischen Ideal einer „schmerzfreien Welt“ – welches letztlich nur der Pharma-Industrie dient – und nimmt die wichtige und heilsame Wirkung des Schmerzes an, indem man ihn als Signal und Nachricht des eigenen Körpers begreift, auf ihn zu hören und ihn zu verstehen beginnt.
Laufbewegte können als „Sinn-Bastler“ begriffen werden, die mit Hilfe ihrer Lauferlebnisse Haltepunkte in eine zersplitterte Welt hineinbringen. Im Alltag schaffen sie sich Ruhe- und Orientierungspunkte, die ihre Biografien stabiler werden lassen. Die eigene Person wird durch die positiven Erlebnisse aufgewertet, zudem werden z. B. über Lauftreffs soziale Netzwerke aufgebaut.
Heimatarbeit, die in der modernen und hochmobilen Gesellschaft wichtig und notwendig ist, gelingt offenkundig nicht ohne Anstrengungen. Das Alltagslaufen kann als eine Form moderner Heimatarbeit begriffen werden, als ein kulturelles Werkzeug, mit dem Menschen Wurzeln an einem alten und an einem neuen Ort schlagen und sich aktiv einrichten können. Man lernt die Räume und die Menschen sowie deren Geschichten kennen und beginnt sich wohlzufühlen.
In andere Weltgegenden ziehende Läuferinnen und Läufer erzählen immer wieder davon, dass sie sich durch das Laufen eine Orientierung in ihrer neuen Lebenswelt erarbeiten: Sie entdecken den Raum, seine Strukturen und Besonderheiten.
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1. Es wird inzwischen häufig über Jugend und Wohlbefinden geschrieben, aber nur selten geforscht.
2. Gesundheit wirkt auf Jugendliche nicht unmittelbar, sondern über soziales Tun, Körpererleben und persönlich erfolgreiche Handlungen.
3. Wohlbefinden ist für viele Jugendliche keine Präventionsfolge (Vorbeugung) wie etwa im Fitnesssport der Erwachsenen. Es ereignet sich in der Gegenwart, steht dabei im Dienst der Identitätssuche zwischen Familie und Gleichaltrigen (peer group).
4. Bei der hohen Sensibilität von Jugendlichen für soziale und politische Probleme ist es gefährlich, persönliches Wohlbefinden zu individualisieren und gesellschaftliche Fragen als Bedingungen des eigenen Erlebens auszublenden.
5. Frauen erleben ihre persönliche Gesundheit aktiver, nennen mehr Strategien zur Förderung ihres Wohlbefindens. Dabei überwiegen – wie auch bei den Männern – Ruhe und Rückzug, allein oder im Sozialkontakt.
6. Wohlbefinden kann vieles sein. Das Individuum entscheidet für sich, was gut ist und positiv wirkt. Die positiven Gefühle sind allerdings sozial eingebettet und im Lebenslauf wertbezogen.
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Wer kennt sie nicht aus eigener Erfahrung, die Freizeitbeschäftigung Tourismus? Diese bildete sich im 19. Jahrhundert heraus. Vorläufer reichen jedoch bis ins 17. und 18. Jahrhundert zurück, wobei sich in unterschiedlichen historischen Phasen unterschiedliche Beweggründe für den Aufbruch zu einer derartigen Reise, unterschiedliche Ziele und unterschiedliche Aktivitäten ausmachen lassen. Touristische Modelle (wie zum Beispiel das Seebad) werden anfangs von den oberen Sozialschichten (18./Anfang 19. Jahrhundert), später von den mittleren (Mitte 19. Jahrhundert), schlussendlich von den unteren sozialen Schichten (Ende 19. Jahrhundert) verfolgt.
Das Reisen blieb lange Zeit auf eine exklusive Oberschicht beschränkt, bevor es im 20. Jahrhundert zur Herausbildung des Massentourismus kam und parallel dazu zur Herausbildung der Tourismus-Kritik. Im Langtext gibt der Autor einen Überblick über die dorthin führende Entwicklung, nicht ohne abschließend Überlegungen darüber anzustellen, wie der Tourismus der Zukunft aussehen könnte.
Schlägt man in älteren Wörterbüchern nach, so kann man zwar noch keinen Eintrag zum „Tourismus“ finden, der einzelne Handelnde jedoch, der „Tourist“, ist durchaus schon vertreten. Dieser Begriff geht zurück auf das französische Substantiv „le tour“ (die Reise). Er ist erstmals um 1800 im Englischen belegt, im Französischen taucht er 1816 auf und im Deutschen um 1830: Unter „Tourist“ wird zu jener Zeit ein Reisender verstanden, „der zu seinem vergnügen, ohne festes ziel, zu längerem aufenthalt sich in fremde länder begibt, meist mit dem nebensinn des reichen, vornehmen, unabhängigen mannes“.[232]
Mitte des 19. Jahrhunderts beginnt die „belegreihe für tourist als ‚wanderer‘“[233]. Auch wenn im späteren 19. Jahrhundert, im Gefolge von Dampfschifffahrt und Eisenbahnwesen, Ausdrücke wie „Touristendampfer“, „Touristengesellschaft“, „Touristenland“, „Touristenpublicum“, „Touristenschiff“, „Touristenausstattung“, „Touristenkarte“ und weitere begriffliche Zusammensetzungen, auch „Touristik“, aufkommen, findet der Terminus „Tourismus“ erst nach dem Zweiten Weltkrieg im deutschsprachigen Bereich weite Verbreitung – und löst „Fremdenverkehr“ mehr und mehr ab. Diese begriffliche Ablösung ist auf die zunehmende Internationalisierung von Urlaubsreisen zurückzuführen, die Neuschöpfung „Massentourismus“ auf die zunehmende Massenhaftigkeit dieser Aktivitäten.[234]
Die Geschichte des Tourismus hängt mit dem Zeitalter der Industrialisierung zusammen. Die Industrialisierung hat zu neuen Klassenbildungen geführt, hat die Verstädterung angetrieben, hat neue Waren in Umlauf gebracht und hat die bestehenden Lebensformen (Arbeit, Alltag, Familie, Freizeit) grundlegend geändert. Sie hat auch die Herstellung mannigfaltiger Gegenstände, die zum Reisen notwendig sind, ermöglicht: ohne Eisenbahnwaggon keine Eisenbahnreise, ohne Nähmaschine keine serienmäßige Herstellung von Dutzenden von gleichen Kopfkissenbezügen für ein bestimmtes Hotel. Gleichermaßen ist sie von den Reisen von Menschen und Gütern abhängig: ohne entsprechende Inspektion vor Ort keine Bestellung von Tonnen von Kautschuk, ohne den Transport des bestellten Materials keine Herstellung von Gummireifen für Fahrräder, Motorräder und Automobile.
Darüber hinaus bringt die Industrialisierung mit sich, dass die von ihr Betroffenen Bedürfnisse und Wünsche entwickeln, ihr vorübergehend auszuweichen, vor ihr zu fliehen. Das heißt dann: ohne die Industrialisierung keine Arbeitsteilung, Arbeitsverdichtung, Arbeitsverlängerung, ohne das Angebot derartiger Arbeitsplätze keine Organisation zur Interessenvertretung, kein Kampf um Freizeit und Urlaub, keine Gewährung von Freizeit und Urlaub. Die Industrialisierung produziert, zugespitzt ausgedrückt, den Tourismus gleich mit.
Der Tourismus kann durch die drei Begriffe Normung, Montage und Serienfertigung[235] charakterisiert werden.
Normung: Durch das Heranziehen von schriftlichen Reiseführern – quasi als Gebrauchsanweisungen verwendet – werden touristische Ziele und Objekte, Wege und Verkehrsmittel, Unterkünfte und Verhaltensweisen genormt.
Montage: Die durch Reiseführer genormten Ziele, Verkehrsmittel, Unterkünfte werden zu Routen, die sich in einer bestimmten Zeitspanne zurücklegen lassen, zusammengefügt. Dieses Prinzip wird durch Reiseunternehmen und Reisebüros (Thomas Cook in England ab 1845; Louis Stangen in Berlin ab 1863) eingeführt und den Interessierten angeboten.
Serienfertigung: Die von Reiseunternehmen und Reisebüros angebotenen Veranstaltungen werden in gewissen Zeitabständen wiederholt und können im Voraus gebucht werden.
Die Urlaubsmotive lauten, seit Jahren konstant bleibend: abschalten, ausspannen, aus dem Alltag herauskommen, Tapeten wechseln, frische Kraft sammeln, mit netten Leuten zusammen sein, mit neuen Leuten zusammenkommen, wieder einmal draußen an der frischen Luft sein, Zeit füreinander haben, ganz neue Eindrücke gewinnen, etwas anderes kennenlernen. Man sieht, es geht vorherrschend um die eigene Erholung, außerdem darum, zwischenmenschliche Kontakte herzustellen. Völlig ausgespart bleiben hier kulturelle Motive im engeren Sinn. Offensichtlich spielen sie keine zentrale Rolle im Urlaubsalltag während der sogenannten Hauptsaison, höchstens im Rahmen von Städtereisen, jenem immer beliebteren Typ von kurzzeitigem Tourismus, der weitgehend außerhalb der Hauptsaison stattfindet.
Die Motive der Nichtreisenden haben fast durchgängig mit dem Hemmfaktor Angst zu tun. Da gibt es einerseits die Angst, „die Kontrolle über die heimatliche Umgebung zu verlieren – man fürchtet, die Wohnung bzw. die Familienmitglieder zu lange allein zu lassen, [...] man glaubt, am Arbeitsplatz ginge es nicht, ohne daß man da wäre“. Andererseits gibt es die Angst, „sich in fremden, ungewohnten Verhältnissen orientieren zu müssen“. Und zum Dritten gibt es die Angst vor fremden Personen und Völkern.[236]
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Begibt man sich heute auf (Urlaubs-)Reisen, dann ist die Begegnung mit dem „Erlebnis“ oder dem „Abenteuer“ allgegenwärtig. Ins Auge stechen zum Beispiel die Broschüren der Reisebüros, die besondere Erlebnisse versprechen. Außergewöhnliche gefühlsanregende Erfahrungen werden nachgefragt und angeboten.
