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Weltweit kann man heute verschiedenste Formen eines Jahresfestkreises beobachten, der zwar seiner Herkunft nach im christlichen Kirchenjahr verankert ist, in seinen Äußerungen und Brauchelementen, auch sozialen Implikationen seit alters her aber eine bewusst konstruierte Gegenwelt zur nachfolgenden Fastenzeit und zum Osterfestkreis darstellt. Fasching, Karneval, Fasnacht zeigen schon im deutschen Sprach- und Kulturraum in ihrer Benennung ihre regionale Differenzierung. Diese Winter- und Vorfrühlings-Festzeit mit ihrem bunten und exaltierten Erscheinungsbild ist nicht aus einer einzigen Quelle geflossen. Antike Feierkultur mischt sich mit mittelalterlichen Klosterschulbräuchen, Naturmagie geht einher mit dem biologischen Erwachen der Natur in dieser Jahreszeit. Menschliches und soziales Bedürfnis nach Aufhebung von Standesschranken, der Wunsch nach ekstatischem Erleben prägt den Teilnehmer an diesen Ereignissen der Massenkultur. Schließlich sind die Festtermine strikt an das Kirchenjahr gebunden und zeigen damit, woher die wichtigsten Freiheiten und Schranken dieser närrischen Zeit stammen. Volkskunde und Kulturgeschichte haben sich schon lange mit dem Thema Karneval beschäftigt. Gerade in den letzten beiden Jahrzehnten wurden dazu wesentliche neue Erkenntnisse gewonnen.
Der Karneval ist die einzige Jahresfestzeit, die sich neben den Kirchenfesten bis heute voll emanzipiert hat. Man kann seitdem die Quellen zu erzählen beginnen, im Großen und Ganzen sagen, dass im Karneval/Fasching brauch- und sittenbestimmte Elemente zusammenfließen und neben den traditionsgetragenen Handlungen und Geschehnissen dieser Zeit ein psychischer Faktor wirksam ist, der Ausgelassenheit, Ekstase und ein Überspringen von konventionellen Schranken mit sich bringt und einen krassen Gegensatz zum folgenden wiederum kirchlich geforderten Ernst der Fastenzeit bildet.
Traditionsbindung ergab teilweise weit zurückverfolgbare noch heute höchst lebendige Faschingsbräuche, die im kulturellen Paradigmenwechsel der Gegenwart ihr Leben unter anderem auch der Tatsache verdanken, dass Fremdenverkehr und Folklorismus danach gegriffen haben. Im Prinzip ist der Fasching heute im Jahreslauf keineswegs mehr die singuläre Zeit einer herumtollenden Katharsis, da die geänderten Wirtschafts- und Sozialverhältnisse der westlichen Gesellschaft auch die Wertigkeit der einst „heiligen Zeiten” relativiert haben. Die moderne Eventkultur schafft willkürliche Höhepunkte, die individuelle Akzeptanz zu allen Zeiten ermöglicht. Sie trägt sicherlich auch dazu bei, dass etwa die großen Höhepunkte des Faschings vom dörflichen bis zum großstädtischen Leben hin, nämlich die Bälle, heute nicht mehr in dieser Vielfalt wie einst mitgefeiert werden. Besonders ein Zurücktreten der einst so beliebten Maskenbälle ist zu bemerken. Sie haben wie es scheint, bei uns den früher kaum existenten Faschingsumzügen Platz gemacht, wie sie seit jeher unabdingbar zur Tradition des rheinischen Karnevals gehören. Traditionelle Faschingsveranstaltungen, wie sie zum Standard unserer Breiten gehörten, sind heute auch im ländlichen und stadtnahen Bereich dem Sitzungskarneval mit Präsidium, Prinzenpaar, Faschingsgarde, Büttenreden usw. gewichen. Der bekannte Villacher Fasching entspricht strukturell einer Prunksitzung der Karnevalsvereine in Köln oder Mainz. Dieser Wandel wurde offensichtlich durch die seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts stattfindenden europaweiten Fernsehübertragungen solcher Faschingsereignisse bewirkt.
Bestimmend für den Charakter dieses weltlichen Festkreises ist die Verwandlung des Mitwirkenden in einen anderen Menschen. Dazu spürt er selbst das Bedürfnis, lebt dieses gerade zu diesem Anlass aus und bedient sich dabei verschiedenster Hilfsmittel materieller und immaterieller Art. Im Zwiespalt, ein anderer sein zu wollen und dabei zu wissen, dieses Anderssein nur eine gewisse Zeit lang spielen zu können, liegt das Spezifikum dieser temporären Verwandlung. Sie erfordert Maske und Kostüm, Verstellung von Stimme und Körpersprache, um jenen Grad von Verstellung zu erreichen, der tatsächlich die Täuschung über die wahre Identität vollkommen macht.
Nicht nur der Faschingsbrauch bringt dieses Erscheinungsbild in den Blickpunkt der Menge. Ein ganzer Stand – der des Schauspielers – macht das Hineinschlüpfen in andere Rollen unter möglichster Veränderung des Äußeren zum Hauptstück der darstellenden Künste, jedoch unter Wahrung der Nämlichkeit des Mimen, der ja seinen Namen aus Gründen der beruflichen Akzeptanz mit dem zu spielenden Charakter verbinden muss.
Das wichtigste Mittel, um seine Identität zu verändern, ist die Unkenntlichmachung des Gesichtes, das beim Menschen das dominierende Kennzeichen seiner Individualität ist. Dies geschieht durch Techniken, die ruhigen Gewissens als Kulturtechniken zu bezeichnen sind, da sie an der menschlichen Daseinsbewältigung beteiligt sind. Das reicht vom Makeup der körperbewussten Frau bis zum Polizeischarfschützen, den die Maske vor krimineller Rache zu bewahren hilft. Sie kann spirituelle Bedeutung haben, wenn der Parsenpriester mit ihrer Hilfe das heilige Feuer vor seinem Atem schützt, und sie kann tollstes und laszivstes Treiben im Swingerclub zeitgenössischer Dekadenz und moralischen Verfalls anonymisieren.
Veränderungen des äußeren Erscheinungsbildes ohne den Zwang des zeitweisen lebensbezogenen Identitätsverlustes hingegen erfordern gewisse Verwandlungen, bei denen es um den rein physischen Schutz des Gesichtes und des Kopfes geht: Eishockeytormann wie Motorradfahrer, Chirurg wie Taucher, Soldat wie Alpinist, Polarforscher wie Ansteckungsgefährdete tragen in bestimmten Phasen ihres Tuns Gesichts- oder Mundmaske und/oder Helm. Auch diese nicht auf die Identität zu beziehende Unkenntlichmachung lässt die personelle Erkennbarkeit der Person verschwinden, Wobei nicht nur die Ganzgesichtsmaske, sondern bereits die Teilverhüllung von Augen- bzw. Mundpartie, diesen Effekt erzielt, wie auch der geschwärzte Augenbalken in Druckwerken zeigt, denen die Nicht-Erkennbarkeit des im übrigen meist vollständig gezeigten Gesichts aus diesen oder jenen Gründen am Herzen liegt.
Weibliche Schönheit zeigt sich nicht nur im hellen Licht. Masken aus Obst, Gemüse, ja aus Fleisch und Milchprodukten sollen das Gesicht regenerieren und pflegen. Die Schönheitsmaske also eine Maske, die selber im Verborgenen bleibt! Im 18. Jahrhundert gab es zudem solche, „welche von dem Frauenzimmer gebraucht werden, das Gesicht für der Lufft, Staub oder Kälte zu bewahren”, wie Johann Heinrich Zedlers famoses „Universal-Lexicon” vermeldet. „Diese sind auswendig von schwartzem Sammet, inwendig mit zarter gewachster Leinewand überzogen, haben Gläser an der Stelle derer Augen und eine Öffnung in der Gegend des Mundes und der Nasen”, berichtet der Lexikograph weiter.
