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Gemeinsamkeiten der Weltreligionen (Anton A. Bucher)

Ein den Weltreligionen gemeinsames Ethos

Nahezu alle Religionen der Welt haben die Neigung, sich selbst absolut zu setzen und von anderen Religionen abzugrenzen. In einer Welt, die zusammengewachsen ist (Globalisierung), ist es mehr denn je notwendig geworden, dass die Angehörigen verschiedener Religionen lernen, friedlich nebeneinander, besser noch: miteinander zu leben.

Dem ist förderlich, wenn erkannt wird, dass vor allem die großen Weltreligionen[442] viele Gemeinsamkeiten haben, speziell in ethischer Hinsicht. Dies ist vor allem im Projekt Weltethos[443] herausgearbeitet, für das sich der Theologe Hans Küng engagiert hat.

Alle Religionen kennen die Goldene Regel: „Was Du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem anderem zu.“ Auch Weisungen, wie sie in den Zehn Geboten zusammengestellt worden sind, begegnen in allen großen Weltreligionen. Wenn es noch mehr gelingt, dieses allen Religionen Gemeinsame ins Bewusstsein zu bringen, verringert sich die Gefahr, dass es im 21. Jahrhundert zu einem „Kampf der Kulturen“ kommt, deutlich.

Kampf der Kulturen?

Durch den schrecklichen Terroranschlag vom 11. September 2001 ist vielen ZeitgenossInnen wieder schmerzhaft bewusst geworden, dass wir in unterschiedlichen Kulturen leben. Der bekannte amerikanische Denker Samuel Huntington schien Recht zu bekommen. Er behauptete, dass die im 21. Jahrhundert zu erwartenden Konflikte, auch militärischer Art, nicht aufgrund wirtschaftlicher Streitigkeiten ausbrechen werden (etwa um Öl, Trinkwasser), sondern aufgrund kultureller Verschiedenheiten. „Clash of Cultures“ (Kampf der Kulturen) heißt der Titel seines Buches, der zwischenzeitlich sprichwörtlich geworden ist.

Jede Kultur wird maßgeblich von ihrer Religion geprägt. Vielfach sind die Grenzen von Kulturkreisen auch Religionsgrenzen (auch wenn die gestiegene Mobilität dazu geführt hat, dass beispielsweise Angehörige fernöstlicher Religionen auch in Oberndorf oder in Salzburg leben). So unterscheidet Huntington folgende Kulturkreise:

  • westlich

  • afrikanisch (Ahnenreligion

  • sinisch (chinesisch)

  • hinduistisch (Religion)

  • islamisch (Religion)

  • japanisch

  • lateinamerikanisch

  • orthodox (Religion)

Eine interkulturelle Theologie

Wenn prognostiziert wird, dass in der näheren Zukunft die Kulturen in heftige Konflikte geraten würden, ist damit auch gesagt, dass die Religionen aufeinander prallen. In der Tat ist unbestreitbar, dass auch gegenwärtig viele militärische Konflikte zwischen Angehörigen verschiedener Religionen ausgetragen werden, nicht nur in Afghanistan oder im Irak, sondern – erst wenige Jahre sind seither vergangen – auch im ehemaligen Jugoslawien, wo sich Katholiken (Kroaten), Orthodoxe (Serben) und Muslime bekämpften.

Vor allem Religionen, die noch weniger weit entwickelt sind, ist es eigentümlich, den Absolutheitsanspruch zu stellen: „Wir allein haben den wahren Glauben, die anderen sind im Irrtum und verloren“. Auch die Katholische Kirche stellte diesen Anspruch. Im Jahre 1441 wurde auf dem Konzil von Florenz verlautbart, dass alle Menschen, die nicht im Schoße der Kirche getauft worden seien, unvermeidlich in die Hölle kämen.

Heutige Theologen, auch katholische, sehen das anders. Sie arbeiten weniger die Differenzen zwischen den verschiedenen Religionen heraus, sondern vor allem die Gemeinsamkeiten; sie betreiben eine interkulturelle Theologie. Einer dieser Theologen ist Hans Küng. Er ist zutiefst davon überzeugt, dass es keinen Weltfrieden ohne den Frieden zwischen den Religionen gibt. Wenn wir wahrnehmen können, wie viel wir mit Menschen aus anderen Kulturen und Religionen gemeinsam haben, dann sinkt die Bereitschaft, diese als Fremde, Ungläubige etc. abzulehnen, wenn nicht zu bekämpfen.

Der Hinduismus

Die ältesten Religionen sind die asiatischen, speziell der Hinduismus. Vieles mutet uns am Hinduismus, der ein enorm vielfältiges Gebilde ist, fremd an. Beispielsweise, dass die Kuh als ein heiliges Wesen verehrt wird. Oder dass an eine unendliche Vielzahl von Göttern geglaubt wird, wobei Brahma (Weltschöpfer), Vishnu (Welterhalter) und Shiva (Weltzerstörer) die bekanntesten Götter sind. Oder dass das letzte Ziel darin besteht, nicht wiedergeboren zu werden, sondern ins Nirwana einzugehen, um dort zu verlöschen. Oder dass – zumindest bis ins 20. Jahrhundert hinein – Witwen verbrannt wurden. Oder dass Pilger in den heiligen Fluss steigen, um sich zu waschen, obschon dieser in unserer Sicht eine „braune Brühe“ ist.