Ähnlich ist es auch in der Volkskunde – ein Buch, eine Ausstellung werden besonders dann von der Öffentlichkeit wahrgenommen, wenn den Leserinnen und Lesern, den Besucherinnen und Besuchern, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ein „Aha-Erlebnis“ ins Haus steht. Die Volkskunde ist vor allem dann öffentlich gefragt, wenn es um Phänomene geht, die „Spannung“ versprechen (Einschätzung von Hexenprozessen, Verortung von Halloween-Phänomenen).
Die Formate der Erlebniswelten scheinen so vielfältig wie ihre Orte und so „volkskulturell“ wie möglich zu sein (Event-Cooking, Erlebnisadvent, Event-Shopping). Im Alltag lässt sich schwer zwischen gewohnter Welt und Erlebniswelt trennen. Für die kulturwissenschaftliche Analyse stellt sich dementsprechend das Problem, ob es überhaupt möglich ist, mit Begriffen wie „Erlebnisgesellschaft“, „Erlebnisindustrie“ oder „Erlebniswelt“ wesentliche Phänomene unserer Zeit zu charakterisieren.
Ende der 1980er boomte der Erlebnis- und Abenteuertourismus – dies ist ein relativ junges touristisches Phänomen. Deutlich konnte eine zunehmende ästhetisch besetzte „Verwilderung“ im Alltagsleben (z. B. Rucksack statt Aktentasche, Offroadfahrzeuge in den städtischen Straßen, dem „Straßendschungel“, „Outdoorläden“ mit Wander- und Sportartikeln) ausgemacht werden.
Die Gestaltung der Freizeit geriet in den 1980er-Jahren mehr und mehr in den Blickpunkt kollektiver wie individueller Lebensentwürfe und Lebensinteressen. Für immer weniger Menschen bestimmte der „Beruf“ das Selbstwertgefühl. Abenteuerreisen bedeutete „Erlebnis leben“ in gesteigerter Form. Eine „Erlebnisgesellschaft“ war im Entstehen begriffen. Nichts scheint in dieser Gesellschaft so wenig erfüllend wie ein Lebenslauf, in dem nichts passiert, in dem die Langeweile vorherrscht. Die eigene Vergangenheit wird zunehmend zum Stoff einer Erlebniserzählung: So wird der unvergessliche Geschmack von Großmutters Apfelkuchen zur außerordentlichen Erfahrung, das Dabeisein beim Fall der Mauer zur Teilhabe am großen Weltgeschehen. Die allgegenwärtige „Gier auf Erlebnisse“ ist historisch gesehen nicht einmalig, neu sind jedoch die subjektzentrierten Motive der Erlebnisrationalität – es geht ausschließlich um das persönliche Wohlbefinden. Die Ausklammerung des Jenseitigen führt dazu, das Leben so lang und ereignisreich wie möglich zu gestalten.
In Zeiten einer „Erlebnisgesellschaft“ beginnt die „Erlebniswelt“ bereits im Mutterleib. Der Fötus ist nicht länger ein „gefühlloser Zellklumpen“, sondern ein höchst wahrnehmungsfähiges, gefühlsempfindliches Wesen, weshalb den Ungeborenen Lieder vorgespielt und Geschichten erzählt werden.
Im Kindergarten folgt die sogenannte „Erlebnispädagogik“, im Schulalter locken Erlebnisferien mit den Eltern. Das fortgeschrittene Jugendalter wird vom Event-Management der Konzert- oder Liebesparadenveranstalter begleitet. Im Erwachsenenalter verführt vor allem das Erlebnis-Shopping, im „Herbst des Lebens“, dem Pensions- oder Rentenalter, sind es die Aktivsportarten, die Kreativbeschäftigungen und die kulinarischen Reiseerfahrungen. Hospize begleiten den Sterbenden und seine Angehörigen beim bewussten Erleben des Abschieds.
Arbeits- und Erlebniswelt sind nicht länger als Gegensätze aufzufassen, sondern miteinander verwoben: Zum Beispiel wird die Gründung eines Unternehmens als „Abenteuer“ bezeichnet, Mitarbeiter/innen werden in „Survival camps“ geschickt, um flexibel, kreativ und entscheidungsfreudig zu werden.
Sogenannte Erlebnisräume werden als außergewöhnlich oder als sinnen- bzw. gefühlsbetont eingestuft. Bei wissenschaftlicher Betrachtung hat sich jedoch gezeigt, dass sie diese Versprechen nicht einlösen können: Die Besucher/innen eines Alpin-Centers (überdachte Skihalle in Bottrop im Ruhrgebiet) fühlen sich nicht wie in den Alpen, wenn sie die Hallenpisten herunterfahren; sie fühlen sich ebenso wenig am Strand, wenn sie in der Diskothek Playa tanzen; sie fühlen sich nicht in Thailand, wenn sie ein landestypisch eingerichtetes thailändisches Restaurant besuchen und ebenso wenig stellt sich in einem Möbelhaus das angepriesene Wohnerlebnis ein.
Die Versprechen werden nicht eingehalten, was macht nun den Erfolg dieser Erlebniswelten aus? Offensichtlich macht es den Menschen Spaß, die umgebende Wirklichkeit zu gestalten und zu deuten – Kulissen sind allgegenwärtig. Wir inszenieren unseren Alltag wie ein Theaterstück: wir spielen auf der „Vorderbühne“ (zum Beispiel als Touristen und Kellner in einem Lokal) und auf der „Hinterbühne“ (in der Küche des Lokals). Wie etwas gemacht wird, das „Making-of“, ist spannend für uns. Als Touristen beobachten wir, ob Tourismus „drehbuchgerecht“ inszeniert wird. Wir verfügen über ein extrem hohes Maß an Zeit, die wir selbst ausfüllen müssen – aus Angst vor der Leere entwickeln wir eine eigene kulturelle Technik dagegen.
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... so kann er was erzählen.“ Neben Berichten von Verwandten und Bekannten spielen eine Vielzahl an Medien (Reiseführer, Prospekte und Kataloge von Reiseveranstaltern, Zeitungsanzeigen, Werbespots in Rundfunk und Fernsehen) bei der Informationsgewinnung über ein Land, als Entscheidungshilfe für ein Reiseziel und als Anleitungen für unterwegs eine große Rolle.
Die Literaturgattung der gedruckten Reiseführer – welche heutzutage jede Buchhandlung in Stadtzentren, in Bahnhöfen, in Vororten, auch auf dem Land geradezu überschwemmen – wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von John Murray (1778–1843) in England und von Karl Baedeker (1801–1859) in Deutschland eingeführt. Sie orientierte sich zunächst am Verlauf von Eisenbahnstrecken und verfolgte den Zweck, Auskünfte über bauhistorische Sehenswürdigkeiten zu erteilen, aber auch über Unterkünfte und sonstige für Reisende wichtige Bedingungen an Ort und Stelle.
Der gedruckte Reiseführer verfügt über Vorläufer (wie die Apodemiken, jene „Kunstlehren des richtigen Reisens“ aus der Frühen Neuzeit, aber auch die römisch-antiken Straßenverzeichnisse) und über Konkurrenzangebote (wie flotte Reisemagazine, Tonband- und Videokassetten und CD-ROMs); er unterliegt Wandlungen und gilt trotz allen technischen Fortschritts im Bereich der Kommunikationsmedien immer noch als das benutzerfreundlichste Beratungsangebot für Reisende.
Zu den Vorläufern der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstandenen gedruckten Reiseführer gehören die apodemischen Schriften – die „Kunstlehren des richtigen Reisens“ –, die für mehrjährige Bildungsreisen abgefasst wurden. Diese Bildungsreisen unternahmen seit dem 16. Jahrhundert junge Standesherren in Länder wie Italien und Frankreich. Ziel der Reisen war die Vervollkommnung ihrer Persönlichkeitsbildung wie auch ihrer ganz praxisorientierten Ausbildung.
Die Reiseschriften setzten sich etwa mit religiösen Fragen auseinander (z. B. bei Reisen aus protestantischen Ländern in katholische und umgekehrt), orientierten sich an den Reisemodalitäten (allgemeine Bildungsreise, wissenschaftliche Reise, Reise zu Fuß oder per Schiff) und boten Routenvorschläge an. Neben hygienischen und diätetischen Ratschlägen gaben sie praktische Hinweise hinsichtlich der mitzuführenden Ausrüstungsgegenstände (z. B. Bettzeug, Kerzen, Kompass). Diese Literatur enthielt zudem „Empfehlungen und Anweisungen zur Beobachtung und zur Beschreibung der Reise“ ebenso wie „Informationen über Land und Leute, Regierung und Institutionen usw.“[239] Heute geben sie Aufschluss über die angestrebte und tatsächliche Reisepraxis.
Die gedruckten Reiseführer – von John Murray (1778–1843) in England und von Karl Baedeker (1801–1859) in Deutschland eingeführt – orientierten sich zunächst am Verlauf von Eisenbahnstrecken. Neben Auskünften über bauhistorische Sehenswürdigkeiten wurden Informationen über Unterkünfte und sonstige für Reisende wichtige Bedingungen erteilt. Die Kennzeichnung besonderer Sehenswürdigkeiten durch ein Sternsystem machte eine schnelle Orientierung (auch für potentielle Reisemassen) möglich.
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Dem Tourismus liegen Sehnsüchte nach vorübergehendem Auszug, nach Freiheit, Abenteuer, Natur und Abwechslung zugrunde. Diese Sehnsüchte werden in unserem Alltag hergestellt, in den Grenzen, die dieser Alltag menschlichem Glücksstreben und Erfahrungsbedürfnissen setzt. In einem Alltag, der als fad und erlebnisarm begriffen wird, entstehen die großen Träume von Abenteuern und Erlebnissen in fernen Räumen, auf hohen Bergen, in reißenden Wassern und in Wüste und Eis.