Andererseits kann durch Hilfsmittel erzielte Unkenntlichkeit gewollt auch gegen gesellschaftliche und rechtliche Standards gerichtet sein, wie die schon „klassische” Gesichtsschwärzung der Wildschützen und Schmuggler von einst und die Vermummung gewalttätiger linksextremer Chaosdemonstranten von heute zeigt. Vermummung wird auch dort angestrebt, wo einerseits wie bei religiösen Bruderschaften der Karwoche gleichartige Kleidung und Egalisierung des Gesichtes anzeigen sollen, dass vor Gott alle Menschen gleich sind und andererseits bußwillige Personen in Maskierung zwar zum Ausdruck bringen, dass sie sich öffentlichen Buß- und Strafübungen unterziehen, dies jedoch anonym tun, weil sie ad personam vor dem Kreis der Mitbürger nicht als Sünder erscheinen bzw. als solche erkannt werden wollen. Anonymität ist schon bei der katholischen Ohrenbeichte eines der Grundprinzipien. Ein herausragendes Beispiel sind die Mitglieder der andalusischen Karwochenbruderschaften („cofradías”) mit ihren prunkvollen und bunten Ornaten und spitzen Kapuzen („capirote”), die das Gesicht derart verhüllen, dass nur zwei Augenschlitze schmalen Ausblick und Einblick gewähren. Dies trägt auch dazu bei, dass diese Bußgestalten einen unheimlichen Anblick gewähren, was sich sicherlich auch der amerikanische Geheimbund des Ku-Klux-Klan zum Vorbild genommen hat, um auf diese Weise Furcht und Schrecken zu erwecken.
Gerade die jeweils immer wieder aufgewärmte Diskussion um das Vermummungsverbot zeigt, dass der Obrigkeit die Wichtigkeit des Erkennens der Identität von Gesetzesbrechern am Herzen liegt, um wenn notwendig, mit Strafverfolgung auf Friedensbruch und Eigentumentfremdung reagieren zu können. Das lässt sich bereits über lange Zeiträume zurückverfolgen. Unter Kaiserin Maria Theresia wurde zum Beispiel die Maskierung gewisser Charaktere der Spielprozessionen der Karwoche verboten – etwa der Juden im Umkreis der Darstellung von Christi Leiden -, weil unter der Larve und in Verbindung mit Trunkenheit im Schutze der Anonymität der Bruch der üblichen, dem Ernst des Brauches und Anlasses angemessenen Umgangsformen, besonders krass in Erscheinung trat. Und die traditionelle Demaskierung um Mitternacht bei Maskenbällen erwuchs ebenfalls aus sicherheitspolitischen Erwägungen zur Zeit des aufgeklärten Monarchen Joseph II.
Die moderne Form der Volkserzählung in Gestalt der Comicstrips hat oben erwähnte Formen als bildliche Topoi sogar zu einer eigenen trivialen Ikonographie verfestigt: Walt Disneys Multimillionär Dagobert Duck hat ständige Probleme mit der Panzerknackerbande, die man an ihrer sträflingshaft gestreiften Kleidung und an der Augenmaske erkennt. El Zorro trägt ein ebensolches Visier. Und Scharfrichter haben in Comics und Trivialfilm eine Kapuzenmaske, um als die anonyme personifizierte Gerechtigkeit zu erscheinen.
Das erwähnte polizeiliche Vermummungsverbot bei politisch motivierten Demonstrationen richtet sich gegen physische Gewalt, die zerstörerisch gegen Mensch und Sache wirkt. Bei den frühen Maskenverboten spielt auch das sittliche Moment eine große Rolle, da die Überschreitung konventioneller Barrieren, die sich die jeweiligen Gesellschaften gesetzt hatten, nur innerhalb recht enger Grenzen geschehen konnte. In Europa durch schriftliche Quellen am Besten bezeugt sind diese Verbote in Venedig, das bekanntlich einst die Höhepunkte dieser jahreszeitlich begrenzten Zeit schrankenlosen Vergnügens anbot, sie verlor und seit 25 Jahren in veredelter Form wiedererlangte.
Der venezianische Karneval war zu seiner historischen Glanzzeit eine europäische Attraktion. Selbst der nüchtern referierende Protestant Johann Heinrich Zedler kommt in seinem Universal-Lexicon 1733 fast ins Schwärmen: „Alsdann siehet man überall, vornemlich aber auf dem S.Marcus-Platz, eine unzählige Menge von masquirten Personen von beyderley Geschlecht und von allerley Gattung zusammen kommen, welche allerley Possen machen, oder andern, die solches thun, wie auch denen häufig allda befindlichen Seil-Täntzern, Marionetten- oder Taschenspielern, Wahrsagern und andern dergleichen Leuten zusehen. Zu gleicher Zeit öffnet man an unterschiedenen Orten Theatra, auf welchen Opern und Comoedien vorgestellet werden ... Man will versichern, daß bißweilen bis 30.000 Fremde (worunter sich fürstliche und andere Standes-Personen sich ordentlich befinden) das Venetianische Carneval besuchen.”
Verbote sind oft die einzigen Beweise ex negativo, dass eine Sache oder ein Brauch überhaupt existiert haben, weil man ihr bloßes „normales” Vorhandensein als nicht aufzeichnenswert erachtete. 1268 verbot die venezianische Obrigkeit den Maskierten, mit Farben und Duftstoffen gefüllte Eier zu werfen. 1339 wurde den Raufereien zwischen Maskierten der Kampf angesagt. 1458 verbot ein Gesetz den Männern, sich als Frauen zu maskieren und in dieser Verkleidung in Nonnenklöster einzudringen, weil dabei „multas inhonestates” – viele unehrenhafte Dinge – geschähen. Damals waren die „monacazioni forzati” – der erzwungene Eintritt von Mädchen ins Kloster an der Tagesordnung, mit der sich die armen Geschöpfe meist ein ganzes Leben lang nicht abfanden und jede Gelegenheit nützten, im Geheimen aus diesem Zwang auszubrechen. Dass diese Verbote wenig wirksam waren, zeigt die Tatsache, dass sie von der Obrigkeit immer wieder in Erinnerung gerufen und erneuert wurden. Die Häufigkeit solcher Mandate beweist ihre Nutzlosigkeit. Noch Casanova berichtet von seinen Karnevalsabenteuern in venezianischen Frauenklöstern.
Es ging in dieser Phase vielfach darum, dass man Maskierten eben alle möglichen Schandtaten zutraute. Ein klares Verbot der Maskierung wird allerdings 1502 ausgesprochen, als der Rat der Zehn am 26. Jänner überhaupt untersagte, bemalt herumzugehen, mit einem (falschen) Bart oder wirrem Haar – „depento, né cum barba, né cavelli posticci”.
Im vergnügungssüchtigen Venedig der frühen Neuzeit hatte diese Stadt zwar wegen der Verlegung der europäischen Haupthandelswege von der Adria zum Atlantik schwere wirtschaftliche Einbußen erlitten. Sie war aber zu einer Art Las Vegas geworden, in dem Glücksspiel und Unterhaltung einen wahren Boom erlebten und Abenteurer aus ganz Europa anzogen. Dazu erlebte sie in den bildenden Künsten, der Architektur und in der Musik noch einmal eine glänzende Blüte. Es hatte sich auch eingebürgert, sich ohne den Anlass des Karnevals zu allen möglichen Gelegenheiten zu maskieren, dazu war das Maskenkostüm der Baùta erfunden worden, von dem noch die Rede sein wird. Man trug sie seit dem frühen 18. Jahrhundert bereits in der vorweihnachtlichen Fastenzeit zwischen 5. Oktober und 16. Dezember, d.h. die Maskierung dauerte den eigentlichen Karneval eingeschlossen unter Umständen nahezu ein halbes Jahr.
Es müssen wahrhaft bedenkliche Vorkommnisse während des Karnevals geschehen sein, als mit Edikt vom 13. August(!) 1608 enorme Strafandrohungen ausgesprochen wurden. Maske durfte nur mehr im Karneval getragen werden. Das galt „für alle, ob Adeliger, Bürger, Untertan oder Fremder, egal welchen Standes, für Männer und Frauen, bei Tag und bei Nacht, zu Land oder zu Wasser”. Als Strafen wurden Männern zwei Jahre Gefängnis oder 18 Monate in Eisen geschlossen am Ruder einer Galeere angedroht und dazu ein Geldbuße von 500 Lire. Frauen schlechten Rufes oder öffentliche Dirnen in Maske werden von San Marco bis Rialto gepeitscht oder zwischen den beiden Säulen auf der Piazzetta zwei Stunden lang an den Pranger gestellt und anschließend auf vier Jahre aus der Stadt verbannt. Erneuerungen dieses Verbotes von 1699 und 1718 zeigen die anhaltende Wirkungslosigkeit desselben. Die Auffrischung verlangt dazu noch, dass man an Feiertagen nicht vor dem Abend in Maske sein dürfe. Auch Kleiderluxus im Zusammenhang mit der Maskierung wird 1604 bei Strafe verboten und 1742 der Gebrauch von Masken aus Klöpelspitze – „baùte di merlo” – untersagt.
