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Ritualisten und Männerbünde (Johanna Moser)[102]

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Konstruktion von Mythen

Zum Verständnis heutiger Diskrepanzen in der Bewertung von Bräuchen durch Volkskundler und Laien ist ein Blick in die Fachgeschichte notwendig. Dadurch wird klar, dass eine durchideologisierte Sichtweise bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts den Blick auf Kultur als lebendigem Prozess verhinderte.

Viele der ersten akademisch gebildeten Volkskundler in Österreich wurden durch die „Wiener Mythologische Schule“ geprägt. Deren zwei wesentliche Zweige waren die „Ritualisten“ um Rudolf Much und die „Mondmythologen“ um Edmund Mudrak und Georg Hüsing. Ihr Ziel war die Suche nach „vorzeitlichen Mythen und Ritualen“, die in Bräuchen fortwirken sollten.

Dazu mischten die „Ritualisten“ Mythologismen des 19. Jahrhunderts mit ethnologischen Lehren zu neuen gefährlichen Theorien. Ein grundlegender Ansatz kam vom Ethnologen Heinrich Schurtz (1863–1903), der basierend auf Nationalismus und Kolonialismus eine Evolutionstheorie entwickelte, in der „Blutsverwandtschaft“ und mythisch geprägte, kriegerische „Geheimbünde der Männer“ von Bedeutung waren. Solche Ideen fielen im aufkeimenden Nationalsozialismus auf fruchtbaren Boden.

Suche nach der Kontinuität des „Germanischen“

Der Wiener Germanist Rudolf Much (1862–1936) suchte in seinem Hauptarbeitsgebiet, der germanischen Stammes- und Altertumskunde, unter Heranziehung von Sagenmaterial neue, national gefärbte Interpretationen. Es ging Much darum, die „Kontinuität“ germanischen Kulturgutes zu beweisen – sein Schüler Richard Wolfram setzte ihn darin fort. Hermann Bausinger entlarvte diese „Beweisführung“ als einen „… jeglicher wissenschaftliche[n] Untersuchung vorgeschobene[n] Glaubenssatz“. Auch der Kunsthistoriker Josef von Strzygowski schloss sich dieser Lehre an und regte seinerseits Karl von Spieß zu seinen Büchern über mythisch bedingte „Bauernkunst“ und „Volkskunst“ an.

Der bedeutendste und einflussreichste Schüler Muchs war der gebürtige Wiener Otto Höfler (1901–1987) – zuerst Ordinarius für Volkskunde in München, dann für Germanistik in Wien. Mit seinen „Kultischen Geheimbünden der Germanen“ (1934) und seinem „Kontinuitätsproblem“ verlieh er der Volkskunde der frühen dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts einen neuen gefährlichen Aspekt. Höflers Methode bestand darin, aus neuzeitlichen und mittelalterlichen Belegen altgermanische Kulturformen und Rituale zu konstruieren, deren Fortleben er dann als gegeben annahm, wie Olaf Bockhorn zeigte.[103]

Otto Höflers Freund Robert Stumpfl (1904–1937) war Weg- und Kampfgefährte gegen Positivismus, Rationalismus, Ästhetizismus und Materialismus. Er veröffentlichte 1936 sein Hauptwerk „Kultspiele der Germanen als Ursprung des mittelalterlichen Dramas“. Erst die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts brachte wieder eine unvoreingenommene Sicht auf Spiele und Bräuche.

Die „Mythologen“ und „Ritualisten“

Neben den „Ritualisten“ gab es in Wien eine zweite Gruppe germanischer Einstellung und politisch nationaler Gesinnung – „die (Mond-)Mythologen“, die die „Aufnordung“ anstrebten und sich gegen Humanismus und Religion wandten. Die wichtigsten Vertreter dieser Richtung der „Wiener Mythologischen Schule“ waren Karl von Spieß (Volkskunst), Karl Haiding (Erzählforschung) und Edmund Mudrak (Sagen, germanische Sinnbilder), die bald im Umkreis von Alfred Rosenberg tätig wurden und schließlich alle Mitglieder der so genannten „Hohen Schule Alfred Rosenberg“ in Berlin wurden.

Die „Much’schen Männerbündler“ waren in der Wissenschaftsorganisation „Das Ahnenerbe der SS Heinrich Himmler“ vertreten, während die „Hohe Schule Rosenberg“ in der NSDAP angesiedelt war. Die beiden feindlich gesinnten Organisationen waren beide von der Theorie bis in die praktische Arbeit der untersten Parteiorganisationen für die Begründung und Einschulung „völkischen“ Verhaltens tätig.

Der Ansatz Muchs, kulturelle Phänomene des germanischen Altertums würden bei konstanten Bedeutungsinhalten bis in die Gegenwart überdauern, fand bei Lily Weiser (1898–1987) Fortsetzung. In ihrem Hauptwerk „Altgermanische Männerbünde und Jünglingsweihen“ (1926/27) erörtert sie ausführlich „angebliche“ germanische Weiheriten.

Zeitgleiche soziologisch-psychologische Arbeiten fanden bis nach dem Zweiten Weltkrieg in Österreich und Deutschland keine Beachtung. Bis heute hat sich eine populärwissenschaftliche und populistische „Brauchtums“-Betrachtung den damals entwickelten Bewertungen nicht ganz entziehen können.

Richard Wolframs Suche nach germanischer Kontinuität

Als letzter Schüler Rudolf Muchs ist Richard Wolfram (1901–1995) zu erwähnen. Er war Hörer Muchs, dissertierte aber in seinem Hauptfach Germanistik. Seine Vorliebe galt den Volkstänzen, so machte er sich auf diesem Gebiet auf die Suche nach einer „germanischen Kontinuität“. Er habilitierte sich bei Much mit der Arbeit „Schwerttanz und Männerbund“. Richard Wolfram wollte die von Andreas Heusler geprägten Worte über die „untänzerischen“ Germanen widerlegen.

Wolfram sieht im Schwerttanz die typische tänzerische Gestaltung der männlichen Natur im Gegensatz zu anderen Tänzen, in denen beide Geschlechter eine Rolle spielen. Eine besonders einzigartige Tanzform findet Wolfram im Dürrnberger Schwerttanz in Hallein wieder, da diese die Bergmannsarbeit in den Vordergrund stellt.

Höflers Festgabe zum 60. Geburtstag von Richard Wolfram zeigt, dass Wolfram, als Ordinarius, bereits 1961 nur aus einem gewissen Kreis seiner Altersgenossen wissenschaftliche Beachtung erhielt. Die Arbeiten von Johann F. Schatteiner über den Dürrnberger Schwerttanz sowie auf methodisch-theoretischer Ebene die Bücher von Steven Corrsin über den Schwerttanz in Europa widerlegten Wolframs Theorien anhand historischer Forschungen und moderner wissenschaftlicher Erkenntnisse. Da Wolfram besonders die Brauchtumsverbände prägte, ist seinen Theorien kritische Vorsicht entgegen zu bringen.



[102] Kurzfassung von Ilona Holzbauer und Ulrike Kammerhofer-Aggermann

[103] [BockhornO 1994a], S. 464–477.

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