Von der touristischen Reise wird eine zeitlich befristete Überwindung der Normierungen und Beengungen erhofft. Je ferner und exotischer dabei die Fremde, desto eher glaubt man an eine vorübergehende Erfüllung jener Träume, die im Alltagsleben ausgesperrt bleiben. So soll der Urlaub – jene „kostbarsten Tage des Jahres“ – einen Gegensatz zum Alltag herstellen, dessen Reflex er zugleich ist.
Vor diesem Hintergrund entstanden in neuester Zeit jene Abenteuerreisen – vom Trekking im Himalaya bis zur Bootsreise auf dem Amazonas –, welche in die wilde Natur führen, diese aber in ihrer Bedrohlichkeit vom Touristen fernhalten. Natur wird zum zivilisierten Ort und ermöglicht Abenteuer, Kontemplation und Entspannung. Der eingelagerte „Thrill“ ist zum Markenartikel vielfältiger „outdoor“-Angebote geworden: Rafting, Gletscherskifahrten, Canyoning oder Wüstentrekking. Der höchste Berg der Erde, der Mount Everest ist das Ziel geführter Massen-Besteigungen.
Zu den Erscheinungsformen des modernen Abenteuertourismus, der von Erlebnishunger und Natursehnsucht geprägt ist, gehören Natur- und Sporttourismus. Der moderne Abenteuertourismus lässt sich am Beispiel des extremen Bergsteigens deutlich darstellen.
Dieses Bergsteigen entfaltet sich als ein modernes Duell mit der Natur. Der Abenteuertourismus zeigt sich dabei als ein inszenierter Kampf mit sich selbst. Es ist der Kampf gegen die eigene Natur, die man sich als Gegner entwirft, um zum modernen Abenteurer zu werden.
Das extreme Bergsteigen als Kampf mit sich selbst, als eine Form der modernen Selbstvergewisserung und des Sieges gegen die eigene Natur, wird zur großen Inszenierung der letzten noch erlebbaren Wildnis. Im Natur- und Sporttourismus wird Natur sowohl zum Hort der Zuflucht als auch zum Gegner stilisiert. Die inszenierten Erlebnisse sollen jene Authentizität bieten, nach denen die Sport- und Körpertouristen dürsten und für die sie bereit sind, auch unsägliche Mühen auf sich zu nehmen.
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Touristinnn und Touristen haben viele Bedürfnisse. Für ihre Befriedigung sorgt, seit es ihn gibt, der Tourismus. Das Tourismusangebot wird ständig erneuert, Unterhaltung, Spaß und Spiel werden im Urlaub für alle Altersgruppen immer wichtiger. In Österreich bemüht sich derzeit das Salzkammergut, seinen Ruf als Inbegriff der Sommerfrische des 19. Jahrhunderts zu aktualisieren: Das „Ausseerland“ wirbt mit „Tracht, Lebensgefühl, Musik“, die „Ferienregion Attersee“ hat sich die zusätzlichen Labels „Attergauer Kultursommer“ und „Regatta-Region“ auserkoren. Auch die „Mozartstadt Salzburg“ hat das Mozartimage in der „Sportwelt Amadé“ für eine neue Publikumsschicht erschlossen.
Stark im Trend liegen künstlich geschaffene Erlebniswelten, Themenparks und Erlebnisurlaub. Themenparks täuschen die Wirklichkeit stets nur vor; geboten wird eine konfliktfreie Traumwelt, die sich fast überall auf dem Globus einrichten und vervielfachen lässt. Der Standort an sich verliert dabei an Bedeutung (z. B. Disney World in Florida, Kalifornien, Paris, Tokio).
Vom Ort als Erlebnisort selber gehen keine besonderen Kräfte mehr aus. Historisch, natürlich oder kulturell gewachsene Sehenswürdigkeiten fehlen; sie würden sogar ablenken oder stören. Gerade weil es um künstlich aufgebaute Areale geht, die dem Besucher das Gefühl einer heilen, problemlosen, durchstrukturierten, perfekt gestylten, technisch pannenfrei funktionierenden und „cleanen“ Sonderwelt vermitteln sollen, verdichtet sich das Vergnügungsgeschehen nach innen. Nichts soll an die Außenwelt erinnern.
Die Ferienregion Heidiland ist ein Tourismusprojekt in der Schweiz (zwischen Walensee, Sargans und Bad Ragaz), an dem sich am Tourismus interessierte Gemeinden, Behörden, Anbieter und Leistungsträger beteiligen. Für die Schaffung eines neuen Urlaubsziels sind eine entsprechende Marketingstrategie und ein zugkräftiger Markenname von Bedeutung. Im Fall der Ferienregion Heidiland wird die Region mithilfe von „Heidi“, der Hauptfigur aus der gleichnamigen Erzählung von Johanna Spyri, zur Marke.
Die Schaffung des modernen Heidilands setzt bei Johanna Spyris 1880 geschriebener Heidi-Geschichte an und liefert gleichsam ein „historisierendes“ Element. Die Sehnsüchte der Touristen werden in einen für jedermann nachvollziehbaren Zusammenhang eingebettet: „Heidiland will die Philosophie der Heidigeschichte dem Gast rüberbringen, als Synonym für erholsame und gesund machende Ferien in einer natürlichen Umwelt. Viele Menschen verbinden mit Heidi [...] Menschlichkeit in der Bergwelt, Wärme, Gastfreundschaft und Lebensqualität.“[241]
Durch den bewussten Rückgriff auf Teile aus Spyris Heidi-Geschichte erfährt die Konstruktion Heidiland nicht nur ihre Berechtigung, sondern darüber hinaus auch eine eigene Art von Authentizität. Von Heidis Land kann eigentlich nur Gutes für alle kommen, lässt sich die Botschaft zusammenfassen. Für die neue Ferienregion heißt dies, dass ihr Marketing auf eine Auswahl von Qualitätsvorgaben zurückgreifen konnte, die bereits gesetzt waren, nunmehr aber zeitgemäß zu aktualisieren blieben.
Das Heidiland ist eine künstlich geschaffene Region in der Schweiz (zwischen Walensee, Sargans und Bad Ragaz). Auf die Frage, wo das „wahre“ Heidiland liege, gibt es je nach eingenommenem Standpunkt, verschiedene Antworten. Heidiland deckt regionale und lokalkulturelle Bedürfnisse ab, verweist aber auch auf den nationalen Rahmen Schweiz. Lange bevor das moderne Heidiland entstanden ist, diente der Welt- und Kinderstar Heidi als symbolische Repräsentationsfigur der Schweiz.
Unter dieser Perspektive erweist sich Heidis Botschaft immer auch als Botschaft über die Schweiz. Die Symbolfigur erinnert unablässig an ihre Herkunft. So wird die Schweiz bald selber zum Heidiland. Heidi wirkt in der Eigenschaft als Lockvogel für die Schweiz als Touristenland und ermuntert zur Reise ins Heidiland. Heidi wurde im Sinne zeittypischer Anpassung „verwandelt“: Zum einen steht Heidi für Unschuld, Reinheit, Häuslichkeit, Fröhlichkeit, Unbeschwertheit und Naturverbundenheit und zum anderen für „neue“ Attribute, wie Sportlichkeit, Leistungsorientierung, Geselligkeit, Erlebnisdrang, Spaß und Genuss, um aktuellen Tourismusqualitäten zu entsprechen. Als enorm wandelbare Figur erlaubt Heidi vielfältige Mischungen, die den Erfolg garantieren.
Der Heidi-Mythos schaffte den Schritt in die touristische Postmoderne und erinnert an das, was im Alpenland vielleicht einmal anders war (einfaches Leben im Einklang mit der Natur, die kleine Schweizer Alpenwelt mit Alpöhi und Geißenpeter). Nach vorne bietet er Mittel an, Bedürfnisse, die im Alltag nicht gelebt werden, zu erfüllen.
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„Regionale Identität“ ist ein Leitbild, das (in Deutschland) im Unterschied zur „nationalen Identität“ nie sonderlich umstritten war. Regionale Kultur wird tradiert, andererseits ist sie ständig in Bewegung und verändert sich. Die Begriffe „Region“ oder „Kulturregion“ werden häufig mit „ländlichem Raum“ oder „historischem Raum“ gleichgesetzt und an bestimmten materiellen Symbolen ausgemacht.
Ende des 19. Jahrhunderts und verstärkt erneut in den 1920er-Jahren organisierte sich die Heimatschutzbewegung in lokalen und regionalen Vereinen. Sie setzten sich für regionales Bewusstsein gegenüber kulturellen Vereinheitlichungstendenzen ein. Die Entdeckung der Heimatregion ist eng verknüpft mit der Industrialisierung und Touristifizierung von Landschaften. Mit dem Regionaltypischen, dem Traditionellen, lässt sich werben und Geld verdienen.
Das sogenannte „Europa der Regionen“ setzt sich aus grenzüberschreitenden ökonomischen Räumen – den EuRegios – zusammen, die letztlich nicht auf realen, kulturellen Vorgaben, sondern auf Einfallsreichtum der Werbestrategen fußen. Ein Beispiel dafür ist die EuRegio Salzburg – Berchtesgadener Land – Traunstein. Immer mehr Orte und Regionen versuchen Anerkennung und Bedeutung durch Auszeichnungen der UNESCO zu erhalten – so die Salzburger Altstadt –, auch wenn an der Baustruktur der Altstadt so gut wie gar nichts mehr verändert werden darf.
Die volkskundliche „Kulturraumforschung“ beschäftigte sich in den Vor- und Nachkriegsjahrzehnten mit der Entstehung und regionalen Verbreitung von Sachgütern, von Alltags- und Brauchhandlungen und von Erzählstoffen. Zu ihren vordringlichen Aufgaben gehörte es, ausgewählte Kulturformen der jeweiligen Erhebungszeit räumlich zu kartieren und auszuwerten, um damit regionale Zusammenhänge abzubilden.