Ins Theater ging man im galanten Zeitalter ursprünglich gerne in Maske, weil sich auf diese Weise Bekanntschaften machen und Abenteuer einfädeln ließen. Dies wurde ebenso wie der Kirchenbesuch als Maskierter abgestellt. Andererseits findet sich aber 1776 ein Gesetz, das wiederum gebietet, dass es Damen nicht erlaubt sei, ohne Maske das Theater zu betreten. Man hoffte, Frauen auf diese Weise vor erotischen Nachstellungen zu schützen.
Die Venezianer waren damals dem Laster des Glücksspiels in hohem Maße verfallen und trugen aus Gründen erwünschter Anonymität in den Spielcasinos Maske. Als 1774 auf Anordnung des Maggior Consiglio der Ridotto, ein bekannter Spielsalon geschlossen wurde, beklagte sich die Maskenhändler – „venditori di maschere” – wegen des wirtschaftlichen Schadens, den sie dadurch erlitten. Darauf verlagerte sich das Glücksspiel in die Wirtshäuser und Cafés. Die Damen verbargen nun aus Angst, von Gläubigern erkannt zu werden, ihr Gesicht mit einer Maske aus schwarzem Samt – „visiera de veludo” -, die die Unschuld des Gesichtes betonen sollte. Aber auch die Spitzel der Staatsmacht, die Sbirren, zogen Vorteil aus der Maske, konnten sie doch nicht ad personam als solche erkannt werden. Augenbalken bei Kriminalbeamten, die bei der Verhaftung von Verbrechern gezeigt werden, sind ja auch heute aus der Bildpresseberichtserstattung geläufig.
Brachen in Venedig Seuchen aus, so wurden diese als eine Strafe Gottes angesehen und von oben Bußfertigkeit eingefordert. So geschah dies mitten im Karneval des Jahres 1606, als plötzlich die Pest ausbrach und ein sofortiges Maskenverbot ausgesprochen wurde. Eine späte Reminiszenz ist die Tatsache, dass auch im modernen venezianischen Karneval hin und wieder die Maske eines „Dottor della peste” mit grotesker Schnabelmaske und spezifischer Bekleidung auftaucht.
Als nach dem Frieden von Campoformio zwischen Frankreich und Österreich 1797 Venedig als selbständige Republik zu existieren aufgehört hatte, war auch das Ende des Karnevals gekommen. Die zuerst österreichisch, dann französisch und dann wieder österreichisch gewordene Stadt und ihr Festlandterritorium war den neuen Herren als Ort der Konspiration und des Freiheitswillens sofort suspekt geworden. Das Maskentragen wurde überhaupt verboten und Übertretungen besonders inkriminiert. Damit hatte der Karneval seinen besonderen Reiz als Zeit der Verwischung der Standesunterschiede verloren. Er fand sein Ende. Bekanntlich wurde er erst 1980 zu neuem und überraschenden Leben erweckt.
Die habsburgischen Erblande kannten schon vorher eine genau definierte Einschränkung des Maskentreibens, das bis in die Typen der Vermummung hin eingriff und Themen verbot, die zwar eher skurril erscheinen, ihrer Nennung wegen aber bestimmt existiert haben müssen. So erschien noch in der letzten Regierungszeit Kaiserin Maria Theresias kurz vor Einsetzen des städtischen Faschings am 17. Dezember 1779 ein landesfürstliches „Ball-Avertissement”, das unter anderem folgende Hinweise enthält: „Jedoch wird hiebey ernstgemessen anbefohlen, daß jedermann in einer ehrbar und wohlanständigen Masque erscheinen solle, und werden somit all diejenigen Masquen, die etwa mit eckelhaften Figuren oder Larven, oder mit einer solchen Verstellung versehen sind, wodurch die Leibesgestalt gänzlich verborgen oder verändert wird, als da sind Kästen, Zuckerhüte und dergleichen Maschinen, Fledermäuse, Zwergen, Riesen etc. wie auch die Verkleidungen aus dem italienischen Theater als Arlekins, Pollicionellen etc. hiemit ausdrücklich untersaget. Und verstehet sich dahero von selbsten, daß noch weniger in geistlichen oder Ordenskleidern daselbsten einzutreten erlaubet seye.”
Fritz von Herzmanovsky-Orlando muss diese Verordnung gekannt haben, denn in seinem famosen Roman „Der Gaulschreck im Rosennetz”, der zuerst als „Der letzte Hofzwerg” erschienen war, lässt die folgende Passage der umwerfend komischen Schilderung eines biedermeierlichen Wiener Maskenballes dies vermuten: „Ihre weit auseinanderstehenden Augen blickten seltsam starr, wie aus Horn geschnitten, auf einen Herrn, der als Nachtkastl maskiert sie unablässig verfolgte, den Kopf als Lampe drapiert, daneben ein Glas Wasser”.
Dass der rheinische Sitzungskarneval ohne Masken auskommt, mag vielleicht auch aus der Überwachungspolitik des französischen Besatzungsregimes der Napoleonischen Epoche abzuleiten sein. In der Uniformierung, dem Auftreten von Garden und den militärischen Details ist gewiss auch ein parodistisches Element zu erkennen, das die neuen Herren verspotten wollte.
Wenn es in Venedig vor allem um die individuelle Vermummung zur Karnevalszeit ging, unter deren Schutz großstädtische Laster vermutet wurden, so sind die alpenländischen Maskenverbote nicht nur unter diesem Aspekt zu sehen. Zeitlich sind sie erst im 17. und 18. Jahrhundert spürbar, also in der beginnenden und in der hohen Zeit der Aufklärung. Einerseits ging es natürlich auch in erster Linie darum, „Missbräuche” abzustellen, die man als sittlich verworfen kriminalisierte – immerhin war Salzburg ein geistliches Fürstentum. Auf der anderen Seite äußerte sich „Fortschritt” damals auch darin, dass man aufklärerisch solche urtümlich erscheinenden Bräuche von Seiten der Obrigkeit abzustellen suchte, weil sie der alles gebietenden Vernunft entgegenstanden, wenngleich expressis verbis in den Verbotsmandaten noch keine rationalen Erklärungen über die Ursachen des Verbotes auftauchen. Dafür zuständig waren der fürsterzbischöfliche Hofrat als Gesetzgeber und die Pfleger und Landrichter, die die Gesetze und Verordnungen zu exekutieren hatten.
Die ältesten bis jetzt archivalisch zu belegenden Verbote von Faschingsbräuchen auf dem Territorium Salzburgs gehen bis in die 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts zurück. Es handelt sich dabei um den Komplex der Faschingsläufe, also um Bräuche, die sich in der Öffentlichkeit abspielten und an denen eine größere Zahl von Akteuren teilnahm. Solche Bräuche, die es ja auch heute noch gibt, waren ein ganz anderer Ausdruck als die Bälle und anderen Maskenvergnügungen der städtischen Oberschichten, wie sie in Venedig zu beobachten waren. Hier kommt ein unkontrolliertes und unkontrollierbares Element zum Vorschein, das der Obrigkeit von vorneherein als verdächtig erscheinen musste. Das schließt aber nicht aus, dass der Gesetzgeber nicht auch ein wachsames Auge auf die adeligen Maskeraden gerichtet hatte.