Dennoch hat die hinduistische Religion mit dem Christentum, speziell dem Katholizismus, vieles gemeinsam. Beide Religionen begreifen die Welt als geschaffen und erhalten von Gott. Zwar wurde dem Hinduismus oft vorgeworfen, eine polytheistische Religion zu sein, wobei den vielen Göttern überall, in den Wohnungen und auf Plätzen, Altäre aufgestellt wurden, wo Räucherstäbchen verbrennen etc. Andererseits werden aber gerade im Katholizismus viele Wesen verehrt, nicht nur Gott, die Maria, sondern auch die vielen Heiligen. Und nicht zuletzt bekennen sich beide Religionen zur Gewaltlosigkeit, im Hinduismus speziell die Untergruppe des so genannten Jainismus.

Der Buddhismus

Der Buddhismus ist eine uns auf den ersten Blick fremde Religion, obschon er in der letzten Zeit bei vielen EuropäerInnen und AmerikanerInnen (auch Hollywoodstars) fast zu einer Modereligion geworden ist. Der Buddhismus geht auf Gautama Siddharta zurück, der als Prinz, abgeschirmt vom Leiden dieser Welt, aufwuchs.[444] Als er einmal den väterlichen Palast verließ, sah er das erste Mal einen Greis, am nächsten Tag einen Kranken, am dritten Tag einen Toten – was ihn dermaßen entsetzte, dass er heimlich seine Frau verließ und die Erlösung suchte. Nach langen Jahren des Suchens erlangte er, unter einem Baum in Benares sitzend, die Erleuchtung, und zwar in der Form der vier edlen Wahrheiten.

Die erste lautet: Alles Leben ist leidvoll. Die zweite: Das Leiden stammt aus der Begierde, dem Durst. Die dritte: Frei werden vom Leiden kann nur, wer den Leidenschaften völlig entsagt. Und die vierte: Vernichtet wird das Leiden, wenn der achtteilige Pfad beschritten wird.

Ist – für uns WesteuropäerInnen – wirklich alles leidvoll? Und sehen wir die Leidenschaften so pessimistisch wie der Hinduismus? Ist es unser Ziel, die Welt zu verlassen, die gemäß dem biblischen Schöpfungsbericht „gut“ ist? Und können wir uns eine Religiosität ohne ein göttliches Wesen wirklich vorstellen? Trotz dieser – vor allem gefühlsmäßigen – Differenzen gibt es zwischen Buddhismus und Christentum und den anderen Weltreligionen viele Gemeinsamkeiten, speziell in der Ethik. Beide Religionen raten zu einer mäßigen Lebensweise, zu Meditation und Selbstbesinnung, beide wünschen die Nächstenliebe, ja selbst die Feindesliebe.

Der Islam – eine Geschwisterreligion des Christentums

Der Islam erscheint uns in vielem fremd, etwa dass Frauen ein Kopftuch tragen. Oder dass zu einem „Heiligen Krieg“ aufgerufen werden kann, was Christen früher allerdings auch taten. Oder dass einen ganzer Monat lang gefastet werden muss, in dieser Zeit aber in der Nacht tüchtig gegessen werden kann. Oder dass es Männern erlaubt war (in einigen Ländern noch immer), sich mehrere Frauen zu nehmen.

Der Islam ist zum Christentum und auch zum Judentum eine Geschwisterreligion. Er ist eine der drei abrahamitischen Religionen,[445] weil auch er auf den großen Abraham zurückgeht. „Abraham“ wird im arabischen „Ibrahim“ ausgesprochen und von den Muslimen hoch verehrt, weil er den einen Gott entdeckte. Juden, ChristInnen und Muslime glauben demnach an den gleichen Gott. Wenn ChristInnen, die arabisch sprechen, „Gott“ sagen, sprechen sie „Allah“.

Im Kern der islamischen Religiosität steht die Hingabe an den einen Gott, dessen maßgeblichster Prophet Mohammed war. Mit unserem christlichen Gottesbild haben viele Muslime die Schwierigkeit, dass wir auch an den Sohn Gottes glauben, und an den heiligen Geist, die Dreifaltigkeit (Trinität), die für viele Muslime Polytheismus (Vielgötterei) ist.