„Hauslandschaften“ oder „Möbellandschaften“ sind Begriffe, die durch die volkskundliche Regionalforschung gesetzt wurden. Wissenschaftlich geleitete Freilichtmuseen verstehen sich als Institutionen, die die materielle Kultur einer spezifischen Region sammeln, konservieren, erforschen und in zeitlichen und sozialen Kontexten ausstellen.
Volkskundlerinnen und Volkskundler untersuchen heute „Regionen“ nicht mehr nur als territoriale Maßeinheit für ländlichen Raum abseits der Metropolen. Auch Städte und Ballungszentren werden als – urbane – Regionen erfasst und analysiert. Die sogenannte „urban anthropology“ steht für diese Perspektivenerweiterung.
Am Volkskunde-Institut der Universität München wurde eine Untersuchung vorgenommen, die deutlich machte, dass es sich bei der Stadt München und den Tiroler Alpen um wenig verschiedene Kontexte handelte, sondern vielmehr um unterschiedliche Ausprägungen von sich ergänzenden Kulturlandschaften. Bei diesem Versuch ging es im Allgemeinen um die Funktion von Jahreszeiten als Ordnungskategorie und Bedeutungsträger in modernen Lebenszusammenhängen.
Es ließen sich Phänomene herausfiltern, die symbolisch auf einen zusammengehörenden Raum verweisen, der als „Kulturlandschaft München–Alpen“ bezeichnet werden kann. Der Ausgangspunkt der Untersuchung war München – der ökonomische Mittelpunkt Süddeutschlands –, hier ist der sogenannte „Freizeitwert“ sehr hoch. Im Umland befinden sich zahlreiche „sommerliche“ Betätigungsfelder. Der Freizeitwert von München und seinem Umland sinkt erheblich, sobald Wärme und Sonne durch Kälte, Frost und Schnee abgelöst werden. Dann erhält eine Landschaft zunehmend an Bedeutung, die von München aus als „die Berge“ bezeichnet wird.
Eine Hauptroute in die Berge Tirols führt von München aus durch das Umland über die Inntalautobahn. Kurz vor Kufstein befindet sich nicht nur die Landesgrenze zwischen Deutschland und Österreich, sondern auch die Landschaftsgrenze zwischen dem Münchner Umland und den Bergen – hier teilen sich die Jahreszeiten. Während auf der deutschen Seite noch die Schnee- und Eisfreiheit der Autobahn wichtig ist, gerät in Österreich zunehmend die „richtige“ Schneehöhe in den Bergen ins Visier.
Auf der Strecke von München nach Fieberbrunn zum Beispiel finden sich eine ganze Reihe von „regionaltypischen“ Gegenständen, die sich gegenseitig ergänzen und erklären, Gegenstände, die weder als städtisch noch als ländlich zu kategorisieren sind. Hierzu gehören die Panoramakameras, das Schneetelefon, die Skiausrüstung, die Autobahn, die Liftanlagen, die Hütten oder die Schlitten. Die Landschaft wird aus zwei sich ergänzenden Positionen wahrgenommen.
Zum einen ist das die Position des sogenannten „Städters“, der ein umgrenztes Territorium als Freizeitlandschaft absteckt. Um diese Freizeitlandschaft entsprechend seinem Idealbild zu konsumieren, steht ihm bereits im städtischen Raum ein ganzes Arsenal von Gegenständen zur Verfügung (Sportgeschäfte oder Reiseführer).
Zum anderen gibt es die Position der Anbieter der Landschaft („Einheimische“), die mit ihrer Arbeit dafür sorgen, dass die Freizeitlandschaft den Leitbildern der Konsumenten entspricht. Die Bewohner der Alpendörfer sehen die Stadt und ihre Bevölkerung als „Markt“, der auf Grund seiner „Naturlosigkeit“ zur Grundlage ihrer eigenen Erwerbslandschaft wird.
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Es gibt Bilder, die wir, selbst wenn wir sie vorher nie gesehen haben, bereits einordnen können: Der Mann im karierten Rock muss ein Schotte sein, die Pyramiden gehören mit größter Wahrscheinlichkeit nach Ägypten, den riesigen Zwiebelturm verorten wir in Moskau und in Weiß gekleidete junge Damen, die unter festlichen Kronleuchtern in einem Prunksaal von befrackten jungen Männern im Walzertakt übers Parkett geführt werden, nehmen wohl am Wiener Opernball teil. Diese Bilder verweisen auf gelebte und vergangene Kultur, sowohl auf unsere eigene als auch die anderer Regionen und Länder.
Wir kennen den Begriff der Repräsentation aus verschiedenen Bereichen. In repräsentativen Parlamenten vertreten gewählte Politiker die Anliegen ihrer Region und Partei. Meinungsforscher konfrontieren uns mit den Resultaten „repräsentativer“ Umfragen, wo ein kleiner Prozentsatz befragter Menschen stellvertretend für eine ganze Bevölkerung zu Worte kommt. Genauso wie ein Mensch stellvertretend für eine Gruppe auftreten kann, können auch Gegenstände komplizierte Zusammenhänge darstellen: Das Zepter repräsentiert die Regierungsmacht eines Monarchen, eine Uniform repräsentiert den Dienstgrad eines Soldaten, eine Volkstracht repräsentiert den regionalen oder nationalen Ursprung derer, die sie tragen.
Repräsentation spielt eine wichtige Rolle innerhalb einer Gesellschaft. So sollte es nicht erstaunen, dass „Kultur“ als Ganzes ebenfalls verdinglicht wird und innerhalb und zwischen Kulturen zeichenförmig eingesetzt werden kann. In Form von „Völkerbildern“ reicht dies historisch weit zurück. Die eigentliche Hochkonjunktur kultureller Repräsentation setzt jedoch erst mit der Moderne ein.
Kulturelle Repräsentationen haben sich aus den verschiedensten Gründen entwickelt. Gerade deshalb stellen sie ein vieldeutiges Identifikationsangebot dar. Um ein Beispiel herauszugreifen:
Ein Bergbauer mag auch heute noch einen Gamsbart tragen, weil schon sein Vater einen trug und damit die familiäre Tradition gepflegt wird.
Ein Lokalpolitiker mag sich den Gamsbart aufsetzen, um damit seine Zugehörigkeit zu lokalen Werten zu demonstrieren.
Ein Tourist mag sich einen Gamsbart kaufen und zu Hause in Japan aufhängen, weil er für ihn eine Erinnerung stellvertretend für das bereiste Österreich bietet.
Kulturelle Repräsentationen verdeutlichen demnach Eigenschaften und Werte sowohl innerhalb einer Gesellschaft als auch zwischen Kulturen und sozialen Schichten. Die Neuzeit hat das Bewusstsein für Kultur und kulturelle Differenz (Unterschied) durch verschiedene Prozesse hervorgebracht, zum Beispiel durch die Entdeckung fremder Kulturen in der neuen Welt. Das Bedürfnis, das Typische der eigenen Kultur darzustellen, wurde hierdurch gefördert.
Politische Identität: In vielen Ländern Europas wurden kulturelle Repräsentationen seit dem 18. Jahrhundert zu wichtigen Elementen in der Herausformung einer nationalen Identität.
Ethnische und regionale Identität: Auch ethnische Eigenständigkeit und regionale Besonderheit kann durch kulturelle Repräsentationen hervorgehoben werden. Dieses Festhalten und Vorzeigen des Typischen kann zu friedlichen Zwecken, aber auch zur politischen Agitation eingesetzt werden.
Ausstellungswesen: Nationale und regionale Museen sammelten seit dem 19. Jahrhundert Sachgüter, die als repräsentativ für kulturelle Gruppen galten, wie z. B. Kleidungsstücke oder typische Arbeitsgeräte.
Verständigung in der multikulturellen Gegenwart: Kulturelle Repräsentationen werden bisweilen eingesetzt, um Kulturen miteinander bekannt zu machen, wie z. B. im Karneval der Kulturen in Berlin.
Wirtschaftlicher Gewinn: Kulturelle Repräsentationen werden in den verschiedensten Bereichen der Konsumkultur zum Verkauf aufbereitet und angeboten.
Seit dem 17. Jahrhundert haben sich langsam herausbildende Wissenschaften – wie die Geografie, Anthropologie, Volks- und Völkerkunde – gewollt und ungewollt zur Herausbildung kultureller Repräsentationen beigetragen. Wissenschaftliche Reisebeschreibungen und Völkerstatistiken versuchten, das kulturell Andere wie auch das Typische in Worte zu fassen.
Hierdurch entstanden im Laufe der Zeit ganzheitliche Bilder oder Klischees von Kulturen. Das Bild der „Indianer“ oder der „Hottentotten“ kristallisierte sich in der populären Vorstellung heraus, ebenso auch das Bild des „Kärntners“ oder des „Ungarn“.
Aus der eigenen Lebenserfahrung weiß jeder, dass es die unterschiedlichsten Vorarlberger oder Tiroler gibt: Die eigene Biografie, das Geschlecht, Schulung und soziale Schicht sowie der große, zeithistorische Kontext machen jedes Menschenleben zu einem Unikat. Ethnische Zugehörigkeit mag darin eine Rolle spielen, aber die Annahme, dass „Kultur“ sich auf das Ethnische beschränke, wurde in der Wissenschaft längst revidiert. Trotzdem hat sich aber dieses Bild des „kulturell Typischen“ gehalten und beflügelt auch heute noch kulturelle Repräsentationen.
Die wachsende wirtschaftliche Nutzung kultureller Repräsentationen hat zwar einen Einfluss auf deren Tragfähigkeit, muss sie aber nicht mindern. Sehr deutlich kommt dies z. B. in der Heimatschutzbewegung im deutschsprachigen Europa zum Ausdruck, die in ihrer Verbindung von ästhetischer Stilisierung und politischer Gestaltung von Lebens- und Denkraum auf kulturelle Repräsentationen des Volkslebens zurückgriff und dadurch ihre Wirkungskraft symbolisch erhöhte. Die prägende Kraft z. B. des hierdurch gestalteten „schönen Österreich“ wirkt nachhaltig weiter, nicht zuletzt im Bereich des Tourismus.