Wichtig ist, dass in diesen obrigkeitlichen Verordnungen erstmals die volkstümlich- mundartlichen Bezeichnungen für die Brauchausführenden und die Bräuche selbst auftreten. Zwar werden 1664 unter Erzbischof Guidobald von Thun im ältesten Mandat die „Faschingsläufe” noch als „khümberlich” bezeichnet. Allein, man richtet sie schon gegen das öffentliche Auftreten von „Maschkern und Faschingläuffern neben denen Spielleithen”, was in diesen wenigen Worten bereits einen schätzenswerten Eindruck vom Charakter dieses Geschehens gibt. Die auftretenden Maskierten werden mit dem Fremdwort bezeichnet, der Brauch selbst in seiner Dynamik als Lauf, also als richtungsgebundene Bewegung charakterisiert. In einer Tanzmusikverordnung wird 1741 „das Masquiren, Verclaiden und Berchten gehen” verboten und damit erstmals die Brauchgestalt der Bercht genannt.
Diese volkstümlichen mit Masken verbundenen Faschingsbräuche waren natürlich die eine Seite. Mummenschanz und Maskierung ist schon im Mittelalter ein adeliges Vergnügen, das als Teil der höfischen Kultur internationalen Anstrich hatte und deshalb weiträumig von den Oberschichten als standesgemäßes Vergnügen gepflegt wurde. Im Barock, dem Zeitalter der aufwendigsten Festkultur, war zudem – man denke an das Beispiel der adeligen Schäfereien – Rollenwechsel im vertikalen Sinn in die Welt der Antike und im horizontalen in als exotisch geltende Standeswelten wie Bauer, Bergmann usw. beliebt. Akzeptiert man die ältere volkskundlich-wissenschaftliche Theorie vom „gesunkenen Kulturgut”, so ist das „Hinuntersinken” gewisser Elemente der Kostümierung und Maskierung, auch der Handlungsabläufe ins niedere bis ländliche Volk anzunehmen; heute würde man im Sinne der Rezeptions- und Reproduktionstheorie von einer eigenständigen Umformung übernommener Bestandteile zu einem neuen Ganzen sprechen. Ebenso steigt aber auch das Volksleben zu den Adeligen auf, wenn diese sich für Bälle selbst bei Hof als Bäuerin und Senner, als Schäferin und Knecht verkleiden, ganz im Sinne romantischer Suche nach „der heilen Welt unverbildeter Naturkinder”.
Im Originalton einer längeren Passage aus einem Salzburger Verbotsmandat von 1773 werden Fakten noch deutlicher gemacht und Ratschläge zur Aufdeckung von Gesetzesübertretern gegeben „damit durch vereinte Kräften und erforderliche Bestrafung denen sogenannten Berchten Ziegl und Zaum angelegt, sondern auch zu desto würksamerer Erlangung des vorgesetzten Endzwecks denen samentlichen Unthertanen kund gemacht werde, dass sich keiner bey scharfer Straf unterwinden solle, die Berchten in ihre Häuser einzulassen, minder dieselben alldahin zu berufen oder mit Speis und Trank zu unterstützen, wozugleich als ein ergiebiges Mittl angesehen wird, in denen verdächtigen Häusern um die Weihnachtszeit die Truchen der Dienstknecht unverhofft durchsehen, auch die jenigen, welche betretten oder überführet werden, dass sie ihre Kleidungen derley muthwilligen Burschen angeliehen haben, mit empfindlicher Andung anzusehen”. Diese Angaben beziehen sich auf das Pfleggericht und die Propstei Werfen sowie das Landgericht Bischofshofen und zeigen, dass anscheinend eine Verlagerung von Faschingsläufen in die Weihnachtszeit stattgefunden hatte, die es zu bekämpfen galt.
Die ausgesprochenen Verbote richten sich dezidiert immer wieder auch gegen andere Unzukömmlichkeiten, so 1680 und 1704 gegen das wechselweise Verkleiden ins jeweils andere Geschlecht, 1681 das öffentliche Aufspielen und Tanzen nach neun Uhr abends.
Im Prinzip genügt eine drastische Verhüllung des Gesichtes, um die Identität eines Menschen unkenntlich zu machen. Die vollständige Verwandlungen in jemand Anderen bedarf noch weiterer Mittel. Ein wichtiges physisches äußeres Charakterelement eines Menschen ist seine Körperbehaarung. Haarfarbe und -wuchs, Stärke der Haarkrümmung und beim Manne besonders auch der Haaransatz bis hin zur Glatze und der Bart tragen bei Veränderung wesentlich zur Umwandlung bei. Die anthropologischen Klassifizierungsversuche des 19. Jahrhunderts brachten auch so skurrile Ideen wie die Einteilung menschlicher Rassen nach der Haargestalt hervor, wo man schlichthaarige, lockenhaarige, kraushaarige, wollhaarige und pfefferkornhaarige unterscheiden wollte.
Perücke und falscher Bart sind nun tatsächlich in der Lage, die Physiognomie eines Menschen vollständig zu verändern. Deshalb sind diese Requisiten, die sich im Idealfall auch noch mit der Kunst des professionellen Maskenbildners verbinden, wichtigste Requisiten im Theater und im Film. Sie können für sich schon Maske sein, ohne dass noch etwas anderes vorgeblendet werden muss. Das 17. und 18. Jahrhunderte setzte die Perücke bekanntlich auch als Kleidungsstück zur Betonung von Stand und männlicher Würde ein und machte sie zu einem wichtigen Teil der Dynamik sich rasch wandelnder Kleidungsmoden. Kein Wunder also, dass revolutionäre Bewegungen etwa Frankreichs und der deutschen rebellischen Jugend nach den Franzosenkriegen sich ihrer in symbolträchtiger Weise bis hin zur demonstrativen Verbrennung entledigten.
Das lange Naturhaar der Frau kann als einfachste Möglichkeit einer Maskierung neben der Bemalung des Gesichtes dienen. Im Berchtenbrauch wurde durch das Vorkämmen des Haares ins Gesicht dieses verhüllt und damit der Erkennung entzogen.
Maskierung bedeutet auf jeden Fall Exklusivität im wörtlichen Sinn, nämlich Ausschluss aus einem sozialen Konnex. Dies muss nicht unbedingt auf Anonymität hinauslaufen, wie die Sitte der Verhüllung der weiblichen Körperkontur und des Gesichtes im Islam zeigt. Ein Vergleich der Formen dieser Sitte in den islamischen Ländern vom Maghreb bis nach Ostasien erweist aber auch, dass hier keine Einheitlichkeit im Grad der Verschleierung des Gesichtes besteht, da die Vorschriften im Koran und in der kanonischen Rechtsliteratur der Lehre des Propheten nicht eindeutig genug sind. Dort wo wie in der Türkei die Säkularisierung im 20. Jahrhundert mit staatlicher Gewalt in diese Traditionen eingegriffen hat, ist es zu klaren Verboten gekommen. Bekanntlich führte dies dazu, dass heute radikale islamische fundamentalistische Gruppen im permissiven Europa das auszuleben versuchen, was ihnen die Politik ihrer Herkunftsländer untersagt. Das bekannte „Kopftuch”, eine Schwundform des ganz verhüllenden Schleiers, führt heute im Westen immer wieder zu Problemen des „cultural stress”, weil es mit den westlichen aufgeklärten Standpunkten zur Emanzipation der Frau kollidiert und eine Gastgebergesellschaft mehrheitlich keine eigene kulturell nicht integrierte Gästegesellschaft verträgt.
Wenn im mittelalterlichen Indien die Hindugesellschaft durch die Einführung des „purdah”, der haremsartigen Abschließung und Verhüllung der weiblichen Familienmitglieder, sich dasselbe Prinzip wie die als Eroberer eingedrungenen Muslime aneignete, so diente dies weitgehend dem Schutz der Frauen und Mädchen vor anmaßender Nachstellung.