Ein den Religionen gemeinsames Ethos

Der Theologe Hans Küng – für den es keinen Weltfrieden ohne den Frieden zwischen den Religionen gibt – hat in den letzten Jahren herausgearbeitet, was die Religionen miteinander gemeinsam haben, vor allem im Bereich der Ethik. Ethik ist die Lehre vom guten und richtigen Leben. Jede Religion hat auch eine Ethik hervorgebracht, das Judentum etwa den Dekalog (Zehn Gebote). Dabei ist Hans Küng aufgefallen, dass die Ethiken der großen Weltreligionen einander nicht widersprechen, sondern dass sie vielmehr zu einem Weltethos zusammengeführt werden können.

Dieses Weltethos unterscheidet zunächst vier unverrückbare Weisungen, wie sie in allen großen Weltreligionen unterstützt werden:

  • Eine Kultur der Gewaltlosigkeit und der Ehrfurcht vor dem Leben: „Du sollst nicht töten“ – „Hab Ehrfurcht vor dem Leben“.

  • Eine Kultur der Toleranz und des Lebens in Wahrhaftigkeit: „Du sollst nicht lügen“ – „Sprich und handle wahrhaftig“!

  • Eine Kultur der Solidarität und der gerechten Wirtschaftsordnung: „Du sollst nicht stehlen“ – „Handle ehrlich und fair“!

  • Eine Kultur der Gleichheit und der Partnerschaft von Mann und Frau: „Du sollst nicht Unzucht treiben“ – „Respektiert und liebet einander“!

Die Goldene Regel

Wie sehr das Ethos der Weltreligionen Übereinstimmungen aufweist, zeigt sich deutlich an der so genannten „Goldenen Regel“, deren Kurzformel lautet: „Was Du nicht willst, was man Dir tu, das füg auch keinem anderen zu“. Wenn auch unterschiedlich formuliert – diese Erkenntnis findet sich in den meisten religiösen Traditionen:

„Tue nicht anderen, was du nicht willst, dass sie dir tun.“ – so schrieb Rabbi Hillel[446]

„Ein Zustand, der nicht angenehm oder erfreulich für mich ist, soll es auch nicht für ihn sein; und ein Zustand, der nicht angenehm oder erfreulich für mich ist, wie kann ich ihn einem anderen zumuten.“ – so heißt es in einer Heiligen Schrift des Buddhismus.

„Keiner von euch ist ein Gläubiger, solange er nicht seinem Bruder wünscht, was er sich selber wünscht.“ – so heißt es in den 40 Hadithe, den Sprüchen Muhammads (Islam).

„Was Du selbst nicht wünschst, das tue auch nicht anderen Menschen an.“ – formulierte der große chinesische Weise Konfuzius.[447]

„Gleichgültig gegenüber weltlichen Dingen sollte der Mensch wandeln und alle Geschöpfe in der Welt behandeln, wie er selbst behandelt sein möchte.“ – so in einer Heiligen Schrift des Jainismus, einer indischen Religion, in deren Kern die Gewaltlosigkeit steht.

„Alles, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut auch ihr ihnen ebenso.“ – so predigte Jesus (Mt 7,12 und Lk 6,31).

„Man sollte sich gegenüber anderen nicht in einer Weise benehmen, die für einen selbst unangenehm ist; das ist das Wesen der Moral.“ – ist nachzulesen im Großen Mahabharata, einer Heiligen Schrift des Hinduismus.



[442] Dazu zählen die abrahamitischen Religionen (Judentum, Christentum, Islam), die asiatischen Religionen (darunter Hinduismus und Buddhismus), Religionen der afrikanischen Tradition.

[443] Küng, Hans: Projekt Weltethos, München 1990 (wiederholt aufgelegt).

[444] Über Siddharta Gautama ist nur wenig bekannt. Er dürfte etwa im 5. Jahrhundert v. Chr. gelebt haben. Als Buddha soll er etwa 40 Jahre lang gewirkt haben, in dieser Zeit haben viele Menschen seinen Rat und seine Hilfe gesucht und sich zu einer Ordensgemeinschaft zusammengeschlossen. Nach dem Tod Buddhas gaben Mönche seine Lehren weiter. Schriftliche Aufzeichnungen darüber gab es aber lange Zeit nicht. Erst im 1. Jahrhundert v. Chr. entstanden auf Sri Lanka erste Aufzeichnungen („Pali-Kanon“). Heute gibt es weltweit zahlreiche buddhistische Schulen, die unterschiedliche Lehren vertreten. Siehe:http://religionv1.orf.at/projekt03/religionen/religionen.htm

[446] Rabbi Hillel ist einer der bekanntesten jüdischen Schriftgelehrten – auf den sich Juden bis heute oft berufen – und ein Zeitgenosse von Jesus Christus.

[447] Der chinesische Philosoph Konfuzius (vermutlich 551 v. Chr. bis 479 v. Chr.) ist der Begründer des Konfuzianismus. Der zentrale Wert seiner Lehren war die Ordnung, die seiner Meinung nach durch Achtung vor anderen Menschen und Ahnenverehrung erreichbar sei. Im Mittelpunkt seines Denkens stand der „Edle“, ein moralisch einwandfreier Mensch.

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