Die Landesausstellungen in den verschiedenen österreichischen Bundesländern dürfen ebenfalls als wichtiger Ort kultureller Repräsentation aufgeführt werden. Als Gattung stehen diese Ausstellungen zwischen den großen Welt- und Industrieausstellungen, die im 19. Jahrhundert ihren Anfang nahmen und auch in der Doppelmonarchie zu Enthusiasmus und Defiziten einerseits und den Bedürfnissen der Freizeit- und Eventkultur andererseits führten. Die Hoffnung auf wirtschaftlichen Gewinn durch diese Anlässe verbindet sie gleichzeitig auch mit den Bestrebungen im Bereich Freizeit und Tourismus.
Die ägyptischen Pyramiden, der indische Taj Mahal, indonesisches Schattenspiel, die chinesische Mauer, der Karneval von Rio: Die Bilder, die diese Namen und Begriffe heraufbeschwören, verweisen auf Baudenkmäler, Feiern und Performanzen, die im Lauf der Zeit durch Wort und Bild mit ihrem Ursprungsland verknüpft worden sind. Sie sind sowohl Werbung wie Anziehungsgrund im Zusammenspiel von Bedarf und Nachfrage im internationalen Tourismus.
Wenn auch Erholung in der Natur, gesundheitsfördernde körperliche Betätigung, Entspannung oder zumindest Luftveränderung historisch gesehen die bleibenden, zentralen Angebote des Tourismus sind, gehört „Kultur“ ebenso in die Palette dessen, was Gäste suchen und was ihnen geboten werden muss.
Bereits die frühen, aufklärerischen Reisebeschreibungen sahen eine ihrer Aufgaben darin, hochkulturelle Schätze aus den Bereichen Architektur oder Malerei zu empfehlen und auch das ethnisch Typische – wie z. B. die Kleidung, Nahrung oder auch Volksbelustigungen und -feste – fand Erwähnung. Somit erstaunt es auch nicht, wenn Menschen in Regionen, die von Reisenden und später Massentouristen heimgesucht wurden, neben Speis, Trank und Bett auch die Kultur in ihr Angebot aufnahmen.
Im frühen 19. Jahrhundert wurde im Berner Oberland das „Unspunnenfest“ erfunden. Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert kamen immer größere Ansammlungen ausländischer Gäste in diese alpine Region der Schweiz. Hand in Hand mit der Umwertung der Alpen von einem Ort des Schreckens und der Gefahr zum beeindruckenden Naturspektakel wurden auch die Menschen der Region als Träger kultureller Eigenart „entdeckt“.
Traditionelle Kleidung, Tanz und Musik sowie „urtümliche“ Hirten- und Bauernspiele sollten im Unspunnenfest das kulturelle Erbe der Alpenbevölkerung emblematisch darstellen.
Bilder und Gedankengut jener Zeit haben sich als kulturelle Repräsentationen bis in die Gegenwart gehalten, wenn auch die ideologische Verflechtung sich stets verschiebt. Ähnliches kann für die Kultur des österreichischen Zillertals gesagt werden: Hier bildete sich ebenfalls im 19. Jahrhundert das Bild eines „Menschenschlages“ heraus, dessen Typik als wandernde kulturelle Repräsentation im Bereich des Wanderverkaufs herausgearbeitet wurde, aber auch in der späteren Entwicklung zum touristischen Sommer- und Winter-Zielort nachhallte.
Die Verwandlung von Ausschnitten gelebter Kultur in verkaufbare kulturelle Repräsentationen bedient innerhalb einer touristischen Wirtschaft die Nachfrage nach „typischem“ Menschenschlag mit ebenso typischen kulturellen Mustern z. B. im Bereich Arbeit oder materielle Kultur.
Kleidung oder Tracht: Innerhalb des Tourismus werden Kleidungsformen wie z. B. das Dirndl, das zwar oft außerhalb touristischer Tätigkeit längst als unpraktisch abgelegt worden ist, gerne im Gastgewerbe eingesetzt und auch für Touristen zum Kauf angeboten.
Kulinarik: Nicht fehlen dürfen kultureinbindende Mahlzeiten, sei dies einfach ein Angebot regionaler Speisen (kein Österreich-Reiseführer wird Tafelspitz, Salzburger Nockerln oder Kaiserschmarrn unerwähnt lassen) oder ganze Mahlzeiten mit Lokalkolorit, wie etwa das „Älplerfrühstück“.
Unterhaltung: Der sogenannte „Folklore Abend“, aber auch Kultur oder Kulturgeschichte betonende, geführte Spaziergänge bereiten Aspekte lokaler Kultur für den Gast auf.
Wenn einer eine Reise tut, so nimmt er sich gerne ein Erinnerungsstück mit nach Hause. Souvenirs erfüllen dieses Bedürfnis in mannigfaltiger Weise. Neben Muscheln, schönen Steinen und anderen Gegenständen aus der Natur sind auch kulturelle Sachgüter beliebte Erinnerungsstücke. Dieser Freude am Mitnehmen des kulturell Typischen kommt die Souvenirindustrie entgegen.
Insbesondere handgearbeitete Gegenstände mit lokaler Ornamentik verwandeln sich in Souvenirs: Gewebtes, Geschnitztes, Getöpfertes oder deren Nachahmung in Kunststoffen wird besonders hervorgehoben.
Zu bemerken ist, dass das Kunsthandwerkliche somit nicht nur an die lokale Kultur, sondern an die vorindustrielle Variante dieser Kultur erinnert. Das Interesse an dieser Art von Souvenir hat manches Handwerk erhalten oder gar neu erweckt.
Die Suche nach dem „Echten“ oder „Authentischen“ einer Kultur ist ein wesentlicher Bestandteil nicht nur beim Kauf eines Souvenirs oder bereits bei der Planung einer Reise. Vielmehr ist dieses Verlangen nach „Echtem“ und „Urtümlichem“ überhaupt charakteristisch für die westliche Entwicklung im Verlauf der Moderne.
Kulturelle Repräsentationen befriedigen dieses Verlangen zumindest oberflächlich: Einem „echten“ Volksbrauch im Gastland beizuwohnen oder bei einem richtigen Heurigen gesessen zu haben, kann als Teilhaben an der Kultur des Gastlandes empfunden werden. Die Vermarktung der als „echt“ gebrandmarkten kulturellen Sachgüter oder Anlässe führt jedoch unweigerlich zur Minderung ihres Wertes: Wenn ein ganzer Bus voller Touristen in der Alpkäserei ankommt, scheint zumindest für den Einzelgänger die Einzigartigkeit des Besuches gemindert.
Innerhalb des Massentourismus verlagerte sich jedoch die Erfahrung weg von der Berührung mit dem Echten, Unberührten hin zur käuflichen Unterhaltung.
Der Kurort Bad Ischl mit k. & k.-Tradition setzt auf seine Geschichte. Erinnerungen an berühmte Gäste, die einst hier badeten, sind eine Animation für neue Gäste, sich im Kurpark dieser Kleinstadt, wo einst namhafte Komponisten Konzerte dirigierten, zu tummeln. Bad Ischl ist eingebunden in die österreichische Romantikstraße – eine von vielen thematischen Autorouten, die ebenfalls ein Stück Kulturgeschichte als Aufhänger verwenden.
Bad Ischls berühmteste Gäste und bleibende Anwohner stammen aus dem Hause Habsburg. Der junge Franz Joseph und seine zukünftige Kaiserin Elisabeth verlobten sich in einem museal entwickelten Ischler Hotel; die Sommerresidenz, auch heute noch von Habsburg-Nachkommen bewohnt, gehört ebenfalls zu den für den Touristen zugänglichen Ikonen.
Daneben bietet Ischl Verbindungen in die Volkskultur: Das Almfest der Bauern auf der Rettenalm wird im Veranstaltungskalender durch Alphorn blasende Männer in traditioneller Kleidung dargestellt, und auch zum „traditionellen Almabtrieb“ werden fremde Gäste geladen.
Ehemalige Arbeitsräume werden oftmals zu touristischen Zwecken eingesetzt. Zahlreiche stillgelegte Bergwerke haben ihre alten Stollen für den Tourismus nutzbar gemacht. Die Einfahrt ins Salzbergwerk wird zur fröhlichen Rutsche.
Rutschen sind geradezu sinnbildlich für die Art und Weise, wie Kulturelles in die touristische Wahrnehmung eingebaut wird. Bergwerke repräsentieren vergangene Arbeiterkultur. Wo Bergwerke in Schaubergwerke verwandelt werden, kann der Tourist selbst zum Bergarbeiter werden und mit Helm und Schutzkleidung versehen über eine Bergmannsrutsche ein Stück vergangener Kultur erleben.
Mancher stillgelegte Stollen wird mit anderen Elementen von Kultur touristisch belebt: Volkstheateraufführungen finden statt oder Sagen und Gruselgeschichten aus der Region werden erzählt, um durch das Ambiente Verbindungen zu vergangenem Kulturempfinden zu schaffen.
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Das kulturträchtige Pflaster der Salzburger Altstadt ist für Touristinnen und Touristen sowie für Einheimische eine „Straße der Sehnsüchte“. Das barocke „Rom des Nordens“ mit seinen weitläufigen Plätzen bietet ein interessantes Flair; Kultur-Massentourismus und ökonomischer Druck auf die kleine Bodenfläche schaffen aber auch Probleme.
In einigen Studien für die „Salzburg Innenstadt Genossenschaft“ und den „Fonds zur Förderung wissenschaftlicher Forschung“ wurde die „Stadt-Sehnsucht“ näher analysiert. Trackings, das sind verdeckte Beobachtungen, zeigten, dass sich die Besucher fast wie in einem Supermarkt stereotyp und einheitlich bewegen, aber dabei je nach Naturell und Vorinformation ganz verschiedene Erlebnisse haben. Salzburg ist für die Touristen eine teure „Souvenirstadt“. Eine Befragung von Altstadtbewohnern ergab, dass sie grundsätzlich sozial eingebunden und optimistisch sind, aber nicht in Bezug auf Politik und Zukunft der Altstadt.