Ein weiteres Feld der Maskierung im weiteren Sinn sollte nicht unbeachtet bleiben, wenngleich hier bis auf kleine Reste die einstige Rigorosität bereits geschwunden ist: die Trauer um Tote. Die Vergangenheit kannte den Witwenschleier, der partiell verhüllte und die verwitwete Frau in ihrer sozialen Stellung einordenbar machte. Renaissancegrabsteine unserer mitteleuropäischen Landschaften zeigen in den Darstellungen der Familienmitglieder die Witwen mit einem Visier, einem Gesichtstuch, das nur die Augen freilässt. Von Männern wurde es bei Leichenzügen getragen, wie einer, der anlässlich des Begräbnisses von Erzherzog Karl II. von Innerösterreich von Graz aus nach Seckau, der 1590 stattfand, bildlich zeigt. Freilich scheint es sich hier vor allem um ein Ausdrucksmittel der feudalen Oberschichten gehandelt zu haben. Tiefe Verschleierung der trauernden Frauen des engsten Familienkreises war aber noch bei den Begräbnissen auch des mittleren Bürgertums bis etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts durchaus üblich, wie zahlreiche Fotoquellen dieser Zeit noch beweisen. Natürlich sind hier noch andere Beweggründe bei dieser Art von Maskierung zu beachten. Anonymisierung kommt hiefür nicht in Betracht, wohl aber das Verbergen offensichtlichen Schmerzes – mit seinen Tränen und Tränenspuren – die man in der Öffentlichkeit einer Trauerfeier zu zeigen scheut. Und das Verbergen der Physiognomie verhindert auch, die Mimik zu beurteilen, die auch beim Anlass des Todes eines Familienangehörigen nicht zwangsläufig die eines übergroßen Schmerzes sein muss.
Wenn es um mehr geht als um die identitätslöschende Vermummung, bedarf es weiterer Mittel. Zur Maske tritt das Kostüm, das nicht die physiognomische Individualität, sondern eine standardisierte Sparte Mensch – die Typen – erschafft: Den König, den Cowboy, den Chinesen, das Wäschermädel, die Prinzessin usw., wenn wir uns auf das Milieu eines Maskenballes beschränken. Maske und Kostüm sind jedoch in den hoch entwickelten Formen der traditionellen „Maskenläufe” des alpinen Österreich, um im eher vertrauten Rahmen zu bleiben, ebenso Kennzeichen bestimmter Passen und Brauchgestalten, wie sie etwa aus Imst, Telfs zur Faschingszeit, aus Gastein oder aus dem steirischen Bad Mitterndorf zur Zeit um den Nikolaustag geläufig sind. Ebenso sind beim steirischen Berchtenbrauch am 5. Jänner Vermummung und Verhüllung zu beachten.
Zum Begriff und zum Wort Maske bedarf es einiger näherer Erwägungen und Erläuterungen. Im Konnex zum alpenländischen Brauchtum sehen wir, dass Maskierungen nicht unbedingt erforderlich sind. Beim Faschingsrennen in der Krakau im steirischen Bereich der oberen Mur entfällt eine Maskierung der Brauchträger ganz. Dort wo eine Unkenntlichmachung des Gesichtes angestrebt wird, wie etwa bei den Trommelweibern im Steirischen Salzkammergut, kommt man ohne sie nicht aus, ebenso bei der Vermummung besonderen Typs der Ausseer Flinserln, wo sie auch noch materiell kostbar mit Metallflitter ausgestattet wird.
Das Theater als Hauptort physischer und charakterlicher Veränderung im spielerisch- darstellenden Sinn hat diese Verwandlung bis zur starren kunstvoll-ästhetischen Stilisierung hin in Beschlag genommen. Im Schauspiel der klassischen Antike sind die Gesichtsmasken für die Protagonisten in Tragödie und Komödie nicht nur Charakterzeichen. Durch den Mund derselben tönte die Stimme des Mimen laut und vernehmlich ins Theaterrund, so dass dieses „Hindurchtönen”, im Lateinischen „personare” letztendlich die Rolle definierte und schließlich unser Fremdwort Person ergab. Ist in der italienischen Commedia dell' arte dann noch das improvisierende Element ziemlich stark, so versteinert die Gesichtsmaske als geschnitzte Holzmaske im japanischen Nô, im tibetischen Chamtanz und im javanischen Wayang topeng zur alleinigen Charaktermaske und wird in der chinesischen Pekingoper zum gemalten Kunstwerk, das dem Publikum schon beim stummen Eintritt des Schauspielers eine präzise Charaktertypenzuordnung vom Feigling bis zum Helden, vom Intriganten bis zum Biedermann gestattet. Nicht anders ist es beim südindischen Kathakali, das die Taten des Helden Rama auf die Bühne stellt.
Maske kann im hochsprachlichen Gebrauch mehrere Bereiche beschreiben. Zum einen ist es das Ergebnis der Kunst des Maskenbildners, der – heute in der Kosmetik als Visagist – mit Mitteln der Schminke und Farbe ein menschliches Gesicht derart akzentuiert und verändert, dass daraus etwas anderes wird, als es die menschliche Natur vorgegeben hat. Selbst die pflegende oder nährende kosmetische Behandlung des weiblichen Gesichtes wird heute als (Schönheits-)Maske bezeichnet. Zum anderen ist Maske das dreidimensionale Hilfsmittel aus Stoff, Papier, Pappmaschée, Leder, Kunststoff, das das Gesicht bedeckt und damit radikal verwandelt. Maske kann schließlich aber auch den gesamten Typ einer Verkleidung mit Kostüm und Gesichtsmaske bedeuten, so dass etwa die Rede davon ist, dass jemand beispielsweise in der Maske eines Biedermannes auftritt. Das Verwirrspiel von Rokokokomödien wartet immer wieder damit auf, Mozarts im Gesellschaftsmilieu spielende Opern sind voll davon. Die Anrede an verkleidete Damen auf Maskenbällen war „Schöne Maske”.
Man sieht also, dass der Begriff Maske allein schon materiell vielschichtig ist. Es ist ein Wort der Hochsprache und wurde durch weitreichende und frühe Kulturkontakte aus dem Orient vermittelt, wobei Venedig als mittelalterlicher Brennpunkt des Levantehandels und Kreuzzugsverkehrs das arabische „maschara”, das Scherz, Maskerade, aber auch Spaßmacher, maskierte Person, schließlich Maske selber bedeutet, als erster aufgenommen haben dürfte. Etwa im 16. Jahrhundert taucht das Wort in seiner Vollform aus Richtung Italien erstmals jenseits der Alpen auf und lebt hier auch in den mundartlichen Formen Maschkara im bairischen und Maschger im schwäbisch-alemannischen Dialektraum bis heute in der Bedeutung „maskierte Person”. Um die arabische Endsilbe verkürzt, ist es schon um 700 als mittellateinisches „masca” belegt, das zum französischen „masque” und von diesem zum englischen „mask” führt. In letzter Zeit wurde auch ein vorindogermanisches Substratwort ins Spiel gebracht, das zu „masca” geführt habe und das auch in altromanischen Dialekten als „Hexe” figuriert.
Interessant ist, dass es anscheinend kein bodenständiges Wort aus dem germanisch- bajuwarischen Sprachbereich gab, das für das Brauchobjekt generell verwendet wurde. Im Frühmittelalter, also vor dem Jahr 1000, ergibt sich aus den schriftlichen Bezeugungen von Maskengebrauch noch kein klares Bild der ideengeschichtlichen Zusammenhänge. Dieser ist vielfach mit Bräuchen verschwistert, die trotz christlicher Missionierung als Reste heidnischen bzw. außerchristlichen Brauchlebens weiter existierten und als solche an „heidnische” Kalenderfeste gebunden waren. Missionierende Hauptpersönlichkeiten wie Bonifatius und Pirmin klagen noch darüber.
Beide heute noch gebrauchten Wörter – Maske und Larve – sind aus dem Italienischen bzw. dem Lateinischen entlehnt, wobei Maske seine Wurzeln im Arabischen hat, wie schon ausgeführt wurde. Das spätmittelhochdeutsche „schemebart” galt nur für eine bärtige Maske im Nürnberger mittelalterlichen Maskenbrauch des Schönbartspiels. Umgangssprachlich mag das Wort Maske heute schon voll akzeptiert sein. In den süddeutsch-österreichischen Mundarten ist das nicht der Fall, wo das altertümliche Larve als „Lorfn” noch immer im Schwange ist. Man spricht von der Faschingslarve und konserviert damit ein Wort, das einst hochsprachlich war, sich von den antiken Gespensterwesen der römischen „Larvae” herleitet, und heute noch in der bildlichen Floskel entlarven weiterlebt, das wiederum genau dem gleichbedeutenden Demaskieren entspricht. Dem Ketzer hat man einst die Maske vom Gesicht gerissen, der Heuchler trägt eine solche. Und ein weiteres Vermummungsmittel wird noch im „Deckmantel bzw. Deckmäntelchen” spürbar.