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Sowohl „Freizeit“ als auch „Tourismus“ zählen mit zu den auffallendsten Phänomenen in aktuellen Gesellschaften. Beide Sozialfelder der Alltagskultur unterliegen heute einem deutlichen Wandel: Strukturen, Bedingungen, Erscheinungsformen und Funktionen erfahren deutliche Veränderungsschübe. Bedingt durch die wachsende Kommerzialisierung und die damit verbundene ökonomische Bedeutung als „Konsum(frei)zeit“ haben sich beide Handlungsbereiche aus ihrer Randstellung innerhalb wissenschaftlicher Analysen gelöst. Erst langsam werden beide Phänomene aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive erforscht.
Beide Sozialphänomene erfahren sehr unterschiedliche Wertungen. Tourismus etwa wird in hochtouristischen Regionen und Zentren deutlich negativ eingestuft: Kulturverlust, Verkitschung im Brauchtum, Zerfall sozialer, traditionell ländlicher Strukturen, Überfremdung, Landschaftszerstörung und Naturgefährdung. Diese Vorwürfe sind in dieser Verallgemeinerung jedoch nicht haltbar und zeigen deutliche ideologische Tendenzen. Aber auch die Freizeit wird immer noch als „Negativzeit“ in klarer Abgrenzung zu Erwerbs-, Berufs- und Arbeitszeit gesehen. Erst langsam setzt eine Gleichrangigkeit von Arbeitszeit und Freizeit ein. In der Freizeit kommt es zu Zeitverdichtungen, vermehrter Sinnsuche und hohen Erwartungen, wobei passive Gestaltungselemente bestehen bleiben. Der Salzburger Tourismus wiederum gliedert sich in einen Kultur-Kunst-Tourismus sowie einen erholungsorientierten Sport- und Wellnesstourismus bei wechselndem Nachfrageverhalten.
Freizeitstile unterscheiden sich deutlich von Land zu Land. Die sogenannten „Freizeitmuster“ sind oft mehr von historischen, regionalen und kulturellen Besonderheiten und aktuellen Trends als von den übergeordneten Gemeinsamkeiten der Modernisierung oder der Historie Europas bestimmt.
Durch veränderte Arbeitsstrukturen (Teilzeit-, Gleitzeit-, Schichtarbeit, Arbeitswege zu unterschiedlichen Arbeitsorten) und durch eine Zeitverdichtung (Minimierung persönlicher Bedürfniszeiten) gab es seit den 1970ern eine scheinbare Zunahme der frei verfügbaren Zeit. An die heutige Freizeit sind große Erwartungen geknüpft – jeder ist bestrebt, das Beste aus seiner Freizeit zu machen und viele Handlungen in die knappen und begrenzten Freizeiten auszulagern.
Freizeit wird im Bewusstsein vieler mit dem „Reich der Freiheit“ gleichgesetzt. Trotz allem wird sie auch in Salzburg zu einem großen Teil „passiv“ gestaltet (Fernsehkonsum mit Nebenbeschäftigungen). Nur knapp 20 Prozent der Salzburger Bevölkerung üben regelmäßig aktiven Sport aus. Rückläufig ist die Zahl derer, die ihre Freizeit mit Konzerten, Musiktheater, Sprechtheater oder Literatur gestalten, die Besucherzahlen bei Brauchtumsveranstaltungen und „sonstigen“ Mischformen steigen. Freizeit wird auch als „Sozialzeit“ aufgefasst und gestaltet, wobei sie durch erhöhte Mobilität gekennzeichnet ist; vor allem Familie, Verwandte und Freunde werden besucht.
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Erst ab dem frühen 19. Jahrhundert kann man in Salzburg von Tourismus sprechen – damals beschränkte sich der Tourismus auf Maler, deren Zeichnungen, Aquarelle und Gemälde in Folge zu wichtigen Werbemitteln wurden.
1829 wurde das fast 26 Meter lange und fünf Meter hohe Panoramagemälde der Stadt Salzburg – gemalt von Johann Michael Sattler und unterstützt von Friedrich Loos und Johann Schindler – in einem Zelt auf dem Hannibalplatz (heute Makartplatz) präsentiert. Mit Recht wurde Sattler zum ersten Ehrenbürger der Stadt Salzburg ernannt, da dieser mitsamt Familie in vielen Städten Europas das Gemälde zeigte und somit für das Ansehen Salzburgs und den beginnenden Tourismus unschätzbare Dienste leistete.
Im 19. Jahrhundert erschienen auch zahlreiche Reisebeschreibungen und Reisehandbücher. Den darin beschriebenen Reiserouten folgten auch die meisten der ins Land kommenden Touristen. Als „Mozartstadt“ präsentierte sich Salzburg allerdings erst mit der Errichtung eines Mozartdenkmals, welches in Folge zum Zielpunkt des Tourismus wurde. Das touristische Publikum bestand zum Großteil aus wohlhabenden Städtern. Die aufklärerischen Ideen eines Jean Jacques Rousseau vom einfachen Leben auf dem Land in einer harmonischen Naturwelt hatten ein breites Echo gefunden und Salzburg profitierte davon.
Bis 1860 war Salzburg nur mit der Postkutsche oder im Stellwagen (Pferde-Omnibus) zu erreichen. Die touristische Erschließung Salzburgs für ein breites Publikum setzte mit dem Anschluss Salzburgs an das Eisenbahnnetz ein. Ab dem Sommer 1860 (Kaiserin-Elisabeth-Bahn von Wien nach Salzburg, Maximilian-Bahn nach München) erhöhte sich die Zahl der Touristen in der Stadt Salzburg.
Das Massenverkehrsmittel „Eisenbahn“ ermöglichte neue Werbestrategien für den Tourismus (Reisebüros). Vergnügungsreisende und Sommerfrischler (neue Form der Erholung an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert) blieben für längere Aufenthalte im Land Salzburg. Ortschaften fern der Eisenbahn gerieten hingegen schnell ins Abseits. Aus diesem Grund wurden weitere Bahnlinien errichtet (1893 „Ischlerbahn“, 1894 „Murtalbahn“, 1898 „Krimmlerbahn“).
Die Reisenden des bürgerlichen Zeitalters des ausgehenden 19. Jahrhunderts stellten höhere Ansprüche, so musste Salzburg neue Attraktionen und Unterhaltungsmöglichkeiten schaffen – wie den elektrischen Aufzug auf den Mönchsberg (1890), die Drahtseilbahn auf die Festung (1892) und die Zahnradbahn auf den Gaisberg (1893), die Errichtung eines modernen Theatergebäudes (1893) und für das Land die Erschließung der Bergwelt (Alpinismus).
Im Jahre 1902 erschien die erste umfangreiche Broschüre über das touristische Angebot im gesamten Salzburger Land – weitere Prospekte in englischer und französischer Sprache folgten. Um 1910 ging Salzburg Werbekooperationen mit dem oberösterreichischen Salzkammergut ein. Während des Ersten Weltkrieges kam der Fremdenverkehr allerdings fast gänzlich zum Erliegen.
Ab 1920 wurden die Salzburger Festspiele mit dem „Jedermann“ und dem musikalischen Programm in den Folgejahren zum erfolgreichsten internationalen Werbemittel für Salzburg. 1922 hielten sich 329.000 Besucher für eine Dauer von drei Tagen im Land Salzburg auf. Der Anteil an ausländischen Gästen in Salzburg war höher als im gesamtösterreichischen Durchschnitt – 1924 verzeichnete die Stadt Salzburg 187.000 Gästeanmeldungen.
Die erste Blüte des Tourismus bremste 1929 der Börsenkrach an der Wallstreet in New York. Die Weltwirtschaftskrise erreichte Österreich – und somit auch den Salzburger Tourismus. Durch die verhängte 1.000-Mark-Sperre sank die Zahl der deutschen Gäste auf unter zehn Prozent im Vergleich zu 1932. Dadurch waren auch alle Bemühungen im touristischen Bereich zunichte gemacht worden. 1936 beendete das österreichisch-deutsche Abkommen diese Sperre, und es folgten sehr erfolgreiche touristische Jahre, bevor mit dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland 1938 dies schlagartig zu Ende war.
Mit dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland im März 1938 verlor die Festspielstadt Salzburg ihre Eleganz und Internationalität. Nur die Zahl der reichsdeutschen Gäste, die nach Salzburg kamen, nahm zu (KdF-Reisen, Volkswohlfahrten, Hitler-Jugend).
Auch die zunehmende Aufrüstung wirkte sich auf den Tourismus aus. Die Wehrmacht besaß neun Hotels in der Stadt Salzburg und nützte den Flughafen zu militärischen Zwecken. Ab 1941 wurde die Liste der „erholungswürdigen“ Personen eingeschränkt – Frontsoldaten, Versehrte und Rüstungsarbeiter reisten bevorzugt. Da das Salzburger Land lange Zeit als bombensicher galt, verwandelte sich die „Insel der Seligen“ zum Lazarett-Gau. Am 4. Mai 1945 zogen die US-Truppen in die Stadt ein – der Krieg war zu Ende und ein Wiederaufbau konnte beginnen.
Die Festspiele 1946 waren ein neuer Versuch, an die Hochblüte vor dem Krieg anzuschließen. In den späten 1940er-Jahren konzentrierte sich die Fremdenverkehrswerbung ausschließlich auf die typischen Salzburg-Klischees (Festspiele, Schuhplattler, Mozart und Folklore). Erst zwischen 1950 und 1960 wurde der Fremdenverkehr zum dominierenden Faktor im neuen „Wirtschaftswunderland“, nachdem sich der Tourismus zum wirtschaftlichen Wachstumsführer entwickelt hatte. In den 1970er-Jahren forcierte die Werbung wieder sanften Urlaub mit Kontakt zur Bevölkerung. 1985 wurde das Fremdenverkehrsgesetz beschlossen und im Herbst 1986 die Salzburger Land Tourismus Gesellschaft (SLT) gegründet.