Auch die zoologische Terminologie trägt der Verwandlung Rechnung, wenn sie ein bestimmtes Stadium der Entwicklung von Insekten als Larvenstadium bezeichnet, aus der sich dann das Volltier als Imago herausbildet.
Das Gesicht unkenntlich zu machen ist eine Funktion der Maske. Dazu genügt intensive Bemalung, Bedeckung der Augen- oder Mundpartie oder der Schleier. Meist wird – und das besonders im volkstümlichen Maskenbrauch – von der Maske aber mehr gefordert: Sie soll einen besonderen Typ darstellen, den der ganze maskierte und kostümierte Mensch verkörpern will. Solche Masken sind nun Objekte materieller Art, deren Herstellung nicht nur handwerkliches Geschick, formende Werkzeuge zu führen, sondern auch Kenntnis von Form und Gestalt verlangt. Dazu gehört bildhauerisches Vermögen, sind doch die meisten Masken dreidimensionale, aus Holz hergestellte Gebilde, die dem Gesicht vorgeblendet werden. Dem Charakter nach können sie verschönern – Beispiel Schönperchten – oder verzerren und in grotesker oder unheimlicher Weise hässlich machen, wie es etwa die „Schiachperchten” zeigen. In den meisten Maskentraditionen der Welt stehen diese beiden Hauptgruppen nebeneinander, wobei als wesentliches und vollendendes Element noch die Bemalung dazukommt, die der Maske erst übersteigerte Lebendigkeit gibt. Sie soll ja nicht augentäuschend naturalistisch sein, sondern gleich zu erkennen geben, dass ihr Leben ins Irreale spielt.
Masken werden einst wie heute aber nicht nur aus Holz geschnitzt, wenngleich dieses Material die künstlerisch höchstwertigen Ergebnisse erbringt, die sich der wertvollen Holzskulptur annähern. Leder und Pappmachée lassen sich früh ausmachen, die noch dazu den Vorteil haben, dass sie dem Maskenträger nicht so große Anstrengungen abverlangen wie das schwere hölzerne Stück. Im 20. Jahrhundert kommen Kunststoffe hinzu, die überhaupt das Gewicht in drastischer Weise reduzieren und in ihrer leichten Form- und Färbbarkeit noch größere Effekte ergeben. In dieser Zeit entsteht im Übrigen auch ein neuer Maskentyp, der so genannte Prominenz von länger oder kürzer dauerndem Bekanntheitsgrad wie Sportler, Filmstars und vor allem Politiker hervorbringt. Letztere sind auch vom Brauchtermin unabhängig immer wieder Identifikationsobjekt vor allem bei politischen Protesten. Man denke an die Maskendarstellungen US-amerikanischer Präsidenten, die bis zur Verbrennung in effigie (im Abbild) hin Verwendung finden.
Man kann heute in Spezialgeschäften und Spielzeughandlungen zur Faschingszeit ein in seinem Charakter auch nach Moden wechselndes Angebot an Gesichtsmasken in Anspruch nehmen. Schon im ausgehenden 19. Jahrhundert, also in der hohen Zeit der Maskenbälle, war der Versandhandel von Masken und anderen Faschingsartikeln nach aufwendig gestalteten und illustrierten Katalogen üblich. Masken für Volksbräuche wird man hier aber nicht finden. Die entstammen einem eigenen Milieu, nämlich dem der Mitglieder von Brauchtumsvereinen, die oft einen besonderen Ehrgeiz darein legen, ihre Masken und Kostüme selber herzustellen bzw. die am Ort einen Hersteller haben.
In den letzten Jahren ist es zu einer wahren Hochblüte des Krampuslaufens gekommen. Meist ländliche Orte wetteifern heute geradezu, „ihren” Krampusrummel als besonders toll und aufregend herauszustellen. Plakate und andere Werbemittel werden eingesetzt, um Fremde anzulocken und sich als Ort ausgeprägter „Brauchtumstradition” zu profilieren. Junge Burschen und Männer setzen ihren ganzen Ehrgeiz ein, ihr Kostüm möglichst wild und unheimlich zu machen. Dazu gehört ein den ganzen Körper verhüllendes Fellkleid und eine große Kopfmaske teuflischen Zuschnitts, die mit großen Hörnern versehen ist und dem technischen Fortschritt angepasst auch elektrische Beleuchtungseffekte der Augen zeigen kann. Unter Umständen wurden wie im steirischen St. Gallen im Ennsbereich ganze szenische Abläufe erfunden, die durch als Teufel maskierte Burschen aufgeführt werden und überliefertes Krampusgehen mit historistisch-folkloristischer Erinnerung an das alte Eisenwesen zur Nacht der „Hammerschmiedteufel” hochstilisieren, das vom unbedarften Gast als „uraltes Brauchtum” empfunden wird. Dabei ist dieses Spektakel erst ein knappes Vierteljahrhundert alt.
Masken spielen auch im traditionellen Volksschauspiel eine wichtige Rolle. Zwar wird die paradiesische Nacktheit von Adam und Eva im steirischen Paradeisspiel einfach durch ganz weiße Kleidung suggeriert. Der Teufel aber hat eine scheußliche Maske vor dem Gesicht. Der wird auch einmal als der erste Maskierte überhaupt bezeichnet, der unter der Gestalt einer Schlange das Menschheitselternpaar verführt habe, wie der Italiener Tommaso Garzoni 1500 in seiner „Piazza universale di tutte professioni” schreibt, als er die einzelnen Handwerke und Gewerbe vorstellt und auch den „mascarero”, den Maskenhersteller nennt.
Venedig ist dank der guten literarischen und archivalischen Quellenlage wieder der Ort, wo man Maskenmachen als etwas Professionelles sehr früh studieren kann. Schon im Mittelalter gab es darauf spezialisierte Werkstätten, die „botteghe dei mascareri”, deren Meister damals mit anderen Kunsthandwerkern der Malerzunft angeschlossen waren. Unter dem Dogen Foscari werden sie 1436 als für die Stadt wirtschaftswichtig bezeichnet. Garzoni spricht schon von Phantasiemasken, „die aus Gips geformt und bemalt verschiedene und komische Physiognomien zeigten und zur Zufriedenheit der Besteller abgefertigt wurden”. Die kunsthandwerkliche Herstellung von Gesichtsmasken und der Handel damit ernährt heute in Venedig wieder viele Menschen. Handgefertigte, individuell angepasste Stücke haben eben ihren Preis. Interessant ist, dass die Wiederauferstehung des venezianischen Karnevals auch das Angebot der typischen Massensouvenirs vollständig verändert hat. War es früher die Miniatur-Gondel, die ab den 50er Jahren zur Fernsehleuchte weiterentwickelt wurde, so hat heute die Wandschmuckmaske jeden Formats diese weitgehend verdrängt. Und auch ein neuer Stand im Umfeld des Karnevals entstand: die „truccatori”, die am Markusplatz und auf der Piazzetta in immer größerer Zahl an ihren Tischchen sitzen und Touristen, die sich bemüßigt fühlen, das Ihre zu diesem Maskenspiel beizutragen, mehr oder minder geschickt gegen einen entsprechenden Obolus das Gesicht bemalen, also wieder zur Basis des Unkenntlichmachens zurückkehren.
Die Typenentwicklung der venezianischen Masken ist natürlich nicht auf die Gesichtsmaske beschränkt. Diese ist nur ein allerdings integrierender Bestandteil des ganzen Maskenkostüms, des „travestimento”. Im historischen Karneval des 18.Jahrhunderts, der bildlich und literarisch am Besten belegt ist, treten zahlreiche Masken auf, die z.B. Volkstypen verkörpern und damit das von den Oberschichten als Exotisches im eigenen Lande Empfundene verkörpern, gleichzeitig auch etwas von den Egalisierungstendenzen unter dem Schutze der Larve ahnen lassen: Fischer mit der Angel, Klosterdienerin mit dem Nähkörbchen, Fuhrmann mit Peitsche, Gondoliere, Lakai, Jude, Lumpensammler, Vogelfänger, Gärtner, friulanischer Bauer treten auf, Türken, Spanier,Deutsche, Armenier werden gespielt. Auch die Personen der Commedia dell' Arte nehmen Gestalt an: Arlecchino und Pulcinella, Dottor Spavento und Brighella, Scaramuzzo und Giangurgolo treten in ihren Kostümen und Masken auf.
Das typische Maskenkostüm war allerdings das relativ einfache Maskenkostüm der Baùta, das aus schwarzem Seidenmantel („mantello” oder „tabarro”), Spitzenumhang („rocchetto”), Halbmaske („volto” oder „larva”) und Dreispitz („tricorno”) bestand und auch heute wieder nobler Bestandteil des Karnevals ist. Die Maske dafür wurde einst aus Leinwand gemacht und ist so gebaut, dass die Augen- und Nasenpartie verhüllt werden, die Mundregion aber relativ frei fürs Sprechen, Essen und Trinken ist, weil sich über der Oberlippe der untere Teil nach vorne wölbt und über dem Mund einen entsprechenden Raum freilässt.
Die Herkunft des Wortes Baùta ist dunkel und gibt zu verschiedenen Deutungen Anlass. Einerseits werden italienisch „bacucco” und „baucco” „Kappe” als Grundlage des venezianischen Dialektwortes vorgeschlagen, andererseits auch das mundartliche Kinderschreckwort Veneziens „bao-bao” in Erwägung gezogen, das auch in unserem alpenländischen Wauwau als Hüllwort für den Teufel enthalten sein soll. Selbst das deutsche Wort „behüten” wurde in die Diskussion gebracht. Und „bava” oder „bavaglio” ist das italienische Trenzpatterl des Kleinkindes.
Eine Besonderheit, die auch heute wieder zu sehen ist, stellt die Maske des Pestarztes, des „dottor della peste” vor. Wie schon erwähnt, brachen in Venedig infolge der intensiven Orientkontakte immer wieder verheerende, aus dem Osten durch Schiffsbesatzungen eingeschleppte Pestepidemien aus. Berühmte Kirchen der Serenissima sind als Pestvotivbauten entstanden, so Santa Maria della Salute und Il Redentore. Rationale Versuche, der Seuche Herr zu werden, werden in der Institution der Pestärzte sichtbar, die in einer dem damaligen epidemologischen Wissensstand entsprechenden Kleidung auftraten. Diese bestand aus einem schwarzen gewachsten Leinenmantel mit Stehkragen, der den Hals und die Ohren schützte, und einer Gesichtsmaske, die in Mund- und Nasenpartie in einen langen Schnabel – „naso a rostro” – auslief. Dieser enthielt essiggetränkte Tücher und Wacholderkörner, von denen man hoffte, dass sie die für Seuchenverbreiter angesehenen unsichtbaren Dämpfe der Miasmen (Krankheitserreger) absorbierten. Ein Dreispitz bedeckte den Kopf und in Händen hielt der Arzt, der mehr Diagnost und Kontrollor als Therapeut war, ein Stäbchen, mit dem er Bettzeug und Bekleidung des Kranken aufhob, um die Pestzeichen am Körper besser erkennen zu können.
Das Auftreten solcher furchterregender Masken weist auf die Tatsache, dass nicht alles im Maskentreiben glatt, elegant und lustig ist. Einst wie heute hat auch die Gestalt des Teufels Platz in der Typenvielfalt der „travestimenti”, der sich in der Gegenwart noch Vampire wie Dracula, Zombies und andere Schreckgestalten hinzugesellen. Ganz auf diesen neuen Kanon ist bekanntlich der Maskenfundus des in den letzten Jahren durch mediale Stimmungsmache auch bei uns aus den USA eingeführten Halloween abgestimmt.
Der venezianische Karneval zieht heute Massen von Besuchern an. Das begann erst 1980, nachdem der Karneval durch die Verbote der französischen und dann der österreichischen Besatzungsmacht abgestorben war. Seine Wiedergeburt als das nobelste Maskenfest Europas ist mehreren Faktoren zu verdanken, die im richtigen Augenblick aufeinander trafen: Geschickte Tourismusstrategen, die nach neuen Leitlinien für das angeblich sterbende Venedig suchten, dazu der Konsens der Kommunalpolitik, die Mitwirkung gestaltender Künstler und Ästheten und all das auf dem Hintergrund eines schwelenden und dann plötzlich aufbrechenden zeitgeistigen Nostalgiegefühls. Im Sommer war Venedig immer schon von Touristenmassen überlaufen, deren kulturelle und wirtschaftliche Qualität und Effizienz als nicht sehr hoch eingeschätzt wurde, weil diese Fremden sich zum überwiegenden Teil aus Tagestouristen rekrutierten, die von Badeorten der oberen Adria in die Lagunenstadt strömten, die Stadt blockierten – und wenig Geld ausgaben. Dann bildete sich der „Geheimtipp” Venedig im Winter heraus, dessen Ende dann zum berauschenden Karneval geriet, dessen Menschenaufkommen die Venezianer heute wieder erzittern und die bange Frage aufkommen lässt, ob es wirklich so weiter gehen kann und soll.
Was ursprünglich aus dem ästhetischen und kreativen Potential der Venezianer selber kam, wurde im Laufe der Jahre seit 1980 mehr und mehr auch von Ausländern, vor allem Deutschen, Österreichern, auch Franzosen besetzt, sodass man heute sagen kann, dass die gestaltenden Persönlichkeiten innerhalb der Maskenträger internationaler Herkunft sind.
Das Maskentreiben, das seinen Höhepunkt am letzten Wochenende vor dem Faschingsdienstag, dem „Martedì grasso” erreicht, ist ein Schaugepränge ohne rechte Struktur. Die Masken müssen nicht eingeladen werden. Sie kommen von selber und sind da. Sie sind nicht in Aufzüge, Umgänge, Bälle oder dergleichen eingebunden. Wohl gibt es am letzten Tag von Seiten der Stadtverwaltung Maskenprämierungen und das Karnevalscomitée sorgt dafür, dass Billigmasken à la Cowboy oder Clown mit Glatze das Stadtzentrum nicht erreichen. Aber im Übrigen erscheinen die Masken zu Fuß oder per Gondel und Vaporetto und promenieren über den Markusplatz, die Piazzetta und die Riva degli Schiavoni, lassen sich bewundern und fotografieren. Ist der Rummel wie etwa am Faschingsamstag so groß, dass sich keine Taube mehr auf dem Platz niederlassen könnte, dann sperrt die Polizei wohl auch die Zugänge und die Masken, die sich davor fürchten müssen, bedrängt und in ihrer Pracht beschädigt zu werden, paradieren auf Laufstegen über den Köpfen des Publikums.
In letzter Zeit versuchen Besucher, selbst auf oberflächliche Weise Teilnehmer am Maskenspektakel zu werden. Die Buden der „truccatori” wurden schon erwähnt, bei denen man sich eine Gesichtsbemalung machen lassen kann. Dazu ist auch ein ganz bestimmter Typ von auffallend bunten, aus Samt gefertigten Hüten im vielzipfeligen Charakter einer Narrenmütze auf dem Markt, die man auch in anderen Teilen der Welt sehen kann. Dies verändert auch den einst qualitativ elitären Stil der venezianischen Maskenwelt und führt zu einer schon von vielen als Störung empfundenen Einschaltung des Publikums, das zuvor reiner Beobachter gewesen war und nunmehr zum Teilnehmer und Mitgestalter wird.