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Die aufblühende bürgerliche Kultur- und Freizeitpflege im 19. Jahrhundert bediente sich des Kapitals, das Salzburg bot: eine weitgehend unberührte und dem Schönheitsempfinden der Zeit entsprechende Landschaft und eine architektonisch beeindruckende und gut zu erweiternde Stadt. Die Aktivitäten der Regierung und der Bürger richteten sich darauf aus, der Stadt ein Ansehen zu verleihen und wirtschaftliche Möglichkeiten zu finden.
Salzburg versuchte ab der Mitte des 19. Jahrhunderts mit allen Bereichen des Tourismus seine Provinzialität abzustreifen und den „Anschluss an die große Welt“ zu finden. Die Anpassung an den „internationalen“ Tourismus ging mit der Pflege lokaler Besonderheiten – insbesondere mit einer Konzentration auf Wolfgang Amadeus Mozart – einher. Der Mozart-Tourismus und die Pflege des Mozart-Kultes nehmen mit der Enthüllung des Mozartdenkmals (1842) und der Gründung der internationalen Mozartgemeinde (1888) ihren Lauf.
Im 19. Jahrhundert ist das „Salzburger Nockerl“ entstanden, das über Salzburg hinaus zum eleganten Dessert der Habsburgermonarchie wurde. In diese Zeit des jungen Salzburg-Bewusstseins fällt auch die Erfindung der Salzburger Mozartkugel.
Die Salzburger Mozartkugel, seit 1939 von der Fachgruppe Süßwarenindustrie als definiertes Schokolade-Trüffel-Marzipankonfekt eingetragen, ist nicht nur ein köstliches Konfekt. Sie ist auch vorrangiges Reiseandenken und gilt in vielen Ländern als Symbol Salzburgs und sogar Österreichs. So ist sie auch bedeutendes Produkt der Salzburger Wirtschaft.
Mit Mozartkugeln wurde ein Umsatz von über 20 Millionen Euro gemacht, mit weiteren Mozartsüßwaren fast 30 Millionen. Dagegen spielen Mozartaufführungen österreichweit etwa eine halbe Million ein. 1993 wurde die Mozartkugel als „Austrian classic“ in den Katalog der „Austrian Ingenious Products“ aufgenommen.
Ob von Hand erzeugt und in Silberpapier mit blau gedrucktem Mozartkopf gewickelt oder maschinell hergestellt, in Goldpapier gewickelt und rotbraun verpackt, die Mozartkugel hat weltweit den Rang eines edlen Konfiserieproduktes mit kultureller Note erlangt. Mit ihr verschränkt ist ein weiter Markt an Mozart-Devotionalien und Amadeus-Locations entstanden.
Die Mozartkugel wurde 1890 vom Konditormeister Paul Fürst in Salzburg als „Mozartbonbon“ erfunden und 1895 auf der Pariser Gewerbeausstellung mit der Goldmedaille prämiert. Kurz darauf erzeugten sie bereits andere Salzburger Konditoren, und der Konditormeister Schatz versah sie mit dem heutigen Namen „Mozartkugel“. Schon 1914 wurde sie auch in Berlin industriell erzeugt – die Salzburger Spezialität war zum Allgemeingut geworden.
Auch in den beiden Weltkriegen wurde die Erzeugung nie unterbrochen und nach 1955 zählte die Mozartkugel zu den Identifikatoren der österreichischen Bevölkerung. In den 1980er-Jahren wurden mehrere Wirtschaftsprozesse um die Bezeichnungen „echt“, „original“, „Salzburger“ sowie um die Exportrechte geführt. Export und Werbestrategien wurden erweitert und Tourismus und Festspiele profitierten davon auf Umwegen.
Der Welterfolg wie die Bedeutung als Werbefaktor für Salzburg wurde nur durch den Film „The Sound of Music“ von Robert Wise (USA 1964) übertroffen. Auch bei diesem Film wird die Frage nach der wahren Geschichte der Trapp-Familie, dem Erfolg der „Trapp-Family-Singers“ und Hollywoods Filmwirklichkeit von den Anhängern nicht gestellt.
Die Mozartkugel steht nicht am Anfang der „Mozartprodukte“. Mit der Aufstellung des Mozartdenkmales 1842 begann neben künstlerischer und kultureller Tätigkeit der Salzburger „Mozartgemeinde“ – im Vorfeld der Salzburger Festspiele – bereits die Mozartvermarktung. Zwischen 1842 und 1863 werden zahlreiche „Mozartprodukte“ erwähnt, darunter unter anderem Pfeifen, Weine, Brote; um 1850 die Mozarttorte und 1911 sogar die „Mozartcreme“, kein Konfiserieprodukt, sondern eine Schuhpasta. Es gibt wohl keinen anderen Künstler, nach dem so viele und so weitverbreitete Konsumgüter benannt worden sind.
Die international bekannte, in Goldpapier gewickelte Mozartkugel wurde sogar zum Vorbild von Porzellandosen, Vasen, Knöpfen und Likörflaschen in der Airport-Art-Industrie. Sie scheint auf Aschenbechern und Kaffeehäferln auf und wird mit Plastikgeigen und „Konzertflügelverpackungen“ verkauft.
Das Schlagwort des 19. Jahrhunderts war „Mozart“, „ein Werthmesser gegenüber dem Fremdlande“[246]; im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts begann das „Wolferl“-Image, die Verniedlichung des begabten Wunderknaben; die 1980er brachten „Amadeus“, den unangepassten Jugendlichen, der für Modeserien, Skiparadiese und anderes mehr werben musste. Mit dem Mozartjahr 1991 stieg die Zahl der „Mozartprodukte“ ins Unendliche.
1980 trat in Salzburg das Altstadt-Erhaltungsgesetz in Kraft und in den Mozartgedenkjahren bemühte sich die Landesregierung, den Namen Mozarts gegen die Vermarktung schützen zu lassen, was allerdings vergeblich blieb. Der Name war bereits Allgemeingut geworden und es erschienen laufend neue „Mozart-Produkte“.
Es entstand ein neues Mozart-Image. Der Rocksänger „Falco“, der Geiger Nigel Kennedy und der Regisseur Miloš Forman machten durch Musik und Film Mozart zum neuen Idol der jungen Generation. „Amadeus“ war das neue Schlagwort. Der neue Markt bot Mozart-T-Shirts mit Neongraffiti, Skier mit Mozartdrucken, Sportbekleidung, Sticker, Schmuck, Fastfood und Mozartkugeln in bunten Folien. Auch 2003 bieten die Geschäfte in der Altstadt wie im Internet Produkte dieser Art.
Die „Originale Salzburger Mozartkugel“ bleibt für Norbert Fürst eine hochwertige einmalige Praline, die nicht zum Mozartsouvenir umfunktioniert werden soll. Andere Firmen produzieren Mozartkugeln in verschiedenen Geschmacksrichtungen und Formen, wobei deutsche Anbieter vor allem auf den lieblich-höfischen Rokoko-Mozart setzen und damit die deutsche und amerikanische Mittelschicht älterer Semester ansprechen. Österreichische Firmen setzen auf „Feeling Amadeus“ und erreichen damit jugendliches, speziell japanisches Publikum. Die Fülle diverser Mozartprodukte veranlasste sogar, ein sogenanntes „Mozartkugelseminar“ im Internet anzubieten – an keinem geht das Genie vorbei.
Die Verpackungen, die bis in die 1980er-Jahre auf das Mozartportrait beschränkt waren, wurden mit musikalischen Requisiten und Details aus der Mozart-Biografie erweitert. Die Mozartkugel bewegt sich heute immer weiter weg von einem der Person gewidmeten Konfekt und erhält immer mehr den Charakter des Künstlerischen und Kulturellen, sie wird zum kulturellen Emblem und zur Reliquie.
So existieren neben einer Konzertflügel- und Tastatur-Verpackung auch eine Mozartkugel-Schallplatten-Packung und ein Mozartweinkarton mit Compact Disc. Die Werbung dafür ist suggestiv gehalten, erzeugt persönliche Sentimentalität, lässt nostalgische Gefühle und soziale Statusräume aufkommen.
In den Mozartjahren werden „exklusive Mozartprodukte“ hergestellt, wobei deutlich sichtbar wird, dass nicht Musikwissenschaft oder Biografie, auch nicht Inhalt oder Material der Produktion, sondern ausschließlich Verpackung und Bezeichnung des Artikels seinen Preis und auch seinen ideellen Marktwert ausmachen.
1991 gestaltete der Seehamer Künstler Peter Mairinger eine Ausstellung „Von Mozart bis Kugel – ein Name und seine Vermarktung“. Im selben Jahr sorgte der Kapruner Bildhauer und Objektkünstler Anton Thuswaldner mit seinem „Attentat auf Mozart“ für Bürgerempörung und Politikerentrüstung. Er verpackte eine Woche lang das Mozartdenkmal auf dem Salzburger Mozartplatz in eine Pyramide aus Einkaufswägen.
Schon 1981 besetzte Günther Nussbaumer auf seiner Titelgrafik zu einer Salzburger Textsammlung den Sockel der Mozartstatue mit dem „M“ eines internationalen Fastfood Betriebes und betitelte „Mc Mozartʼs“. Einer kritischen Auseinandersetzung mit dem „Produkt Mozart“ stellte sich auch eine Salzburger Kabarettgruppe, die sich den Titel „MotzArt“ gab, was in der österreichischen Umgangssprache soviel bedeutet wie kritische oder unangepasste Kunst.
Die Ware Mozart hat sich stets als Kassenhit erwiesen. Mozart wurde zur Kultfigur unserer Zeit. In Zusammenhang mit der Mozartkugel zeigt sich auch, dass lokale, regionale und nationale Klischees, die von außen kommen, also über den Reisenden, an ein Land herangetragen werden, dort durchwegs auch rezipiert werden. „Wir leben in der Legende, die man uns gemacht hat.“ (Peter Bichsel).
Die musikwissenschaftliche Bedeutung der Mozartkugel liegt im Bewusstsein für Käufer und Genießer, eine kulturelle Tat begangen zu haben, Anteil zu haben an historischer, lokaler und musikalischer Kultur, an 200 Jahren Mozart in Salzburg. So sind die Mozartkugel und ihre Nachfolgeprodukte der einfachste Weg der Annäherung an diese große Persönlichkeit. Weder Musikverständnis noch Zeitaufwand noch persönliches Engagement sind erforderlich, um die Persönlichkeit, ein musikalisches Werk, um spätbarocke Kunst zu erfassen.
Mozartprodukte sind Inbegriff des modernen Massentourismus und vorrangige österreichische Exportartikel geworden. 2003 wurde von den Touristik-Anbietern bereits das Projekt „Mozart 2006“ zum 250. Geburtstag von Wolfgang Amadeus Mozart beworben.
Auf die kulturelle Tradition der Vergangenheit aufbauend ist Salzburg ein musikalisches Zentrum von Weltgeltung. „Mozart 2006“ wurde als als europäisches Netzwerk erarbeitet, mit einer Großausstellung im neuen Haus des Salzburger Museums Carolino Augusteum, dem Salzburg Museum in der neuen Residenz am Mozartplatz, den „Europäische Mozart-Wegen“, baulichen Verbesserungen des Festspielbezirks, Kinder- und Jugendprogrammen sowie vielen kleinen Symposien.
Obwohl nach 1919 in der Notzeit nach dem Ersten Weltkrieg ein Einreiseverbot für Touristen in Salzburg erlassen werden musste, inszenierte Max Reinhardt bereits 1920 für die 1916 begründete Festspielhausgemeinde den ersten „Jedermann“ vor dem Salzburger Dom und rief damit die Salzburger Festspiele ins Leben. Das Publikum war zum großen Teil aus Deutschland und Österreich.
Mit der Machtübernahme Hitlers in Deutschland zogen die vertriebenen Künstlerinnen und Künstler über Max Reinhardt nach Salzburg. Mit ihnen kam vermehrt international hochrangiges Publikum aus aller Welt. Davon profitierten einige wenige Betriebe, die als Initiatoren des „Austrian Look“ und des „Salzburgtypischen“ gelten können (unter anderem auch die Mozartkugel).
1938, mit der Annexion Österreichs durch Hitlerdeutschland, kam der Salzburg-Tourismus immer mehr zum Erliegen. Bis 1949 war die Hungersnot groß, dennoch stagnierte die Mozartkugelproduktion nicht. Ab 1955 öffneten in Salzburg die großen Hotels ihre Pforten. 1966 nahm Salzburg die Spitzenstellung in Österreichs Wirtschaft ein. 1958 erhielt die Mozartkugel auf dem Österreichischen Bundestag der Zuckerbäcker eine Goldmedaille.
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Erst mit dem Aufstieg des Handels und der darauf angewiesenen Städte wurde im Mittelalter das von den Römern übernommene Verkehrssystem intensiv ausgebaut. Die Methoden des Reisens waren grundsätzlich dieselben wie weltweit in den früheren Epochen, also zu einer Zeit, bevor Dampfkraft und Elektrizität – und das bedeutet Eisenbahn – Dampfschiffe, Auto und Flugzeug zur Verfügung standen. Man reiste also – zum größten Teil – zu Fuß oder mithilfe eines Reittiers (Pferd, Esel, Maultier u. a.) oder zu Schiff (auf dem Meer mit Ruder oder Segel); erst allmählich benützten Reisende auch Wagen, die eher zum Transport von Gegenständen und Waren gebraucht wurden. Nicht mit heutigem Komfort vergleichbar sind auch die damaligen Übernachtungsmöglichkeiten.
Drei große Typen von Reisen lassen sich unterscheiden: (1) Handelsreisen, (2) Reisen für militärische und/oder politische Zwecke, (3) Pilgerreisen.
Des Weiteren gab es natürlich Personen, die aus privaten Gründen oder im Zusammenhang mit ihrem Beruf reisten oder reisen mussten: Scholaren und „Vaganten“, Schausteller und Musiker (die sogenannten „Fahrenden“ ), aber auch Boten, Beamte und Geistliche mit besonderen Aufträgen. Ein auch noch heute interessanter Reisender war Oswald von Wolkenstein.
Über die Geschwindigkeit beim Reisen im Mittelalter kann man einige Vermutungen anstellen. Dabei sind viele natürliche Hindernisse zu berücksichtigen: schlechtes Wetter, Flüsse, Gebirge mit schwierigen Auf- und Abstiegen, auf dem Meer Sturm oder auch Windstille. Die folgenden Angaben basieren auf Überlegungen aus folgenden Werken:
Zu Fuß legte man pro Stunde etwa vier bis fünf Kilometer zurück; als durchschnittliche Tagesleistung für längere Reisen sind etwa 25 Kilometer anzunehmen. Zu Pferd konnte man im Galopp pro Stunde 20 bis 25 Kilometer zurücklegen; ein Reisender zu Pferd brachte es etwa auf 30 bis 50 Kilometer pro Tag. Mongolische Stafetten-Reiter konnten, laut Marco Polo, an einem Tag allerdings 375 Kilometer schaffen.
Ein rundbauchiges Schiff (mit Segel oder Ruder) bewältigte auf dem Mittelmeer, allerdings bei guten Wetterbedingungen, pro Tag etwa 200 Kilometer. Sofern man Segel und Ruder kombinierte, konnte man etwa auf das Doppelte kommen.
Walther von der Vogelweide (ca. 1170 bis ca. 1230), schon nach damaliger Meinung der herausragende Sänger und „Liedermacher“ im deutschsprachigen Raum, berichtet in seinen Liedern verschiedentlich, dass er – wie alle fahrenden Musiker des Mittelalters – oft und weit gereist ist. Dies tat er nicht freiwillig, sondern er war lange Zeit als „Berufssänger ohne festes Engagement“ auf diese Weise gezwungen, seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
In seinen Liedern zeigt Walther einerseits Stolz auf seine Weltkenntnis, zum andern aber klagt er auch über die Beschwernisse eines solchen Lebens und wünscht sich ein beständiges Dasein als Herr im eigenen Haus. Eindruckvoller als alle anderen Sänger thematisiert er die Nachteile eines dauernden Lebens als Fahrender auf Reise von Hof zu Hof.
Auch auf die „Reise nach Übersee“, also in das den Christen „Heilige Land“ Palästina, kommt er mehrfach zu sprechen. Ob er allerdings jemals an einer Pilgerfahrt oder einem Kreuzzug teilgenommen hat, ist nicht bekannt. Noch heute wirkt sein „Palästinalied“ aber, zumal dessen letzte Strophe, fast erschreckend aktuell.
Die Reise nach „Übersee“ nahm einen zentralen Platz im Denken des lateinisch-katholischen Europa ein: Gemeint war damit die anstrengende und gefährliche Kriegs- oder Pilgerfahrt nach Palästina, in das „Heilige Land“ und insbesondere nach Jerusalem. Seit der Zeit der Staufer entwickelte sich in dieser Hinsicht ein regelrechter Geschäftsbetrieb, wobei für den deutschsprachigen Raum Venedig eine Monopolstellung innehatte.
In Venedig hatten sich regelrechte Reisebüros etabliert, Schiffsbesitzer, die zweimal pro Jahr, im März und im August, zu Passagierreisen nach Palästina aufbrachen, wobei im Reisepreis die Unterkünfte, Schutzmaßnahmen und Besichtigungen enthalten waren – eine frühe Form der „Inclusive-Tour“ des modernen Tourismus. Unzählige Reiseberichte und viele Lieder (unter anderem solche des Tannhäuser und Oswald von Wolkenstein) erzählen von dieser Wallfahrt, der wichtigsten neben denjenigen nach Santiago di Compostela und nach Rom: Denn der Besuch beim Grab des Herrn (Jesus) war eben wichtiger und brachte höhere Ablassguthaben ein als jener bei den Ruhestätten der Apostel Jakobus (Santiago) sowie Petrus und Paulus (Rom).
Oswald von Wolkenstein (1376/1377–1445), Angehöriger einer Südtiroler Landadelsfamilie, gilt neben bzw. nach Walther von der Vogelweide als der herausragende Liederautor des deutschsprachigen Mittelalters. Er ist in mehrfacher Weise ein Autor der Superlative: höchste Qualität von Dichtung und Musik, darunter zahlreiche mehrstimmige Kompositionen, viele davon Bearbeitungen aus dem Französischen und Italienischen; einzigartige Vielfalt von Themen und Formen, darunter bis heute eindrucksvolle autobiografische Lieder; reiche Bezeugung durch über eintausend Urkunden; erstes Dichterporträt der deutschsprachigen Literatur; fast authentische Überlieferung der Texte und Melodien, vor allem in den beiden in seinem Auftrag geschriebenen Liedersammlungen mit 124 Liedern (einschließlich aller Melodien) und zwei Reimpaar-Reden.
Oswald nahm auch an einer Pilgerfahrt nach Palästina teil, was unter anderem durch den bis heute erhaltenen „Gedenkstein“ in Brixen bezeugt wird. Dadurch, dass er seine vielen Reisen auch zum Thema von Liedern gemacht hat, ist er der erste deutschsprachige Sänger, von dem uns eine ganze Gruppe von „Reiseliedern“ überliefert ist; in einem dieser Lieder (Kl 41) erzählt er auch von einem Aufenthalt in Salzburg.
[232] [GrimmJ/GrimmW 1931], hier Sp. 922–923.
[233] [GrimmJ/GrimmW 1931], hier Sp. 922–923.
[234] [GrimmJ/GrimmW 1931], hier Sp. 923. – [Prahl/Steinecke 1981], S. 227–228.
[235] [Enzensberger 1962], hier S. 196.
[240] Kurzfassung von Andrea Bleyer, Ulrike Kammerhofer-Aggermann und Melanie Wiener-Lanterdinger, Langtext HIER.
[241] [Heidi 1998], S. 22.
[246] [PichlerGA 1861], S. 1037 f.