Der relativ lange Zeitraum von nahezu einem Vierteljahrhundert ermöglicht bereits eine Systematik der in Venedig auftretenden Masken. Eines ist nahezu allen gemeinsam: Die Ausfertigung ist aufwendig und handwerklich perfekt. Dazu sind die Materialien von ausgesuchter Kostbarkeit. Die sprichwörtlichen „Samt und Seide” herrschen vor, besonders dann, wenn es sich um historisierende Kostüme handelt. Dabei ist auch das Schuhwerk – oft ein Schwachpunkt bei Verkleidungen – maß- und stilgerecht angepasst. Straußenfedern, teurer Modeschmuck, Strassagraffen, -broschen und - diademe, Schleierwolken, Echthaarperücken betören das Auge. Farbenpracht in ausnehmend schönen Nuancen und Abstimmungen erweisen, dass hier wahrscheinlich auch teure Salons in Anspruch genommen werden, wenn es darum geht, sich in Venedig – noch dazu anonym – zu präsentieren. Denn der Standard ist fast noch immer die Maske vor dem Gesicht. Die ohne Themenbezüge auftretenden Phantasiekostümierungen, aber auch andere tragen vor dem Gesicht eine zumeist physiognomisch vollständig neutrale weiße Kunststoffmaske mit Augenöffnungen, die im Gegensatz zur Pracht der Kopfpartie und des übrigen Kostüms steht. Diese Maske trägt zur ernsten und gemessenen Präsentation bei, denn der venezianische Karneval ist kein lauter, wie ihn der Mitteleuropäer gewohnt ist und dessen marktschreierisch aufgesetzte prononcierte Lustigkeit meist erst durch den Alkohol gewährleistet zu sein scheint.
Die Masken schreiten langsam umher, drehen sich unter den Blicken der Betrachter, nehmen Posen ein und stellen sich bereitwillig den Fotografen, dienen wohl auch selber als Staffage für den Touristen, der sich mit ihnen ablichten lässt. Auffällig ist, dass man nur äußerst selten Masken sieht, die einem schon im Vorjahr begegnet sind. Persönlicher Ehrgeiz, stets neu und gewandelt originell zu sein, sind die Antriebskräfte dafür. Wie bemerkt, sind es längst nicht mehr die Venezianer oder Italiener allein, die hier auftreten. Auf eine italienisch formulierte Frage kam man schon auch einmal eine Antwort auf französisch oder in breitem Sächsisch bekommen. Aber nach außen sind sie alle eher passiv, stumm und edel.
Masken treten nicht nur solitär auf. Häufig trifft man auf Paare in gleich gestalteten Kostümen, oft auch auf größere Gruppen, die eine thematische Einheit wie etwa ein Kartenspiel, die Musen, die Jahreszeiten, Elemente usw. bilden. Wollte man die Maskenthemen einteilen, so müsste man neben den Phantasiekostümierungen an der Basis die klassischen Gestalten der Baùta, des Dottor della Peste, der Zanni und anderer Gestalten der Commedia dell' Arte nennen. Ihnen folgen die maskierten und unmaskierten historischen Gestalten wie Doge und Dogaressa, Kaiser und König, Prinzen und Prinzessinnen in Gewändern von der edlen Renaissance bis zum opulenten Barock und zu den galanten Gestalten des Rokoko. Wenn bei diesen Darbietungen jeder Knopf und jede Locke richtig sitzt, so finden sich im Gegensatz dazu auch phantastisch aufgeputzte, grandios übersteigerte Stilisierungen, die mit ihren riesigen Schleppen und Reifröcken, ihren Perückengebirgen meist schon ordnender Begleitpersonen bedürfen, um ihrer Pracht nicht verlustig zu gehen, wenn die staunende Menge sie umdrängt.
Eine andere Welt ist die der Tiere und Pflanzen. Lustig-bunte bis riesenhafte Vögel spreizen als Pfauen ihre Federräder, Schmetterlinge entfalten auf erhöhten Estraden an der Fassade von San Marco oder der Loggia des Campanile ihre Flügel, Einhörner und Drachen entführen in die Welt der Mythen. Wandelnde Blumengärten und -bukette begegnen einem ebenso wie arcimboldeske Gemüse- und Obststillleben.
Selbst bekannte Kunstwerke der Malerei und Plastik treten auf. Dem Autor fielen nur in den letzten fünf Jahren der Kubist George Bracque, der Surrealist Pablo Picasso, Edvard Munchs „Der Schrei”, selbst Bilder der Wiener Secessionisten Klimt und Schiele auf, zuletzt dessen Gemälde „Mutter mit zwei Kindern”. Köstlich war vor längerer Zeit der heiligen Erzengel Michael, der einem byzantinischen Mosaik in San Marco nachgebildet war.
Auch an die kosmische Natur wagt man sich heran und so sind Sonne, Mond und Sterne als Masken herabgestiegen und wetteifern mit den Darstellern der Elemente, die in brennendem Rot, kühlem Blau, sattem Grün und ätherischem Weiß daherkommen. Einzigartig war der Kampf der Sonne gegen eine Regenwolke, die einander auf hohen Stelzen umkreisten. Die vier Jahreszeiten sind ebenso beliebt wie die Symbole der Planeten, wo dann die Alchemie mit der Astrologie im Wettstreit liegt.
Der venezianische Karneval ist heute zu einem unverzichtbaren Bestandteil der italienischen Fremdenverkehrswirtschaft geworden, wenngleich kritische Stimmen von Jahr zu Jahr stärker vernehmbar werden. Man kann sich die Frage stellen, welche kulturellen Einflüsse auf andere Regionen er heute ausübt. Fest steht, dass er Leute aus der Ferne schon in seinen noch ungebrochenen Zeiten angezogen hat. Goethe Vater und Sohn haben ihn gleichermaßen erlebt. Heute karren Eisenbahn und Auto vor allem am Faschingsende ungeheure Menschenmassen in die Serenissima. Venezianische Masken werben in Österreich und Deutschland für einen Besuch, den man vom Tagestourismus in die Qualitätshotellerie lenken möchte. Die Fernsehkanäle sind zur Faschingszeit voller alter und neuer Reportagen über dieses Fest, die Prachtbildbände und opulenten Wandkalender sind nicht mehr zu zählen. Lichtbildervorträge haben ihr zahlreiches Stammpublikum. Es herrscht Inflation.
Diese Frage wird nicht in der volkskundlichen Literatur gestellt, aber sie taucht in Diskussionen und Plaudereien öfters auf, scheint sich im Ausseerland auch zur „Tatsache” verfestigt zu haben. Man verweist bei diesem steirischen Faschingsbrauch auf die Noblesse der Erscheinung, auf die Tradition der Kostüme innerhalb großbürgerlicher Familien, auf das Auftreten in Gruppen, merkt an, dass der Maskenaufwand in Larve und Kostüm Mann und Frau differenziert. Der Hinweis auf die glänzenden, den Glitzereffekt der Stickereien auf dem Gewand ausmachenden Metallpailletten, die in der Mundart als „Flinserln” erscheinen, darf nicht fehlen. Nun, die klassischen Maskenkleider Venedigs sind nicht zu erkennen. Der männlichen Maske fehlt der Schnitt der die Mode immerhin jahrhundertelang bestimmenden Umrissform, aus der der Frack hervorgegangen ist. Die Larve bedeckt nicht, wie üblich, nur das Gesicht, sondern ist über den ganzen Kopf gezogen, bezieht auch einen Hut ein. Zudem war die Erzeugung von Pailletten nicht auf Venedig fixiert. „Flinderleinschläger” als deren Hersteller nennt für den süddeutschen Raum schon Christoph Weigel in seinem Ständebuch von 1698.
In der frühen beschreibenden volkskundlichen Literatur ist auch der Name „Flinserl” noch unbekannt. Man spricht vom „Fasching” und vom „Faschingweibl” „in ihren mit Gold- und Silberflitter bedeckten Costümen”, wie Johann Krainz 1890 mitteilt. Und Ferdinand v. Andrian berichtet 1905 von der bei der Jugend wegen ihrer Gaben äußerst beliebten Gestalt des „Faschings”, „welche 1768 erfunden wurde”, weil in diesem Jahr die Ausseer sich neue prächtige Maskenkostüme angeschafft hätten.
Verbergen, verhüllen, vermummen, dadurch ein Anderer werden, zählt zu den psychischen Grundhaltungen des Menschen, seitdem dieser sich „maskiert” der Jagdbeute auf Speerwurfweite näherte. Sie bringt deshalb das Grundlegende der Maske immer schon und immer wieder zustande, um diesen Zustand zu erreichen. Übertragen, verpflanzt, ex- und importiert wird das Dekorum. Im Grunde sind wir Heutige Maskierte wie es schon unsere Urväter waren.
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